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Weihnachten ist noch nicht vorbei:
Die ganze Skandal-Geschichte in zwei Büchern!

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Gottes Weihnachtsgeschichte

This free E-Book in German is a comedy novel about those mysterious events in Bethlehem. Based on diligent research this book tells a drastic spicy story of black magic and gay Bible babble; of blood, sperm and tears in the great temple; of real Santa Clause; and how Judas fell in love with the haughty princess Herodias.

Gottes Weihnachtsgeschichte, ein freies E-Buch, PDF-Version PDF Version, 1.0 MB

Ridja der Engel Israels

Gottes Weihnachtsgeschichte

von Bertram Eljon und Sofia Ewa Holubek – Köln, Schilo 2015 – Ein freier Internet-Text

Damals in Bethlehem, da kamen drei heilige Könige zu Maria und dem Jesuskind! Doch dann kam alles ganz anders als es die Bibel erzählt... Denn der radikale Josef beschwört daraufhin eine neue Sintflut und plant die Eroberung der ganzen Welt, was jedoch wieder mal an Gott scheitert. Im großen Tempel von Jerusalem fließen bald Blut, Sperma und Tränen; dann kommt der Nikolaus und bringt Geschenke, am Ende wird alles gut... Dieses lustige, freche Märchen aus der Zeit der Zeitenwende beruht auf genauer Recherche der religiösen und historischen Hintergründe. Hier finden sich drastische Geschichten aus dem judäischen Schwulenmilieu und Bibel-Pillepalle auf unterstem intellektuellem Niveau – und eine simple Liebesgeschichte zwischen dem jungen Rebellen Judas und der fast unnahbaren Prinzessin Herodias.

Historische Einleitung

Es war einmal eine Frau die hieß Maria. Diese hatte der Josef sich zur Frau genommen. Josef war ein Zimmermann aus Kafernaum in Galiläa. Er hatte sich aber auf Reisen begeben mit seiner Frau. Denn eine Art heiliger Geist war über Josef gekommen, und er war ein Thora-Kenner und radikaler Prediger geworden. Josef war ein Eiferer, einer der schnell rabiat und temperamentvoll wurde und sich von Eingebungen leiten ließ. Er predigte den Juden und Judengenossen an vielen Orten seiner Heimat. Als er Ärger bekam und keine Arbeit mehr fand zog er durchs benachbarte Judäa bis nach Jerusalem, um dort im Tempel nach der Sitte der Juden seinen Erstgeborenen Judas zur Bar Mitzva vorzustellen. Dort hielt sich Josef mit seiner Familie eine Weile auf. Die heilige Stadt der Juden war damals ein Sammelbecken von Eiferern und Radikalen, Büßern und Sonderlingen, Sektierern und Übertreibern, halb Bekehrten und Verwirrten aller Sorten. Die Stimmung war unfroh in ganz Judäa. Denn der Völkerfürst Herodes Archelaus, der Nachfolger des letzten jüdischen Königs Herodes, galt als sehr habgierig und verbrecherisch. Der arabische Pharisäer Simon war nach dem grässlichen Ende des letzten Königs als Wundertäter und falscher Messias im Tempel aufgetreten, aber Simons Aufstand hatte der Völkerfürst gnadenlos niederschlagen lassen. 3.000 Pharisäer waren damals im Tempel niedergemetzelt worden. Rücksichtslos trieb dann der hasmonäische Völkerfürst von Roms Gnaden Steuern und Zölle ein. Der Kaiser Augustus hatte dem Völkerfürsten Herodes Archelaus versprochen ihn zum König zu krönen wenn er sich bewähren sollte, doch das war nicht geschehen. Am Ende waren vornehme Juden und Samariter aus allen Teilen Judäas sogar nach Rom gereist, um dort den alten verhassten Völkerfürsten vor seinem Kaiser anzuklagen. Die Edlen und Reichen der Provinz planten schon dem Herodes Agrippa die Königskrone anzutragen, einem 16-jährigen Sohn des letzten Königs Herodes, der mit seiner Mutter Berenike in Rom lebte. Aber dieser verzogene junge Adlige Herodes Agrippa, der angeblich in Rom ein verschwenderisches Luxusleben führte, der war nicht der Hoffnungsträger der Gerechten und Nationalen, Armen und Radikalen in Judäa. Diese verbreiteten durch Flüsterpropaganda im ganzen Land heimlich die Hetzreden eines radikalen ehemaligen Pharisäers der nur Sadduk genannt wurde. Sadduk hatte eine neue extremistische Sekte gegründet. Seine fanatischen Sadokiter aus der Wüste galten als Räuber, die auf die Römer sogar bewaffnete Überfälle verübten. Aber im Prinzip waren auch die Sadokiter nur strenggläubige Juden. Es war typisch für solche national-religiösen Eiferer dass sie außer dem Gesetz des Moses, das in den fünf Büchern der Thora niedergelegt worden war, kein anderes Gesetz anerkennen wollten; und schon gar nicht das römische Recht, das ja in der Tat eher ein Unrecht war. Jedoch war in der alten Hauptstadt Jerusalem die Idee nicht beliebt das hitzige Volk Israels in einen Aufstand zu führen, denn die Römer pflegten mit harter Hand zu regieren. Problemlos hatte vor 68 Jahren der römische Feldherr Pompeius die Region unterjocht und Jerusalem eingenommen. Jetzt, im 37. Jahr nach der Seeschlacht von Actium, wo der Kaiser Augustus seinen Mitkaiser Markus Antonius besiegt hatte und Alleinherrscher über Rom und das gesamte Mittelmeer geworden war, da herrschte Frieden im römischen Reich. In Rom war sogar die Pforte des Janustempels geschlossen worden, was nur in Zeiten eines völligen Friedens passieren durfte, und seit Jahrhunderten nicht mehr vorgekommen war. Sogar bis ins wilde Germanien hinein hatte sich Rom schon ausgebreitet, und der greise Kaiser Augustus wurde als Herr des ganzen Erdkreises sogar göttlich verehrt. Doch dagegen wehrten sich besonders die radikalen Juden die auf einen jüdischen heiligen König hofften, den Messias oder Christus, den Gesalbten Israels. Als Josef nun all die Geschichten und Gerüchte in sich auf sog die durch Jerusalem schwirrten, da gefiel ihm die Idee besonders gut dass Israel jetzt so einen neuen heiligen König erhalten könnte. Und wenn er daraufhin zu predigen anfing, dann kamen ihm häufig Prophezeiungen in den Sinn vom Messias, der laut einigen heiligen Schriften der Juden dereinst aus der Stadt Bethlehem kommen würde, der heiligen Stadt des berühmten Königs David. Manchmal predigte Josef so zu den Bettlern und Büßern, Aussätzigen und Radikalen im Vorhof der Nasoräer, dort wo sich all dieses unbeliebte Gesindel zu versammeln pflegte: „Wir Juden müssen besonders gesetzestreu und fromm sein, im Vertrauen auf unseren göttlichen König, den Messias; von dem geschrieben steht dass er der König aller Könige werden wird!“ Solchen Reden stimmten sogar die Pharisäer, konservative Schriftgelehrte, zu. Aber einige radikale Sadokiter redeten so: „Da können wir ja lange warten. Haben dich hier die reichen Herodianer gekauft damit du uns Eiferer auf eine ferne Zukunft vertröstest? Du bist doch gar kein echter Jude sondern nur ein Galiläer. Ihr habt doch euren eigenen Fürsten, den Vierfürsten Herodes Antipas. Galiläer sollen zurück nach Galiläa!“ So redete man Josef also entgegen, frech und stur so wie es typisch war für die Juden. Galiläer waren in Judäa wenig angesehen, denn viele Galiläer waren ehemalige Syrer und Samariter. Diese Gijorim galten als kaum bekehrte Halbgläubige. Nomaden ohne Herden, hässliche Zigeuner und Bettler mit zu vielen Kindern waren in Jerusalem so unbeliebt wie anderswo. Zerlumpte Störenfriede, radikale Sektierer und fanatische Eiferer, solche die Streit suchten und faul oder auffällig im Tempel und im Vorhof herum lungerten, solche die reiche Pilger aggressiv anbettelten, die wurden in Jerusalem weder von den Tempelherren, den Sadduzäern, noch von den 'Roten', der herodianischen Garde, geduldet. Für Josef war in der stolzen Stadt Jerusalem keine Anstellung zu finden, als er dort seinen Erstgeborenen Judas dem Gesetz entsprechend als Mann darstellte. Ziellos zog Josef deshalb mit seiner Familie weiter in den Süden, wo Bethlehem auf ihrem Weg lag. In einer Scheune auf freiem Feld, nahe der Straße nach Hebron und Arabien, fand Josef dann wieder ein Dach über dem Kopf. Dort wohnte er nun, im Jahre 6 christlicher Zeitrechnung, zusammen mit seiner Frau Maria, seinem Erstgeborenen Judas, seiner Tochter Assia und seinem kleinen Sohn Josua, genannt Jesus. Es war um die siebte Stunde am Sabbat, schon spät am hellen Tag, kurz nach der Wintersonnenwende, und zugleich am römischen Feiertag des unbesiegten Sonnengottes Sol, als diese Geschichte begann...

Erstes Buch: Bethlehem

1.

Die Erde an der Straße nach Hebron war ringsum sonnenverbrannt und trostlos öde. Längst hatten viel zu viele Schafe ringsum alle Weiden kahl gefressen, so wie es ihre Gewohnheit war. Gerade dämmerte es. Der Schirokko blies. Der warme Südwind blies von Westen her und vertrieb etwas die winterliche Kälte. Maria hatte in der offenen Scheune ihren kleinen Sohn Jesus schon für die Nacht angezogen. Das weite dunkle Gebäude war zum Glück fast leer, denn die meisten Hirten denen die Gegend gehörte befanden sich mit ihren Tieren noch auf den Herbstweiden im Tiefland. – „Hörst du, der feuchte Wind kommt vom Meer“, erklärte Maria ihrem Sohn, als sie ihn noch einmal nach draußen trug in den Wind. „Wenn der grüne Gott es fügt dann regnet es jetzt. Dann wächst wieder Gras hier, und die Hirten kommen zurück, denn ihre Schafe haben wieder genug zu Essen. Und dann gibt es auch wieder frischen Quark für uns.“ Tatsächlich begann es genau in diesem Moment etwas zu tröpfeln. Maria lachte und zeigte ihrem Sohn einen Regentropfen auf ihrer Hand. – „Mama Geld!“ teilte ihr Jesus mit schwankender Stimme mit, und gluckste froh. – „Sei still, mein dummer Liebling.“ Maria seufzte tief während sie das Kleinkind in eine Krippe trug. Nun rief sie auch ihren Erstgeborenen in den Stall: „Judas!“ Judas aber spielte gerade mit einigen Jungen ein Hüpfspiel. Man hüpfte auf einem Bein und kickte einen Stein. Judas besaß einen störrischen Geist, er zürnte: „Nein Mama, ich möchte noch spielen!“ Aber Maria blieb hart: „Komm jetzt rein! Gehorche! Deine Eltern müssen bald in die Stadt Bethlehem.“ – „Ich will mit! Ich will auch betteln, ich hab Hunger!“ – „Nein, das geht nicht, denn du musst auf deinen kleinen Bruder aufpassen. Du weißt doch, Jesus kommt immer so schnell auf irgendwelche Dummheiten!“ Voller Wut stürmte da der schmutzige, magere Judas in den Stall, wo seine Familie mit irgendwelchen fremden Reisenden, Nomaden und Bettlern zusammen lebte. Er schrie Jesus an: „Kannst du nicht auf dich selbst aufpassen? Jesus du bist einfach zu doof für diese Welt! Du bist so doof wie zwölf Idioten gleichzeitig! Du bist nicht mein Bruder! Ich hasse dich Jesus!“ Daraufhin brach der kleine Jesus in Tränen aus, und griff nach der Schürze seiner Mutter. „Komm mein Liebling.“ Maria bückte sich und umarmte Jesus, um ihn zu beruhigen. Dabei wandte sie sich an ihre Tochter Assia und schärfte ihr ein: „Und du passt auch auf, Assia! Du weißt was hier überall noch für Gesindel lauert. Diesen Zigeunern kann man nicht trauen, denn das sind keine Juden sondern Fremde: Tataren, Sintier und Arier, Ägypter, und sogar Araber!“ Dabei wies Maria mit dem knochigen Finger in die anderen Teile des dunklen Heustalls. Assia blickte mürrisch und gab sich steif, so wie ihre Mutter auch. „Die Hirten und Pilger sagen wir wären auch Zigeuner und Bettelpack. Alle sagen: Wir Galiläer sollen verschwinden. Und die Jungs sagen ich soll die Beine breit machen.“ – „Sei still und schüchtern. Mädchen müssen still sein. Und lass dich nicht von irgendwelchen Strolchen anreden! Die machen aus dir eine Sklavin und Hure!“ Maria gab Assia einen Klaps auf den Hintern. Dann machte sie sich von dem ängstlich plärrenden Jesus frei. Sie nahm verärgert auch den zappeligen Judas kurz in die Arme, um ihn zu beruhigen. Schließlich drehte sie sich um zu ihrem zerlumpten Mann. Josef hatte sich an der Hinterwand der Scheune hingekniet, wie so oft, um zu beten. Mit seinen geschlossenen Augen, den einen Arm mit einem Gebetsriemen gefesselt, murmelte Josef vor sich hin, und wiegte dabei Kopf und Oberkörper vor und zurück. Die tief stehende intensiv orangefarbene Sonne erleuchtete seine faltige Stirnglatze. Vorn auf seinem dicken Kopf trug Josef nach jüdischer Sitte ein schwarzes Kästchen, das dort mit weiteren Gebetsriemen befestigt war; ein weiteres trug er auf dem Arm. Diese schwarzen Kästchen hießen auf hebräisch Tefillin; aber manche Heiden kamen auf die Idee sie Teufeleien zu nennen, weil sie angeblich teuflische Zaubersprüche enthielten, wie man zum Beispiel die biblischen Plagen beschwor oder die Erstgeborenen tötete. Dieser Irrglaube bezogt sich auf die legendären Zaubereien die der Gott der Juden laut der Thora zusammen mit Moses angeblich in Ägypten verübt hatte, um den Pharao Eje zu überzeugen Moses wegziehen zu lassen mit seinem Volk... Maria beugte sich zu ihrem Mann und löste seine Gebetsriemen mit den Tefillin. Dann wischte sie Josef die schwarzen Kästchen vom Körper. – „Komm jetzt, Josef bar Schotai, wir müssen los.“ – „Red nicht so frech mit mir, Frau!“ Josefs Stimme klang weich und zittrig. Ächzend und mit knackenden Gelenken kam der dürre Prediger auf die Beine. Josef musste sich erst mal recken und dabei an der Scheunenwand festhalten. Dann fiel er wieder auf die Knie um seine Kästchen aus dem Dreck zu holen. „Achte die heilige Thora!“ mahnte er Maria. – „Eine Thora für die Toren!“ zischte Maria düster. „Komm jetzt, wir müssen in die Stadt. Manchmal machen sie doch plötzlich die Tore zu. Neulich haben sie mich nicht reingelassen, weil ich drei Bettelkinder mit dabei hatte und kein Geld. Du weißt doch, Galiläer sind hier in Judäa nicht beliebt.“ – „Auch Gy'tt weiß das. Um so mehr sorgt er für uns“, murmelte Josef, während er erschauerte. Josef sprach das Jhwh, also den Namen Gottes, niemals aus; und er vermied sogar das Wort Gott, weil dies auch als ein Tabu galt. Statt dessen nannte er Gott Adonai, also Herr, oder er gurgelte ein „Gy'tt“. Das war ein spezielles Wort welches Fromme und Radikale benutzten, daran erkannten sie sich. Er trat nun nach draußen und hob die Hände zum Himmel, und betete ein Dankgebet zu seinem Gott, wobei er den Namen Jahwe gemäß jüdischer Tradition immer durch das Wort „Herr“ ersetzte: „Adonai, du schenktest uns das Land zum Erbbesitz in dem Wein und Honig fließen, so dass nach deinem Willen alle fröhlich werden sollen die darin wohnen. Wir Juden bauten dir Altäre, und auf ihnen brennen beständig Opferfeuer! In deinem herrlichen Tempel fließt das Blut in Strömen, ja dort wird geschlachtet und geschächtet nach Herzenslust, und gespeist beim Opfermahl, zu dem oft auch Arme herzlich eingeladen werden! Lass dir nun danken, heute am Sabbat, dem geheiligten Ruhetag, für den Winterregen der dieses leider derzeit viel zu übervölkerte und von feindseligen Fremden beherrschte gelobte Land wieder fruchtbar werden lässt...“ Josef verstummte und schaute nach oben. Der spärliche Regen hatte leider gerade wieder aufgehört.

2.

Maria und Josef machten sich auf den Weg nach Bethlehem, während es schnell dunkel wurde. „Ich muss predigen gegen die Römer! Das ist mein Kampfauftrag vom Herrn!“ Dies teilte Josef spontan unterwegs seiner Frau mit, aber mit etwas zittriger Stimme. – „Sei still! Halt lieber deinen vorlauten Mund. Du weißt wie schlimm die Römer sind.“ – „Ja, und deswegen muss ich gegen sie predigen.“ – „Dann wirst du noch am Kreuz landen, wie ein Schwerverbrecher!“ – „Das ist mir egal!“ – „Aber mir nicht und deinen Kindern. Denn wer soll dann für uns betteln? Sei doch mal vernünftig, du Tor, und zähm mal deine Zunge! Diese Hetze gegen die Römer bringt doch nichts! Die sind nun mal ein großes Volk, und wir sind ein ganz kleines.“ – „Wir Juden sind das erwählte Volk Gy'ttes! So steht es geschrieben in der Thora und in den Büchern der Propheten.“ – „Na und? Du bist überhaupt kein Jude. Du kannst doch noch nicht mal Hebräisch, weder lesen noch reden kannst du es!“ – „Frau, ich hab das alles hier drin! Ich hab die gesamte Thora auswendig gelernt, und viele heilige Bücher noch dazu!“ Jetzt wurde Josef fuchtig, während er sich mit dem Zeigefinger an die gefurchte Stirn tippte. – „Pah! All dieses uralte jüdische Zeug taugt doch heute nichts mehr! Davon können wir uns kein Essen kaufen.“ – „Du redest jetzt wieder wie eine verfluchte Heidin!“ – „Ich rede wie meine arme Mutter Anna immer redete. Ich bin selbst eine arme Mutter geworden, mit drei hungrigen Kindern und einem faulen Herumtreiber als Mann, der außer beten und schwätzen und Ärger machen nichts kann.“ – „Ich bin immer noch Zimmermann!“ – „Pah! Derzeit bist du ein Herumtreiber und Bettler! Zu schwach bist du längst geworden um noch Balken zu wuchten und Nägel einzuhauen. Also eile dich, sonst sitzen schon all die städtischen Bettler auf den besten Plätzen, wenn die frommen Juden auf dem Hof vor der Synagoge nach dem Sabbat Essen austeilen.“ – „Wir sind doch auch jüdische Bettler! Wir Juden gehören zusammen, ob wir nun Judäer sind oder nicht. Und red nicht so mit mir, ich warn dich, Frau! Ich bin noch nicht zu schwach um dich zu züchtigen.“ Nun schimpfte Josef im rabiaten Ton der Bettler. Da gab ihm Maria voller Zorn einen Klaps auf den Hintern. „Schau dich doch mal an. Du kannst dich doch kaum noch auf den Beinen halten! Selbst dein kleiner Sohn Judas könnte dich doch im Ringkampf besiegen!“ – „Judas? Das würde dem nie einfallen! Der denkt wie ich, der hat den zornigen Geist im Kopf! Wenn der mal groß ist dann wird er die verfluchten Römer vertreiben, gemeinsam mit dem Messias!“ – „Pah! Am Kreuz wird man Judas aufhängen wie einen Schwerverbrecher. Der hat das üble arabische Rebellenblut seines nichtsnutzigen Vaters.“ – „Judas werden die Römer nicht kriegen. Da wird schon eher dein Liebling Jesus gekreuzigt werden. Das seh ich schon kommen, so doof wie Jesus ist.“ – „Ja, auch das kann leicht passieren.“ Maria seufzte tief. Dann nahm sie Josef kurz in die Arme um ihn zu besänftigen. Sie hüllte sich dann tiefer in ihr dunkles, leicht zerfetztes Körpertuch während sie das Stadttor passierten. – „Einen ruhigen Sabbat!“ wünschte ihnen einer der Torwächter warnend. – „Ja genau“, rief Josef, betont ruhig diesmal. Am Sabbat bekam er schon mal schneller Ärger als sonst wenn er sich ereiferte. Auf dem Weg durch die engen dunklen Gassen der Altstadt schwieg er. Kurze Zeit später saß Josef also mit Maria auf den Treppen am Fuß der schlichten Synagoge von Bethlehem und hielt die Hand auf. Weil sie Fremde waren und spät gekommen, mussten sie ganz hinten sitzen. Blauer Nebel lag über dem Himmel, und feurige Abendwolken leuchteten in lila und rot. – „Bald wird die Welt sowieso verbrennen!“ sagte Josef zu Maria. Darüber war er sich nun sicher. Zum Ende des Sabbats kamen die frommen Juden noch einmal aus ihren Häusern und strömten in dunkel gekleideten Scharen in ihre 'Schul', wo man ihnen aus den heiligen Schriften vorlas. Man hatte zwei metallene Kohlebecken vor den Türen des Gebetshauses aufgestellt. Sie warfen einen düsteren Feuerschein auf die Reihen der Bettler die vor der Synagoge saßen und die Hände hochhielten. Nicht selten gab jemand etwas. Meistens waren es ältere Frauen oder Kinder die Brot vom Vortag verteilten, sie rissen Fetzen davon ab und gingen langsam von Bettler zu Bettler. Manchmal kam auch jemand mit Resten von Festspeisen, die am Sabbat nicht gegessen worden waren. Wer dann Brot vorwies bekam einen Klecks Fleisch darauf, oder Fischsoße oder Challe, also Quark. Maria beugte sich weit vor und heischte, wie alle anderen auch: „Habt Mitleid! Bitte!“ Sie beteuerte: „Ich habe drei hungrige Kinder.“ Aber weil Maria ganz hinten saß und heute keine Kinder dabei hatte bekam sie so gut wie nie etwas ab. Josef war derweil in trüben Gedanken gefangen, er bettelte nicht so eifrig mit. Nur gelegentlich reckte er sich über die Köpfe der Bettler die vor ihm saßen, und die meistens größer waren als er, und forderte: „Wartet! Ihr müsst doch Mitleid haben mit einem wahren Juden!“ Unvermittelt unterbrach er sich. Und dann teilte er seiner Frau fast freudig mit: „Weißt du eigentlich wo wir hier sind? Wir sind in Bethlehem, der Stadt Davids! Ist dir bewusst was das bedeutet?“ – „Ja, das bedeutet leider das die Juden hier noch geiziger sind als anderswo. Nach Bethlehem treibt der Geist der Thora immer viel Bettelpack und Idioten hin.“ Maria zeigte ihrem Mann den einen dünnen, von Rauch geschwärzten Fetzen von trockenem Fladenbrot vor, der alles war was sie bisher ergattert hatte. Als er danach greifen wollte wickelte sie ihn schnell in den zerlumpten Wollgürtel ein den sie trug. Josef schüttelte ergriffen den Kopf. „Frau, dir fehlt einfach die Seele die ein Mann hat. Deshalb bist du wie einer der von einem Löwendämon besessen ist, so dass er dauernd faucht und grollt!“ – „Pah“, erwiderte Maria trotzig. – „Ruhe! Am Schabbes herrscht Ruhe!“ mahnte sie ein anderer Bettler, mit wackelndem grauen Bart.

3.

Josef stand plötzlich mühsam auf, von Unruhe ergriffen. Er stieg die blanken Treppenstufen hinauf bis zur Reihe der überaus hohen Steinsäulen. Dort stellte Josef sich frech hin, einfach neben einen kupfernen Torflügel und direkt an eines der warmen Feuerbecken. Auf dem Vorhof standen jetzt schon die fremden Händler: Beduinen oder Nabatäer, die trotz des Sabbats schon Tiere anboten als Opfertiere. Während des Sabbats durften Juden sich keine Speisen zubereiten, aber gleich danach ging immer das Schlemmen los. Wer nicht opfern wollte war dann im Tempel nicht gern gesehen, er durfte nach dem jüdischen Gesetz gar nicht hinein. Es war jedoch vorgekommen dass man Josef als Gast hinein bat und zu einem Opfermahl mit einlud, vor allem dann wenn er frommen Leuten etwas auf die Nerven ging... Das Feuerbecken warf nun flackernde Schatten an die Reihe der grauen Säulen. Es sah aus als ob hinter Josef ein großer schwarzer Mann herum hampeln würde. Josef atmete heftig ein und aus, bevor er die frommen Juden leidenschaftlich ansprach die gerade in die Schul strömten: „Wisst ihr denn was es bedeutet dass ihr in Bethlehem seid? Der Geist der Thora wird es euch erklären. Denn das Volk das in Knechtschaft verharrt soll befreit werden. Wahrlich die Stunde ist nahe wo der Messias kommen wird, und er wird aus dieser Stadt hier kommen! Wenn ihr glaubt dann könnt ihr es auch fühlen! Ich glaube und ich weiß dass die Stunde sich erfüllen wird, ja sie wird bald kommen...“ Josef war nun in den eifernden Singsang eines Predigers gefallen, und er hatte wie so oft seine dürren Arme und offenen Handflächen erhoben. Einige der Synagogengänger hielten nun inne, und sie lauschten seinen Worten, wobei roter Feuerschein manche Gesichter wie verweint erscheinen ließ. Ein junger Mann rief spontan dazwischen, ebenfalls im erregten Tonfall eines religiösen Eiferers: „Recht hat er! Das muss oft gesagt werden! Das Volk Israels soll befreit werden!“ – „Pass bloß auf was du redest, du Aufrührer!“ mahnte ihn jedoch ein anderer, der etwas hölzern sprach. – „Das tu ich!“ Josef lächelte entrückt, aber da bekam er einen leichten Schubs auf den Rücken. – „Hau ab du mieser Bettler!“ rief jemand hinter ihm. Ein dürrer Kerl war hinter ihn getreten, der nun so tat als ob er hier die Aufsicht hätte. Es war aber nur ein Araber, ein Sabbat-Goj der hier für die Feuerbecken verantwortlich war, weil fromme Juden am Sabbat ja auch kein Feuer entzünden durften. Also ließ Josef sich nicht vertreiben, sondern er predigte weiter: „Ihr nennt mich Aufrührer! Aber wir sind keine Rebellen, sondern wir sind im Recht, wenn Gy'tt selbst uns anführt. Denn gegen Menschen können Menschen kämpfen. Aber gegen den Messias sind sie doch starr und stumm!“ – „Ja! Hört, hört!“ riefen nun mehrere Fromme. Ein Kreis von Zuhörern scharte sich rasch um Josef. Und ein halbwüchsiger kleiner Junge mit einem teuren weißen Gebetsschal rief mit heller Stimme, im gesalbten Tonfall des gebildeten Thora-Schülers: „So steht es ja geschrieben im Segen Jakobs im Buch Genesis, Kapitel 49: Dich Juda, werden deine Brüder loben! Deine Hand wird auf dem Nacken deiner Feinde sein. Juda ist ein junger Löwe! Es wird das Zepter nicht von Juda weichen bis dass der Schilo kommt, welchem die Scharen der Völker unterworfen sind.“ Dazu rief ein feiner älterer Herr, recht mutig: „Heil dem neuen Löwen von Juda! Ruft für einen neuen König! Es lebe Herodes Agrippa!“ Da kam Murren auf unter den Frommen. „Nieder mit dem üblen Haus der Herodianer!“ schrie einer. Andere aber riefen daraufhin: „Heil dem Königshaus!“ Und wieder andere schimpften nun: „Ruhe! Schluss mit diesem Aufruhr am Sabbat!“ Es gab derzeit viel Streit um die Frage wer denn der neue König Israels werden könnte. Viele Judäer rechneten damit dass Herodes Agrippa, ein reiches Prinzlein aus Rom, das schaffen würde was seinem verhassten alten Onkel Herodes Archelaus nicht gelungen war, nämlich König zu werden von des Kaisers Gnaden. Josef aber rief ihnen allen entgegen, und machte sie damit stumm: „Setzt eure Hoffnung auf Gy'tt allein, den Herrn! Hofft nicht auf den eitlen Römergenossen Herodes Agrippa! Nicht der König der Löwen, äh der Juden, ich meine der Juden die halbe Römer sind, kann uns Gy'ttes Heil besorgen! Sondern nur der Heiland selbst ist der Löwe von Juda, der da kommen wird. Er ist der wahre neue König. Und er wird aus Bethlehem kommen. Ist es nicht so dass Bethlehem auf hebräisch 'Haus des Löwen' heisst?“ Da stöhnten die Zuhörer entsetzt auf. Und der alte Reiche meinte spöttisch: „Du redest so verworren wie ein Ägypter.“ Sein Nachbar meinte: „Nein, ich halte ihn für einen Galiläer. Er redet mit diesem Akzent des Nordens.“ – „Ja, in der Tat, ich bin nur ein Galiläer“, meinte Josef nun. Plötzlich versagte ihm der Eifer seiner Stimme, und er schien sich vor Scham zu krümmen vor der stummen Menge. Er wandte sich ab von der Synagoge und schlich gebückt zurück in die Reihe der Bettler. Der junge Thora-Schüler aber rief ihm noch hinterher, mit verächtlicher Stimme: „Ihr Galiläer solltet besser in Galiläa bleiben!“ Verärgert kauerte sich Josef neben Maria auf die kalte Treppenstufe. – „Na, wie viel hast du?“ fragte sie kühl. – „Nichts, ich hab leider gar nichts!“ Josef zeigte ihr seine dreckigen Hände. Maria umarmte ihn kurz und zeigte ihm was sie inzwischen noch erbettelt hatte: Einige Matze-Kekse, uralte Trockenkekse mit Staub oben drauf, aus irgendeiner Vorratskammer. Mit plötzlicher Wärme in der Stimme sagte Maria: „Setz dich, nimm dir'n Keks.“ – „Weiß du, ich bin mir manchmal so sicher!“ erklärte ihr Josef mau. „Ich erhalte diese Eingebungen direkt aus dem Himmel! Aber wenn ich das rede was mir der Himmel vorsagt, dann kommt es mir irgendwie ganz falsch heraus.“ – „Das geht vielen falschen Propheten wohl genau so.“ – „Ja genau. Au!“ Josef begann zögernd den harten Keks anzuknabbern. Er seufzte und jammerte wegen seiner Zahnschmerzen. Dann versuchte er die Krümel zu schlucken, und musste husten. Er hustete lange. Maria zog ihn auf die Beine und meinte: „Komm Joschele, du musst etwas trinken.“ – „Nein, warte pass auf! Ich weiß noch was! Es kam mir gerade in den Sinn!“ Aufgeregt riss Josef die Augen auf als er Maria anstarrte. Sie betrachtete den Widerschein der Feuerbecken in den dunklen Augen ihres Mannes, als er wieder los redete, erneut vom Predigteifer ergriffen: „Ich weiß jetzt wie er heißt! Ich weiß wie der Messias heißen wird. Er wird wie mein Sohn heißen! Stell dir das mal vor, Maria, der Messias wird heißen wie dein Sohn!“ – „Was, wie Jesus? Pah! Du bist verrückt“, erwiderte Maria spontan. – „Nein, nicht Jesus natürlich. Ich meine Judas, unseren Erstgeborenen“, erklärte Josef, der jetzt zu ergriffen war um sich zu ärgern. Nachsichtig und heiter erklärte er seiner Frau: „So steht es geschrieben im Buch Genesis: Löwe von Juda, Judas Löw, so heißt der Messias.“ – „Nicht doch! Der Messias heißt Schilo. Der junge Pharisäer hat Schilo gesagt“, erwiderte seine Frau. – „Ja genau, das auch noch“, grummelte Josef. Er wollte weiter reden, aber da musste er wieder trocken husten. „Weißt du ob sie hier auch irgendwo Wein verteilen, nach dem Sabbat?“ fragte er seinen Nachbarn, den mit dem grauen Bart. „Schweig doch! Am Schabbes herrscht Ruhe!“ meinte dieser jedoch nur.

4.

In der Altstadt bereitete man sich auf den Oness Schabbat vor, den schönen Abend nach dem Tag der Ruhe. Josef wählte halb unbewusst eine Gasse wo sich der Laden eines Weinhändlers befand. Der Grieche war schon dabei seine Amphoren für den Ausschank aufzustellen. Josef blieb stehen, ohne es so recht zu wollen, und schaute sich das nur mal an. – „Komm weiter! Du wolltest doch Wasser trinken“ meinte jedoch seine Frau. Und da er nicht reagierte, da schubste sie ihn einfach die Gasse weiter entlang. – „Du Ausgeburt Evas!“ schimpfte Josef mit plötzlicher Wut. Da begann Maria zu schimpfen: „Willst du etwa hier was kaufen? Das tät ich auch gern. Aber leider sind wir ja völlig blank! Und erinnerst du dich wieso?“ – „Wein“, murmelte Josef, „ich wollte sagen, nein!“
Sie gingen also zum Brunnen am nahegelegenen Platz. Hier standen die jungen Frauen in Gruppen zusammen, sie schwatzten und schauten Männern nach. Die Stimmung war heiter, so wie es üblich war am Wochenende. Josef stellte sich am Brunnen an. Es war ein Schöpfbrunnen den ein hagerer Beduine mit müden Eseln betrieb. – „Es ist üblich dass man dem Brunnenmeister ein Scherflein gibt“, erklärte ihm ein junger Beduine, etwas zu frech. – „Seh ich aus als wär ich Krösus, der reiche König der Lyder?“ fragte Josef unmutig zurück, etwas zu laut. – „Nein, du siehst aus wie der König der Bettler und Weinsäufer“, meinte da ein Herumsteher, ein großer Kerl der eine feine phrygische Mütze trug. – „Genau, Hanes Lydius!“ rief gleich ein anderer. Und bevor Josef noch trinken konnte hatten ihn schon ein paar Männer umringt die wie Raufbolde wirkten. Josef bekam große Angst, er schaute verlegen zu Boden und konnte es nicht verhindern dass seine Knie schlotterten. Hanes der Lyder meinte nun, während er Josefs Lumpen verächtlich musterte: „Hier in Bethlehem kostet es eben Geld wenn man was trinken will.“ – „Wenn ihr frommen Bettlern nichts gebt könnt ihr ihnen nichts abverlangen.“ – „Ach, ein Bettler bist du noch dazu. Das geht gar nicht. Betteln darf man hier nur mit einer Erlaubnis.“ – „Und wer erteilt die Erlaubnis?“ erwiderte Josef, trotzig bis ängstlich. – „Ja wir, die Saubermänner der Stadt“, rief einer, der Josef zur Bekräftigung einen Schubs gab. „Hau ab! Geh kacken, alter Mann!“ – „Au, oi, o je!“ rief Josef entsetzt, und hustete so laut als ob er krank wäre. „Wasser! Bitte, ich muss trinken!“ krächzte er. Da ließ man ihn in Ruhe. Josef nahm zitternd Wasser auf mit dem Mund und trank. Er wusch sich noch etwas, und als er die gelangweilten und müden Männer ringsum ansah, da packte ihn wieder der Drang zu predigen. Er richtete sich auf und erklärte ihnen pathetisch: „Es mag sein dass einige von uns bettelarm sind. Aber so soll es nicht sein nach der Thora! Denn unser Herr ist der starke Judas Löw. Und wenn dieser Messias kommt dann wird er aus uns Juden das reichste Volk der Welt machen!“ – „Unser Gott ist gerecht“, murmelte da spontan ein zerlumpter Knabe. Aber ein Alter rief, wie ein Kyniker: „Es mag ihm gefallen bald zu kommen, sonst kann er es bleiben lassen!“ Hanes mit der kecken ausländischen Mütze fasste Josef gleich wieder in den Blick, und trat erneut drohend vor ihn: „Du schon wieder! Jetzt weiß ich auch wer du bist. Du bist doch der doofe Galiläer der am Tempel solchen babylonischen Unsinn redete. Damit hast du die Sabbatruhe gestört, die Tempelherren haben sich schon über dich beschwert.“ Zu seinem Gefolge erklärte er: „Dieser Lump aus Galiläa verbreitet nämlich diese Lügengeschichte der Babylonier, dass unser Bethlehem das Haus ihrer Löwin Lamaschtu wäre, also der Dämonin welche die Neugeborenen frisst die Gott nicht gefallen.“ – „Was, wieso?“ erwiderte Josef entgeistert. Und dann beteuerte er: „So was hab ich nie gesagt, das schwöre ich, beim Barte des Propheten Moses!“ Da stutzte die Menge. – „Jetzt ist klar dass der Kerl lügt! Moses hatte nämlich keinen Bart. Ägypter haben keinen Bart, es sei denn einen falschen“, meinte da der Beduine vom Brunnen. – „Natürlich hatte Moses der Hebräer einen Bart!“ erwiderte da ein kleiner streitbarer Langbart. Und so schnell begann eine für die religiösen Juden typischen Streitigkeiten um Pilpul, um Nichtigkeiten. Als sich alle zu den Streitenden hin drehten nutzte Josef die Gelegenheit um sich klein zu machen und zu enteilen. Josef huschte ins Gewirr der Gassen hinein und schaute sich an was zum Verkauf stand. Hier war schon vor dem offiziellen Ende des Sabbats allerlei los. Einige Araber verkauften sogar an die Juden, was einen strenggläubigen Juden mit dicken schwarzen Schläfenlocken jetzt ergrimmte: „Am Sabbat herrscht Ruhe!“ schimpfte er. – „Ja, sonst wird Gy'tt uns erneut strafen, so wie er einst die ganze Welt bestraft hat, nämlich mit einer Sintflut!“ fügte Josef laut hinzu, der eine Chance sah sich bei irgendwelchen Leuten beliebt zu machen. Doch der Araber hinter dem Marktstand wirkte dickfellig und kauzig. Schnell schob er eine Dose mit Harzbrocken nach vorn. „Seht her, ihr reichen Herren, für diesen Fall verkaufe ich das passende Harz. Es ist originales Harz von der Arche Noah, und jetzt gerade im Angebot. Dieses Harz besitzt Zauberkraft, so wie die babylonischen Chaldäer, und jeder von euch der gerade eine neue Arche baut wird es brauchen, um sie gegen das Wasser abzudichten.“ Da merkte der Strenggläubige auf, und gleich wurden andere Juden auf diese Sache aufmerksam. „Das ist doch Schwindel! Betrug! Unecht!“ Dies war ihre herrschende Meinung. Ein Kleiner jedoch der wie ein Schriftgelehrter gekleidet war, nämlich in weißes Leinen mit dünnen blauen Streifen und Quasten, meinte in trockenem Tonfall: „Wartet, ich las neulich etwas darüber, in der Bibliothek der Herodianer von Jerusalem. Und zwar schrieb ein Experte aus dem Palast, dass auf dem besagten Berg Ararat in Armenien tatsächlich noch lange Zeit Überreste der originalen Arche Noah gezeigt wurden...“ – „Wo bitte hast du das denn gelesen?“ fragte ein Skeptiker. – „Das besagt das 96-te Buch des weisen Nikolaus von Damaskus...“ Weiter kam der Pharisäer nicht, denn nun gab es ringsum verächtliches Gelächter: „Ach je, diese Hofschranze! Dieser Erzlügner des alten Gauners Herodes! Der kann uns gestohlen bleiben wie die Römer! Aber, ihr Herren, was die Arche Noahs anbetrifft hatte er doch wohl Recht... Nein hatte er nicht! Er schrieb nämlich auch dass auf dem Berg Ararat auch Flüchtlinge waren die dort die Sintflut überlebten. Das kann aber doch nicht wahr sein, denn darüber steht nichts in der Thora...“ Schon wieder gab es verschiedene Meinungen, und rasch entwickelte sich daraus eine weitere der typischen Streitigkeiten um Pillepalle. An den Disputanten vorbei beugte sich Josef zu dem Palästiner vor und fragte ihn, etwas wehleidig: „Hilft dieses Harz auch gegen Schmerzen in den Knien?“ Da schaute ihn dieser nur kurz an, und zog dann die Dose rasch aus Josefs Reichweite. – „Das hier kannst du nicht bezahlen, Bettler!“ raunzte er.

5.

Der Gottesdienst-Marathon ging endlich zu Ende. Die Stimmung wurde froher in Bethlehem. Die Straßen füllten sich mit Menschen, Stimmen und Gelächter wurden lauter. Es dauerte eine Weile bis Josef Maria wieder traf, auf dem halbdunklen Brunnenplatz im abendlichen Zwielicht, auf dem schon hier und da ein Händler oder Diener eine Stocklaterne oder Öllampe anzündete. Maria stand bei einigen anderen ärmlichen Frauen. „Habt Mitleid!“ rief Maria, wie die anderen Bettlerinnen. Sie verstummte als Josef sich ihr näherte. „Joschele, es gibt schlechte Neuigkeiten“, erklärte Maria ihm, während sie mit schuldbewusster Miene irgendwas in den Mund steckte und kaute. „Diese Frauen sagen alle dass die Römer vorhaben den alten Völkerfürsten abzusetzen.“ Josef seufzte tief. „Das wurde ja erwartet. Aber was keiner weiß ist was danach geschehen soll.“ – „Doch, jetzt schon! Es sind nämlich Adlige in der Stadt. Man hat sie aus Galiläa hierher geleitet, unsere Fürstin Phasälis ist auch bei ihnen. Und die haben gesagt dass der Kaiser Augustus aus Judäa eine Provinz machen will. Es soll gar keinen König mehr geben, sondern die Römer werden einen Pfleger bestellen für dieses Land, so wie für einen verrückten Mann. Der alte Kaiser hat die Nase voll von uns habgierigen und fanatischen Juden, so heißt es.“ – „Das kann ich nachfühlen, ehrlich gesagt. Aber Phasälis ist nicht unsere Fürstin, nur weil sie die Frau ist unseres Vierfürsten Herodes Antipas. Sondern die ist nur eine Araberin aus Nabatäa, und wir Juden meinen ja alle:“ – „Araber raus! Ab in die Wüste!“ Diese Worte sprachen beide gemeinsam. Dazu nickte die jüdischen Bettlerinnen ringsum, manche heftig. Eine meinte: „Das ist der wahre jüdische Geist.“ Für einen Moment kam Solidarität auf unter den Bettlerinnen. Marias verkniffenes Gesicht klärte sich zu einem Lächeln, kurz umarmte sie Josef. Aber rasch wurde sie wieder missmutig und erklärte, auch zu den anderen Frauen: „Deshalb könnte es aber uns Armen bald noch schlechter ergehen. Es ist ja bekannt dass die Römer ihre Provinzen gründlich ausplündern. Es heißt der Quästor Quirinus sei schon in Syrien. Quirinus soll hier einen Zensus durchführen, eine Steuerschätzung.“ Davor war Josef erst mal nicht bange, denn er hatte ja nichts was ihm ein Zöllner abnehmen könnte. Er meinte dazu, verlegen jetzt weil seine kleine Frau so freimütig redete: „Kaiser Augustus braucht eben viel Geld für seine Paläste und Feldzüge.“ Eine Jüdin meinte: „Pah, der ist doch längst der reichste Römer aller Zeiten.“ Maria aber erklärte: „Nein, er hat ja viel Geld verschenkt an die Römer mit Bürgerrecht. Nur deswegen haben sie ihn doch im Senat zum Oberkönig auf Lebenszeit ernannt.“ – „Was du alles weißt!“ meinte Josef erstaunt. Dann erklärte er den Frauen ringsum: „Meine Frau Maria ist nicht groß aber sie ist schlau, so wie eine Philosophin der Griechen!“ Das war auch wieder nicht gut gesprochen, das spürte Josef gleich als sich die Gesichter der jüdischen Frauen verhärteten. Eine meinte nun hart: „Ihr seid Galiläer, nicht wahr? Wenn jetzt ein Zensus kommt, dann müsst ihr aber in eure Heimat zurück reisen. Bei einem Zensus der Römer muss jeder dort sein wo er zu Hause ist.“ Dies bekräftigten die anderen Frauen. – „Wir sind leider seit Jahren auf Reisen“, erwiderte Josef etwas kraftlos. – „Was bist du denn von Beruf?“ – „Ich war ähm, ich bin... ein freier Prediger“, erklärte Josef. Darüber lachten die dunkel gekleideten Frauen bitter. Maria aber erklärte rasch: „Ihr Lieben, wir sind gar keine Fremden mehr, weil wir jetzt hier leben. Unser Sohn Jesus wurde in Ephrata geboren.“ – „Trotzdem müsst ihr raus. Galiläer müssen zurück nach Galiläa“, erklärte ihr eine schnippische Große. Die Frauen zogen sich zurück, bevor Maria und Josef darauf erwidern konnten. Betrübt flüsterte Maria: „Vielleicht sollten wir wirklich nach Hause zurückkehren. Wenn jetzt der Zensus kommt, dann werden alle Juden hier noch geiziger. Dann kommen harte Zeiten für Gesindel, wie wir es nun mal sind. Vielleicht sollten wir auf den Golan hinauf ziehen, zu meiner Tante Elisabeth und ihrem Mann.“ – „Die werden sich freuen über fünf hungrige Mäuler“, murrte Josef verzweifelt, während er seine Stirn in tiefe Falten schob. Grollend kam es nun aus seinem Mund: „Nein, sage ich! Wir ziehen nicht weg. Wir alle sind Juden, und dies ist unser Israel, auch wenn die Römer es in kleine Fürstentümer zerstückelt haben. Wir lassen uns nicht einfach so vertreiben, schon gar nicht von den Römern! Sondern wir werden immer zahlreicher, und wir Juden halten alle zusammen. Und wenn die verdammten Besatzer hier einen Zensus veranstalten, und unser Land ausplündern wollen, dann fangen wir einen Aufstand an und einen Krieg. Ich kann viel predigen davon wie der Gy'tt uns Juden mit seiner Macht zu Hilfe gekommen ist in den alten Zeiten. Die Römer sollen kacken gehen wenn sie uns kommen sehen!“

6.

In Josefs Kopf rumorte es jetzt heftig, man sah es an seinem bewegten Gesicht. An sich war er nicht gegen die Römer. Denn wenn der Kaiser jetzt keinen König mehr ernennen wollte für Judäa, war das nicht auch ein Zeichen Gottes? Bedeutete das nicht dass jetzt das Kommen des Messias endlich nahe war? Wieder ließ sich Josef vom Eifer des Predigers erfassen. Er straffte seine müde Gestalt und hob die knochigen Schultern. Dann begann er einfach zu einigen Umstehenden zu predigen, erst stockend, dann aber immer flüssiger und pathetischer: „Viele sind ja jetzt für den jungen Römer Herodes Agrippa, und meinen dass der unser König werden soll. Ich aber sage: Unser König kann nur ein heiliger König sein! So wie unsere heiligen Bücher es fordern muss das Volk Israels regiert werden von... Judas Löw! Denn so wird der Messias heißen...“ Josef stockte plötzlich und suchte in den Gesichtern der Umstehenden nach Bestätigung. Viele wirkten verblüfft, er sah dass einige sich auch amüsierten. Ein junger Reicher in einer neumodischen Toga fragte: „Kennst du den? Ist das so ein Wunderrabbi?“ – „Naain!“ Josef stockte, und fuhr leiser fort: „Ich bin nur ein Prediger von dem der da kommen wird, als unser Herr. Die Römer wollen den alten Völkerfürsten Herodes Archelaus absetzen und dann einen Zensus durchführen. Sie wollen also unser Geld!“ – „Wen wundert es“, murrte der junge Reiche. – „Aber alles Geld Israels gehört doch dem Messias, es ist sein Eigentum! Niemand darf etwas davon wegnehmen! Das ist doch jetzt wie damals, als Jesus bar Nun die Stadt Jericho eroberte. Jesus zerstörte alles weil diese Stadt eben sündhaft war. Und da wurden Gold und Beute aufgehäuft in ungeheurer Menge. Niemand getraute sich etwas davon wegzunehmen, denn Jesus gab ja alles den Priestern, und es gehörte Gy'tt. Nur Achar ben Sebadja nahm einen goldenen Mantel für sich, aber unser Gy'tt hat ihn ertappt, und dieser Dieb wurde hingerichtet! Unser Herr ist eben der strenge Herr eines Räubervolks. Adonai ist ein Typ der die ganze Beute verlangt, und zwar von allen Herrschern der Welt die schon mal gerne Kriege führen, erobern und plündern. Steht das nicht so geschrieben in der Thora und in vielen Büchern der Propheten?“ Josef sah sich wieder um nach Bestätigung. Und diesmal hatte er den richtigen dunklen Ton getroffen, das spürte er sofort an dem Gefühl das nun aufwallte. Die Menge der Schaulustigen und Spaziergänger ringsum schwieg verlegen. Schließlich meinte ein Glatzkopf mit einer hellen Stimme: „Recht hat er nach der Thora.“ – „Der Thora allein muss man gehorchen, so lehrt es jetzt der radikale Prediger welcher der Sadduk heißt“, bestätigte Josef froh. – „Ach ja?“ Unangenehm klang nun wieder die Stimme von Hanes mit der phrygischen Mütze, der mit seinen hellen Haaren aussah wie ein Galater aus Kleinasien. Grob drängte Hanes Lydius sich durch die sich verdichtende Menge. Ihm folgten seine Gefolgsleute die wie Raufbolde aussahen. Hanes fragte aggressiv: „Du da, du Großmaul aus Galiläa, beachtest du denn selbst die Gebote, und zwar alle fünfhundert?“ – „Öchott!“ Josef wagte nur zu husten. – „Der Gijor, der Neubekehrte, kennt sie nicht mal alle, wage ich zu behaupten“, meinte einer der großen Raufbolde. – „Aber was den Zensus angeht hat er recht!“ rief plötzlich der Glatzkopf laut, mit heller Stimme. „Ein Zensus ist ja eine Zählung unseres Geldes. Das ist wie eine Zählung des Volks Israel! Erinnert euch an die Zeit als König David das Volk Israels zählen ließ. Da wurde Gy'tt unser Herr zornig wie ein brüllender Löwe! Und Gy'tt ließ die löwenköpfige Dämonin Lamaschtu wüten unter dem Volk Israel, bis dass 70.000 getötet wurden von einer Seuche. So kommt das Unheil über uns wenn wir Juden der Thora nicht gehorchen! Am absoluten Gehorsam führt kein Weg dran vorbei.“

7.

Josef rief gleich beifällig: „Man muss dem Gy'tt mehr gehorchen als den Römern!“ – „Gut gebrüllt, du Löwe von Juda!“ So riefen nun mehr und mehr Männer. Einige formierten sich sogleich zu einer Schar, die sich gegen Hanes mit der feinen Mütze und dessen Raufbolde aufstellte. Man schien sich hier untereinander schon zu kennen, und rasch war man fertig mit den Streitreden. Nun klatschten die Fäuste und es flogen Steine, und die waren gefährlich. Bevor sich Josef noch besinnen konnte bekam er von irgendwoher einen heftigen Stockschlag ab, auf seinen Kopf. „Aua! Oi!“ jammerte der schwächliche Prediger, als er zu Boden stürzte. Maria deckte schützend ihren Mantel über ihren Mann. Und während die streitende und randalierende Menge immer größer wurde flüchteten Josef und Maria sich in eine enge Seitengasse, zusammen mit einigen Frauen. – „Kannst du nicht einmal deinen vorlauten Mund halten?“ schimpfte Maria, jetzt mit plötzlicher Schärfe. Aber als Josef zur Antwort nur wimmerte, da betupfte sie erst mal seinen blutigen Kopf, und küsste dann seine Stirn. Es dauerte nicht lange bis eine Truppe von 'Roten' kam um den Aufruhr zu beenden. Es war dies eine Zenturie der in Jerusalem stationierten Palastgarde des Völkerfürsten Herodes Archelaus, einer Elitetruppe die von den Römern ausgebildet worden war. Diese dunklen Berufssoldaten aus dem südlichen Idumäa, dem früheren Edom, hatten oft zu tun in Bethlehem und der ganzen Gegend. Mit spritzenden Pechfackeln und hohen Schilden, mit Lanzen und Knüppeln trieben diese 'Roten' brutal und routiniert die sich prügelnde Menge auseinander. Dabei gab es Geschrei und Gejammer. Erregt flüsterte unterdessen Maria zu Josef, in der Sicherheit ihrer dunklen Gasse: „Ich hab übrigens was rausgekriegt.“ – „Was?“ jammerte Josef leise. – „Vorhin hat ein Schüler der Pharisäer ein heiliges Buch zitiert. Er redete vom Schilo, erinnerst du dich? Der Löwe Judas wird das Zepter haben bis zu der Zeit wo das Schilo kommt, welches dann alle Völker der Welt regieren wird.“ – „Ja...“ Zerstreut betastete Josef die Platzwunde auf seinem Kopf und leckte dann seine blutigen Finger ab. „...nein, es hieß Scheol, glaube ich. Egal, jedenfalls war damit zweifellos der Messias gemeint.“ – „Genau das ist ja die Streitfrage. Darüber sind sich die Schriftgelehrten selbst nicht einig. Keiner weiß wer Schilo ist.“ – „Ach, die! Die streiten sich doch über jeden Pilpul, und alles schreiben sie sorgsam auf, aber vor allem weil sie keine Lust haben zu arbeiten.“ – „Ach wärst du doch nur wenigstens ein Schriftgelehrter, einer von denen die anerkannt sind, und immer zu Essen kriegen in ihrer Schul!“ Maria seufzte. „Nun also, einige der Hellenen meinen dass Schilo in Wahrheit eine wunderschöne Pferdefarm ist, auf einer Insel im fernen Westen der Erdscheibe, jenseits der Säulen des Herakles und dem Gebirge wo der Titan Atlas den Rand des hohen Himmels auf seinen Schultern trägt. Und das ist die Farm wo auch der Messias lebt. Der züchtet also dort Rinder, und reitet dort über grüne Hügel. Er hat also seine Kühe lieber als uns Juden!“ – „Ach, so eine Scheiße!“ fluchte Josef. Er war gerade dabei sich in die dunklen Gasse hinein zu entleeren, und dabei trat er in einen Kothaufen. – „Nicht diese bösen Worte bitte“, flüsterte Maria betroffen. „Einige Esséner meinen nämlich dass der Schilo das Scheol ist, also eine dunkle Höhle in der Unterwelt, der Hades der Griechen, wo alle die Menschen hinkommen die fluchen, streiten und die Räuber sind. Zu der Zeit wo Juda das Zepter der Herrschaft verliert, da könnte also die Unterwelt regieren über alle Völker.“ – „Das werden wir hoffentlich nicht mehr erleben“, murmelte Josef düster. – „Ich glaube diese letzte Zeit ist sehr nah! Schlimmer als jetzt kann es kaum noch werden“, meinte Maria aufgeregt, während sie verfolgte wie die 'Roten', diese Spezialtruppe der Stadtwache, den Brunnenplatz schnell von Streitenden leerte. – „Du hast bestimmt recht. Aber wenn wir Juden nichts mehr haben, weil die Römer uns ausplündern und der Messias uns im Stich lässt, dann haben wir doch wenigstens die Gebote getreulich befolgt.“ Josef umarmte nun seine Frau, aber nur um sich festzuhalten während er seine Sandale abstreifte.

8.

Als der Brunnenplatz leer war wagten sich Maria und Josef aus ihrer Gasse. Der Mond hing nun als bleiche Sichel tief am Horizont. Sie duckten sich als sie an den Häuserwänden entlang schlichen. – „Meine Kind! Sie haben meine Kind getötet! Er war guter Junge! Verflucht sollst du sein, Herodes Arschloch!“ schrie eine Araberin. – „Komm lass uns zu den Kindern zurück gehen“, meinte Josef müde. Es war nicht mehr weit bis zum Hebron-Tor. Doch in dieser Nacht hatte die Stadtwache das Tor geschlossen. Das sahen sie schon von weitem an der jammernden und frierenden Menge die vor dem Tor ausharrte. – „Bei einem Aufruhr darf keiner rein und raus! Das seid ihr jetzt selbst schuld! Verzieht euch also oder wartet bis alles ruhig ist!“ rief ein Stadtwächter wiederholt. – „Scheiße!“ fluchte Josef. Maria aber lächelte fast. „Joschele ärger dich nicht. Lass uns eben noch ein wenig in die Händlergassen gehen, vielleicht kriegen wir da noch etwas ab. Gerade ist immerhin der Nach-Sabbat, da sind die Juden nicht so geizig wie sonst.“ – „Wir sind doch auch Juden“, murmelte Josef, und wurde gleich wieder etwas froher. Sie streiften also durch dunkle Gassen hin zum etwas heller erleuchteten Basar. Manche finsteren Gestalten wagten sich erst am dunklen Abend auf die Straßen. Jetzt sah man sie durch die schmalen Gassen schlendern und die Auslagen der Läden und Stände begaffen. Die Stimmung in der Menge war immer noch gereizt, man hörte es an den Stimmen und sah es an den betrübten Mienen. Maria schaute sich begehrlich um, und immer wieder streckte sie bittend die Hände vor, aber man gab ihr nichts, denn die Stimmung war gerade schlecht. Dennoch ließ sie sich nicht betrüben. „Schau doch wie die glänzen“, meinten sie, als sie an einem Stand mit Bronzetellern vorbei kamen. – „Das ist der düstere Glanz vom Scheol, dem Totenreich“, murmelte Josef mürrisch. – „Sei doch immer wenigstens still wenn du nicht nett reden kannst!“ zischte Maria da, von plötzlichem Ärger erfasst. Sie lauschte nun. Schon von fern hörten sie dabei dass irgendwo etwas los war. Der frohe Lärm kam vom Platz vor der Synagoge, man hörte Lachen und Klatschen. Als Maria und Josef erneut diesen Platz erreichten waren sie erstaunt wie voll der geworden war. Auf den hell erleuchteten Treppen, vor der jetzt geschlossenen Doppeltür der Schul, hatten sich drei muntere Gaukler aufgestellt. „Seht, wir sind die drei Könige der Welt!“ rief einer von ihnen. Zum Beweis setzte er sich einen blechernen Siegeskranz auf den Kopf. Dann hob er sein rot lackiertes Holzschwert in die Höhe, so eins wie es die Gladiatoren benutzten. – „Heil Cäsar Augustus, du Herr der Welt!“ riefen die beiden anderen Gaukler. Die Menge lachte und applaudierte spöttisch. Rasch zog sich der falsche Augustus einen großen Sack vom Gürtel ab und zeigte ihn herum. „Seht her, dies ist mein Geldbeutel! Den sollt ihr alle mir nun füllen, und zwar bis an den Rand! Ihr wisst wie wir Römer sind. Ich bin jetzt der Herr der Welt und euer Gott, also gehört mir sowieso alles! Viele Male haben sie mich Imperator genannt in meinem Räubernest Rom! Gebt eurem Imperator was seinem Anspruch gebührt!“ Da buhte die Menge ausgelassen. Der zweite der Gaukler zog sich nun ein purpurnes Tuch über den Kopf. „Niemals werde ich dir gehorchen. Denn ich bin Fratzes, der König der Parther! Und ich verlange alles von euch Römern was ihr habt!“ – „Niemals sollst du es bekommen!“ rief der Dritte. Er beugte sich vor und schwärzte sich das Gesicht mit Ruß. „Ich bin Kanakus, König von Äthiopien. Ihr seid jetzt alle meine Sklaven, denn ich muss große neue Tempel bauen für die hunderttausend Götter Ägyptens und Libyens!“ – „Niemals! Den 20 unbesiegbaren Legionen Roms seid ihr alle zusammen nicht gewachsen!“ rief da der Gaukler Augustus. Und schon hoben die drei Gaukler ihre Holzwaffen und lieferten sich einen spielerischen Kampf. – „Haut den Römer! Verflucht sei Augustus!“ riefen einige arabische Jungen. Vielen städtischen Juden passte diese Gaukelei jedoch gar nicht, man sah es an ihren ernsten Gesichtern. – „Was sind das wieder für üble ausländische Typen!“ fluchte einer in feinen Kleidern, der direkt neben Josef und Maria stand. – „Magier und Zigeuner und Chaldäer, und unreine Heiden“, meinte seine noble Frau, „die können uns gestohlen bleiben.“ Josef sah wie die Dame dabei zur Sicherheit nach dem Geldbeutel fingerte der ihrem Mann am Gürtel hing. Es juckte ihm in den Fingern, er musste sie bewegen, sie knackten. Maria sah es und grinste ihn verstohlen an. Aber Josef war ein ehrlicher Bettler und stolz darauf.

9.

Die drei Gaukler fochten auf der improvisierten Bühne einen spielerischen Kampf aus. Bald zeigte sich dass dem falschen Augustus der Sieg bestimmt war. Den Parther aus dem Osten schlug der Römer aufs Haupt, den drolligen Äthiopier vertrieb er mit Schlägen auf den Hintern. Dann stellte er sich als Sieger in Positur, das blutrote Schwert erhoben. Begeistert riefen und applaudierten da doch viele Juden die als mehr oder weniger romtreu gelten konnten. – „Nieder mit dem dummen August und mit allen Römern!“ murmelte jedoch eine bekannte Stimme neben Josef. Es war der Glatzkopf von vorhin, die ihm im Redestreit beigestanden hatte. – „Sag mal, dein Akzent kommt mir bekannt vor. Bist du etwa auch ein Galiläer?“ fragte Josef. – „Nur so halb“, meinte der Fremde vorsichtig. „Ich stamme aus der Gaulanitis, wo dieser andere Herodianer regiert. Judas aus Gamala heiß ich.“ Josef nickte erfreut. „Einen guten Namen hast du. Mein Erstgeborener heisst auch Judas. Und eine Prophezeiung besagt ja dass Judas auch der Name des Messias sein soll.“ – „Ach wirklich?“ fragte Judas aus Gamala, erfreut und interessiert. „Erzähl mir mehr davon...“ – „Schau doch, da kommt unsere Fürstin Phasälis!“ unterbrach Maria ihren Mann. „Schau doch wie reich sie gekleidet ist!“ Die Robe der Phasälis war besonders reich mit Gold bestickt.– „Diese Araberin!“ schimpfte Judas jedoch abfällig. Josef nickte ihm zu. „Die traut sich ja gar nicht nach Galiläa, genau wie ihr Mann, der Vierfürst. Denn Herodes Antipas hat sich dort nicht behaupten können, und jetzt reist er nur hier in Judäa herum, von Palast zu Palast, der feige Nichtstuer... Angeblich tanzt er auch gern.“ – „Das ist genau die üble Sorte von Adligen welche die üblen Römer gerne an der Spitze unseres Volkes sehen“, hetzte Judas. Josef wollte gleich weiter eifern, aber Maria hielt ihrem Mann den Mund zu. „Willst du wieder was auf die Birne kriegen? Hast du für heute noch nicht genug?“ schimpfte sie. Oben vor der Synagoge traten jetzt einige römisch gekleidete Frauen und Männer vor die Menge. Es wurde still, denn die Edelleute wollten der Stadt etwas mitteilen. Zuerst trat ein Römer mit einer breiten Statur und einem mürrischen Gesicht nach vorn. „Timete Romanos eta dona ferentes!“ rief er auf Latein. – „Was sagt er?“ fragte Josef empört. – „Er warnt uns vor dem Trojanischen Pferd“, riet einer. Dies wurde belacht. Judas und Josef lachten auch mit, so laut dass sie die Übersetzung nicht mitbekamen. Es gab nämlich da oben einen Juden der nun die markante Rede des Römers ins Aramäische übersetzte, und sie einem örtlichen Ausrufer mitteilte, der sie wie mit Stentors Stimme über den Platz schrie. Es ging um die Zukunft der neuen römischen Provinz Judäa. Der Römer lobte die Aufbauleistung welche die Juden vollbracht hätten. Denn es sei auch in Rom bekannt dass das frühere Israel einst durch Blitzschlag verbrannt worden sei. Deswegen sei ja leider das ganze Land Palästina so dürr und unfruchtbar dass darin regelmäßig die Ernte verderben würde. Doch planten die Römer nun die natürlichen Schätze des Landes besser zu nutzen, also den Asphalt des Salzsees und den Glassand am Strand von Karmel. Auch wollten sie vom See Genezareth aus mit einem Aquädukt die nördliche Gegend bewässern... „Am schönsten See im Norden soll eine neue Stadt entstehen nach römischem Vorbild, in der Nähe der Heilquellen von Emmaus. So haben es Herodes Antipas, der Vierfürst der Galiläer, und seine gnädige Gemahlin Phasaelis beschlossen, auf Anraten des römischen Quästors Quirinus. Alle Bettler und Herumtreiber die derzeit durch Judäa streifen sollen dort in einer Trabantenstadt unterkommen, und man wird ihnen Land zuteilen. Es ist ja leider sogar in Rom bekannt dass gewisse Aufrührer und Räuber aus Arabien und aus Nabatäa, jenseits des Jordans, dieses Land ständig beunruhigen. Einer von diesen Finsterlingen war ja der Nabatäer Simon gewesen, der sich nach dem Tod eures großen Königs Herodes zum falschen Judenkönig hatte machen wollen. Erinnerte euch was für ein Gemetzel es damals gab in Jerusalem! Dreitausend von euren Schriftgelehrten, es waren doch nur üble Bettler, fielen ihrem eigenen Eifer zum Opfer. Schuld daran war vor allem euer verderblicher jüdischer Aberglaube. So ein Aufruhr soll jetzt nicht wieder vorkommen, nachdem der Prinzeps, also Kaiser Augustus, euren Fürsten und vorläufigen König Herodes Archelaus endgültig geschasst hat...“ Der Ausrufer unterbrach sich als die Menge sehr unruhig wurde. Erregte Stimmen summten über den Platz. Es gab oben unter den Adligen und Beamten eine kurze Diskussion. Dann hob der Römer noch einmal die Hände und verabschiedete sich ohne weitere Worte von der Menge. – „Man darf eben nicht an falsche Judenkönige glauben, sondern nur wie einst Jesus an den wahren Messias“, meinte Josef zu seinem neuen Bekannten Judas. – „Aber vor allem glaube du an das Gesetz des Moses“, erklärte dieser. „Der Messias ist ja nur ein Beauftragter nach dem Gesetz!“ – „Na so was! Der Völkerfürst Archelaus wurde abgesetzt! Jetzt ist wirklich die Endzeit Judäas gekommen!“ meinte Maria, mit den Händen an ihren Wangen.

10.

Erregt summten Stimmen über den Platz vor dem Tempel, der sich nun immer mehr mit Menschen füllte. „Der habgierige König ist weg! Archelaus der alte Schurke! Fahr hinab zum Tartaros! Es gibt noch Gerechtigkeit! Der Herr der Heerscharen sei gepriesen! Endlich!“ So riefen die meisten froh. Hörner und Pauken ertönten nun von der Seite her. Eine Zenturie römischer Legionäre marschierte auf dem Vorplatz auf. Ihre Feldzeichen hatten sie mit Tüchern verhüllt, um die bilderfeindlichen Juden nicht zu provozieren. Diese Truppe beschützte vier riesenhafte Sklaven aus Nordeuropa, die eine massive, mit Eisen beschlagene Truhe auf das Podest des Tempels schleppten. Zugleich trat nun eine reiche Dame mit auf, die sich von Dienern die Mantelschöße tragen ließ. Die alte Dame hielt sich im schattigen Hintergrund, und wurde dennoch gleich erkannt als die Patriarchin Salomé, die Schwester des toten letzten Königs Herodes. Salomé trug eine strahlend weiße Perücke mit farbigen Strähnchen, in ganz Judäa lief sonst keine Frau so rum. Nach dem Tode ihres Bruders hatte sich die habgierige Salomé den Löwenanteil seines Vermögens gesichert, über hunderttausend Schekel und Drachmen, reiche Besitztümer und Berge von Wertgegenständen. Nimmermüde hatte dann Salomé in Rom gegen ihren Neffen, den Völkerfürsten Herodes Archelaus, gehetzt. Die Schwester des letzten Königs von Judäa galt als Freundin der Kaiserin Livia, die inzwischen Julia Augusta hieß, und die an der Seite des greisen Kaisers Augustus immer mächtiger geworden war. Und mit Hilfe der Augusta schien die gefürchtete alte Intrigantin Salomé, die Tochter der Araberin Kypros, ihr Ziel erreicht zu haben... Die alte Dame sagte etwas, aber das war in dem Brausen der Menge nicht zu verstehen. Der Ausrufer und andere baten wiederholt um Ruhe, aber vergeblich. Erst als Herodias, eine junge Prinzessin, die Kiste öffnen ließ und dann mit beiden Händen hinein griff, und das Geld zeigte und klimpern ließ das sich darin befand, da wurde es plötzlich totenstill auf dem Platz. Mit atemloser Spannung schauten und lauschten nun die Juden den Herodianern und Römern. Salomé hielt eine kurze leise Rede die der Ausrufer, ein typischer orientalischer Jude mit einem gutmütigen glatten Gesicht, laut wiederholte: „Diese edlen Damen und Herren sind zu euch gekommen um das brave Volk von Palästina und Judäa zur Ruhe und zur Folgsamkeit gegenüber Rom zu ermahnen...“ – „Sic est!“ rief da der Römer dazwischen, als das Stichwort Rom gefallen war. – „So ist es!“ Der breite Coponius begann wieder zu reden, der Ausrufer übersetzte: „Für ihre Botmäßigkeit sollen die Juden belohnt werden, nach dem römischen Feiertag der Geburt der Sonne Sol. All das habgierige orientalische Gesindel, ähm...“ Der Ausrufer unterbrach sich und besprach sich mit Salomé, die den Römer beiseite bat und dann selbst wieder redete. Der Ausrufer korrigierte sich so: „Die jüdischen einfachen Leute sind derzeit überaus zahlreich geworden. Und das ist auch gut so, also wenn sie nicht noch mehr werden, denn sonst gibt es leicht wieder einen Krieg, welcher den alten Kaiser Augustus und die Kaiserin Augusta in Rom betrüben würde. Deswegen haben all eure edlen und reichen Herren und Damen beschlossen bares Geld zu verteilen in verschiedenen Städten Judäas. Und zwar sollen so die Jungfrauen belohnt werden die sich keinem jüdischen Mann hingeben, damit es nicht noch mehr Kinder gibt. Es wird also hier jetzt Geld verteilt, blanke Stater sogar, aber – nur an Jungfrauen! Alle Jungfrauen dürfen jetzt nach vorn kommen!“ – „Verdammt noch mal!“ fluchte daraufhin der Glatzkopf Judas aus Gamala, mit seiner hellen, lauten Stimme. – „Ja“, keuchte Josef entsetzt. Ein Stater oder Schekel war eine wertvolle Silbermünze, das war so viel Geld wie er einst als Zimmermann im Monat verdient hatte! Zappelig wandte er sich an Maria: „Los, Frau, wir müssen schnell Assia holen. Sie ist doch noch Jungfrau, oder etwa nicht?“ – „Das Stadttor ist schon zu für die Nacht. Die lassen noch nicht mal mehr Leute raus“, erinnerte ihn seine Frau. Tränen der Verzweiflung traten Maria in die Augen als sie jetzt verfolgte wie sich die jungen Mädchen und Frauen nach vorn drängten. Schon nahm einer der germanischen oder keltischen Sklaven, ein hellhaariger Recke mit steifer Haarmähne, seine zwei Pranken voll mit Geldstücken. Lässig schleuderte er das Geld im hohen Bogen in die Menge. – „Aaaaiiiih!“ Ein vielstimmiger weiblicher Schrei gellte über den Platz, es klang wie ein kollektiver jüdischer Orgasmus. – „Jesus! Oh mein Gott! Du wusstest es!“ keuchte Maria, und ihre dunklen Augen rollten. – „Was?“ fragte Josef. – „Na mein Sohn hat es doch vorhergesagt. Geld wird vom Himmel regnen, das hat er vorhin noch gesagt. Das war ein Zeichen Gottes für mich!“ Mit einer plötzlichen Bewegung drückte Maria ihrem Mann das Tuch mit den Bettelgaben in die Hände das sie trug. Und bevor Josef noch etwas sagen konnte schob und drängte Maria sich schon durch die Menge, nach vorn zu den Jungfrauen. – „Was hat sie gemeint?“ fragte Judas neben Josef. – „Äh ja...“ Josef war so aufgeregt und abgelenkt dass er kaum nachdenken konnte. „Meine Alte meinte eben dass unser zweijähriger Sohn Jesus der Gott ist. Und ich denke: Ja genau, vielleicht ist er wirklich der Messias, unser neuer König! Jesus hat vorhergesagt dass es Geld regnen würde!“ – „Was? Ein kleines Kind soll der Messias sein? So ein Quatsch“, meinte da Judas aus Gamala verärgert. Und er wandte sich ab und ging seiner Wege.

11.

Die kleine Maria schob sich nun durch die Menge nach vorn. Sie zog den Kopf ein wie ein Kind und tauchte unter in der Menge der aufgeregten Juden. Bald hatte sie die Gruppe der Jungfrauen und Mädchen erreicht, über die nun ein Regen von Münzen niederging. Jedes Mal wenn einer der Sklaven eine Hand voll Münzen in die Menge schleuderte gellte ein vielstimmiger greller Schrei aus hundert Mädchenkehlen. Auch Maria schrie nun mit. Aber die jungen Mädels waren so biegsam und flink beim Aufklauben der Münzen dass Maria, die so halb am Rand der Menge lauerte, nie eine Münze abbekam. Sie dachte erneut an ihren hellsichtigen, immer hungrigen Jüngsten. „Jesus!“ murmelte sie ergriffen, und dies verlieh ihr neuen Mut. Mit dem zerlumpten Tuch über dem Kopf zwängte sie sich tief gebeugt zwischen all die Mädchen, immer weiter nach vorn, fast bis dorthin wo die Truppe der Römer die feinen Leute von der Menge trennte. Als alle Mädchen ringsum sich bückten blieb sie stehen, und rief einem der Germanen aufgedreht zu: „Salve Victoria!“ Das waren römische Brocken die Maria mal aufgeschnappt hatte, sie wusste nur dass diese Worte etwas Gutes bedeuteten. Der Barbar sah sie gleichmütig kurz an. Und dann warf er ihr doch gezielt eine kleine Handvoll Münzen zu! Die schweren Bronze- und Silbermünzen prasselten Maria gegen den Leib. Sie grapschte nach ihnen, schob einige in ihre Bauchbinde und sank auf die Knie, um die herunter gefallenen Münzen mit ihrem Körper zu bedecken. – „Yallah!“ Eine junge Araberin wollte Maria weg drängen, aber Maria fauchte und blieb wo sie war. Und während schon die nächsten Münzen fielen klaubte Maria zitternd vor Aufregung die restlichen ihr zugeworfenen Münzen aus dem Staub des Bodens. „Jetzt nichts wie weg hier“, flüsterte sie sich selbst zu. Mit ihrer klimpernden Beute vor dem Bauch zog sie sich mit gekreuzten Armen aus der Menge der jungen Frauen zurück. Sie wagte es kaum aufzuschauen während sie sich den Weg zurück zu ihrem Mann suchte. Zweimal stieß sie deswegen mit irgendwelchen fremden Leuten zusammen. Sie murmelte Entschuldigungen. Frostig schwitzte Maria, und ihr Herz pochte dumpf vor Erregung. Erleichtert seufzte sie auf als sie Josef endlich wieder erreicht hatte, auf dem jetzt nachtdunklen Platz der nur hier und da von einigen Laternen und Öllampen erleuchtet wurde. – „Komm, ab nach Hause“, zischte sie ihm zu. Und als er sich nicht gleich bewegte, da gab sie ihm einen Tritt vors Schienbein, so energisch konnte Maria sein. Sie verzogen sich also aus der Aufregung vor dem Tempel hinein in das Gewirr der Gassen der Altstadt. Durch etliche Gassen hastete Maria, bis sie am Stand eines Brothändlers anhielt, eines Juden von dem sie wusste dass er schon mal mildtätig war. Dort setzte sie sich am Rand auf den Boden hin. Während Josef sich seufzend auch setzte wagte Maria es endlich ihren Geldschatz vor sich hin zu legen und die Münzen zu zählen. Verstohlen zischte sie: „Große Schekel, Drachmen und Sesterzen! Ich hatte noch nie so großes Geld. Ich sah noch nie so viel großes Geld, es sei denn von ferne, auf den Tischen der Geldwechsler.“ Jetzt musterte auch Josef so nebenbei die Münzen, die zumeist die scharfnasigen Profil-Gesichter von hellenischen und orientalischen Fürsten zeigten. Er versuchte nicht darauf zu schauen, denn sogar die Bilder auf ihren Münzen waren strenggläubigen Juden prinzipiell ein Gräuel. Josef zählte die Münzen, die fast alle groß und wertvoll waren und aus Silber oder Bronze bestanden: „Achtzehn, neunzehn, zwanzig. Und eine noch, ähm... Maria, welche Zahl kommt nach zwanzig?“ – „Einundzwanzig“, meinte der dunkle Brothändler von seinem Stand her. Maria lachte und strahlte; aber Josef blickte eher düster, wie ein Sünder. – „Bitte, hast du noch altes Brot für unsere Kinder?“ fragte Maria dann. – „Iste noch ganz frisch meine Weißbrot, für reich Leut! Lecker lecker! Ich mache Sonderpreis!“ Der geschäftsmäßig freundliche Idumäer, ein Araber jüdischen Glaubens, betonte jedes seiner Worte. Er reichte Josef einen Appetithappen vom frischen Brot, welchen dieser sich froh in den Mund stopfte. Und dann ging das Feilschen los. Als nach einer Viertelstunde Maria etwas heiser wurde musste sie sich auf einen Preis einigen. Dann kaufte sie auf dieselbe anstrengende Weise noch einige Winterzwiebeln und etwas Fett. Es war kalt geworden in der Nacht, und Josef konnte nicht mehr laufen. Also gingen sie hinein in eine nahe Synagoge für die Armen, welche die Sekte der Esséner unterhielt. In dieser Schul war es zwar voll aber relativ warm. Während vorne am Hochaltar wie üblich vorgelesen wurde drängten sie sich durch die Menge am Eingang und stellten sie sich irgendwo hinten hin. Hier standen Männer und Frauen gemischt; das war zwar gegen die Traditionen, aber in der Dunkelheit achtete man hier nicht mehr streng darauf. Schweigend aßen sie, so wie dies andere Arme ringsum auch taten. So wie es die Tradition war bei den Essénern gaben sie etwas Brot ab, obwohl sie sich das eigentlich nicht leisten konnten. Wenn es dazu noch Wein gab, dann kam es angeblich gelegentlich vor dass sich das spärliche tägliche Brot auf diese Weise wundersam vermehrte. Wer wollte bestreiten dass Gott solche Wunder gelegentlich heimlich bewirkte, und sei es mit der Hilfe eines der vielen Wundertäter? Vorne am Lesepult wurde jetzt gerade eine neue Schriftrolle entrollt, und der Vorleser wechselte. Maria kaute jeden Bissen gründlich durch den sie in den Mund nahm, so wie die Armen eben aßen. Sie dachte daran dass sie Jesus früh hatte entwöhnen müssen. Ihre leeren Brüste hatten keine Milch mehr gegeben. Der neue Vorleser begann vorne laut zu lesen. Er las das beliebte neunte Kapitel aus dem ersten Buch der Könige, in dem geschrieben steht wie Gott angeblich König Salomo ehrte: „Und was dich betrifft, wenn du vor mir einher gehst... mit rechtschaffenem Herzen... und aufrichtig... wenn du alles tust was ich dir geboten habe, und meine Gesetze und das Recht beachtest... so will ich den Thron deines Königtums über Israel ewig befestigen, wie ich es deinem Vater David versprach, indem ich ihm sagte: Es soll dir nicht mangeln an einem Manne auf dem Throne Israels!“ – „Hörst du das!“ flüstere Josef laut. „Ist das nicht ein Zeichen Adonais, dass wir gerade diesen Text jetzt vorgelesen bekommen?“ – „Ach was“, murmelte Maria angstvoll. – „Ja! Es soll nicht mangeln an einem Mann für den Thron unseres Königreichs, sagte Gy'tt!“ Josef richtete sich auf und eiferte: „Ich habe den Eindruck, damit hat Gy'tt mich und unsere Familie gemeint!“ – „Was, du willst König werden?“ Da musste Maria laut lachen, was ringsum für verärgertes Zischen sorgte. – „Nein, ich meine unseren kleinen Jesus. Hat er nicht die Sehergabe, so wie ein Prophet?“ Dazu schwieg Maria beklommen. – „...will ich Israel ausrotten aus dem Land das ich ihm gegeben habe...“ Alle schwiegen beklommen als nun die furchtbaren Strafdrohungen Jahwes gegen Israel vorgelesen wurden, für den Fall seines Ungehorsams. Josef aber freute sich schon auf die nächste Passage. Er sog die guten Nachrichten aus alten Zeiten über den völlig sittenlosen König Salomo so gierig in sich ein als ob sie von gestern wären. Wagenladungen von Gold hatte König Hiram von Tyros dem Salomo geschenkt, als Mitgift mit einer seiner Töchter. Aber wegen der absurden Vielweiberei des Salomo war aus der Ehe nichts geworden. Daraufhin hatte Hiram seine Mitgift zurückgefordert. Aber Salomo hatte Hiram nur zum Ausgleich zwölf Städte in Galiläa geschenkt. Doch mit dem miesen halben Galiläa war Hiram nicht zufrieden gewesen, er hatte reklamiert. Ein Krieg schien schon unvermeidlich, aber Salomo war irgendwie darum herum gekommen. Der Herr hatte geholfen, und das obwohl Salomo ohne Reue alle möglichen Götzen angebetet hatte! – „Es kann sich lohnen König von Israel zu werden, und sich dann noch möglichst gesetzlos zu benehmen!“ meinte Josef zu seiner Frau. Maria lachte bitter.

12.

Stunden später hatte sich Josefs Freude wieder etwas gelegt. Er saß jetzt mit einem dicken Beutel voller Speisen und Maria in der dunklen Nacht vor dem geschlossenen, abgeriegelten Hebroner Tor. Zu einem hohen Preis hatten sie bei einer Lumpen-Händlerin noch einige Wintersachen gekauft, vor allem Maria war heilfroh darüber. Freudig sang sie vor sich hin: „Der Herr hat an mir ein Wunder getan!“ Josef leckte stumm eine weiße Leckmuschel an mit geronnenem Balsam, und rieb sich dann damit die schmerzende Beule ein. Der geronnene Saft des Balsam-Strauches galt als Wundermittel gegen allerlei Gebrechen und wurde portionsweise in Seemuscheln verkauft. Ringsum saßen und verharrten viele Bauern, Hirten, Reisende, Nomaden, Tagelöhner ohne Arbeit und versehrte Söldner ohne Dienstherrn; und Bettler, Freigelassene, Räuber, entlaufene Sklaven und sonstige Flüchtlinge und Fremde. Sie alle hatten den Sabbat und den geselligen Abend danach in der Stadt Bethlehem verbracht. Nun harrten sie und froren, sie dösten oder redeten, und warteten darauf dass die Sonne endlich aufgehen würde. Denn das Stadttor war zu und blieb zu, und Licht gab es keines mehr das die Finsternis der Nacht erhellt hätte. Josef starrte schläfrig in den von Wolken verhüllten Himmel und murmelte: „Hoffentlich regnet es jetzt nicht auch noch.“ – „Hoffentlich doch“, meinte Maria, die daran dachte dass sich dann die Laune der Schafhirten erheblich bessern würde, bei denen sie gerade wohnten. – „Der böse Herodes Archelaus, er sei verflucht!“ So schimpfte immer wieder mal eine Frau. Man hatte sie schon geschlagen damit sie Ruhe gab, aber das hatte nichts bewirkt. Es gab eben nachts immer jemanden der lärmte, und wenn es nur ein Hahn war der zur Unzeit krähte. Und Herodes Archelaus war derzeit zum Sündenbock geworden für alle Unbillen der vergangenen Zeit. Das Volk hatte lange schweigen müssen über diesen Fürsten und seine Verfehlungen. Doch nun, wo er gestürzt worden war, da entluden sich der gesammelte Ärger und Hass der vergangenen zehn Jahre über den gewesenen Völkerfürsten. – „Der Teufel soll Archi holen, der soll ihm einen seiner schlimmsten Dämonen hinterher schicken“, fluchte Josef halblaut. „Wie den Asasel sollte man ihn in die Wüste jagen, damit er unsere Sünden mit sich fort nimmt.“ – „Schweig lieber und versuch zu schlafen.“ – „Das tun auch die Dämonen der Wüste, dass sie uns nicht schlafen lassen“, murmelte Josef. Und als seine Frau nicht antwortete erklärte er weiter: „Ich kenn sie alle mit Namen: Isacku und Aeshmodi, Herra und Astaroth heißen sie, und Lilith die Windsbraut und Pasusu die Pottsau.“ Maria murmelte: „Am grausamsten aber ist die Lammu, die Löwenköpfige von Bethlehem. Das ist die welche Kinder frisst. Aber Lilith hilft gegen Lammu. Man muss sich ihr Zauberamulett kaufen und es immer am Herzen tragen.“ – „Beim Gy'tt, das siehst du aber völlig falsch“, erklärte Josef, fast bestürzt. „Ihr Weiber mit eurem Aberglauben! Ich fasse es nicht auf was für Unsinn ihr immer wieder verfallt. Wo hast du denn das gehört?“ – „ Das sagen die Magier und Chaldäer, die solche Zaubermittel verkaufen.“ – „Das sind doch dumme Heiden! Die 144 von Gy'tt abgefallenen Engel des Fürsten Semchasai führen sie ins Verderben. Weib, dass du mir bloß nicht auch noch so ein heidnisches Bildwerk kaufst, von dem bisschen Geld das wir jetzt haben. Komm, versprich mir das jetzt. Dieses Geld gehört unseren Kindern, damit sie zu Essen haben und groß und kräftig werden. Wir selbst müssen uns eben einschränken.“ Maria drückte ihm schweigend die Hand und murmelte: „Du bist ein edler Mann.“ – „Könnt ihr nicht mal Ruhe geben, ihr galiläisches Gesindel!“ schimpfte jetzt irgendein Mann in der Nähe, erfasst von einem plötzlichen Wutanfall. – „Verzeih!“ murmelte Josef betroffen. Eine Weile herrschte dann Ruhe. Dann fing die verzweifelte Araberin wieder an zu jammern: „König Herodes Arschloch, er tötete meine gute Junge!“ – „Der alte August hat ihn doch abgesetzt! Jetzt kommen bessere Zeiten!“ rief ihr jemand zu durch die Nacht, um sie zu trösten. – „Jetzt kommen mehr Römer, und mit denen wird hier alles nur noch schlimmer!“ rief ein anderer. Überall murmelten und stöhnen nun die Wartenden, und vorbei war es mit der Nachtruhe. Einer der Torwächter rief dann, mit etwas hämischer Stimme: „Wir sind doch sowieso alle schon fast Römer. Judäa wird jetzt eine Provinz von Rom. Also ist deren Cäsar Augustus jetzt auch unser König.“ – „Niemals. Das darf doch nicht wahr sein.“ So klang es jetzt von allen Seiten. Und auch Josef konnte seinen Mund nicht mehr halten, es ging einfach nicht, er musste predigen. Gewaltig entfuhr ihm diese Rede: „Ihr seid doch Juden und Hebräer, stolze Kinder Israels! Also steht es doch geschrieben wer euer König ist. Niemand anders darf sich so nennen als der Auserwählte, der heilige König!“ – „Gut gesprochen, Fremder! Und aus Bethlehem wird er kommen, so wie es prophezeit ist“, rief eine Stimme. Andere meinten: „Herodes Agrippa sollte der neue König werden. Ja! Besser wäre das.“ – „Der ist doch selbst ein sündhafter Römer, und kein wirklich frommer Jude. Nein, wir müssen auf die Thora vertrauen und zahlreich werden, so zahlreich wie die Legionen Roms! Dann wird uns der Löwe von Juda ein Geist des Sieges sein! Nieder mit dem Tyrannen Augustus!“ Einer rief dies nun besonders frech und laut. Josef erschrak als er diese Stimme erkannte. Das war wieder dieser Judas aus Gamala, der Aufrührer! Dieser Judas schrie jetzt noch weiter in die Nacht hinein, er ereiferte sich im Schutz der Dunkelheit: „Ihr wisst doch was für ein geiles, sündhaftes Pack die Römer nun mal sind. Habt ihr nicht gehört dass diese Julia Augusta, die Gemahlin des Kaisers, dessen leibliche Söhne Geilus und Lugus vergiftet ließ? Die alte Kaiserin wollte so ihren Stiefsohn Tiberius auf den Thron bringen. Tiberius hat nämlich die jüngere Julia geheiratet, die Tochter des Kaisers. Aber diese ist so sündhaft dass sie sich in Rom nachts als Hure herumtreibt, und sich fremden Männern ohne Bezahlung anbietet. Deswegen hat Tiberius sich nach Rhodos zurückgezogen, um dort seinen grausamen Gelüsten zu frönen. Nichts Gutes können wir erwarten sobald Tiberius der neue Kaiser wird. Und Augustus ist schon alt, der stirbt bald!“ Die Menge schwieg erschrocken und lauschte. Dann fingen die Leute an zustimmend zu murmeln. Doch vom Tor her erklang alsbald laut die sehr wütende Stimme eines Vorgesetzten: „Ruhe jetzt! Ihr böses Gesindel, Ruhe befehle ich! Ich werd sie euch stopfen, eure Schandmäuler, die nur Böses reden. Wenn jetzt nicht gleich Ruhe ist, dann schießen wir einfach Pfeile in die Nacht!“ Das wirkte nun, um die aufgeregte Menge völlig zum Schweigen zu bringen. Maria duckte sich erschrocken ganz tief und presste sich in Josefs Schoß. – „Das war dieser Judas, dieser bekloppte Eiferer! Der wird noch am Kreuz enden!“ zischte Josef ihr furchtsam zu, und vergaß ganz dass er ja selbst eben noch im Brustton des Eiferers gepredigt hatte.

13.

Als Josef erneut aus dem Schlaf schreckte war die Nacht noch nicht vorbei. Er fühlte sich erschöpft und durchfroren. Prall stand ihm dennoch sein männliches Glied unter dem schlichten wollenen Leibrock. Maria hatte sich Wärme suchend an ihn gepresst, und das hatte ihn im Schlaf erregt. Sie schlief und atmete schwer. Er betastete ihren Leib, nicht um wie sonst ihre Brüste zu befingern. Es war das Geld in ihrer Leibbinde das ihn jetzt interessierte. Vorsichtig fingerte er eine Münze heraus und befühlte sie. Es war eine Sesterze, Geld genug für einen Becher Wein beim Griechen. Den Weg dorthin kannte er längst, den würde er auch in der Dunkelheit finden. Josef hatte zwar ein schlechtes Gewissen als er Maria jetzt schlafend in der finsteren fremden Stadt zurück ließ, und sich ohne ein Wort davon schlich. Aber es ging ja nur um einen kleinen Becher Wein. Der würde ihm die Sorgen und auch die Kälte vertreiben. Gewiss würde Maria ihm das verzeihen, oder gewiss nicht.... – „Au!“ murmelte jemand, als Josef in der Dunkelheit gegen ihn trat. – „Sei leise!“ murmelte Josef strafend zurück. Er drängte seine Skrupel zur Seite und passte nun besser auf. Es war gar nicht so leicht sich aus der Menge zu entfernen die vor dem Hebron-Tor wartete und döste. Leichter kam er voran als er erst mal in den Gassen des Basars unterwegs war. Und wie er es vermutet hatte war die Schänke des Griechen noch geöffnet, der hier libanesischen und zyprischen Wein aus schenkte. Josef sah drinnen einige Zecher und eine zweifelhafte Frau. Am Oness Schabbat war hier auch zur späten Nachtstunde noch etwas los, denn dieser Raum war wenigstens warm, hier gab es einen kleinen Holzofen. Froh trat er ein. – „Einen Becher vom Süßen, auf die Schnelle!“ rief Josef freudig, und klatschte gleich seinen Sesterz auf den Tresen. Schweigend gab ihm der Grieche einen Tonbecher Wein. Josef trank erst einen Schluck, und dann stürzte er den Becher unkontrolliert herunter. „Ah!“ stellte er froh fest. Aber das Problem tauchte jetzt auf dass er noch einen Becher wollte, und zwar unbedingt! „Alter Freund, gibt das noch einen auf Pump?“ fragte er, besonders freundlich. Aber der Grieche schüttelte stumm den Kopf. Und auch Josefs weitere Reden konnten ihn nicht überzeugen. – „Meine Frau hat dick Geld, echte Silberlinge! Ich brauch sie nur zu holen!“ Dies beteuerte Josef, und er meinte es ernst. – „Hol sie, dann kriegst du!“ erwiderte der Grieche trocken. Dieses Gerede hatte aber nun die Aufmerksamkeit der zweifelhaften Frau geweckt. Als sie sich Josef näherte, da sah sie nicht aus wie eine Hure, aber Josef ahnte dennoch dass sie eine war. – „Na, schöner Kerl?“ fragte sie. Ihre Stimme klang dunkel und etwas kratzig. Ihr Gesicht verriet dass sie zu Wein selten nein sagte. Josef spürte wie ein warmes Kribbeln in ihm aufstieg, und sein Glied versteifte sich. – „Ich bin verheiratet. Leider, sollte ich wohl sagen“, stellte er gleich klar. – „Aber das macht doch nichts. Wenn du Geld hast, dann stehen dir doch viele Beine offen.“ – „Ja, aber eigentlich hat meine Frau das Geld. Es ist für unsere Kinder, sie müssen essen. Ich erwarte nämlich Großes von ihnen!“ Josef wurde wirklich froh während er sich mit der Hure netter und netter unterhielt. Diese fragte: „Echte Silberlinge hast du? Einer würde mir schon reichen für einmal schaukeln.“ – „Ja, meine Frau hat Geld gefunden. Und das hat ihr mein Jüngster vorhergesagt. Mein Jesus ist ein echter Prophet. Und Judas ist sogar noch besser, mein Erstgeborener. Der könnte sogar der Messias sein!“ – „Was? Dann wärst du ja sein Vater, und quasi der lebendige Gott selbst.“ Die Frau lachte kehlig, Josef fand sie echt erotisch. „Das hab ich mir auch schon überlegt. Dann wäre ich der neue heilige König. Der wird ja gerade jetzt gebraucht, wo der alte Herodes Archelaus endlich weg ist...“ – „Dann bist du ja bei mir genau richtig! Ich bin Panthera, und ich war einst die beliebteste Konkubine im Harem von König Herodes dem Großen!“ – „Das ist schon eine Zeit her“, erinnerte sich Josef. „Aber ist nicht die Vielweiberei sündhaft, war das nicht auch so bei König Salomo?“ – „So war es. Wenn du also ein großer König werden willst, so wie Salomo einer war, dann darf dich die Sünde nicht stören“, neckte ihn die Hure. „Dann soll es mich auch etwas kosten.“ Panthera legte zwei helle Münzen auf den Tresen. Daraufhin schenkte der Grieche noch zwei Becher Wein aus. Und da war es geschehen um Josef. Als er die Hure nachher in einer dunklen Gasse im Stehen stieß, da stellte er erstaunt fest dass sie untenrum ganz eng und hart war. „Das geht gut mit dir, viel besser als mit meiner Frau“, keuchte er zwischen den Stößen. „Das ist echt einen Schekel wert. Ich hab nur Angst dass...“ Josef unterbrach sich, und jammerte völlig erschrocken auf. Denn in der Dunkelheit der Nacht zeichnete sich weit vor ihm ein metallener heller Umriss ab. Da kam jemand durch die dunkle Gasse in seine Richtung! Er hörte von fern ein Klatschen, ein Stampfen und ein Grollen. Es klang wie die Stimme einer Löwin! Aber der Umriss der sich vor ihm abzeichnete war der einer überbreiten riesenhaften Gestalt die auf zwei Beinen ging. Und dieses Monster, denn das war es zweifellos, kam genau auf ihn zu! „Was zum Henker ist das?“ keuchte Josef völlig erschrocken, während ihm seine Erektion rasch verging. – „Was ist was?“ raunzte Panthera mit plötzlicher Kälte in der Stimme. Dann drehte sie den Kopf um und sah das Monster auch, und zischte: „Verflucht!“ Josef nutzte die Gelegenheit um sich aus der Hure zurückzuziehen. Er jammerte halb betrunken: „Das iss die Strafe! Gy'tt bitte, hab Eb-barmen! Ich faste auch morgen, ich faste drei Tage lang!“ So schnell er konnte hastete Josef durch die dunkle Gasse davon, in Richtung auf das Hebroner Tor. Doch er war nun mal nicht mehr schnell. Schon nach kurzer Zeit fühlte er wie ihn zwei Frauenarme von hinten umarmten und sich warm an ihn pressten. Es war wieder diese Panthera, er erkannte ihren irgendwie saftigen Geruch. – „He!“ jammerte er protestierend, während Panthera ihn in eine ganz enge Verbindungsgasse hinein zog. – „Sei still!“ murmelte diese nur. „Da draußen jagt die Lahm ihre arme Beute, und die ist echt übel! Sie wohnt hier irgendwo.“ – „Was, diese Dämonin...“ begann Josef zu schreien. Aber da hielt Panthera ihm energisch den Mund zu. Sie zog ihn weiter durch die stinkende Verbindungsgasse zur nächsten breiteren Basargasse. Dort schob sie Josef gegen eine dunkle Hauswand und zischte ihn heftig an: „Und du willst einfach abhauen? Hast du nicht noch was vergessen?“ – „Ich wollte doch nur, ähm...“ brabbelte Josef zitternd. Aber er begriff schon dass er jetzt in der Falle saß. Er würde Panthera also bezahlen müssen, vom Geld seiner Frau. Ach war ihm das peinlich! Während er sich im Griff der Hure wand begann er überhastet zu plaudern: „Vorhin hat einer erzählt dass die Julia, also die geile Tochter von dem dummen August, nachts als Hure durch Rom zieht, allerdings ohne von den Kunden Geld zu verlangen...“ – „Sei doch still! Bist du immer so geschwätzig?“ zischte da Panthera nervös, während sie sich umsah und lauschte. Josef dachte sich dass es besser war wenn er jetzt schwieg. „Meine Frau wartet vor, ahm, dem Hebroner Tor.“ – „Na dann, auf geht es“, sagte die Hure kühl. „Ich komm besser erst mal mit euch mit. Hier in Bethlehem ist es derzeit zu gefährlich.“

14.

Maria wachte auf als Josef sie in der Dunkelheit befingerte, auf der Suche nach einem Silberling. Sie erschrak und wischte im Halbschlaf seine Hand weg. „Bist du betrunken? Das riech ich doch dass du es bist. Und was hast du jetzt wieder vor?“ Josef jammerte: „Hör zu, ich muss noh so was Eigenes kaufen...“ – „Dann verdien eigenes Geld.“ – „Aber du hast doh jetzt so viel. Und das kam dir zu durch die Gnade des Herrn, und der wollte sicher auch meine Gebete belohnen...“ – „Pah!“ unterbrach ihn Maria zornig. „Mein Geld ist wichtig! Es soll doch unsere Kinder ernähren!“ – „Ach was, dafür wird Adonai schon sorgen. Auch die Vögel finden ja immer irgendwo Futter...“ Es klang überaus einfältig und zynisch was er jetzt redete, das war Josef auch irgendwie selbst klar. Er hatte ja Schuldgefühle. Aber er war eben leider geil geworden. Und jetzt fühlte er sich als Gewinner und männlich. Das war ein Gefühl das er schon länger nicht mehr gehabt hatte. Er vernahm gerade aus dem offenen Fenster eines nahen Hauses das Knirschen einer Handmühle, auch roch er dass dort der Backofen angeheizt wurde. Also war der Morgen schon nah. Er schlug Maria vor: „Unsere liebe Frau, sei doch vernünftig. Wir sollten jetzt noch altes Brot kaufen. Nachher ist es bestimmt schon wieder teurer. Also gib mir rasch etwas Geld.“ Da erweichte sich Marias Sinn ein wenig, aber sie blieb doch misstrauisch. „Ich bräuchte auch eine Haarnadel aus Draht, jetzt wo wir Geld haben. Ich hatte nur mal eine aus Holz, aber die ist mir zerbrochen, als du mich damals liebevoll umarmt hast. Diesen besonderen Tag hab ich mir genau gemerkt, es war der Seder vor zwei Jahren“, seufzte sie. Josef erinnerte sich noch dunkel daran dass er damals ziemlich betrunken gewesen war. „Ich werde besser noch Wein kaufen“, erklärte er Maria nun. „Wein gehört zum Brot dazu...“ – „Recht hast du. Wein hilft auch gegen diese himmlische Kälte“, meinte plötzlich Panthera hinter Josef. Josef spürte wie ein kalter Schauer vom Himmel auf ihn hinab zu sacken schien. Er sah hinauf, es war teilweise sternenklar. Und er war noch nicht gekommen. Schon wieder wurde er doch jetzt geil! Ohne dass er es so recht kontrollieren konnte legte er der Hure hinter sich die linke Hand an die Schenkel. Willig kroch sie wieder an ihn heran und presste sich Wärme suchend erneut an seinen Rücken. Maria bemerkte es mit nicht wenig Schrecken. „Wer ist denn das? Joschele, wer ist diese Frau?“ – „Das ist, ähm...“ – „Panthera“, sagte Panthera nett. „Verzeiht wenn ich euch belästige. Ich bin auch auf einer Reise und suche Gesellschaft.“ – „Panthera, also die Panterin? Das ist kein jüdischer Name“, murmelte Maria leise. Sie zögerte und fragte dann: „Bist du eine Römerin?“ – „Ich wäre lieber eine geworden, anstatt eine muffige Jüdin zu sein. Aber das römische Bürgerrecht gibt es nicht auf dem Markt zu kaufen.“ Panthera lachte erotisch, mit ihrer dunklen Stimme. – „Na sei froh und halt dich fern von den Unreinen“, mahnte sie Josef. „Die Römer sind doch alle verdorben und sittenlos. Die Paläste Roms wimmeln doch von Huren und Knaben, und wenn die Lust sie alle überkommt dann feiern sie eine Orgie. So ist es ja auch bei Julia, der Tochter des Kaisers. Die ist einfach so geil, und weil ihr Mann sie nicht befriedigen kann, geht sie nachts raus und lässt sich wie eine Hure ficken.“ – „Nein, das tut sie nicht. Huren treiben es nicht kostenlos. Merk dir das fürs Leben, Josef“, fügte Panthera sanft hinzu. – „Du hast recht“, sagte Maria. „Ich glaube vielmehr das Julia einen Hass hat auf ihren Ehemann Tiberius. Ihr Vater, der Kaiser, hat sie nämlich gegen ihren Willen verheiratet. Aber Tiberius ist alt und grausam. Und deswegen tat Julia so als ob sie eine Hure wäre, und deshalb hat Tiberius sie verlassen.“ – „Meine Frau Maria ist wirklich schlau“, erklärte Josef der Fremden an seinem Rücken. – „Und du bist statt dessen total fromm, was?“ fragte Panthera frech zurück. Darauf mochte Josef nichts erwidern. Seine Erektion war auch schon wieder vergangen, ihm war bitter kalt. Sie schliefen also alle noch etwas, und Josef fand dass es gar nicht so schlecht war mit zwei Frauen. Doch bald dämmerte es. Das war das erste das Josef bewusst wurde als er aus dem Schlaf schreckte. Es sah aus als ob es wahr wäre was die Römer glaubten, dass die Göttin Aurora jetzt Rosenfinger über den Himmel ausstreckte. Josef ächzte um diesen heidnischen Aberglauben aus seinem Geist zu vertreiben. Danach wurde es ihm erst bewusst dass es Lärm gab hinter ihm. Er konnte sich gar nicht umdrehen, denn die leise schnarchende Panthera hing schwer an seinem Nacken. Aber als er mit Mühe den Kopf hob hörte er aus einer nahen Seitengasse das Trappeln von vielen Füßen, und Rufe und Schreie des Entsetzens. „Flieht wenn ihr könnt!“ riefen die Leute, die jetzt auf den engen Platz vor dem Hebron-Tor strömten. „Die Lamia kommt, die Kinderfresserin von Bethlehem, und sie will euer Fleisch!“ – „Was?“ fragte Maria ungläubig. – „Uuaah!“ Ein schauriger, grollender Ruf drang da von fern aus der Gasse. Die Leute schrien und kreischten vor Angst. Noch war es so dunkel dass man kaum etwas sehen konnte. Aber Panik erfasste nun auch die Wartenden vor dem Tor. Josef sah undeutlich wie sich das Tor öffnete. Die Wachen hatten sofort reagiert. Aus mehreren Seitengassen strömten nun aufgeregte Leute auf den Platz. Sie kamen nicht weiter, denn hier schlief und kauerte man noch auf dem Boden. Meistens waren es arme Leute die nun über die Schlummernden hinweg stiegen und auf sie drauf fielen. – „Bettler raus! Gesindel verpisst euch! Sonst tötet euch die Lahm! Euer Völkerfürst Herodes Archelaus hat sie beschworen, um sich zu rächen für euren Verrat!“ So schallte es nun aus den Gassen. Josef traute sich erst gar nicht hoch. Maria jedoch war schon auf, sie zog nun auch ihren Mann auf die Beine, wobei sie ihn aus Pantheras Schlangengriff befreite. – „Wartet, bitte! Nehmt mich mit!“ bat Panthera voller Angst. – „Ja, ähm, ja...“ meinte Josef zögernd zu Maria. – „Nein!“ meinte seine Frau jedoch bestimmt. Sie wandten sich um zum Tor, und kamen doch nicht voran, weil sich jetzt immer mehr Bettelvolk auf den Platz schob und gegen sie drängte. Die Menge war in Panik, und wer sich jetzt nicht behaupten konnte der wurde nach unten gedrückt. – „Verdammt, bleibt zurück!“ keuchte Josef. Er war kein starker junger Mann mehr, und wenn er nicht Maria als seine Stütze gehabt hätte dann wäre er jetzt wieder zu Boden gegangen. Es schützte ihn von hinten Panthera, die sich schon wieder an ihn drückte. Die Hure fauchte, kratzte und keilte aus. Bis zum Stadttor war es nicht weit, die Menge drückte nach vorn, und in ganz kurzer Zeit waren sie schon fast hinaus aus Bethlehem. Aber dann dröhnte hinter ihnen erneut das schaurige Grollen. Diesmal war es ganz nahe. Ein fliehender Blick zurück zeigte Josef dass eine halbnackte dicke Gestalt auf den Platz getreten war. Sie hatte einen Busen, ja dies war eine Frau! Aber wo ihr Gesicht hätte sein sollen da schimmerte ein bronzefarbenes grässliches Löwengesicht. Die Dicke trug einen eisernen Ärmel und eine Stoßlanze, und die tropfte von rotem Blut. Sie war kräftig, das zeigte sich als sie einen Mann stach der sich ihr in den Weg stellte. Die Menge kreischte entsetzt auf. – „Da kommt der Tod! Jahwe mag uns helfen!“ So jammerte Maria nun hell auf. Josef ergab sich schon dem Schicksal und meinte nur: „Wenn die Bettler zu zahlreich werden dann bringt man sie eben um.“ Die Torwächter aber grinsten, als Josef es endlich schaffte sich mit den zwei Frauen durch das enge Stadttor zu zwängen. Vor ihm leuchtete schon der helle Morgenhimmel über Judäa.

15.

Am Nachmittag kniete Josef an seinem Lieblingsplatz an der Stallwand. Wie so oft betete er die Psalmen Davids nacheinander herunter. Jemand hatte ihm seine Gebetsriemen und Tefillin geklaut die er hier abgelegt hatte, aber Josef vermisste sie kaum. Denn neben ihm lag Panthera, die sich bei ihnen mit einquartiert hatte. Sie hatte sich zum Mittagsschlaf hingelegt und schnaufte schwer. Josef musste sich zwingen nicht dauernd an sie zu denken. Um sich zu konzentrieren kreuzte er die Arme vor die Brust und wiegte den Oberkörper vor und zurück. Dabei betete er leise vor sich hin: „Der Sieg ist Adonais. Dein Segen sei über deinem Volk... Psalm Vier, mit Gesang und Harfenspiel... Ihr Männer, wie lange wird meine Ehre zur Schmach? Wie habt ihr das Eitle so lieb und die Lügen so gern!“ Josef konnte plötzlich nicht mehr weiter beten, es widerstrebte ihm. Ächzend richtete er sich auf und ordnete seine Kleider. Er sah dass Maria an der Türschwelle saß. Sie stopfte wie so oft ihre längst hoffnungslos zerschlissenen Tücher. Ihre siebzehn restlichen Münzen hatte Maria vor sich ausgebreitet, und sie zählte sie immer wieder durch, in einer Art Singsang: „Acht, neun, zehn, elf und zwölf...“ – „Du solltest lieber danken, Gy'tt unserem Herrn“, mahnte Josef sie. Er schaute sich die Münzen auch an, flüchtig nur damit er die Bilder nicht sehen musste die sich darauf befanden. Ein großer Schekel aus Silber glänzte fast wie frisch geprägt. „Schau Judas, ein Silberling! Das ist mehr als ein Tagelöhner in einem Monat verdient“, erklärte er seinem Erstgeborenen. – „Wenn ich groß bin werd ich der König der Bettler“, meinte dieser daraufhin habgierig. Josef grinste verlegen. Aber dann erinnerte er sich daran wie Maria zu den Münzen gekommen war, und er schwieg leicht beschämt. Er blickte sich erschöpft um nach den anderen Kindern, die hinten in der Scheune saßen. Alle hatten sich endlich mal satt gegessen, mit Brot und Schafskäse und fettiger Brühe. Die schmale Assia übersah Josef, aber am kleinen Jesus blieben seine Blicke hängen. Halblaut murmelte er zu Maria: „Und wenn Jesus wirklich etwas Besonderes ist? Ich meine es kann doch sein dass er der neue Messias ist. Vielleicht hat ihn ja der Herr heimlich auserwählt, so wie auch König David heimlich auserwählt wurde.“ – „Ach wirklich?“ – „Ja, du kennst doch die Geschichte von Saul und Samuel... Kommt Kinder, das könnt ihr auch mal lernen.“ Und Josef setzte sich zu seiner Frau und winkte Judas und Assia mit Jesus zu sich. Dann erzählte er ihnen das beliebte jüdische Märchen wie David der König von Israel geworden war. Und zwar war der alte König Saul ins Unglück geraten, so dass es hieß Gott habe sich von ihm abgewandt. Daraufhin war die Stimme Gottes zum Samuel gekommen: „Gy'tt befahl dem Propheten Samuel dass er schon mal einen von den Söhnen des Jesse zum neuen König salben sollte. Also reiste Samuel genau hier her, bis nach Bethlehem. Hier traf er seinen alten Freund Jesse, und sie gingen in den Tempel um zu opfern und zu speisen. Jesses Söhne hießen Samal und Asam, und er hatte noch drei andere. Von diesen fünf Söhnen, die ihm gefielen, wollte Samuel einen zum König salben. Aber dem Gy'tt gefiel keiner von den Fünfen. Da fragte Samuel den Jesse ob der denn noch einen Sohn hätte. Dem war auch so. Jesses sechster Sohn hieß David, der ein Hirte war und gerade seine Herde weidete. Da ließ Samuel David zu sich rufen. Als nun David zum Bankett dazu kam, da stellte er sich als ein blonder schöner Jüngling dar. Dieser ist es, dachte Samuel bei sich. Er salbte David mit seinem heiligen Öl zum König von Israel. Samuel ermahnte David dann noch alle jüdischen Gebote zu beachten. So würde er die Palästiner besiegen können...“ Josef wandte sich an Jesus und fragte ihn: „Hörst du das? Hast du das verstanden, falls du der Messias bist?“ – „Jesus ist aber nicht blond. Der ist schwarz auf dem Kopf und doof innen drin“, unterbrach ihn nun Judas, sein Ältester. – „Vielleicht wird Jesus blond wenn er mehr weißes Brot isst“, meinte Assia. – „Meinst du wirklich? Nein, das glaub ich nicht.“ Josef rieb sich wie so oft die kahle Stirn, und dabei entfuhr ihm ein Schmerzlaut, denn dort oben prangte jetzt eine dicke Beule. – „Sei still, Assia“, meinte Maria beiläufig. Dann sagte sie, wobei sie den Blick nicht von der Näharbeit abwandte: „Wenn Jesus wirklich der neue König Israels werden soll, jetzt wo Herodes Archelaus abgesetzt wurde, dann wird der Gott uns jemanden schicken. Dann kommt ein Prophet zu uns um Jesus zu salben.“ – „Vielleicht ist er schon unterwegs“, meinte Assia hoffnungsfroh. – „Du sollst still sein Assia“, befahl ihr Judas. – „Nein du hast ganz recht, kluges Mädchen“, meinte Josef lobend. Alle blickten sie nun Jesus an, der einen Strohhalm in den Händen hielt und immer wieder umknickte. Maria lächelte, sie freute sich über Jesus. Das Kleinkind blickte zu ihr hin, lächelte und erklärte undeutlich: „Mama Geld.“ – „Gut dass du das verstehst“, meinte Josef mit weicher Stimme, „wenn du tatsächlich der Messias bist. Denn alles Geld der Welt gehört doch dem König der Juden. Judas, verdammte Hacke, geh doch langsam!“ Der zappelige Judas war nämlich aufgesprungen und über die Schwelle der Scheunentür nach draußen gesprungen. Das missfiel seinem Vater, denn es gab angeblich ein Gebot welches Juden das Hüpfen über Türschwellen untersagte. Judas spähte den Feldweg entlang der nach Bethlehem führte. Und dann rief er aufgeregt: „Da kommen drei Männer aus der Stadt. Sie haben kostbare Klamotten wie Könige! Sicher sind das die Propheten die Jesus zum heiligen König salben wollen!“ – „Ach!“ Josef sperrte erschrocken den Mund auf, Maria ließ ihre knöcherne Stopfnadel fallen. „Und ich hab überhaupt nichts Gutes anzuziehen!“ jammerte sie.

16.

Es dauerte eine Weile bis die drei Reisenden sich der Scheune am Wegesrand näherten, wo Josef mit Judas gespannt auf sie wartete. Josef erkannte sie gleich wieder, als die drei Gaukler die gestern nach dem Sabbat vor der Schul das Schauspiel aufgeführt hatten. Diesmal war die Fröhlichkeit von den Männern gewichen, sie sahen eher mürrisch aus. Sie schauten Josef kaum an und schienen an seiner Scheune vorbei ziehen zu wollen. Also trat Josef aus dem Schatten der Scheune hinaus in die bleiche Sonne und begrüßte sie freundlich: „Seid willkommen, ihr drei Propheten! Wir haben euch schon erwartet!“ – „Ach ja?“ meinte der erste Gaukler eher unwillig, der kurze Schlaue welcher den Kaiser Augustus gespielt hatte. Er richtete seinen Blick auf Maria. Diese sah dass er blaue Augen hatte. Sein Haare schimmerten etwas hell in der bleichen Sonne. Der falsche Kaiser Augustus neigte ergeben seinen Kopf. „Das Schicksal hat uns scheinbar hierher geführt. Gerne wollen wir bei euch einkehren.“ – „Wir haben einen Stern gesehen! Ich bin nämlich Sterndeuter“, meinte sein Kollege freundlich zu Maria. Diese deckte scheu einen Schleier über ihr schwarzes Haar. – „Habt Mitleid, ihr Herren, denn diese Scheune ist bewohnt! Und wer die Thora einhält wird mit Geld belohnt!“ So poetisch bettelte Judas nun die Fremden an, aber die schienen nicht zu verstehen dass er von ihnen eine Art Eintrittsgeld kassieren wollte. Die drei Fremden gingen also hinein in die finstere Scheune. Josef bot den Fremden den üblichen Willkommenstrunk an, Assia musste den Wasserkrug reichen. Verstohlen schaute der Sterndeuter immer mal wieder auf die blanken Münzen, welche Maria vor sich zu einem Stern ausgelegt hatte. Mit etwas mehr Elan und theatralischer Aufregung erklärte der falsche Kaiser unterdessen Josef: „Wir sind endgültig weg aus der Stadt. In dieser Nacht wütete ja in Bethlehem ein Dämon! Die Lehema war es, und die war hungrig nach Menschenfleisch.“ – „Oi je, wir sahen sie“, erinnerte sich Josef, dem nun ein Schauer über den Rücken lief. – „Uns hat diese Kinderfresserin zum Glück verschont. Denn wir haben Zaubermittel die uns vor solchen Dämonen schützen. Zeig ihnen mal eines, Balthasar mein Freund.“ – „Gerne doch, mein Freund Kaspar.“ Der Sterndeuter war dunkel, hager und gewitzt. Er schnürte mit klammen Fingern seinen Rucksack auf. Dann zog er vorsichtig ein dunkles Amulett aus Ton hervor, das vermutlich das Bild einer Dämonin zeigte. Josef erschrak als er dieses heidnische Bildwerk sah, denn solche Zaubermittel waren Juden nicht erlaubt. „Ihr seid keine Juden, nicht wahr?“ fragte er die Gaukler enttäuscht. – „Nun“, Kaspar zögerte, „wir sind eigentlich chaldäische Magier aus dem Osten.“ – „Wir sind gelehrte Weise aus dem Morgenland. Von den ehrwürdigsten Meistern des Orients haben wir die Kunst der Zauberei erlernt“, erklärte der dritte Gaukler nun im prahlerischen Tonfall. – „Könnt ihr lesen?“ fragte Judas skeptisch. – „Na klar Kleiner, und zwar alle Zauberzeichen von Babylon bis Tarschisch“, erklärte ihm der dritte Gaukler. „Ich bin Melchior, der König von Melcha.“ – „Und ich bin Judas bar Josef aus dem Dorf Bakschisch“, erwiderte Judas schlagfertig; und hielt die Hand auf, jedoch vergeblich. – „Und hier ist: Jesus!“ Josef betonte den Namen als er seinen Jüngsten mühsam hochhob und den Gauklern präsentierte. Er hoffte auf irgendeine Reaktion, doch die Gaukler zeigten an Jesus kein Interesse. Dafür stellte Josef verärgert fest dass Jesus nicht nur im Gesicht schmutzig war sondern auch unten. Balthasar beugte sich unterdessen zu Maria, und zeigte ihr verstohlen das Amulett aus Ton. „Liliths Bild hilft zuverlässig gegen das Kindbettfieber das die Lehemu bringt“, erklärte er ihr. „Ich kann dir einen speziellen Preis machen.“ – „Oh nein, wartet mal, das geht hier nicht!“ In Josef stieg der Eifer auf zu predigen, gegen Götzenbilder und Zauberzeichen und alle Gräuel der Heiden. Er brachte aber gerade nicht den Mut auf die drei Fremden hart anzusprechen. Statt dessen erklärte Josef mit milder Stimme: „All unser Geld gehört doch dem Gesalbten des Herrn, dem neuen König Israels. Wir sind nämlich gottesfürchtige Kinder Israels. Und zwar hat es sich ergeben, durch ein Wunder...“ Josef senkte vertraulich seine Stimme. „...dass mein kleiner Jesus der neue König Israels werden könnte, so dies der Wille ist von Adonai unserem Gy'tt.“ Wiederum hob er ihnen Jesus vor die Blicke. Jesus war gerade unten braun geworden, und er roch. All dies behagte ihm nicht, und er begann zu schreien. Die drei angeblichen Weisen aus dem Morgenland jedoch schauten vor allem sich selbst an. „Was, dein kleiner Scheißer da soll unser neuer König werden?“ fragte Kaspar dann, spöttisch bis verärgert. – „Schlimmer kann es ja kaum kommen nach Herodes Archelaus“, witzelte Balthasar. Nach und nach begannen die drei Weisen aus dem Morgenland zu lachen. Sie lachten alle so laut dass sogar Josef mitlachen musste. Verärgert und verzweifelt stieß er ein „Ha, ha, ha!“ heraus. – „Ach, ihr drei Spitzbuben wieder!“ rief da mit rauer Stimme Panthera, aus ihrer Kuhle aus Stroh heraus. Sie war von dem Gerede aufgewacht und krabbelte nun mühsam auf die Füße. „Was treibt euch denn in diese gottverlassene Einöde?“ – „Ach nee, Panthera, du alte Weinschnepfe! Das könnten wir auch dich fragen“, gab Kaspar erheitert zurück. – „Ja ich, ich hab die Nase voll von den geilen Kerlen“, erklärte Panthera. „Im Palast in Jericho meinten sie ich sei zu alt geworden, und mit Herodes Archelaus ist ohnehin leider Schluss. Und das fromme Jerusalem ist nicht meine Stadt.“ – „Uns erging es leider etwas ähnlich. Der neue römische Prokurator hat uns gestern aus der Provinz verbannt“, erklärte Kaspar sachlich. – „Der Landpfleger Copronius sieht sich als Wunderheiler wie Asklepios selbst. Er will uns Judäer von unserer Feindseligkeit gegenüber Rom kurieren.“ Balthasar rümpfte verächtlich die Nase. – „Unser Schauspiel gefiel den noblen Damen nicht. Und dabei taten wir doch so romfreundlich wie wohl sonst niemand im Reich Israel“, erklärte Melchior dem streng blickenden Judas. – „Das war gewiss ein Fehler, vor Gy'tt unserem Herrn“, meinte Josef. – „Jungs, nehmt das Leben nicht so ernst. Bleibt erst mal hier bei mir und diesem Bettelpack“, lud Panthera sie jetzt ein. Kaspar nickte gütig. „Ja, machen wir uns ein schönes Abendchen, mein Abendstern. Leider haben wir keinen Wein.“ – „Kannst du uns denn keinen zaubern, großer Meisterzauberer?“ fragte Melchior den Kaspar im humorvollen Tonfall. – „Mach du doch.“ – „Klar, ich brauch nur zu pinkeln, und dann verwandle ich mein Wasser in Wein.“ Da lachten die drei Zauberer. Melchior erklärte dann Judas: „Man nennt so etwas die sympathetische Magie. Aber bei mir geht das leider gerade nicht, denn zur Zeit muss ich nicht.“ Er grinste und packte dabei an sein Geschlechtsteil. Judas war von dem dunklen Fremden zwar fasziniert, aber er bekam auch ein warnendes Gefühl.

17.

„Judas, du böser Bube! Du wirst noch mal am Kreuz enden!“ So schimpfte Josef, als er aus seinem üblichen trübsinnigen Gebetsmarathon schreckte. Schon wieder war doch der wilde Junge über die Türschwelle gesprungen. Kichernd lief er jetzt davon. Mit knackenden Gelenken quälte sich Josef auf die Füße. Er zitterte vor Aufregung als er nun zu Maria hinkte, die gerade mit Bast eine seiner Sandalen ausbesserte. „Sag du doch mal was! So schlimm ist doch dein Sohn! Ich hab ihm doch vorhin gesagt dass er nicht über die Schwelle springen darf. Und jetzt tut er es absichtlich, nur um mich zu ärgern!“ Maria nickte, mit einer unbestimmten Angst im Gesicht. „Ach Joschele, Juda ist doch noch so ein Kind“, meinte sie fast bittend. – „Er kommt jetzt in das üble Alter der Rebellion“, erwiderte Josef streng, und ächzte doch bitter wegen seiner eigenen Schwäche, eine Folge etlicher Hungerjahre. „Mein Ältester soll mir eine Stütze werden im Alter. Aber wenn er die Gebote Mosis nicht beachtet, und zwar alle, dann taugt er nichts, sondern dann ruft er nur den Zorn des Herrn im Himmel auf uns herab...“ Ohne es zu wollen verfiel Josef schnell wieder in den üblichen Singsang des Predigers. „...denn du weißt doch, Frau, wenn wir uns versündigen gegen unseren Gy'tt, indem wir seine Gebote nicht halten, dann schickt er uns als Strafe die Fremdvölker, damit sie die Kinder Israels züchtigen. Wie können wir Juden denn jemals hoffen die Römer zu besiegen und unser Land zu befreien, wenn Judas dauernd über die Türschwelle springt, und damit Gy'tt absichtlich ärgert? Das kann doch nicht funktionieren!“ Maria nickte begütigend. „Du hast ja recht. Obwohl ich glaube dass Gy'tt eher wütend auf uns wird wenn wir etwas Unrechtes tun.“ Dabei blickte sie unwillkürlich wieder auf ihre Münzen, die vor ihr auf dem blanken Boden lagen. Jetzt erst wurde es auch Josef bewusst dass Maria die Münzen so hingelegt hatte dass sie einen Stern mit acht Strahlen bildeten. Josef erschrak heftig, und dann begann er erneut zu schimpfen: „Maria, was uns Gy'ttes Willen tust du denn da? Das ist doch der Stern der Astarte!“ – „Ach? Das ist doch nur ein Ornament von einem Stern!“ meinte Maria erschrocken. – „Ein Stern ist ein Bild, und Bilder soll man nicht anschauen“, mahnte Josef. – „Wieso denn nicht?“ rief nun der Gaukler Balthasar müde aus seiner Ecke in der er stand. „Die Sterne verraten den Weisen doch alle Geheimnisse. Ich bin nämlich ein Sterndeuter, der dir die Zukunft aus den Sternen vorhersagen kann.“ – „Und wie sollte die aussehen?“ fragte Josef weichlich. – „Nun... Da müsste ich die Sterne befragen. Kannst du mich denn bezahlen?“ – „Im Prinzip ja...“ meinte Josef, mit einem Seitenblick auf Marias Münzen. – „Pah!“ meinte diese jedoch und deckte rasch ein Tuch über ihr Geld. Und da festigte auch Josef wieder seine Haltung. „...aber das ist nicht nötig. Denn der Herr des Himmels sagt uns Juden immer das was wir wissen müssen, durch die Thora und die Bücher der Propheten. Es steht ja geschrieben im Buch Daniel, Kapitel Zwei... dass der Prophet Daniel einst einen Traum erriet den der König von Babylon gehabt hatte. Den hatten all die Weisen und Wahrsager und Sterndeuter des Königs nicht erraten. Deshalb wollte der König Nebuketzer sie schon hinrichten lassen. Doch dann wurde dem Daniel, in der Nacht, mit einem Traumgesicht, das Geheimnis offenbart...“ – „Natürlich, das geht! So was können wir auch“, unterbrach ihn da Balthasar. „Gesichter und Geister beschwören bei Nacht, das ist für uns persische Magier kein Problem. Aber kannst du denn das bezahlen?“ – „Im Prinzip ja...“ Josef spürte wie ihm die Knie weich wurden. Aber rasch festigte er sich wieder, und tönte: „Aber das ist gar nicht nötig. Denn ich weiß bereits aus der Schrift was passieren wird, und zwar aus dem Buch Daniels. Daniel sah nämlich in seinem Traum das Gesicht des jüdischen Messias, dem König der Könige! Dieser König war blond wie das goldene Haupt Gottes. Das kann aus jüdischer Sicht nur bedeuten dass er eine kostbare goldene Krone trug...“ – „Ja, die Geschichte kenn ich auch! Aber ich hörte sie ganz anders“, meinte nun der clevere, dunkle Balthasar mit energischer Stimme. „Die Chaldäer, also die Priester Babylons, erzählen nämlich dass einer ihrer Weisen namens Belsazar damals diesen Traum erriet, den der König Nebukadnezar geträumt hatte...“ – „Nein!“ unterbrach ihn Josef erbost. „Wir Juden wissen Bescheid über diese Geschichte. Und zwar war Daniel dieser Traumdeuter Beltsazar. Daniel wurde nämlich von den Babyloniern umbenannt, das berichtet sein eigenes Buch Daniel.“ Josef wurde rot. Balthasar lächelte unfroh. „Ihr Juden und eure verdrehten Schriftrollen! Dazu passt aber schlecht was von Belsazar weiter bekannt ist. Belsazar bezeichnete nämlich nachher den König von Babylon als den Messias, den König aller Könige. Und daraufhin ließ Nebukadnezar in Dura ein goldenes Götterbild von sich selbst aufstellen, und verlangte dass alle es anbeten müssten. Nur die Juden weigerten sich natürlich. Und wegen ihrem blöden sturen verderblichen Aberglauben ließ sie der König alle im Ofen verbrennen...“ – „Nein, das kann nicht wahr sein! Im Buch Daniel steht doch dass Nebukadnezar vor Daniel auf sein Gesicht fiel, und befahl dass der Prophet und sein Gott angebetet werden sollten. Und das goldene Standbild von Dura, das war nur irgendein Götzenbild, das war vielleicht von dem Dämonen Dura!“ – „Näh!“ rief da aus dem hinteren Stall laut ein Schaf. Der Zwischenruf der Vorsehung brachte Josef momentan aus der Konzentration. Sein Blick fiel auf Jesus. Spontan wies er wieder auf seinen Jüngsten und meinte: „Es sollte passieren dass einer den Messias erkennt wenn er ihm begegnet. Propheten wissen wer ihr Herr ist.“ Fast bittend hielt Josef nun Jesus den drei Gauklern entgegen, die sich schon hingesetzt und in ihre Mäntel gehüllt hatten. Doch zeigten diese keine Reaktion, und Josef musste den Knaben sinken lassen. – „Mama!“ sagte der Jesus-Knabe, und wollte nun auch noch weg von Josef. Dieser konnte das sogar nachvollziehen. Judas aber lief heftig hinaus, zur Straße, hungrig wie er immer noch war. Er war geradezu besessen von der Idee noch etwas Geld zu erbetteln. Es gab Reiche die enorm viel Geld hatten! Echte Könige hatten so viel Geld dass sie sich davon sogar riesige goldene Standbilder machen lassen konnten! Draußen auf der Landstraße, die nach Süden zu den Festungen und nach Hebron führte, da waren gerade reiche Reisende unterwegs. Judas staunte als er sah dass hier edle Reisekarren rumpelten die sich nur wirklich reiche Leute leisten konnten. Auch marschierte vorne eine Abteilung römischer Legionäre, hinter einer Abteilung herodianischer Gardisten. Das konnte doch nur der Treck sein der die noblen Frauen begleitete welche so viel Geld zu verschenken hatten, also die Fürstin Phasaelis aus Galiläa und die Patriarchin Salomé. Eine Sänfte näherte sich gerade, die von zwei Maultieren getragen wurde. – „Habt Mitleid, edle Frauen!“ rief Judas eifrig. Er sprang aufdringlich heran, noch bevor die Diener und Wächter ihn zurückhalten konnten. – „Hau ab, du Lausbub!“ rief ein Wächter, und griff schon aus um Judas am Schlafittchen zu packen. – „Wartet! Er soll her kommen!“ rief da jedoch eine helle Frauenstimme aus der Sänfte heraus. – „Besser nicht, Prinzessin Herodias, denn hier gibt es Attentäter“, mahnte der Wächter. Aber Judas sah nur eine schmale Hand die den dicken Vorhang einen Spalt weit aufschob. – „Bitte, einen Silberling!“ rief er aufdringlich. – „Wie alt bist du?“ fragte sie. Das wusste Judas nicht genau, zwölf oder dreizehn war er. Er rief: „Ich hab gerade die Bar Mizvah.“ – „Dann bist du alt genug um zu arbeiten.“ Der Vorhang fiel wieder, und Judas blieb enttäuscht stehen. Salzige Tränen schossen dem Jungen in die Augen. Jetzt bereute es Judas fast dass er vorhin über die Türschwelle gesprungen war, weil Gott ihm vielleicht deswegen jetzt eine Strafe verpasst hatte. Aber dann sagte Judas sich dass das Unsinn war. Er fing an diese eiskalte Prinzessin zu hassen! Doch sagte ihm seine milde innere Stimme dass Herodias völlig recht hatte. Das Problem war nur dass es einfach nicht genug Arbeit gab für immer mehr Juden und Palästiner. Dieses kleine Land war einfach viel zu voll, aber all die Doofen kriegten immer noch mehr Kinder. Judas schaute der Sänfte noch lange nach, und wünschte sich er hätte wenigstens das Gesicht dieser Prinzessin erblickt. Dann schüttelte er diese Gedanken ab und wurde wieder so mürrisch wie üblich.

18.

Josef wandte sich um zu seiner Frau. Aber Maria hatte ewig zu tun mit ihren Kleidern, und Josef fand es zu peinlich sie erneut auf seine vage Hoffnung hin anzusprechen dass sein Sohn Jesus der Messias sein könnte. Statt Maria sprach Panthera nun zu Josef, wobei sie sich an Kaspar anlehnte: „Alter Josef, deine kurze Zukunft kann ich dir jetzt kostenlos vorhersagen, denn ich habe auch viel gelernt, im Palast des Königs in Jericho. Willst du sie hören?“ – „Ja, öhm, ähm“, brummelte Josef unschlüssig. – „Du stehst nicht mehr sicher auf den Beinen, und du hast keine Kraft mehr in deinem Schwanz. Das war auch das Problem das der Schlemmer Herodes Archelaus hatte, der in Wahrheit gar nicht so schlecht war. Dem stand am Ende sein Schwanz nicht mehr. Deshalb nur verlor er die Gunst all seiner Konkubinen, und man hat ihn nach Rom fortgeschickt.“ Da lachten die Gaukler alle. Kaspar schäkerte mit Panthera und verriet ihr: „Bei mir ist es noch ganz anders, du alte Hexe!“ Balthasar aber diagnostizierte: „Die Kachexie hast du, Josef! So nennen die hellenistischen Ärzte eine Schwäche der Haltung. Ich könnte dich davon heilen. Aber kannst du mich dafür bezahlen?“ – Josef ignorierte ihn nun und forderte Panthera auf: „Sag mir erst kostenlos meine Zukunft! Wird bald ein Prophet zu uns kommen um uns etwas Wichtiges mitzuteilen?“ Da lachte Panthera gemein und prophezeite: „Vorher fällst du um, alter Josef, in den Dreck, und stehst nicht mehr auf.“ Josef starrte sie bestürzt an, und erkannte doch dass sie wohl die Wahrheit sagte. Grimmig murmelte er: „Meine Krankheit heißt Hunger, und davon kann mich nur Speise und Trank kurieren.“ – „Ja ja, du bist ja hier der gelehrte Experte für alles und jedes, was?“ spottete Panthera nun. – „Mit der Thora ja, damit kann ich alles erklären!“ behauptete Josef steif und fest. – „Ach ja?“ Kaspar merkte auf, und meinte kühl: „Nun dann erklär mir mal, Josef aus Galiläa, wieso denn gerade diese Eiferer und Schreier und Bettler und Steinewerfer von deiner Qualität immer so viel Unglück auf sich ziehen. Dreitausend von eurer Sorte hat ja einst der grausame Fürst Herodes Archelaus umbringen lassen, und das im Tempel von Jerusalem, und gar zu Pessach, unserem höchsten Fest. Und was ist danach passiert, was tat Gott dann? Er ließ es zu dass dieser Sohn einer Samariterin der Nachfolger wurde von König Herodes dem Großen.“ – „Ja genau“, begann Josef, während er eifrig nachdachte. „Das lag vielleicht daran dass Jesus der Eroberer einst Jericho verflucht hat, während Herodes Archelaus doch dort seinen neuen Palast bauen ließ. Diese Stadt ist eine Stätte des Unglücks, das weiß jeder.“ – „So ein Quatsch!“ wehrte jedoch Panthera ab. „Jericho ist wirklich schön geworden durch das viele Geld das Fürst Herodes dort hinein gesteckt hat. Und von einem Fluch weiß dort keiner was. Jahrelang ging es da sehr lustig und schamlos zu, ich hab das ja miterlebt. Fürst Herodes Archelaus war ja kein Hungerkünstler und Frauenverächter. Damals als sein böser Vater Herodes gestorben war – und sein noch böserer Bruder, der Antivater, auch – da hat doch der Fürst öffentlich den Tag über einen Sack getragen und eindrucksvoll gejammert, wie ein Klageweib. In seiner Festung aber hat der Fürst sich schon am ersten Abend Wein und Gesang, und Schmausereien und Lustbarkeiten gegönnt. Na und? Nichts tat da Gott. Den Pharisäern und Eiferern war es auch zehn Jahre lang egal dass der Fürst so verschwenderisch, raffgierig und grausam war. Der Ärger ging erst los als er seine Frau Mariamne an den Ausschweifungen des Fürsten Anstoß nahm. Da hat Herodes Archelaus sie verstoßen; und einfach die schöne Glaphyra geheiratet, die Fremde aus Kappadokien. Da erst haben wieder alle die Eiferer vor Wut geschrien, so laut dass man es nachts in den königlichen Gemächern hören konnte.“ – „Ja, und zu Recht, denn diese Verbindung mit einer Ausländerin und der Witwe des Bruders verstieß gegen unser Gesetz“, warf Josef ein. – „Das dumme Gesetz des Moses hat den König Salomon auch nicht gestört, den mit seinen tausend Weibern und Götzenbildern“, meinte da Melchior. „Und was war die gute Folge? Heute gilt Salomon als der weiseste jüdische König aller Zeiten. Hoch gerühmt werden seine Zeiten, denn sein südliches Restland war so reich und friedlich wie nie zuvor und später.“ – „Salomon war leider geil und deshalb leider von Gy'tt abgefallen! Und Schuld daran waren seine ausländischen Weiber, mit ihrer Unkeuschheit und ihrem Aberglauben! Hört meine Worte, ihr drei Könige: Die Frauen sind unser Unglück, schon seit Eva der ersten Frau, durch welche die Sünde auf die Welt kam!“ Da wollte Panthera wütend dagegen reden, aber Josef sah so komisch aus dass sie wiehernd lachen musste. Alle ließen sich in der Scheune vom Gelächter erheitern, auch die anderen Kinder und Neugierigen die jetzt näher kamen um sich die interessanten Reisenden anzusehen. Als Josef weiter eifern und predigen wollte da schnitt ihm Kaspar mit einer Handbewegung das Wort ab. Kühl meinte der Gaukler: „Genug geschwafelt, eifernder Josef. Wir sind deiner wirren Worte müde.“ – „Ja, lass dir lieber von uns Kennern berufsmäßig raten“, fügte Balthasar hinzu. „Denn wir drei sind weit gereiste Weise, erfahren sind wir in allen Künsten und Fertigkeiten.“ – „Vor allem den totalen Fertigkeiten“, fügte Melchior grinsend hinzu. – „Könntet ihr mich nicht auch noch gebrauchen?“ fragte Josef. – „Ein Frauenversteher fehlt uns noch“, witzelte Kaspar munter. „Aber lieber Josef, bitte sei nicht sauer, aber das bist du nicht.“ – „Ja, genau, nein.“ brabbelte da Josef, und verstummte dann, fast wider Willen. Aber dann redete sein frecher Mund doch wieder los, nur um das letzte Wort zu haben: „Aber König Salomon hatte gar keine tausend Frauen, sondern nur 370, so viele wie das Jahr Tage hat. Und deshalb bestrafte Gy'tt seinen Sohn.“

19.

Einen Moment später hüpfte Judas erneut über die Türschwelle. „Papa, Papa!“ erklärte er aufgeregt. „Da kommen schon wieder Leute aus Bethlehem, eine ganze Schar mit Waffen. Und die kommen hierher!“ Als nun Josef voller Schrecken zum Scheunentor eilte, da sah er von ferne eine große dunkle Schar von Leuten aus Bethlehem. Gleich wurde ihm aber bewusst dass er von denen nichts zu befürchten hatte, so dachte er jedenfalls. Denn das war ein Trauerzug mit Leichen, man hörte schon die grellen Stimmen der Klageweiber. – „Maria, geh doch auch hin und heul was, mit diesen Wölfinnen“, wies er spontan seine Frau an. „Du weißt, so was wird oft gut bezahlt.“ – „Ich bin aber gerade so froh“, meinte diese schnippisch. Sie lachte dann um ihren Worten die Schärfe zu nehmen, und knuddelte den kleinen Jesus bis dieser auch lachte. „Mama Geld“, brabbelte Jesus froh. – „Das sagt Jesus immer wenn Mama froh ist“, erklärte Assia ihrem Vater. Josef beachtete die Kinder nicht weiter, er war mit seinen Gedanken längst woanders. Nachdenklich spazierte Josef vor die Scheune, wo sich schon andere Flüchtlinge, Hirten und Nomaden aus der Gegend sammelten, neugierig auf den Trauerzug. Ein Mann erzählte gerade dass es in Bethlehem bei der nächtlichen Panik mehrere Tote gegeben hatte. Kinder zumeist waren von der Menge erdrückt und totgetrampelt worden. Nach der Tradition wurden sie alsbald bestattet, so weit weg wie möglich in der Einöde. – „Das ist die Rache des verfluchten Herodes Archelaus dafür dass sein Volk ihn verriet“, meinte ein Beduinen-Scheich. – „Ja“, bestätigte Josef spontan, „und ich glaube auch, er fürchtet jetzt dass aus Bethlehem der neue König kommen wird um Israel von allen seinen Feinden zu befreien. So geschah es ja zu der Zeit als der Prophet Samuel den Hirten David heimlich zum König salbte. Vielleicht ist ja unter diesen Leuten einer der jetzt hierher kommt um, ähm, zum Beispiel einen zum König zu salben der ihnen der neue Jesus werden soll, also der Josua vor dem der Jordan zurück wich als er dieses Land eroberte.“ – „Was? Du machst Witze!“ riefen da die Männer mit den rauen Gesichtern und Armen ringsum. Josef sah dass es überwiegend Araber waren, und er dachte dass es klüger wäre den Mund zu halten, aber das ging jetzt gerade nicht! Also begann er eifernd zu predigen: „Wir brauchen nur den richtigen Geist, den eifernden Geist! Erinnert euch doch wie es war als Jesus Jericho eroberte. Da wurde keine Lanze geworfen und keine Sturmleiter an die Mauer gestellt. Sondern die Priester bliesen da ihre Trompeten, und die Leviten bliesen Schofar. Und bei all diesem jüdischen Lärmen fielen die Mauern Jerichos von selbst um!“ – „Wahr, wahr! Und das ruhmreiche Heer der Hebräer drang ein die Stadt, ohne dass diese dreckigen arabischen Kana'anäer Widerstand leisteten, denn sie waren vor Schrecken starr geworden über ihr Unglück. Und die Heerscharen des Josua töteten alle Bewohner der Stadt, so dass die Straßen von Leichen angefüllt waren. Und dann legten sie Feuer in Jericho, und brannten alles nieder, und machten einen ungeheuren Haufen Beute; von Silber, Gold und Erz. Josua bar Nun verfluchte die Stadt Jericho und alle welche sie wieder aufbauen würden, und er verfluchte noch den Mann besonders der den ersten neuen Stein von Jericho legen würde.“ So redete nun einer mit heller, lauter Stimme den Josef gleich wiedererkannte: Judas aus Gamala! Voller Wiedersehensfreude ging Josef hin zu ihm und küsste ihn auf beide Wangen, und meinte im herzlichsten Tonfall: „Gut gesprochen, alter Freund Judas! Aber dieser große Held der Hebräer hieß nicht eigentlich Josua, sondern Jesus wurde dieser Eroberer genannt, genau wie mein kleiner Sohn.“ – „Manche meinen auch dass er Joses geheißen wurde“, erinnerte sich Judas, und gähnte erschöpft.

20.

Judas aus Gamala erzählte dann Josef einige Neuigkeiten aus Jerusalem. Es gab viel Unruhe in der Stadt, weil die Römer angefangen hatten mit ihrem Zensus, und gleich die Bürger abkassierten. Es waren bislang immer nur die radikalen Eiferer und Büßer gewesen die sich den Lehren des Sadduk gegenüber aufgeschlossen zeigten. Die vielen Elenden und Bettler wagten es kaum den Kopf zu heben wenn jemand Sadduks sehr radikale Lehren verbreitete, wonach Eigentum Diebstahl war und aller Reichtum geteilt werden musste. Aber jetzt, da die Römer sich immer unbeliebter machten in der neuen Provinz, da gewann die Bewegung der Sadokiter immer mehr Rückhalt unter den Juden. Sadduk selbst war angeblich allzeit bereit einen großen Aufstand anzuführen... – „Sei besser leise!“ warnte Josef etwas ängstlich. Judas redete wie gewöhnlich mit lauter Stimme. Während er auf Josef einredete schickte er Seitenblicke in alle Richtungen, und schien auch alle Umstehenden mit seinen flammenden Worten erreichen zu wollen. Keineswegs leiser fuhr er nun fort: „Alle frommen Juden werden rebellieren, wenn die Römer jetzt versuchen unser Königreich in eine römische Provinz zu verwandeln. Diese sittenlosen Tyrannen werden sich bei uns nur blutige Köpfe holen.“ – „Aber wir leider auch“, murmelte Josef mutlos, und er entblößte die blutige Beule auf seinem vorne kahlen Schädel. Der Glatzkopf Judas aus Gamala verabschiedete sich ziemlich abrupt. Denn den Trauerzug aus Bethlehem begleiteten Bewaffnete, und diese bogen jetzt ab von der Straße nach Hebron, genau auf das Gehöft und die Stallungen zu wo Josef derzeit wohnte. Als Josef sah wer da kam, da wollte er sich spontan verstecken. Denn vorneweg vor dem kleinen Trupp schritt Hanes aus Bethlehem. Leicht erkennbar war der Scharführer an seiner phrygischen Mütze. Doch sah diese Mütze nicht so steif und sauber aus wie am Abend zuvor, sie war wohl zwischenzeitlich in den Dreck gefallen. Immerhin trug Hanes jetzt einen neuen römischen Schultermantel aus grober Wolle, der vorne sogar von einer teuren kleinen Kette zusammengehalten wurde. Auch einige seiner Raufbolde trugen jetzt so ein Sagum. Fast alle waren nun auch mit einem Pilum bewaffnet, einem gefährlichen römischen Speer wie ihn die römischen Legionäre führten. Josef wurden die Knie weich als er diese Schar sah, und er nahm sich vor sein freches Mundwerk ganz sorgsam zu bezähmen. Hanes wirkte düster und ging steifbeinig; er schien fast ein Römer geworden zu sein unter lauter Juden und Palästinern. Mit knappen Worten wies Hanes seine Gefolgsleute an die Umstehenden und Neugierigen zusammen zu treiben. Er reckte sich vor ihnen und tönte laut: „Hört mal alle her! Ihr kennt mich, ich bin der Söldnerführer Hanes der Lyder. Aber was ihr nicht wisst ist, dass ich jetzt der neue Stadthauptmann bin von Bethlehem! Die Römer haben mich dazu ernannt, damit ich hier Ordnung schaffe. Und das soll nun geschehen. Es wurde nämlich beschlossen von den Römern und euren Edelleuten, dass aus der Provinz Judäa alles jüdische und ausländische miese Pack ausgesiedelt werden soll. Das betrifft alle Tagelöhner und Bettler die hier nicht wohnen und weder Haus noch Herde haben. Schon in den nächsten Tagen geht es ab mit euch in den Norden. Ihr müsst hier am Ort bleiben bis es so weit ist, und dürft nicht mehr in die Stadt hinein...“ Da erhob sich ein Wehklagen unter den Bettlerinnen und Bettlern, aber Hanes ließ sich davon nicht beirren. „Jammert nicht, ihr mieses Bettelpack, denn ihr taugt im Leben zu wenig und habt eigentlich den Tod verdient. Doch der neue römische Statthalter Coponius zeigt sich überaus gnädig. Er hat mit dem Vierfürsten Herodes Antipas von Galiläa, und mit der gnädigen Fürstin Phasaelis vereinbart, dass alle Bettler die in Judäa zuviel sind nach Galiläa umgesiedelt werden. Und zwar werden sie dort eine neue Stadt erbauen, eine Trabantenstadt nach dem Vorbild römischer Städte. Durch ehrliche Arbeit wird man dort aus euch Bettlern, Pennern und radikalen Unruhestiftern, aus geldgeilen Geschäftemachern und krummnasigen Schwachköpfen, folgsame und treue Untertanen Roms formen. Und das Beste kommt zum Schluss meiner Rede. Eure Trabantenstadt im schönen Galiläa wird nämlich den fürstlichen Namen Tiberias erhalten. Das bedeutet dass sie dem Fürsten Tiberius gewidmet ist der, als Nachfolger des alten Augustus und als zukünftiger Prinzeps Roms, schon mehrfach zum Imperator gekrönt wurde!“ Bestürzt schwieg die Menge, nachdem Hanes nun den Kopf hoch reckte, die schmalen Lippen zusammengepresst. Josef schnaufte vor Hass, der jetzt in ihm aufstieg. Aber auch er presste die Lippen zusammen, damit ihm kein widriges Wort entwich. Er dachte bitter an die Prophezeiung der Hure Panthera, dass er bald in den Dreck umfallen würde um niemals wieder aufzustehen. Vielleicht hatte Gott ja diesen Plan der Römer bewirkt um ihn und seine Familie zu retten, als Dank für die vielen, vielen Gebete. Einer der Grobiane aus der Schar des Hanes rief nun: „Jauchzet und frohlocket nun, ihr Kinder des Israel und seiner Weiber Lea und Rahel! Denn wir Judäer sind von nun an die stolzen Untertanen Roms. Die Wölfin Roma wird von nun ab über uns herrschen, so wie sie über alle Länder der Welt herrscht! Und ihr Auserwählter ist euer König der Könige! Ruft Heil dem Cäsar Augustus und seinem Erben Tiberius! Salve Roma!“ Zögernd erklangen tatsächlich Hochrufe auf die Herrscher und ihre Wölfin. – „Hoch Ismael und Ketura und all ihren Nachkommen!“ rief frech ein Araber und sprintete davon. Als Josef merkte dass Hanes ihn mit seinen grünen Augen fixierte, da überwand er seinen dumpfen betrübten Hass, und schrie eifrig mit: „Ave Cäsar Augustus, Ave Imperator Tiberius, Ave Roma!“ Josef fand es dann heimlich verwunderlich dass die Römer mit ihrer Wölfin so mächtig geworden waren, während die Juden doch einen männlichen Gott hatten. Oder war Jahwe am Ende eine Frau?

21.

„Das ist eine römische Verschwörung, darauf wette ich! Bestimmt steckt dahinter immer noch der alte Verschwender Herodes Archelaus. Jetzt sitzt er doch in Rom, und ärgert sich maßlos darüber dass wir ihn beim Cäsar Augustus angezeigt haben. Deshalb hat er unser Land den Römern quasi geschenkt, nur um sich an uns gesetzestreuen Juden zu rächen!“ So wild ereiferte sich am frühen Abend Judas aus Gamala in der Scheune, in der Josef und Maria nun mit ihren Kindern nicht mehr allein wohnten. Denn es hatten sich bei ihnen noch andere Bettler und Herumtreiber einquartiert, gebrechliche Menschen mit dürren Hungerkindern zumeist. Sie waren aus Bethlehem vertrieben worden und hofften jetzt auf die versprochene bessere Zukunft in Galiläa. Aber die Gesichter der Armen verdüsterten sich während der Eiferer Judas nun weiter eiferte und geiferte, der Speichel spritzte ihm dabei aus dem Mund: „Diese Römer sind unerträglich hochmütig! Das wird der Gy'tt von Abraham und Isaak, von Jakob und Joseph niemals dulden! Ganz Israel muss sich erheben und dieser Tyrannei die passende Antwort geben.“ Beifall heischend blickte sich der Aufrührer Judas nun um. Aber kaum einer wagte es zustimmend zu reagieren. Auch Josef blickte sich erst mal voller Sorge um, und starrte in all die fremden Gesichter. Dann meinte er zaghaft: „Unser Problem wäre es aber dann dass wir ja, wie du sagst, möglicher Weise Verräter und Verschwörer haben in unserer Mitte. Vor Verrätern vor allem müssen wir uns hüten, denn die sind das Schlimmste was es gibt.“ – „Genau richtig! Das ist unser Problem!“ rief der kahle Judas, froh nun über jeden der ihn halbwegs unterstützte. „Und deswegen müssen wir vereint und geschlossen handeln, das sagt auch Sadduk. Wie ein Mann muss sich Israel erheben! Aufflammen müssen unsere Städte vom Zorn der Eiferer!“ – „Unsere Städte werden brennen, so wie einst Sodom und Gomorrha brannten, angezündet von den römischen Mordbrennern, wenn ihr Rebellen und Zeloten euren Zorn nicht mäßigt“, warnte da der Gaukler Kaspar mit kühler Stimme. „Denkt mal daran dass die Römer sechs bis zehn Legionen von gut bewaffneten Kämpfern hier ringsum stationiert haben, keiner von uns weiß das so genau. Und was tut ihr wenn hier fünfzigtausend grimmige und schwer bewaffnete Legionäre einmarschieren?“ – „Dann fliehen wir in die Berge oder kämpfen bis zum letzten Mann!“ wütete Judas aus Gamala, wobei er den Gaukler Kaspar wie einen Feind oder Verräter fixierte. Diese Aussichten gefielen aber den Frauen nicht, man hörte Jammern und Protestrufe. Auch viele Männer murrten und schüttelten betrübt die bärtigen Köpfe. Ein älterer Mann, der würdig wirkte in seinem hellen gestreiften Mantel, meinte bedachtsam: „Das was der Stadthauptmann Hanes uns gesagt hat hört sich doch vernünftig und gut für uns an. Wir Armen sollen Häuser bekommen in einer neuen Stadt, das ist doch nur gut für uns.“ – „Ja! So ist es!“ Viele stimmten diesen Worten zu, und auch Josef nickte eifrig, seiner eigenen körperlichen Schwäche eingedenk: „Ich hab drei Kinder, die kann ich doch nicht hier allein lassen, um wie ein Räuber in die Wildnis zu gehen!“ Judas aber senkte seinen Kopf, angriffslustig tat er wie ein Stier. „Denkt doch mal nicht wie die verweichlichten und verkommenen Römer! Ihr müsst wie die tapferen, schlauen Kinder Israels denken! Wollt ihr denn nach dem Gesetz des Mose und den Sitten eurer Vorväter in Freiheit leben? Oder wollt ihr lieber in der neuen Trabantenstadt Orgien feiern wie verdorbene Römer?“ – „Orgien! Wir wollen Orgien!“ rief Panthera dazwischen. Da lachten die Leute verärgert, und Josef schämte sich für seine Bekannte. Judas aber fuchtelte und tanzte nun drohend vor Panthera herum wie ein Plänkler vor der feindlichen Schlachtreihe. „Das könnte dir so passen, du alte Schlampe! Aber daraus dürfte nichts werden! Seid ihr denn Narren die den Römern jedes wolkige Wort glauben? So oft hat doch dieses Räubernest in Italien schon Eide und Versprechen gebrochen und sogar geschriebene Verträge nicht eingehalten! Kennt ihr nicht die Geschichte vom Ende der Lusitanier? Zäh und mutig wehrte sich einst dieses Bergvolk im Westen der iberischen Halbinsel gegen die Römer. Jahrelang konnte Rom dort mit all seiner Macht nichts ausrichten gegen ihre kleine bewaffnete Schar. Der Fürst Viritatus überredete auch andere Stämme der Iberer zu Aufständen, und wenn sie geschlagen wurden zogen sie sich zurück und formierten sich neu. Eines Tages hatten sie sogar eine ganze Legion eingeschlossen, und waren schon bereit sie zu vernichten. Doch was den Römern mit ihren Waffen nicht glückte, das erreichten sie durch ihre Treulosigkeit. Viriatus verhandelte nämlich und gewährte den Römern freien Abzug, gegen das Versprechen den Lusitaniern ihr Land und ihre Freiheit zu überlassen. Aber kaum waren die Römer wieder in Sicherheit, da brachen sie ihr Versprechen. Schon im nächsten Jahr überfielen sie erneut die Lusitanier. Der Statthalter Roms bestach drei Verräter welche Viriatus im Schlaf ermordeten!“ – „Immer diese verdammten Verräter!“ schimpfte Josef spontan, und mit überraschender Heftigkeit. Und als ihn nun alle furchtsam anblickten, da wollte er genau so eifern wie Judas aus Gamala. Doch dann blickte er auf seine Kinder und seine Frau, und der Zorn fiel von ihm ab. Fast weinerlich sagte er nun: „Die Römer sind wirklich schlimm, also sollten wir sie fürchten, mit ihrer Tücke. Da ist es wohl besser wenn wir nicht rebellieren, damit es uns nicht so geht wie diesen Lusiern.“ – „Du alter Feigling!“ zischte Judas. „Du erinnerst mich an die dreitausend Pharisäer und Eiferer, die Herodes Archelaus einst beim Passahfest im Tempel massakrieren ließ! Das war nur möglich wegen solcher Schwächlinge und Feiglinge wie du einer bist, die einfach nicht kämpfen wollten.“ – „Das war eben eine Fügung von unserem Gy'tt. Nach seinem Willen geht es uns gut oder schlecht. Und wenn uns die Fremdvölker Wohl oder Wehe tun, dann doch nur weil unser Herr es so gefügt hat! Wir müssen Gy'tt allein die Ehre geben und die Gebote halten. Aber jeder der sich hier dem Willen von Adonai widersetzt und seine Gebote missachtet, der beschwört das Unheil vom Himmel auf uns herab, und wird zum Verräter an seinem Volk.“ Machtvoll und doch gemäßigt sprach Josef nun, und kam sich selbst völlig weise vor. Seine Blicke suchten seinen Sohn Judas, strafend wollte er ihn fixieren. Der Junge jedoch achtete gar nicht auf seinen Vater. Judas hüpfte gerade schwungvoll über die Schwelle der seitlichen Scheunentür und wieder zurück. Und dabei teilte er aufgeregt mit: „Die Leute aus der Stadt kommen zurück vom Begräbnis. Und Hanes, ihr neuer Hauptmann, kommt genau hierher!“

22.

Nun zog sich Judas aus Gamala rasch eine Kappe über den blanken Schädel und verschwand in den dunklen Stall hinein. Auch die drei Gaukler kamen mühsam auf die Füße. Aber während sie noch überlegten ob sie sich verziehen sollten, da stand Hanes schon im Scheunentor, und schien es mit seinem mächtigen Schatten fast versperren zu wollen. „Na!“ meinte er nicht unfreundlich, so wie einer der sein schwieriges Tagwerk schon zur eigenen Zufriedenheit erledigt hat. Dann aber wurde er ernst, und fragte: „Gibt es hier eine Jungfrau Maria?“ – „Da vorne sitzt sie!“ riefen gleich einige Mädchen, die Hanes gefolgt waren. – „Ah gut! Gegen dich liegt eine Anklage vor!“ meinte Hanes, während er mit festen Schritten die dunkle Scheune durchmaß. Josef wurden die Knie weich, denn er konnte sich ja schon vorstellen worum es sich bei der Anklage handelte. Er sah wie die Gaukler sich entfernten, und jetzt überlegte er auch ob er nicht lieber sein Heil in der Flucht suchen sollte. Denn er hatte gehört wie grausam neuerdings umgegangen wurde mit allen möglichen Übeltätern. Folter und Grausamkeit waren in Israel selten üblich gewesen, dafür hatte der gute Gott gesorgt. Schlimm wie bei den Syrern ging es aber jetzt in den Gefängnissen Judäas zu. Verschwenderischer Luxus und übertriebene Sparsamkeit, unerklärliche Milde gegenüber schlimmsten Schurken ebenso wie furchtbare Grausamkeit gegenüber respektablen Bürgern, diese Gegensätze waren typisch für die Unkultur im römischen Reich... Man trug nun eine Laterne in die Scheune. Deren Lichtschein wurde von den hellen Gesichtern der Menschen ringsum reflektiert. Wie betäubt schaute Josef von ferne zu, während Hanes seiner Maria ins Gesicht leuchtete, die mit dem Jesus-Knaben im Schoß mürrisch da saß. – „Diese war es! Sie nahm von dem Geld das nur für die Jungfrauen geschmissen wurde. Ich erkannte sie wieder, und, sie war sonst eine Bettlerin mit drei Kindern.“ So klagte ein Mädchen aus Bethlehem die Maria an. – „Ah gut. Bist du also noch Jungfrau, Maria?“ Da lachten viele in der Scheune. Maria musste auch bitter lachen. „Josef!“ rief sie dann fordernd. Und als sich alle Blicke gespannt auf Josef richteten, da war es sein Glaube an das jüdische Gesetz, der Marias Gemahl die Kraft verlieh nun seiner Frau beizustehen. „Frauen sind eben schwach im Kopf, und sündhaft vom Kopf an abwärts“, erklärte Josef mit zittriger Stimme dem neuen Stadthauptmann, als eine Art von Entschuldigung. – „So ist diese Maria also gar keine Jungfrau? Dann soll sie gleich mitkommen in den Stadtkerker. Wir haben dort sogar eine echte Henkerin für die Frauen“, erklärte Hanes frohgemut, während er sich schon zu seinen Gefolgsleuten wandte. – „Mama!“ rief Judas jetzt entsetzt. – „Nein Herr bitte!“ jammerte Maria. „Ich tat es für meinen Sohn! Der Herr hat an mir durch meinem Sohn ein Wunder getan.“ Unwillig wandte sich Hanes noch einmal Maria zu, und fragte dann Josef. „Was redet sie da?“ – „Herr sie spricht die Wahrheit! Ich hörte es auch von Jesus. Jesus ist nämlich, ähm, der Heilige Gy'ttes, also ähm, der Jessias, der heilige König Azrael, ähm, also... Wir erwarten gerade den Propheten der ihn zum König salben wird, jetzt wo Fürst Herodes Archelaus abgesetzt wurde.“ Josef wischte sich feuchten Schweiß von der gefurchten Stirn. Hanes stutzte, während die Menge ringsum zögernd und ungläubig lachte. – „So ein Kleinkind soll unser neuer König werden? Das ist ja eine tolldreiste Idee! Wie alt ist er denn, dein Sohn?“ fragte Hanes dann Josef. – „Jesus ist, ähm, gerade zwei Jahre alt.“ Josef musste lange überlegen, denn er spürte den geheimen Hintersinn der Frage: Ist das dein Sohn? Er wollte Maria jetzt nicht als Lügnerin bloß stellen. Zögernd begann er zu erklären: „Aber wie kann ein Mann denn je wissen ob ein Kind sein eigenes Fleisch und Blut ist? Herr, ich bin schwach an den Gliedern, das hat auch diese weise Frau aus dem Palast von Jericho festgestellt.“ Er zeigte auf Panthera, die mit düsterer Miene in der Nähe saß. „Ich hatte schon daran gedacht Maria heimlich zu verlassen. Als ich die Kraft meines Körpers verlor, da fing mein Eheweib nämlich an mich zu hauen, und sie wurde ungehorsam!“ Das stimmte sogar. Josef hatte nach seiner Arbeitsunfähigkeit bisweilen den Gedanken erwogen ein Nasoräer zu werden, also ein wilder Mann und Bettelmönch. Doch hatten ihn sein Gewissen und seine Liebe zu seinen Kindern immer davon abgebracht. All diese Gedanken legten sich nun ablenkend auf seinen Sinn, während Hanes ihn und Maria streng fixierte. – „Es ist wahr, was Josef sagt!“ rief Panthera unvermittelt. „Diese drei Kinder von Maria, die sind in Wahrheit meine eigenen Kinder. Ich hab sie nämlich heimlich bekommen und dann dieser Familie hier zur Pflege gegeben.“ – „Ach so. Ach ja?“ murmelte Hanes verblüfft. Da staunte auch die ganze Zuhörerschaft. Josef sah dass seine Frau nervös herum rutschte und kaum noch sitzen konnte. Maria schwieg jedoch, und blinzelte nur ein Tränchen fort als Hanes ihr ins Gesicht leuchtete. Nun schaute sich der Stadthauptmann um nach Judas, der in der Nähe nervös herum sprang und zappelte. „Du da, kleiner Mann, komm einmal her. Wer ist deine Mutter, Maria hier oder jene laute Fremde da?“ – „Ich bin kein Hurensohn!“ eiferte Judas mit verärgertem Gesicht. Da wurde Josef spontan wütend, und er schimpfte laut: „Judas, du Verräter! Verräter sind das Schlimmste was es gibt! Und das kommt nur davon dass du nicht alle Gebote des Herrn genau beachtest! Ein Abgefallener vom Glauben ist mein Sohn geworden und ein Sünder!“ Josef reckte die Hände zum Scheunendach und sprach jammernd ein Stoßgebet, nach den Psalmen: „Wahrlich, sie heulen wie die Hunde, und aus ihren Mündern sprudelt Böses! Oh Jahwe Sabaoth, Vater der Heerscharen, ja El Schaddai, du Herr und Räuber, komm uns zu Hilfe mit deinen Gräueltaten, um jegliche Heiden vom Erdboden zu vertilgen, und verschone auch keinen Verräter!“

23.

Judas zuckte zusammen und verkniff das Gesicht noch fester. Dann schlich er davon, er versteckte sich hinter Heuballen, so wie er das manchmal tat. Jesus quäkte: „Verräter!“ Wiederum brandete Gelächter auf in der Menge der Neugierigen. – „Jesus mag klein und dumm sein, aber dass Judas ein Verräter ist das hat er begriffen“, meinte Josef stolz zu Maria. – „Du verdirbst unsere Kinder völlig mit deinem Schwachsinn“, fauchte sie leise. Hanes wollte sich nun Panthera zuwenden, doch die war rasch im Dunkel der Scheune verschwunden. – „Herr Stadthauptmann, hier liegt das Geld! Maria soll es uns Jungfrauen geben“, erklärte ein Mädchen aus der Scheune. Sie hob das Tuch das auf dem Boden lag, und enthüllte so Marias siebzehn Münzen, die immer noch wie ein Stern mit acht Strahlen geordnet waren. – „Siehst du, Astartes Stern hat dir kein Glück gebracht“, schimpfte nun Josef. „Du Heidin, wegen dir ist doch Judas so missraten!“ Maria schaute trotzig bis demütig. Hanes bückte sich tief und wollte nach den Münzen greifen. Doch plötzlich seufzte er laut auf vor Schmerzen, und führte die Linke an den unteren Rücken. „Mein Kreuz!“ flüsterte er gepresst. Der Stadthauptmann richtete sich wieder auf und zog sich fahrig die kecke Mütze vom Kopf. Josef sah nun dass Hanes vorn lichte Haare hatte und dahinter eine Platte. – „Sag an Galiläer, Ischtars Stern siehst du darin, in diesem Muster auf dem Boden?“ Dies fragte der Stadthauptmann den Josef, mit plötzlicher religiöser Beunruhigung in der Stimme. – „Meine dumme Frau ist eine halbe Heidin, Herr, vergebt ihr. Marias Mutter Anna hatte weiland noch für das Gräuel Adonis grüne Kräuter in Scherben gepflanzt. Und wenn der Scherben-Garten verwelkt war dann hat sie den Tod des grünen Gottes beweint, diese dumme Heidin.“ – „Sei still!“ zischte Maria da. Sie hob die Faust um Josef zu schlagen, bevor sie sich besann. – „Ich verstehe“, murmelte Hanes, seltsam berührt. Er rieb sich den Rücken mit seiner Wollmütze, und erläuterte unterdessen: „Bei uns in Bethlehem gibt es etliche die derzeit besorgt sind wegen Ischtar und ihrem Liebsten Adonis. Es heißt, die Göttin der Liebe sei in der Unterwelt, und noch nicht mit Adonis zurückgekehrt, so wie es sonst geschieht im Herbst. Das soll der Grund dafür sein warum es in diesem Winter im ganzen Hochland hier noch nicht richtig geregnet hat, so wie es ansonsten regnet.“ – „Das kommt weil der König Herodes Archelaus nicht mehr hier ist. Ohne ihn gedeiht Israel nicht“, meinte ein alter Bettler. – „Herr Hauptmann, das ist heidnischer Unfug!“ Josef wollte eifrig predigen gegen diesen Aberglauben, aber statt dessen sagte er weichlich: „Wir haben außerdem schon einen neuen König. Mein, ähm, dieser Jesus hier tat eine Prophezeiung die sich erfüllt hat. Er war es der uns vorhersagte dass es Geld regnen würde.“ Hanes trat verlegen von einem Bein aufs andere, während er seitlich auf den Stern aus blinkenden Münzen schaute. Es war plötzlich der Gaukler Melchior welcher das Wort ergriff: „Stadthauptmann Hanes!“ rief er munter, während er in den Lichtkreis von dessen Lampe trat. „Vielleicht kann ich diesen Fall etwas erleuchten.“ – „Also sprich, du Hampelmann“, meinte Hanes, der Melchior offenbar wieder erkannte. Der Gaukler erzählte dann die seltsame Legende von der römischen Ehrenjungfrau Rhea Silvia: „Rhea Silvia war der Heidengöttin Vesta als Dienerin geweiht worden. Sie sollte ihr Leben lang eine Jungfrau bleiben. Aber plötzlich war die Rhea schwanger, wie das den Jungfrauen eben so passiert. Rhea gebar Zwillinge, nämlich Romulus und Remus. Das war aber ein großes Verbrechen, das im alten Rom mit dem Tod bestraft wurde! Nun war es aber so dass Rhea Silvia die Tochter war des Königs Numitor, der damals Rom regierte. Sie hatte also mächtige Beschützer. Deswegen wohl hieß es sie sei vergewaltigt worden, und zwar vom Kriegsgott Mars selbst! Weil aber ein Gott hinter dieser Sache steckte, also quasi in Rhea drin steckte, deswegen wurde sie nicht hingerichtet, wie es vorgeschrieben war nach dem Gesetz. Sondern die Römer taten so als ob sie immer noch Jungfrau wäre. Rhea Silvia wurde also begnadigt, und musste nur gefesselt in den Kerker.“ Melchior lächelte herzig: „Rhea war keine Jungfrau mehr, dennoch tat man so als ob sie noch eine wäre. Man nennt so etwas eine rechtliche Fiktion.“ – „Diese seltsame Geschichte hörte ich auch mal“, erinnerte sich Hanes Lydius. Dann entschied er, mit plötzlich seltsam weicher Stimme: „Dieser Fall hier ist doch schwieriger als gedacht, denn er betrifft die Religion. Dafür bin ich nicht zuständig. Einer von euren Pharisäern oder Philistern oder Palästinern soll sich darum kümmern. Macht das unter euch Judäern aus wer dieses Geld kriegen soll.“ Maria blinzelte und verdrückte Tränen der Aufregung. Melchior erzählte unterdessen lebhaft die alte Geschichte weiter: „Romulus wurde übrigens von einer Wölfin aufgezogen, der Wölfin Roma, auf die alle Römer schwören. Aber manche meinen dass die Wölfin nur eine Schlampe war namens Larentia, und dass Romulus in Wahrheit ihr Sohn war. Romulus ist später der erste König Roms geworden, und in einem Sturm ist er in den Himmel hinauf gefahren. Romulus war so beliebt dass später die Römer beschlossen sich nie wieder einen König zu wählen. Aber manche meinen dass die Senatoren damals diesen Schurken umgebracht haben, der durch ein Verhängnis ihr König geworden war...“ – Josef unterbrach den Erzähler: „Man hätte die Jungfrau Reha töten müssen! Ein Gesetz muss doch genau beachtet werden, nicht wahr?“ – „Kannst du bitte mal still sein?“ zischte Maria. – „Maria ist auch eine Schlampe!“ schimpfte ein ärmlicher Hirte. – „Wenn Maria eine Schlampe ist, dann bin ich kein weiser König aus dem Morgenland, sondern nur ein armer Palästiner!“ erklärte Melchior ihm treuherzig. Da kam verhaltenes Gelächter auf ringsum.

24.

Rasch legte sich nun die Finsternis der Nacht über die Scheune. Josef war sehr dankbar dafür. Mit Maria und seinen Kindern hockte er betrübt auf dem Boden, während ringsum über sie gelästert und gekichert wurde. Abermals kamen einige Frauen um Maria zur Rede zu stellen. Doch diese schwieg nur beharrlich, und bestand darauf: „Der Herr hat an mir ein Wunder getan.“ Josef aber war vor allem zornig auf Judas, und als sein Sohn sich schließlich zum Abendbrot einfand, da mahnte Josef ihn: „Wegen deiner Unbotmäßigkeit könnte Gy'tt der Herr uns noch einmal schlimm bestrafen.“ Judas knurrte, aber er redete jetzt weniger frech als sonst: „Ich hab nur nicht gelogen. Ich hab es im Tempel versprochen nicht zu lügen, es gehört zu meinem Mitzvot.“ – „Das ist gut, mein Junge, aber der Herr nimmt es doch auch mit der Wahrheit nicht genau“, erwiderte Josef mit weicher Stimme. – „Aber Papa! Du sollst nicht lügen! Das steht so wörtlich in den Zehn Geboten. Und Judas hat nicht gelogen, und das war doch richtig, oder?“ fragte da Assia entsetzt. – „Sei still, Assia!“ befahl Maria streng. „Mädchen sind dumm und müssen immer still sein. Das hat mir meine Mutter Anna immer beigebracht.“ Josef aber meinte mit schwächlicher Stimme: „Es steht ja nur geschrieben im neunten Gebot: Du sollst kein falsches Zeugnis ablegen gegen deinen Nächsten – aber das gilt nur vor einem Gericht, und nicht grundsätzlich, ähm, versteht ihr das, Kinder?“ – „Der König Melchior meint: Die Gebote sind sowieso Unsinn. Die sind nur was für die Dummen, für solche jüdischen Esel wie uns“, grummelte da Judas. – „Der schlimme Schelm Melchior, ich hör wohl nicht recht!“ So ereiferte sich Josef nun, der Kopf wurde ihm heiß von seinem Wutausbruch. „Dieser dunkle Palästiner soll lieber den Mund halten.“ – „Er ist aber ein echter König!“ widersprach da Judas mit matter Stimme. „Das kann der andere König bezeugen, der Kaspar. Denn der hat ja sogar einen goldenen Kranz, wie ihn eben Könige haben...“ – „Der andere Schelm ist auch kein echter König“, ereiferte sich Josef. „Der hat sich ja gleich verdrückt als die braven Stadtknechte hier herein kamen, und sicherlich aus einem schlimmen Grund. Ich würde wetten, den sehen wir nie wieder...“ – „Wir sind ja schon wieder da!“ rief Kaspar fröhlich. Er trug nun eine kleine Öllampe in der Hand, was in der Scheune wegen der Brandgefahr als riskant galt. Erstaunt erkannte Josef dass Kaspar und Balthasar in der Zwischenzeit ein Zelt organisiert hatten. Es war ein spitzes kleines Reisezelt, sie stellten es an der Scheunentür auf. – „Ich habe mir auch noch ein Dromedar geleistet, ein Wüstenschiff. Wir sind jetzt unterwegs nach Ägypten, und eine Schiffsreise können wir uns nicht leisten“, erklärte Kaspar munter. – „Aber erst wollen wir noch eine kleine Feier feiern, nach der Sitte der Magier“, meinte Melchior herzig, an Josefs Sohn Judas gewandt. „Und du bist auch dazu eingeladen, lieber kleiner Freund!“ – „Wieso ich denn?“ murmelte dieser verblüfft. Josef stellte klar: „Wir bezahlen aber nichts.“ – „Nicht doch, wir wollen deinem Sohn nur etwas Magie beibringen!“ Der fast glatt rasierte Melchior war jetzt die Freundlichkeit selbst, als er Josef erklärte: „Wir sind ja Magier und Chaldäer und Sintier noch dazu, in allen Künsten des Morgenlandes sind wir erfahren, vor allem in den griechischen. Wir können Monde vom Himmel herab ziehen und beliebige Geister herbei rufen! Und es soll dir sogar noch einen Gewinn einbringen, wenn du mir den Knaben überlässt, Josef.“ – „Nein, nein, nicht für solche heidnische Zauberei. So etwas ist gegen unser Gesetz und darf hier nicht geschehen“, wehrte Josef standhaft ab. – „Behalt deine schlimmen Finger mal bei dir, alter Melchior“, meinte nun Balthasar, der diese Reden auch nicht gerne hörte. Melchior reagierte darauf zickig, und es gab einen kleinen Streit unter den drei Gauklern, bevor sie sich gemeinsam in ihr neues spitzes Zelt zurück zogen. Josef aber legte sich zu seiner Frau Maria ins Stroh. Überrascht stellte er fest dass sie leise weinte. Sie flüsterte: „Glaubst du wirklich dass Propheten noch kommen werden um Jesus zum Messias zu salben?“ – „So wie David gesalbt wurde vom Propheten Samuel!“ versicherte ihr Josef begütigend, und wie üblich ohne seinen Verstand zu benutzen. – „Aber diese falschen heiligen Könige scheinen nichts von ihm zu halten.“ – „Die wissen doch nicht Bescheid. Das sind doch nur Sterndeuter und Schauspieler.“ So wie oft kam Josef sogleich eine Stelle aus den heiligen Schriften in den Sinn, die sich genau auf seine konkrete Situation zu beziehen schien. Er erzählte Maria eine wenig beliebte Geschichte aus dem zweiten Buch der Chronik, Kapitel 36: „Zur Zeit des Königs Nebukadnezar von Babylonien regierten mehrere Könige über Israel. Aber sie taten nicht was dem Herrn gefiel. Der Herr schickte ihnen Boten und Propheten, so wie den Jeremias, um sie zu ermahnen. Aber die Kinder Israels hörten nicht auf zu sündigen... und sie verlachten seine Propheten... bis der Zorn des Herrn so erhaben wurde dass er unheilbar wurde... Da ließ er den König der Chaldäer gegen sie herauf kommen... der tötete die Schar ihrer jungen Leute mit dem Schwert, im Haus des Tempels... er verschonte weder Jünglinge noch Jungfrauen...“ – „Ich bin keine Jungfrau mehr!“ rief Maria da erschrocken. – „Das weiß ich doch“, beruhigte sie Josef schmunzelnd. – „Aber glaubst du dass der Herr den König der Chaldäer zu uns geschickt hat um uns zu bestrafen, weil ich eine Lügnerin bin, und du ein alter Esel?“ – „Wer weiß schon was der Herr sich immer so denkt?“ erwiderte da Josef grummelnd. „Wenn sein Zorn richtig hoch kocht da oben, dann geht jedenfalls hier alles zu Ende.“

25.

Josef schlief bald ein und wachte bald wieder auf. Jetzt tat ihm der Kopf noch mehr weh, und er fühlte sich unrein. Am letzten Neumond hatte er sich gereinigt, aber das war schon wieder einige Tage her. Ächzend richtete er sich auf, sehr vorsichtig um Maria nicht zu wecken, die unruhig in seinen Armen schlummerte, mit dem Jesuskind im Schoß und Assia an ihrer Seite. – „Judas? Judas, mein Sohn?“ flüsterte Josef in die stockfinstere Nacht hinein, voller unklarer Befürchtungen. Als sein Erstgeborener nicht antwortete stand er auf. Er sah dass aus dem Zelt, das nun in der Scheune stand, ein schwacher Lichtschein drang. „Judas?“ fragte er leise, während er sich dem spitzen Zelt vorsichtig näherte. Er hörte wie drinnen die drei Gaukler amüsiert plauderten. Auch roch er jetzt einen süßlichen Rauch der aus dem Zelt aufstieg. Als er kurz in das Zelt schaute erschrak er fast über den heißen blauen Dunst der darin wogte. Nur undeutlich erkannte Josef dass die drei Gaukler sich halb nackt ausgezogen hatten und bequem auf dem Stroh hockten. Seitlich über ihnen hing ein rauchendes Gefäß, eine Duftampel aus Metall, an einem Draht. – „Hi hi hii!“ kicherte Kaspar jetzt, „der alte Josef! Komm alter Mann, zieh dir auch die Nase voll mit Weihrauch. Der haut dich um bis dass du nicht mehr aufstehen kannst.“ – „Ich steh lieber meinen Mann“, meinte Josef kritisch und halb entsetzt, weil er an Pantheras Prophezeiung dachte: Bald fällst du um und stehst nie mehr auf. Josef ließ die drei berauschten Gaukler allein und tapste durch die Dunkelheit zurück zu Maria und den Kindern. Jetzt identifizierte er auch Judas unter den Schlafenden die in der Nähe lagen, was ihn sehr erleichterte. – „Was machen die drei da drin? Sind das Hunde?“ fragte ihn Maria leise, als er sie wieder in den Arm nahm. „Nein, sie liegen nur nackt auf dem Boden, so wie einst König Saul es tat als ihn der prophetische Geist überkam. Sie sagten ja auch dass sie weissagen wollten.“ – „Ah“, meinte Maria düster. Und nach einer Weile flüsterte sie weinerlich: „Dann frag sie doch noch mal nach Jesus, wenn sie jetzt gerade Propheten sind.“ – „Ach, diese Gaukler und Chaldäer, die wissen doch nichts!“ meinte Josef mit dem Hochmut eines gläubigen Juden. Er rief sich und seiner Frau in Erinnerung dass in Israel schon seit vielen Jahren keine echten Propheten mehr aufgetreten waren. Gott schien mit den Juden am Ende zu sein. Josef begann leise zu predigen, das was ihm gerade in den Sinn kam, um seine arg deprimierte und ängstliche Frau zu trösten: „Denk doch nur daran was uns der Gy'tt durch die Propheten Israels früher schon alles Gutes verheißen hat. Darauf können wir uns doch verlassen wie auf die starken Felsen, mit denen die Herodianer derzeit den neuen Seehafen Israels erbauen lassen, das stolze Cäsarea. Es erfüllt sich doch jetzt all jenes was der babylonische Prophet Bileam uns einst prophezeit hat...“ Josef sammelte sich um die berühmte Rede Bileams an die Hebräer zu zitieren, es war das erste Bibelzitat das er auswendig gelernt hatte: „Oh glückliches Volk, dem Gott unermesslichen Reichtum verliehen hat, und dem er in allen Angelegenheiten seine Lenkung und Hilfe zugesichert hat. Sicher gibt es auf der Erde kein anderes Volk das euch an Tugend und Eifer für alles Gute und Ehrbare gleichsteht oder auch nur nahe kommt! Denn Gott ist euch allein gnädig unter all den Menschen! Er gewährt euch Gaben mit vollen Händen! Deshalb seid ihr die Glücklichsten von allen Kreaturen auf welche die Sonne scheint... Aua!“ Jakob war mehr erschrocken als verärgert als Maria ihm jetzt wütend einen Hieb auf die Schulter versetzte. „Willst du mich noch verhöhnen in meiner Not?“ fauchte sie. – „Was denn?!“ fragte Jakob entsetzt. – „Ich hatte grad eine Eingebung! Morgen werden sie kommen und mich als Lügnerin überführen, und als Hure. Und dann muss ich in den Kerker, zur Henkerin von Bethlehem. Überleg dir schon mal wie du dann diese drei Kinder allein durchbringen willst.“ Maria heulte leise los. Josef wollte sie trösten, und musste doch bestürzt feststellen dass seine Frau mit ihren Ideen der harten Realität viel näher kam als er mit seinem biblischen Gefasel aus uralten Zeiten. „Bileam war ja schließlich auch nur so ein Heide, Magier und Chaldäer, einer der nicht zum Volk Israels zählte“, meinte Josef schließlich, aber mehr um sich selbst zu beruhigen als um seine Frau zu trösten. – „Seid endlich still ihr verdorbenes Pack!“ rief einer, nachdem Josef gerade verstummt war und sich wieder hinlegte.
Wegen dieser Anfeindung konnte Josef nicht mehr schlafen. Hass stieg in ihm auf, Hass auf diesen oder jenen Feind, auf irgendwelche Leute die ihm irgendwann mal in die Quere gekommen waren, und sei es vor vielen Jahren. Seine Frau hatte ihn angesteckt mit ihrer weibischen Furcht. Um sich moralisch zu festigen rief er sich immer wieder ins Gedächtnis wie viele Nöte David hatte aushalten müssen bevor er König geworden war anstelle von Saul. Hatte nicht König Saul dem David immer wieder das Leben nehmen wollen? Es kamen ihm nun merkwürdige neue Gedanken in den Sinn, die nicht seine eigenen zu sein schienen; denn sie waren schlau, wie er spontan fand. Hatte nicht König Saul einst den Rat eines Propheten bitter nötig gehabt, als nämlich die Hethiter und Palästiner gegen sein Reich vorgerückt waren? Der Prophet Samuel war damals überraschend verstorben. Es hatte dem geistig gestörten König Saul missfallen dass Samuel den David heimlich zu seinem Nachfolger gesalbt hatte. Und Saul war nicht König geworden weil er mit politischen Gegnern milde umging. In der militärischen Krise jedoch reute den König vieles. Auch Samuels Rat vermisste König Saul jetzt, denn ein neuer Prophet oder Richter trat nicht auf in seinem kleinen Reich. Genau das hatte Saul ja verhindern wollen. Deshalb hatte er alle Seher, Hexen und Propheten außer Landes verbannt oder umbringen lassen. In der Not jedoch änderte Saul plötzlich seinen Sinn. In Verkleidung reiste der König zur berüchtigten Hexe von Endor. Diese Hexe galt als mächtige Totenbeschwörerin, und sie rief für König Saul den Propheten Samuel als untoten Geist aus dem Totenreich zurück! Und da kam Josef wie ein Blitz die Eingebung zu: Der tote Samuel könnte mir vielleicht jetzt weiterhelfen!

26.

Als Josef so weit gekommen war mit seinen Gedanken, da hielt es ihn nicht mehr auf dem Boden, so nervös war er jetzt geworden! Zittrig kroch er auf die Beine, und überlegte dabei leise flüsternd: „So was geht also prima, dass man tote Propheten noch mal befragt, wenn gerade keine lebenden Propheten auftreten. Und Samuel hat ja schon den David zum Judenkönig gesalbt. Wenn aber diese drei Chaldäer...“ Er zögerte bevor er weiter vor sich hin redete: „...Tote beschwören können, dann hat sie mir doch der Herr gesandt! Dann können sie doch Samuels Geist befragen, ob der denn auch meinen Sohn Jesus zum heiligen König auserwählen würde...“ Er verstummte, weil er sich doch arg unsicher war ob denn so etwas nach dem jüdischen Gesetz erlaubt war. Aber so eine Zweifelsfrage wie diese konnten wohl auch die ewig streitsüchtigen Schriftgelehrten nicht ohne viele Streitereien beantworten. Josef lauschte, während er vorsichtig durch die dunkle Scheune tapste. In den Ställen hatten Reisende ihre Tiere untergestellt, es wurde auch hier und dort noch erzählt, denn die Nacht war noch jung. Manchmal muhte eine Kuh. Irgend jemand pupste laut. Die drei Gaukler brabbelten und murmelten träge in ihrem Zelt, Josef hörte es als er sich anschlich wie ein Dieb. Erneut öffnete er die kleine Spalte in der Zeltwand und sog zögernd den süßlichen Geruch des Rauchs in sich auf. – „Aaah!“ murmelte Kaspar benommen. Josef sah dass in dem Zelt gar kein Platz mehr war für ihn. Also hockte er sich auf Hände und Knie, und steckte nur den Oberkörper hinein in das Zelt. „Ihr Herren, könnt ihr für mich mal eben den Geist des toten Propheten Samuel herauf beschwören?“ Da niemand antwortete, erklärte er weiter: „Samuel kennt ihr vielleicht nicht. Das ist einer von unseren wichtigsten Propheten. Er war es der nach Gy'ttes Willen das Reich Israels quasi gründete, dieses Reich das der ganzen Welt ein Vorbild werden sollte, ein Vorbild an Tugendhaftigkeit und Eifer für alles was gut und ehrbar ist...“ – „Wir kennen Samuel“, meinte Kaspar matt. Und er goss mit einem Silberlöffel noch ein paar kleine Samenkörner in die rauchende Ampel. – „Schau mal, sehen wir aus wie unbeschnittene Heiden? Hä, hä, hä.“ Melchior zeigte Josef nun sein beschnittenes und etwas steifes Glied. – „Ich dachte ihr wärt echte Chaldäer“, murmelte Josef zu Kaspar, etwas enttäuscht. – „Wir sind allesamt Judäer, das ist viel besser. Wir sind die Könige der Zauberer. Aber still jetzt, du Gemahl einer Jungfrau! Zieh dir die Nase voll mit dem Duft der Hanfsamen, damit du andächtig wirst. Nur dann kann der Zauber klappen.“ – „Tu noch was Myrrhe rein, damit es strenger riecht“, riet Melchior dem Kaspar. Unterdessen fragte Balthasar den Josef: „Kannst du uns Chaldäer denn auch bezahlen?“ – „Nein“, murrte Josef. Aber während er den Haschisch-Rauch tief in sich einsog erweichte sich sein strenger Sinn, und sein Geist geriet in Träumereien hinein. „Ich bezahl euch mit dem restlichen Geld meiner Frau, wenn ihr Erfolg habt“, gelobte er spontan. „Das Geld ist morgen sowieso weg, so wie es aussieht. Aber weil mein Jesus doch der Messias ist, deshalb gehören uns bald alle Reichtümer der Welt!“ – „Der Handel gilt“, meinte Balthasar, nun mit plötzlicher serviler Freundlichkeit. Hände wurden eingeschlagen, Josef merkte dabei erstaunt dass ihm sein Geist trübe und seine Glieder schwer geworden waren. Melchior machte ihm freundlich Platz, er verschwand nach draußen. Josef hockte sich so halb auf Melchiors Platz, und geriet jetzt in einen aufgeregten, benebelten Zustand hinein. Währenddessen murmelte Kaspar unfroh und fast ängstlich, es klang wie ein übles Gebet: „Samuel! Shamash! Samael! Semchasai! Herr der verlorenen Engel und der toten Geister, wir rufen dich! Mit der Macht der Pistis Sophia Aachamoth beschwören wir dich!“ Sogleich schien sich ein Zwang auf die Männer im Zelt zu legen. Eine Macht kam nun auch über Josef die ihm das Herz einzuschnüren schien, das ihm dumpf und laut in der Brust pochte. Josef keuchte erschrocken auf und fragte die Gaukler ängstlich: „Samael ist doch der Belial, er ist also ein teuflischer Nichtsnutz. Darf man denn den König beschwören von allen bösen Geistern?“ – „Du wolltest doch den Samuel, und Samael ist fast derselbe“, murmelte Kaspar bekifft. – „Bei uns ist immer der Kunde König“, erklärte ihm Balthasar servil. Josef wollte weiter reden, aber er erstarrte als über ihm für einen Moment ein furchtbares Gesicht im Nebel erschien. Es sah aus wie die gelbe dämonische Maske eines Löwen. – „Zurvan Akarana ist das, der oberste Löwengott des Himmels“, erklärte ihm Melchior dazu, mit verstellter Geisterstimme. – „Das ist der welcher den Propheten Daniel gefressen hat“, merkte Balthasar an, mit einer gewissen Häme. Er zog nun ein Amulett aus der Tasche und legte es auf den Boden. „Es gibt ihm Himmel zahlreiche Löwendämonen, aber sie alle sind eurem Judengott an Macht unterlegen. Das ist ein Bild von Jhwh, also dem Judengott mit den vier Buchstaben. Die Gnostiker nennen ihn Jao, denn sie können Gottes Namen nicht richtig ausschreiben, besser gesagt, sie wagen es nicht.“ Josef stutzte, denn dieses Ritual wurde ihm immer unheimlicher. Wer wurde denn hier beschworen, der Judengott Jhwh mit den vier Buchstaben etwa, den furchtsame Hellenen lieber Tetragrammaton, also Vierbuchstabiger nannten, oder doch eher der oberste Teufel Samael? Er sah dass Kaspar nun das Ton-Amulett fixierte, er war kaum zu erkennen im fahlen Licht der Duftampel. Als Josef sich weiter nach vorne beugte sah er dass das Amulett auf dem Boden ein echtes Götzenbild zeigte, und zwar eine Chimäre, ein Monster mit tierischen und menschlichen Körperteilen! – „Das ist doch ein Bildwerk, ja wahrlich, ein echtes Götzenbild!“ rief er erschrocken. „So etwas ist uns Juden ein Gräuel!“ – „Nein, das ist ganz in Ordnung aus jüdischer Sicht“, widersprach jedoch Balthasar trocken. „Das ist nur ein Bild vom Judengott Jahwe, den die gnostischen Ägypter Jao nennen. Andererseits aber ist es gerade kein Bild von Jahwe, denn es zeigt einen Mann mit dem Kopf eines Hahns und zwei Schlangenfüßen. Und so sieht Jahwe doch nicht in Wirklichkeit aus, das weiß doch jeder der kein Dummkopf ist.“ – „Ja genau“, murmelte Josef nun nur. Denn er wusste nicht wie Jhwh wirklich aussah, aber er wollte hier nicht als Dummkopf gelten.

27.

Kaspar sagte währenddessen, mit deutlich beklommenen Stimme: „Fürst Samael, wir beschwören dich mit dem ägyptischen gnostischen Amulett des Jao, welcher immer noch dein oberster Herr ist. Du musst uns gehorchen und erscheinen, mit allen abgefallenen Engeln die dir dienen. Sage uns, willst du den Jesus bar Josef zum König Israels salben?“ – „Jesu Vater soll zuerst gesalbt werden“, meinte daraufhin die verstellte Stimme von außerhalb des Zelts. Josef erstarrte als er diese Worte hörte. Sollte das etwas heißen dass er jetzt selbst der heilige König Israels werden würde, und sei es als Regent für seinen unmündigen Sohn? Freude stieg in ihm auf, doch sofort peinigten ihn heftige Zweifel, und das üble Gefühl dass er in eine Art Falle tappte. „Herr ich bin nicht würdig!“ murmelte Josef. Während er schwitzend überlegte und Rauch einatmete, da spürte er wie jemand von hinten sein Gewand hob und dann sein Gesäß salbte. – „He, was machst du da?“ Er wollte sich umdrehen und konnte es doch nicht gut, weil er benebelt war und sich mit den Händen abstützte. Melchior erklärte ihm sanft von hinten: „Das Ritual der Salbung gehört mit dazu wenn einer König werden will.“ – „Ja, ich weiß, aber... Moment mal, das geht so nicht!“ Josef bewegte seinen Hintern jetzt angstvoll, als er spürte dass jemand versuchte anal in ihn einzudringen. War das dieser schmierige Melchior der das tat? – „Dies entspricht nicht der Thora“, brabbelte Josef empört. „Wenn ein König gesalbt wird, dann von vorn und und nicht von hinten.“ – „Ja, aber du bist doch noch gar nicht der König! Der Messias ist noch dein oberster König!“ erklärte ihm Kaspar kichernd. Auch Balthasar lachte nun und erläuterte: „Die Geister und Dämonen arbeiten auch nicht für lau. Denen muss auch geopfert werden. Du bist jetzt das erwählte Opfer für den Geist des Samuel.“ – „Davon steht nichts in den Büchern der Propheten!“ beharrte Josef, der seine Pobacken fest zusammen kniff. – „Doch!“ meinte Melchior jedoch von hinten, mit verstellter tiefer Stimme: „Steht nicht geschrieben im Buch Jesaja, Kapitel 45, dass dieser Prophet der Juden im persischen König Kyros den Messias erkannte? Und daraufhin sprach der Prophet zu ihm mit Gottes Stimme diese Worte: So sprach ich zu meinem Messias Kyros, dessen rechte Hand ich ergriffen hatte, so daß ich Völker vor ihm niederwarf, und die Lenden der Könige entgürtete...“ – „Nein, der hieß Kores und nicht Kyros.“ – „Kyrios hieß er wohl auch, der persische König Kyros. Das ist griechisch und bedeutet Herr“, meinte Balthasar, etwas genervt. – „Gut, na und? Der Perser ist doch längst tot“, brabbelte Josef. – „Ich bin doch jetzt sein Geist!“ flüsterte Melchior hinter ihm. Wieder machte der schmierige Gaukler rum an Josefs Hintern, er streichelte und patschte ihn. Josef wurde es ganz kribbelig davon. – „He lasst das! Das darfst du nicht!“ jammerte er. – „Doch, denn ich bin doch jetzt der Messias, also dein Herr! Und darf dein Herr nicht alles machen mit dir? Darf Gott dich nicht sogar entgürten und es dir dann von hinten besorgen, wenn er Lust darauf hat? Oder bist du dem Herrn Israels ungehorsam?“ – „Nein, nein, natürlich nicht! Juden sind völlig gehorsam, sie machen alles mit, jeden fiesen Unsinn der dem Herrn einfällt!“ beteuerte da Josef voller Angst. Und nun gab er seinen Widerstand auf. Josef spürte wie von hinten jemand in ihn eindrang! Ja, jemand bumste ihn wie einen weibischen Schwulen! Das konnte nur Melchior sein, aber Josef versuchte nicht an dessen dunkles Gesicht zu denken. Josef schloss die Augen und versuchte einfach nicht zu bemerken was da vor sich ging. Aber er konnte es doch nicht verhindern dass er lüstern wurde. Er schämte sich sehr dafür. Josef versuchte wieder an König David zu denken, der ja auch vielerlei Gefahren und Erniedrigungen hatte aushalten müssen nachdem er gesalbt worden war, aber doch nicht solche... – „Oh geil. Oh gut!“ rief Melchior von hinten, jetzt wieder mit seiner normalen Stimme. Plötzlich fiel Kaspar in prophetische Verzückung! Josef hörte eine tiefe Geisterstimme, sie kam aus dem Mund Kaspars, der aber nun besessen war und offenbar gar nicht wusste was er sagte: „Der heilige König Israels muss die Arche des Bundes heim holen, aus, nahe, Axum, am Fluss, Gihon, jenseits von... Ägypten.“ – „Was? Wo?“ murmelte Josef benommen. Aber Kaspar verstummte schon wieder, er goss sich etwas Wasser über den Kopf, und damit war diese Besessenheit schon vorbei. – „Wiederhol das bitte noch mal!“ bat ihn Josef. – „Was denn?“ fragte Kaspar beklommen. – „Oh Jao!“ meinte da Melchior hinter Josef, als er in ihm ejakulierte. Und dann gab er Josef noch einen Hieb aufs Gesäß, wie um diesen für seine Geilheit zu züchtigen, oder vielleicht für seine Einfalt. Voller Scham beugte sich Josef auf die Ellenbogen vor und verbarg sein Gesicht mit den Händen. Kaspar wirkte benommen und verstört. Balthasar aber erklärte Josef aufgeregt: „Eben kam also das prophetische Wort zu dir, aus Kaspars Mund! Vergiss bloß nicht was du gehört hast, denn das war echte Wahrsagekunst. Weißt du noch was er sagte?“ – „Er sprach von der Bundeslade! Wir müssen die Bundeslade zurück nach Israel holen!“ brabbelte Josef. Jeder Jude kannte ja die alte Bundeslade, die Kiste mit den Gesetzestafeln, die Moses einst in der Wüste angefertigt hatte. Dieses heiligste Objekt des Kultes von Jahwe galt als zaubermächtig, ja als tödlich gefährlich. Und der Messias sollte diese längst verlorene heilige Lade des Moses zurück nach Jerusalem überführen. War er nicht selbst damit gemeint? Hatte man ihn nicht gerade jetzt von hinten zum König gesalbt?“ – „Ich bin es ja selbst! Ich bin der Messias“, flüsterte Josef fassungslos. Aber da lachten die drei Gaukler gemeinsam los. – „Die Geister lügen nicht. Erzähl das auch deiner Jungfrau Maria“, schlug Melchior vor, nicht ohne etwas Zuneigung. Und damit war Josef entlassen.

28.

Josef wankte mit weichen Beinen und knackenden Knien zurück zu seiner Ehefrau. Er trat benebelt auf einen Schlafenden und stürzte, und krabbelte dann auf Händen und Knien weiter. Er kuschelte sich an Maria, und versuchte nur sich alles zu merken was an Visionen und Bildern immer noch auf ihn eindrang. Er wollte sich erneut die prophetischen Worte Kaspars ins Gedächtnis rufen. Doch da wurde er innerlich heftig abgelenkt. Er sah das Profilgesicht eines Römers das er erkannte: „Varus!“ brabbelte er staunend. – „Was, kommt Varus zurück?“ fragte Maria angstvoll im Halbschlaf. Dieser Legat hatte jahrelang die römischen Legionen im Nahen Osten befehligt. Varus galt als besonders finster, habgierig und grausam. Bei einem Aufstand der Palästiner hatte Varus einst 2.000 Rebellen kreuzigen lassen. Die Eingebung kam nun Josef zu dass Varus sich möglicherweise derzeit gerade in Germanien aufhielt, oder dorthin unterwegs war, um dort die römische Herrschaft endgültig zu befestigen: „Varus unterwirft gerade die Germanen. Er erobert dieses nördliche Land mit der Macht Roms. Diese Nephilim, die Nebel-Riesen da oben, sind schon besiegt und unterworfen, da regt sich kein Widerstand mehr“, brabbelte nun Josef, selbst besessen vom prophetischen Geist. „Germanien wird eine römische Provinz werden. Varus wird zehntausende von Germanen kreuzigen lassen nach einem Aufstand. Dieses Land wird leer werden, für uns Juden.“ – „Werden wir Geld haben?“ fragte Maria. – „Ähm...“ Das konnte Josef jetzt aus seinen Visionen nicht heraus bekommen. Statt dessen begann er erneut von Bileam zu predigen, denn der war im Grunde sein Lieblingsprophet; Bileam mochte er lieber als Samuel. Mit schleppender Rede erläuterte Josef seiner Frau einmal mehr dass Bileam ja prophezeit hatte dass die Juden alle Länder der Erde bewohnen würden. Und der Erdkreis sollte ja kaum weit genug sein für alle Juden, so viele würden sie einmal sein. Zahlreicher sollten die Juden werden als die Sterne am Himmel! Und Gott sollte ihnen im Frieden jeglichen Überfluss verleihen, im Krieg aber immer den Sieg und die Herrlichkeit schenken. Das Land Kana'an war ihnen von Gott als Erbbesitz zugewiesen, und nie wieder sollten sie es verlieren. Die Feinde Israels würden Israel hassen, und doch niemals siegen können wegen der Tapferkeit der jüdischen Männer. „...denn unser Gy'tt ist einer der die Hohen erniedrigt und die Armseligen beglückt“, erklärte Josef, nun im leidenschaftlichen Ton des Eiferers. Das war quasi wörtlich der letzte Satz der berühmten Prophezeiung des Bileam. – „So bist du jetzt ein echter Prophet geworden, Papa?“ fragte Assia fast stolz, während ringsum die Ruhenden murrten und einer sogar Stroh nach ihnen warf. – „Ruhe ihr Zigeuner! Haut ab nach Galiläa, Galiläer!“ so tönte es jetzt aus allen Ecken der finsteren Scheune. Josef wusste nicht mehr was er noch sagen sollte, aber er konnte jetzt nicht schweigen, denn er war so voller Rededrang. Drangvoll kam ihm wieder in den Sinn was er im Zelt der drei heiligen Könige eben gehört hatte. „Maria! Morgen packen wir, und dann geht die große Reise los. Wir müssen nach Ägypten ziehen, und dann noch weiter“, erklärte er laut, von Begeisterung ergriffen. „Wir brauchen nämlich die Bundeslade! Damit beweisen wir dass wir von Gy'tt auserwählt sind. Auch David hatte ja die Lade als er König wurde, er tanzte vor ihr her als er einzog in Jerusalem. Und weißt du was? Eigentlich bin ich ja der neue König Israels. Das hat mir der Engel, äh, Samael, gerade prophezeit.“ – „Ach ja, der Beelzebub, der oberste der bösen Geister“, meinte Maria, mit plötzlicher Bitterkeit in der Stimme. Dann erklärte sie hart: „Ich hab dich satt, weißt du das?“ – „Nein, wieso?“ meinte Josef erschrocken. Aber Maria mochte ihm nichts weiter erklären. Sie begann hilflos zu schluchzen. Josef umarmte Maria vorsichtig und hielt sich selbst an ihr fest, bis sie sich nach langer Zeit in den Schlaf geweint hatte. Er versuchte sich dann angestrengt daran zu erinnern was er von Kaspar genau gehört hatte. Wie hatte noch gleich dieses ferne Land geheißen wo die Bundeslade sich befand? „Varus!“ murmelte er vor sich hin. Das war nicht das gesuchte Land, aber das war alles woran Josef sich jetzt erinnerte. Im Halbschlaf hörte Josef dann die Stimme der Panthera. Sie war zurück in der Scheune, er hörte wie sie leise die drei Gaukler begrüßte in ihrem Zelt: „Hallo Jungs! Habt ihr etwa die Orgie ohne mich angefangen?“ – „Panthera, na endlich kommst du!“ krächzte Kaspar mit schwerer Zunge und rauer Stimme. – „Die Weinschnepfe hat Wein! Jetzt geht die Feier richtig los!“ rief Balthasar froh. – „Ich war noch mal in der Stadt“, erklärte Panthera, während sie sich raschelnd auszog. – „Jetzt in der Nacht, trotz geschlossener Tore?“ – „Das ist keine Zauberei wie bei euch, sondern das alte Spiel von rein und raus.“ Sie kicherte, und kroch dann halb nackt in das rauchige Zelt hinein. Josef sah dass ihr Hintern schon ziemlich schlaff aussah und dass sie sich vorn einen Weinschlauch vor die Brüste drückte. Plötzliche Geilheit überkam Josef, aber er wagte es nicht jetzt sich an seine eigene Frau zu halten. Denn noch ein halb verhungertes Kind des Unglücks war das Letzte was sie beide noch brauchten. – „Wein ist gut, der gehört zum Brot immer dazu“, meinte er leise zu Maria. – „Wehe du gehst wieder an mein Geld ran nur um Wein zu kaufen, du alter Taugenichts“, schärfte Maria ihm jedoch ein. „Dann ist es endgültig vorbei mit uns beiden, merk dir das.“ – „Hmpf!“ Josef grummelte und war doch reuig, noch wegen gewisser Trunkenheits-Exzesse. Nun versuchte er sich wenigstens dies zu merken, und vertraute darauf dass ihm alles andere auch wieder einfallen würde.

29.

Als Josef erwachte fühlte er sich wiederum heftig erregt. Ringsum war alles dunkel und ruhig. Nur sein Herz pochte laut und seine Schläfen schmerzten, genau wie sein hinteres Loch. Heftig wurde er von Gedanken bewegt die ihm im Traum gekommen waren. Er fühlte dass diese Gedanken wichtig waren! Er erhielt schon wieder prophetische Visionen! Während seine Träume ihm rasch aus dem Geist glitten rüttelte er seine Frau Maria wach. Dann brabbelte er mit wirrer Stimme: „Es wird mit uns genau so kommen wie es kam mit David und Saul! Als Samuel den David heimlich zum neuen König gesalbt hatte, obwohl der alte König noch regierte, da wurde der alte König Saul ja besessen von mörderischer Eifersucht, ja wen wundert das! Saul schickte seine Männer aus um David nachts zu ermorden. Aber Davids Frau Micha wusste davon. Deshalb half sie David nachts heimlich zu entfliehen. Schlau legte sie einen Teraph, ein kostbares Idol, in das Bett von sich und David. Das war im Grunde ein Götzenbild aus Holz und Metall, aber weil es ein Engel war hatte Gy'tt es Micha erlaubt. Der Engel lag also bei Micha im Bett als die Mörder kamen. So rettete der Engel David das Leben.“ – „Ich traf auch einmal einen Engel, der plötzlich bei mir im Bett lag“, erzählte Maria nun deprimiert. „Er sagte mir danach dass ich ein Kind bekommen würde, und ich sollte mich deswegen freuen.“ – „Ja? Wann war denn das?“ fragte Josef erstaunt und fast erzürnt. – „Das war kurz bevor ich mit Jesus schwanger wurde. Ich hatte damals gerade mal wieder kein Geld, und du warst nett im Tempel drin, denn dich hatten sie zum Opfermahl eingeladen. Und der Fremde war so nett und hatte mich eben auch als Opfer eingeladen.“ – „Und wieso glaubst du dass es ein Engel war?“ – „Er hatte nicht schwarze Haare wie wir, sondern sie waren so goldig. Sie waren so ähnlich wie die Haare der fernen Gotonen, die ja auch alle die Söhne von Göttern sind.“ – „Diese Geschichte hast du wohl nur geträumt“, murmelte Josef zweifelnd. Da Maria darauf nichts erwiderte ging auch Josef nicht weiter darauf ein, denn er wollte seinen wichtigen Traum von eben nicht aus dem Gedächtnis verlieren. Er erzählte weiter: „Na jedenfalls, ich musste gerade an David und Saul denken weil wir doch in der gleichen Lage sind. Unser Jesus ist der Messias, das weiß ich jetzt, ähm, und ich bin der Gott sein Vater. Also was wird passieren wenn der junge Herodes Agrippa davon erfährt? Dieser Herodianer will doch selbst der neue König werden von Israel, und er ist in Rom und kann auf die Gunst von Kaiser Augustus hoffen. Wir müssen also damit rechnen dass der uns Mörder schickt, um Jesus zu ermorden! Verdammt, Maria! Vielleicht sind diese Mörder jetzt schon unterwegs.“ – „Was, die reichen Herodianer wollen uns elende Bettler ermorden? Das hast du doch nur geträumt, Josef!“ – „Ja, aber so wie Propheten träumen!“ erklärte Josef aufgeregt. „Hast du nicht gestern auch gehört wie eine Frau wehklagte dass der alte Herodes Archelaus ihren Sohn getötet hätte? Bestimmt töten die jetzt heimlich alle Kinder in Bethlehem! Denn es steht ja geschrieben, Micha selbst hat es doch einst prophezeit, dass aus dem kleinen Bethlehem der heilige König Israels hervorgehen soll...“ Erneut gab sich Josef dem lauten Eifer des Predigers hin, und er begann zu deklamieren: „So steht es nämlich geschrieben im fünften Kapitel des Buches Micha: Dieser Nachkomme Jakobs wird unter den Nationen inmitten vieler Völker sein wie ein Löwe unter den Tieren des Waldes, wie ein junger Löwe in den Schafherden; der, wenn er hindurchgeht, niedertritt und zerreißt so dass niemand gerettet wird. Deine Hand wird siegen über deine Widersacher, und alle deine Feinde sollen ausgerottet werden! An jenem Tage soll es geschehen, so spricht (Adonai), dass ich deine Rosse aus deiner Mitte ausrotten und deine Wagen abschaffen werde; ich will die Städte deines Landes ausrotten und alle deine Festungen schleifen... Oi!“ Jakob unterbrach sich, während er sich bewusst zu machen versuchte was er da faselte. „Was ich nur nicht begreife ist, wieso der Prophet Micha hier prophezeit dass der Messias seinem eigenen Land die Vernichtung bringen soll. Aber jetzt wird mir das klar! Die Leute werden keine Pferde und Wagen und Häuser mehr brauchen weil sie dann Engel sind und fliegen können, und Engel brauchen auch keine Festungen weil sie sich nie streiten...“ – „Ruhä! Rucha! Sei still! Kannst du nicht endlich mal Ruhe geben, du alter Schwätzer?“ rief aus der Umgebung eine müde Stimme. – „Ja, sei still jetzt“, meinte auch Maria mit genervter Stimme. Daraufhin aber wurde Josef fast wütend. Aufgeregt zischte er seiner Frau ins Ohr: „Sei du jetzt mal still wie Assia, denn jüdische Frauen müssen traditionell genau so lebenslang still sein wie dumme Hühner. Und dann hör mir zu, deinem Gebieter, denn das hier ist sehr wichtig. Wir müssen sofort jetzt fort! So wie König David müssen wir nächtens fliehen vor unseren Mördern. Also steh auf Maria, und mach die Kinder reisefertig.“ Josef war fast böse geworden jetzt, und das kam bei ihm selten vor. Er rechnete mit einer frechen Widerrede, und war fast überrascht als Maria sofort gehorchte. Sie setzte sich auf und weckte dann auch Jesus und Assia. Dabei fragte sie leise: „Und wo willst du jetzt hin, mein Gebieter?“ – „Nach Ägypten, das sagte ich doch bereits, oder nicht? Wir müssen die Bundeslade finden, und die ist hinter Ägypten, also in Äthiopien, und zwar in dem Land... ähm... ohm... Verflixt, jetzt hab ich doch glatt vergessen wo die Bundeslade zu finden ist!“

30.

Josef ächzte vor Scham, als er nun begriff dass er sich nicht mehr auf das fremde Wort besann das er vorhin gehört hatte, als die drei Gaukler für ihn den Geist Samuels befragt hatten, oder wen auch immer. Er musste sie noch einmal um Hilfe bitten. – „Bleib noch mal hier. Ich muss mich nur noch mal vergewissern, bei den drei heiligen Männern aus dem Morgenland, wo wir hin reisen sollen“, erklärte er Maria. – „Ja ja, du musst es wissen“, erklärte sie ergeben, aber mit einem genervten und zynischen Unterton. – „Mama“, jammerte Jesus leise. Josef hatte es jetzt eilig, und er ahnte dass es nicht einfach werden würde die drei Gaukler und ihre Geister noch einmal zu befragen. Er schlich sich erneut zum Zelt und lauschte. Drinnen hörte er Panthera leise kichern, sonst war alles still. Als er es wagte die Zelttür zu öffnen, da sah er im Schein der Öllampe durch den dichten Rauch, dass Panthera gerade mit Kaspar beschäftigt war. Der Gaukler trug jetzt wieder wie damals vor dem Tempel seinen echt blechernen Lorbeerkranz, aber er wirkte recht abgeschlafft. Josef wandte sich an Balthasar und Melchior, die auch beide müde und düster wirkten. – „Ihr edlen Herren“, begann er stockend, „darf ich noch mal um eure Hilfe ersuchen?“ – „Hmm?“ brummte Balthasar. – „Es geht um die Bundeslade. Ich muss doch genauer wissen wo sie zu finden ist. Könnt ihr denn die Geister der Propheten und Engel noch einmal herbei rufen?“ – „Der heilige König Kaspar ist gerade selbst begeistert, siehst du das nicht?“ meinte Balthasar verächtlich. „Außerdem hast du für vorhin noch nicht bezahlt. Bring uns erst das Geld das du uns schuldest.“ – „Ja, und vergiss nicht meinen einen Silberling!“ rief ihm die Panthera über die Schulter zu. – „Lasst ihn“, meinte Melchior jedoch weich. Mühsam richtete der orientalische Mann sich auf in eine sitzende Haltung. Er zögerte, während er sich seine schulterlangen Haare zurecht raufte, und sprach dann freundlich zu Josef: „Entspann dich. Hör zu, du hast doch einen süßen Sohn, den Judas. Der fehlt hier noch zu unserem Glück. Bring ihn zu uns, so werden wir dir schon noch einmal weiterhelfen.“ – „Oh, sehr gut, vielen Dank. Ihr drei seid wirklich gnädig und freigiebig, wie drei wahre heilige Könige!“ brabbelte Josef ergriffen. Er hastete nun fast durch die Dunkelheit zurück zu seiner Schlafstelle, und trat in seiner Eile wieder gegen und auf Schlafende. Der mahnende Gedanke kam Josef ob er nicht dabei war sündhaft zu handeln. Er konnte sich aber an kein Gebot erinnern das die Knabenliebe verbot. Es gab nur ein Gebot welches das 'Hundegeld' betraf, also das Geld das ein männlicher Hurer verdiente. Es war ausdrücklich erlaubt dass auch von diesem Hurer-Lohn ein Anteil im Tempel gespendet werden durfte. Also brauchte Josef auch kein schlechtes Gewissen zu haben wenn er jetzt Judas diesem finsteren Fremden auslieferte, so dachte er nun. Entschlossen zog er den sitzenden dürren Jungen auf die Füße. – „Was denn?“ fragte dieser verschlafen. – „Komm mit, gehorche deinem Vater“, befahl Josef ihm. „Ich bin jetzt nicht nur dein Vater sondern auch noch dein Gott, also musst du mir doppelt so genau gehorchen wie sonst immer!“ – „Au! Verdammte Galiläer, schlaft ihr denn nie?“ schimpfte ein Liegender, als Josef in der Dunkelheit schon wieder gegen ihn trat. All dies war Josef jetzt egal. Von fieberhaftem Eifer erfasst zog er Judas hin zum Zelt. Draußen wartete der nackte Melchior bereits in der Dunkelheit. – „Zieh dich aus, schöner Knabe“, meinte er sehr freundlich. „Gleich wirst du da drin was Schönes erleben.“ – „Ich will das nicht“, meinte Judas widerspenstig. Josef gab ihm stumm einen leichten Klaps auf den Hinterkopf. Er wollte Judas noch etwas predigen von wegen Gehorsam gegenüber dem Gott Israels, aber es fehlte ihm plötzlich der übliche Eifer.

31.

Wiederum kroch Josef in das verruchte Zelt hinein, auf Melchiors freien Platz. Gerade war Kaspar unter Panthera zum Höhepunkt gekommen. Er wirkte nun schlaff und fast weinerlich, ja Tränen liefen ihm über die Wangen in seinen dunklen Bart hinein. – „Post coitum omne animal triste est“, meinte Panthera zu ihm, um ihn zu trösten. „Nach dem Sex sind alle Geschöpfe traurig“, übersetzte sie. – „...außer der Hure“, fügte Balthasar trocken hinzu. Josef sah dass Panthera an einer Art von Tuch herum nestelte das sie vor der Scham trug, und dabei meinte: „Genau! Denn die hat jetzt gutes Geld verdient.“ – „Kannst du jetzt für mich den Samuel noch mal rufen?“ bat Josef nun den müden Kaspar. „Aber ruf keine bösen Engel, sondern ruf den Propheten Samuel. Er kam doch auch herbei als die Hexe von Endor ihn damals beschwor, obwohl diese ihn gar nicht gekannt hatte zu seinen Lebzeiten...“ – „Kannst du mal den Mund halten, du alter Arschgeber?“ befahl da Balthasar. Es tat Josef weh dies zu hören. Kaspar musste husten, er hustete lange und spie dann etwas aus in seine Hand. Er schien fast Angst zu haben als er spontan weiter erklärte, in heiserem Tonfall: „Leute, ich mach das nicht mehr mit. Diese unreinen Geister jagen mir jedes Mal mehr Schrecken ein. Ich bin in Wahrheit nur der Hur, ein Jud, und wir Juden sind reinlich. Jetzt wo der alte Völkerfürst weg ist, da ist es Zeit für mich ein neues Leben zu beginnen. Komm her, Josef!“ Kaspar reckte sich und griff mit einer mühsamen Geste nach der Duftampel. Er nestelte den Draht vorsichtig von der Zeltstange und schaute in das Gefäß hinein. Die offene Schale rauchte immer noch etwas. Hur alias Kaspar schüttete seinen Rest Hanfsamen hinein und streute aus einer Dose Kräuter dazu, und noch einige matt glänzende Perlen Weihrauch. „Das ist echter Weihrauch aus dem fernen glücklichen Arabien. Aber der bringt dir einfach nicht den Tritt, in den Kopf“, meinte er zu sich selbst. Zu Josef erklärte er: „Ich glaube dir, weißt du das? Starke Geister haben durch mich gesprochen, und sie haben dich anerkannt. Aber du brauchst jetzt einen lebenden Propheten, und keinen Toten! Nur ein lebendiger Prophet kann deinen kleinen Jesus zum lebendigen Gott und neuen König Israels salben.“ Melchior stimmte dem von draußen zu: „Wenn du aber keinen Propheten findest dann musst du eben selbst einer werden. Besorg dir Hanf und zieh dir den Rauch in die Nase. Und dann brüllst du einfach raus was dir gerade in den Sinn kommt.“ – „Warte doch mal!“ meinte da Balthasar erschöpft und garstig. „Sei doch jetzt kein Feigling, Freund Hur! Du bist voll von bitterem Rauch!“ Er wollte nach der Duftampel greifen, aber Kaspar verwehrte es ihm. Er erklärte auch zu Melchior, der jetzt besorgt den Kopf ins Zelt steckte: „Lasst mich bloß in Ruhe, ich warn euch! Ich hör auf mit dieser Droge, ein für allemal. Ich trink von jetzt ab nur noch Wein!“ – „Das ist eine gute Entscheidung“, meinte Panthera dazu, „kommt her Leute und trinkt!“ Sie spritzte den Männern ringsum etwas Wein in den Mund. Auch Josef bekam einen Schluck ab. Dieser Wein schmeckte ihm recht sauer, aber er gierte dennoch nach mehr. Kaspar drückte Josef den Draht mit der Duftampel daran in die Hand. Er reckte sich ächzend und rückte seinen blechernen, teilweise vergoldeten Lorbeerkranz zurecht, während er feierlich deklamierte: „Dieses Gerät hier ist aus echtem Gold, mit Weihrauch und Myrrhe darinnen. Nimm dies als unser Geschenk an, Josef! Dies schenken dir jetzt die drei Könige des Weltkreises, für Jesus deinen Sohn, den neuen König der Könige. Ha ha haaa, ha haa!“ Kaspar wollte lachen, aber er wurde ernst als er in die bitteren Gesichter der anderen Männer sah. Auch Panthera blieb jetzt ernst. „Leute, jetzt müsst ihr mich aber noch bezahlen“, meinte sie zu den Dreien. – „Josef soll das tun“, meinte Kaspar, der schon wieder erschlaffte und träge wurde. – „Genau, der Arschgeber schuldet uns noch einen Batzen Geld“, bestätigte Balthasar matt. Josef überlegte der Hure die heiße Duftampel zu überreichen, aber wenn die aus Gold war, dann war sie bestimmt viel wertvoller als Marias Münzen... – „Au! Der kleine Kröterich hat mich in die Hand gebissen“, schimpfte Melchior draußen, wütend weil Judas sich von ihm befreite. Wieder brandete Gelächter auf im Zelt, bis dass ringsum Schlafende wach wurden und sich beschwerten. – „Ich hasse dich!“ sagte Judas zu Josef.

32.

Tief in Gedanken versunken ging Josef zurück zu Maria. Jetzt war der Weg leichter zu finden, denn er konnte sich mit der Duftampel leuchten. – „Gut dass du endlich verschwindest, Galiläer!“ meinte ein Liegender gehässig, als Josef sich gerade bei ihm entschuldigen wollte. Maria war bereits ganz reisefertig. Sie hatte sich ihre zwei Decken aus Eselshaar über die Schultern gewickelt und ihre paar sonstigen Habseligkeiten in Tücher gedreht. Diese mussten Assia und Judas jetzt tragen. Assia bibberte. „Draußen ist es bitter kalt“, meinte sie protestierend. – „Sei still“, murmelte Maria müde. Sie hob Jesus auf den Arm und band seinen Hosenlatz fest zu. Josef begriff dass sie tatsächlich jetzt gleich in der Nacht nach Ägypten aufbrechen wollte, getreu seinen Anweisungen von vorhin. Die hatte er inzwischen schon wieder halb vergessen. Außerdem war ihm schlecht und auch erbärmlich kalt. Josef sehnte sich nach der Wärme des Zeltes. Aber er versuchte, trotz alledem, noch männliche Haltung zu bewahren. „Schaut mal was ich habe: Gold, Weihrauch und, äh, Mist“, erklärte er seiner Familie froh. Er zeigte ihnen seine Duftampel vor, er ließ sie am Haltedraht hin und her baumeln, damit sie noch etwas rauchte. – „Eklig stinkt das“, meinte Judas mürrisch. – „Ja Wein ist besser“, bestätigte nun Balthasar, der auch in den Kreis der Familie trat. Er zögerte bevor er weitersprach: „Hört mal Leute, diese Duftampel dürft ihr nicht behalten. Denn die ist wichtig für unsere Arbeit. Kaspar ist nur jetzt so feige geworden, weil die verfluchten Römer uns aus Judäa verbannt haben. Und Melchior meint auch dass wir das wohl den bösen Geistern zu verdanken haben. Aber ehrlich gesagt, ich glaube gar nicht an böse Geister. Das sind doch alles nur Täuschungen des von inneren Visionen verwirrten Geistes...“ Balthasar verstummte und streckte fordernd seine Hand aus. „Also gibt das Ding freiwillig zurück.“ Josef schnaufte als spontane Wut in ihm aufstieg! „Was, du willst dein Geschenk zurück? Das geht nicht, denn das ist für den Messias, deinen König!“ Schwungvoll wandte er sich an Jesus und ließ ihm die Duftampel vor dem Gesicht herum baumeln. „Schau mal, kleiner Jesus, das hier haben drei heilige Könige dir geschenkt!“ Jesus war hellwach. Er streckte seine zarte Hand aus nach der Duftampel. Diese zischte als er sie berührte. Und dann schrie Jesus laut, und hörte nicht mehr auf. Josef hatte ganz vergessen dass die Ampel brennend heiß war! Jesus schrie und schrie, und als Maria ihn zu beruhigen versuchte schrie er aus Trotz noch lauter. Jesus jammerte und heulte, und weckte damit die ganze Scheune voller Bettler, Reisender, Gesindel und Flüchtlingen auf. Wer eine Lampe hatte zündete sie an. Alle schimpften durcheinander: „Jetzt haut doch endlich ab ihr elenden Galiläer! Ihr seid ja nachts schlimmer als Ungeziefer!“ – „Ja kommt ihr Lieben, wir brechen auf“, meinte Josef zu seiner Familie. – „He, Alterchen, du schuldest mir noch eine Handvoll Geld, für meine Dienste“, meinte nun Panthera, die nun auch zu ihnen getreten war. Sie packte Josef am Kragen und hielt ihn erst mal fest. – „Was soll das heißen?“ fragte Maria giftig. Josef spürte angstvoll dass seine Frau dabei war so wütend zu werden wie selten. Patsch! Gleich knallte Maria ihre flache Hand auf seinen Schädel, und zwar dorthin wo er schon eine Beule hatte. „Hast du mich also doch mit dieser Hure betrogen? Ich hab es doch gespürt, denn Frauen spüren so was! Du hast dich besoffen in der Nacht. Und das wo wir so arm sind, von dem wenigen Essensgeld für unsere Kinder?“ – „Nein Täubchen, pass auf...“ begann Josef. Patsch! Gleich bekam er aber die nächste heftige Klatsche ab, und er taumelte zurück. „Und du riechst schon wieder nach Wein! Das reicht mir jetzt mit dir!“ – „Oijoijoi!“ jammerte Josef. „Hab doch Respekt, denn ich bin doch jetzt der Messias!“ – „Hurenbock! Du König Salomo!“ – „Ja genau!“ greinte er. „Ich bin noch gefragt bei den Damen. So wie zu König Salomo kommen sie jetzt alle zu mir. Und wenn du mich nicht mehr respektierst, dann geh ich weg und such mir eine Neue; ja, eine Jungfrau!“ – „Dann geh doch! Dann muss ich wenigstens ein Kind weniger durchfüttern, ein einfältiges großes Thora-Kind.“ Josef begann zu schluchzen als er diese Worte hörte. Ringsum begannen jetzt die Leute in der Scheune zu lachen und zu höhnen: „Ihr Gesindel, das geschieht euch recht! Ihr solltet Theater spielen, dann würdet ihr wenigstens ehrlich Geld verdienen! Alter Hurenbock! Ihr Weinsäufer! Du Arschgeber! Verschwindet endlich! Ja, geh doch!“ – „Geh doch!“ wütete Maria. Nach und nach vereinigten sich die Rufe zu einem Sprechchor, und bald rief die ganze Scheune: „Geh doch! Geh doch! Geh doch!“ – „Ich geh! Ich geh wirklich!“ drohte Josef. Und als das nichts half, da ging er wirklich wirklich. Josef drehte sich heftig um und ließ die schmauchende Duftampel drohend herum wirbeln, um den aufdringlichen Balthasar und die nun zurück weichende Panthera auf Abstand zu halten. An der Scheunentür traf Josef seinen Sohn Judas. Er erwartete halb dass dieser für ihn zum Abschied noch mal provokant über die Schwelle springen würde. Aber Judas war nun merkwürdig ruhig und sah erstaunt aus, als er mitteilte: „Da kommen Leute mit Fackeln und Laternen. Sie kommen genau hier her, Vater!“ – „Ach!“ Josef sah es auch gleich selbst. War das etwa eine Karawane die sich auf dem Weg nach Bethlehem zu sehr verspätet hatte, und nun vor verschlossenen Toren stand? Aber nein, diese Leute sahen aus wie Leute aus der Gegend, und sie marschierten stramm, so als ob sie es eilig hätten. Das konnte doch nur eines bedeuten, dass sie zu ihm wollten und zu seinem Sohn, sagte sich Josef! Und er sank auf die Knie, reckte die Hände zum Himmel und sprach mit feierlicher Stimme: „Gelobt sei der Gott, der Höchste, der Erdschöpfer, der mich vor den Nachstellungen meiner Feinde errettet hat! Ja mein Gy'tt und Herr, gepriesen seist du in Ewigkeit, denn du ließest deine Propheten kommen zur rechten Zeit. Sie kommen um meinen Sohn Jesus zum König Israels zu salben; ja, sie eilen sich!“ Josefs Gesicht leuchtete fast vor Freude als er sich mühsam aufrichtete und sich Judas zu wandte. „Geh hinein mein Sohn“, befahl er diesem, „und verkünde allen diese frohe Botschaft.“

33.

Josef wartete also auf die Männer die er für Propheten hielt. Die Minuten kamen Josef endlos vor. Die Winternacht war kalt und sternenklar. Er hielt seine klammen Finger vor die Duftampel, aber der Mief den diese immer noch verströmte störte ihn nun. – „Gib uns doch das Rauchgefäß zurück“, bat Melchior nun, der mit Balthasar leise hinter ihn getreten war. Der Gaukler trug nun ein kariertes rötliches Kopftuch und eine kleine Öllampe. Balthasar sagte: „Schau Josef, ich geb dir ein anderes Geschenk dafür.“ Er zog aus seinem Gepäck ein Amulett aus gebranntem, glasiertem Ton heraus und hielt es Josef vor die Nase. „Jetzt wo du ein Prophet geworden bist wird dir das nützlich sein“, faselte er in undeutlichem Tonfall. „Das ist Amulett der Dämonin Lamaschtu. Es wird dich vor der Lehemu beschützen wenn du sie herbei zitierst. Du weiß doch jetzt wie schrecklich sie ist, du hast sie doch gesehen in Bethlehem.“ – „Ähm...“, meinte Josef unschlüssig. Er musterte das Amulett das ihm Balthasar vor die Nase hielt. Darauf war ein Chimären-Monster abgebildet mit Vogelklauen und einem Löwenkopf. Scharf ließ das Licht der Öllampe die Konturen dieses grauschwarzen Reliefs hervortreten. Lamashtu hielt in jeder Hand eine Schlange im Würgegriff gepackt, und an ihren Brüsten säugte sie ein Schwein und einen Hund. Josef fröstelte bei diesem Anblick, und er fragte erschüttert: „Wie könnt ihr nur glauben dass euch so ein Untier helfen würde in irgend einer Angelegenheit?“ Melchior antwortete: „So was wirst du auch glauben wenn du ein Kavi wirst, einer der räuchert und dann im Wahn prophezeit. Denn dann bekommst du es zu tun mit diesen Untieren, vor allem mit der Schlange Nehustan, die schon Moses verehrt hat.“ – „Der Umgang mit so etwas Widrigem ist nicht jüdischer Brauch, den uns die Thora erlaubt“, murmelte Josef. Aber dazu meinte Balthasar trocken auf Hebräisch: „Bəlo ha-nächusch en-nichesch!“ Und für den Fall dass Josef ihn noch nicht genau genug verstand, übersetzte er: „Ohne Schlangen keine Wahrsagekunst.“ Darauf erwiderte Josef jedoch mit Festigkeit: „Dann kann ich kein Prophet sein.“ Einen Moment lang war er versucht Balthasar und Melchior die Duftampel zurück zu schenken. Doch dann erinnerte er sich an seine Familie, vor allem an Jesus. – „Jesus muss das entscheiden, denn dies ist sein Geschenk“, meinte er zu den beiden Gauklern. – „Verdammt noch mal Josef, sei doch so furchtsam wie alle Juden! Ich brauch diesen Rauch!“ Balthasar wurde jetzt echt nervös. Josef wandte sich stur ab von den Gauklern. Mit hartem Gesichtsausdruck und weichen Beinen ging er zurück zu Maria. Seine Frau saß auf dem Boden, mit Panthera an ihrer Seite und dem Jesuskind auf ihrem Schoß. „Wie sollen wir ohne Geld existieren? Da können wir uns gleich umbringen“, jammerte sie zu Panthera. Der kleine Jesus jammerte auch und wand sich, während seine Mutter ihm die versengte Hand mit Wasser kühlte und Pantheras Seele massierte. Josef zog den Kopf ein und machte sich auf weitere Schimpfreden gefasst, als er sich mutig zu ihr setzte. Aber Maria zwang sich nun sogar zu einem scheuen Lächeln. Leise erklärte sie: „Verzeih! Ich muss dich vielmals um Verzeihung bitten, mein Herr und Gebieter. Diese gerechte und barmherzige Frau hier hat mir alles erklärt! Es war ja alles nur ein Irrtum, denn du hast es gar nicht getrieben mit ihr. Sondern du wolltest ja nur diese Könige bezahlen damit sie dir bei deinen Bibel-Forschungen helfen.“ – „Ja genau. Und es hat ja geholfen“, erklärte Josef im Brustton des Gerechten. Er sah Panthera kurz an und war heilfroh dass diese Hure sogar für ihn gelogen hatte! Er gähnte, von plötzlicher Müdigkeit gepackt, und von der neuerlichen Überzeugung seiner eigenen Wichtigkeit gestärkt. Auch sich selbst beschwor er jetzt: „Denkt nun nur daran Haltung zu bewahren. Da draußen kommen Männer die uns Adonai geschickt hat. Wir fünf Galiläer werden im neuen messianischen heiligen Reich Israel gesellschaftlich ganz nach oben kommen.“ – „Oben an ein Kreuz werd ich noch dran kommen“, unkte Maria jedoch daraufhin.

34.

Es dauerte nun noch eine ganze Weile bis die Karawane die Scheune erreichte. Die Leute die dann endlich herein kamen in die Scheune wirkten nicht wie Propheten. Josef stellte es mit Schrecken und Enttäuschung fest. Aber er war schon zu schläfrig geworden um sich groß darum zu kümmern. –„Gibt es hier eine Jungfrau mit drei Kindern?“ Dies fragte ein Mann in den grauen Wollkleidern der Hirten, als er nun eintrat in die Scheune. – „Dort sitzt die Lügnerin!“ meinte ein Mädchen, und sie zeigte mit dem Finger auf Maria in ihrer Ecke. Eine ganze Gruppe von Dörflern und Nomaden strömte nun in die volle Scheune, die vom Licht der Fackeln und Laternen plötzlich hell erleuchtet wurde. In ihrer Mitte führten die Neuankömmlinge einen Esel herein, auf dem ein gebrechlicher, krummer Greis hockte. Der alte Weißkopf war so kostbar, weiß und reinlich gekleidet wie ein hoher Würdenträger. Josef erschauerte als der runzlige Alte seinen stechenden Blick auf ihn richtete. Er hoffte immer noch dass dies der Prophet sein könnte den er erwartete. Aber im singenden Tonfall eines Ausrufers erklärte der Begleiter und Sprecher des Alten: „Hier ist der Dorfrichter Abichai aus dem Dorf 'Erta, aus dem Stamme des Richters Gad entstammt er. Der ehrwürdige Richter Abichai kam eilends geritten weil er hierher gerufen wurde, um diesen besonderen Betrugsfall aufzuklären. Denn in all seinen Amtsjahren ist ihm so eine dreiste Geschichte noch nie zu Ohren gekommen.“ – „Sei willkommen, Dorfschreiber Levi. Gott sei es gedankt dass ihr guten Leute euch beeilt habt! Diese üblen Zigeuner wollten gerade heimlich abreisen, und zwar nach Ägypten“, erklärte man ihm nun. Die Menge in der Scheune rückte gleich näher heran an diese interessante Angelegenheit. Es legte sich nun eine Art Druck auf Josefs Hals. Er zitterte und schwenkte leise die Duftampel, um sich mit dem Duft des Weihrauchs zu beruhigen den diese immer noch verströmte. „Willst du nicht lieber gleich die Wahrheit sagen“, fragte er seine Frau. Da schien diese in sich zusammen zu sinken. – „Nein, wir bleiben bei unserer Version. Maria ist echt noch Jungfrau“, meinte jedoch Panthera, völlig überraschend. Sie packte die kleine Hand der zitternden Maria und drückte sie um ihr Mut zu machen. Josef sah Panthera nur verwirrt an. Aber es gab an diesem Abend sowieso so vieles was er nicht begriff. Also sprach Josef zum Richter Abichai und seinen Begleitern mit fester Stimme: „Der Herr hat an meiner Frau ein Wunder getan.“ Und was immer das heißen mochte, es war jedenfalls nicht gelogen. Man streute frisches Heu aus in der Scheune, damit die Neuankömmlinge sich setzen konnten. Für den alten Richter breitete man sogar einen edlen Teppich aus auf dem Boden. Mühsam und langsam setzte sich der Alte hin, und musste erst mal was trinken. Dann brabbelte Abichai los, mit seinem zahnlosen Mund. Sein Helfer und Sprecher Levi fragte nun Josef ob der sich mit seiner Familie dem Urteil Abichais unterwerfen wolle, wie dies auch ausfallen möge. Josef sah dass Maria zitterte und heimlich zu ihm den Kopf schüttelte. Er selbst aber war ohne Furcht, denn er hatte ja nicht geschwindelt, also konnte Gott auf ihn nicht zornig sein. Als Josef nun die Brauen hob und es bei Gy'tt beschwor, da konnte die Gerichtsverhandlung gleich beginnen. Abichai murmelte zahnlos etwas zu seinem Schreiber und Gerichtsdiener Levi, und dieser befragte daraufhin Josef: „Dein Herr Richter möchte wissen ob du ein gesetzestreuer Jude bist.“ – „Das trifft völlig zu.“ Levi rief Abichai laut ins Ohr was gesagt worden war. Dann fragte er weiter: „Und nun fragt dich der Herr Richter, ob deine Frau denn nach der Geburt dieser drei Kinder und nach dem Bade im Tempel geopfert hat, so wie es das Gesetz befiehlt, nach Leviticus Kapitel 12.“ – Da schwieg Josef nachdenklich. Dann erklärte er fest dass Maria in der Tat eine Taube hatte opfern lassen, im Gebetshaus von Kafernaum, nach der Geburt ihres Erstgeborenen Judas. Bei der Geburt von Jesus irgendwo unterwegs hatten sie aber nichts geopfert, denn damals war Josefs Familie schon in Armut verfallen. Levi der Sprecher wandte sich nun an Maria selbst: „Willst du deswegen behaupten dass Jesus nicht dein Kind ist? Dann wäre aber Judas doch dein Sohn, wenn man die Tochter mal außer Betracht lässt.“ Mürrisch erklärte Maria: „Ich hatte ein Recht das Geld zu nehmen, denn der Herr hat an mir und Jesus ein Wunder getan. Denn bei Jesus war es so dass ein Engel... Also er hat mich, ähm... Der Gottessohn hat mich nachts überrascht. Und nachher hat er mir verkündet dass ich schwanger werden würde.“ Sie schwieg und verbarg mit einer heftigen Geste ihr Gesicht mit einem Tuch. – „Will Maria also aussagen dass sie nach der Geburt von den Kindern wieder zur Jungfrau geworden ist?“ fragte nun Levi verwirrt den Josef. Statt seiner antwortete überraschend Panthera: „Maria ist jedenfalls jetzt noch, wie zuvor auch oder nicht aber völlig gleich, eine original jüdische Jungfrau. Und nur das ist ja von Wichtigkeit für diesen Fall. Weil sie jetzt Jungfrau ist, deswegen durfte sie nehmen von dem Geld das die galiläische Fürstin Phasälis an die Jungfrauen ausgab.“ Da ging ein erstauntes Raunen durch die Scheune. Alle Schaulustigen ringsum wurden jetzt ganz still, um ja kein Wort von dem Verfahren zu verpassen. Levi brauchte eine Weile bis er Abichai all das Gesprochene laut ins Ohr gerufen hatte. Dabei nickte der alte Richter fortwährend und zupfte an seinen übergroßen Ohren. Er wackelte weiter mit dem Kopf als er nun murmelte, und dabei einen leeren Mund ohne jegliche Zähne sichtbar werden ließ. Daraufhin sprach der Schreiber Levi eindringlich zu Josef. „Du Mann des Gottes von Jakob der Israel genannt wurde! Denk mal an die Sünde von Onan, Sohn des Juda, Sohn des Jakob! Onan ehelichte Thamar, die Witwe seines Bruders Her. Aber Onan vollzog die Ehe nicht mit dieser benutzten braunen Dattel, lieber verspritze er seinen Samen auf die Erde. Wegen dieser Sünde tötete unser Gott Elohim den Onan. Hast du die gleiche Sünde begangen, Josef?“ Das waren alte Bibelgeschichten bei denen Josef sich auskannte. Gleich ließ er sich vom Eifer ergreifen und predigte los: „Wahrlich ich tat nie das was Onan tat. Onan war schon ein Sünder als er Thamar, die Witwe seines Bruders, zur Frau nahm. Genau so wurde der Völkerfürst Herodes Archelaus ein Sünder als er diese anatolische Witwe Glaphyra zur Frau nahm. Deswegen wandte sich Adonai ab von ihm. Und statt einem anderen Spross der Hasmonäer hat euer Gy'tt euch nun den Sohn meiner jüdischen Frau zum neuen König erwählt! Seht hier ist Jesus, euer wahrer heiliger Gmäh, und, ähm, der, Mmäh, Jessias! Jesus ist es wahrlich wert dass man ihn den Sohn eines Gy'ttes nennt, und einer Jungfrau!“ Mit einer spontanen Geste zog Josef Jesus an sich und reckte ihn dann dem Richter und den Zuschauern entgegen. – „Was, dieser jämmerliche Heulbube soll unser neuer jüdischer König werden?“ Der schöne Levi war fassungslos bis verärgert. „So etwas Dreistes trauen sich noch nicht mal die Römer.“ Daraufhin kam Heiterkeit auf unter den Zuhörern, die sich rasch steigerte. Auch der alte Richter Abichai musste kichern. – „Bettelpack! Neubekehrte! Galiläer raus nach Galiläa! Seit wann kommt denn der Messias Israels aus der fernen Provinz? Diese Zigeuner werden immer dreister!“ rief man nun ringsum. – „Frag Mama!“ riet Judas inzwischen seinem Vater, als er merkte dass diesem die Einfälle ausgegangen waren. – „Meinst du wirklich?“ fragte Josef ihn matt. Er blickte hinüber zu Maria. Diese saß eng an Panthera gelehnt, beide hatten sich in Decken eingehüllt.

35.

Levi musste schreiben und warten bis wieder Ruhe herrschte. Dann verkündete er ernst: „Also soll man nun die Probe machen. Diese Maria wird aufgefordert sich von einigen Frauen untersuchen zu lassen, so wie einst Thamar untersucht wurde nach dem Tode ihrer zwei Männer.“ Josef ließ Jesus sinken, denn seine Arme begannen zu zittern. Damit war doch zu rechnen gewesen, aber irgendwie blindlings hatte er darauf vertraut dass es nicht dazu kommen würde. Galt er denn nicht vor Gott als Gerechter, und hatte er nicht viele Stunden seines kurzen Lebens im Gebet verbracht? Es musste doch etwas passieren was ihn retten würde. Josef hoffte nun auf ein Wunder, ja er vertraute fast fest darauf. Es kamen nun ältere Frauen und einige Mädchen zu Maria. Man lupfte ihre Decken, half ihr auf die Beine und führte sie in eine dunkle Ecke des Raumes. Dort griffen ihr die Frauen verschämt zwischen die Beine, Josef wagte es nicht genau hinzusehen. Er murmelte Gebete und umklammerte den verweinten Jesus. „Aua!“ jammerte dieser. – „Oi! O je!“ riefen nun die Frauen erschrocken, aus der Ecke wo Maria untersucht wurde. Es klang völlig erstaunt und sogar etwas andächtig! Eine Alte kam nun sogar zu Jesus, es war eine Geburtshelferin aus der Gegend, Josef kannte sie. Diese faltige Alte schaute sich Jesus genau an. Dann murmelte sie ergriffen: „Hosianna dem Sohne Davids!“ Der schöne Levi mit den wie geölt glänzenden Haaren schaute sich das alles reglos und verwirrt an. Die Frauen führten Maria zurück an ihren Platz. Josef stellte fest dass seine Frau nun bitter lächelte. Er begriff gar nichts mehr. Die Frauen erklärte dann gemeinsam dem Levi, dass zweifellos Maria auf eine seltsame, nie zuvor dagewesene Art noch eine Jungfrau sei. Eine andere Geburtshelferin wurde noch etwas konkreter, als sie erklärte: „Ich hab noch nie so etwas gefühlt. Maria ist unten völlig hart und verschlossen, so als ob sie dort eine Hornhaut tragen würde, so wie unsereins sie an den Füßen hat.“ – „Es fühlte sich fischig an. Es sieht nicht aus wie eine Jungfernhaut“, meinte ein Mädchen. – „Vielleicht ist das nur eine Krankheit. Vielleicht hat Maria den Aussatz, so wie Moses ihn bekam“, murmelte Levi zweifelnd. – „Nein, es ist nicht der Aussatz“, widersprach die Geburtshelferin mit zweifelnder Stimme. Maria setzte sich nun so vorsichtig hin dass Josef sich an die Zeiten erinnerte da sie hochschwanger gewesen war. Josef bückte sich zu ihr und wollte sich neben sie setzen, doch Maria wehrte ihn ab und ergriff fest Pantheras Hand. Josef kniff ein Auge zusammen als er die Hure prüfend ansah. Diese grinste ganz kurz und flüsterte dann trocken: „Ihr beiden Süßen schuldet mir doch jetzt dieses Geld.“ Levi rief unterdessen dem Abichai alles laut ins Ohr was die Prüfung des Augenscheins ergeben hatte. Der alte Richter öffnete und schloss den Mund während er nachdachte. Josef fühlte sich an einen alten Fisch erinnert. Und plötzlich erschrak der Richter Abichai, und dann schüttelte er heftig den Kopf. „Daf gibtewnih!“ brabbelte er, so laut dass es alle ringsum verstanden. – „Natürlich gibt es das!“ widersprach Hur alias Kaspar. Sichtlich berauscht wankte der Gaukler nun aus seinem Zelt, den goldenen Blechkranz noch auf dem Kopf und den Weinschlauch wie eine Geliebte im Arm. Beschwörend erklärte er, mit übertriebenen Gesten und theatralisch geziert: „Hört mich nun an und glaubt mir jedes Wort! Wahrlich, denn unser spendabler verlebter Fürst Herodes Archelaus selbst hat mich einst gekrönt, zum König der Weisen, mit diesem Lorbeerkranz aus echt vergoldetem Messing! Begreift ihr nicht was hier passiert? Ihr erlebt gerade ein göttliches Wunder! Viele Wunder ereignen sich doch wenn lebendige Götter geboren werden. Wisst ihr nicht dass auch von Dionysos, einem Sohn des Zeus, Gleiches berichtet wurde? Auch er kam zur Welt als der Sohn einer Jungfrau. Die Semele empfing den Gott Dionysos als Jungfrau, während sie besoffen war und schlafend in der Ecke lag. Und auch vom gewaltigen Herakles lehren die Heiden dass er von einer Jungfrau geboren wurde. Alkmene hieß die Frau, sie lebte mit König Amphitryon als Jungfrau in der Ehe, aber bis zur Geburt enthielt sich der König von Troizen von seiner Ehefrau. Denn der Gott Zeus selbst war vom Olymp hinab in Alkmenes Gemach eingegangen. Es geschah nachts, beim Mondschein, so dass Alkmene nicht merkte dass der Fremde nicht ihr Mann war. Wir kennen doch die Weiber die beim Sex mit ihren Gedanken ganz woanders sind. Die Geister oder Fremde machen Weiber geil wenn diese nur an sie denken, und das geschieht oft. Und wenn eine Jungfrau mit ihren Gelüsten woanders ist, dann kommt es ihr auch ohne echten Sex. Sechsunddreißig Stunden lang hat der Gott Zeus damals Alkmene gefickt, und dennoch war sie, so heißt es, eine Jungfrau geblieben!“ Kaspar unterbrach sich, denn er konnte sich jetzt einen Ausbruch von Heiterkeit nicht verkneifen. Auch das Publikum wurde heiter. Einer blieb jedoch ernst und rief: „Beim Zeus, der Mann spricht die Wahrheit!“ Das war offenbar ein Hellene. – „Genug jetzt von den Narrheiten der Heiden!“ rief jedoch Levi, der sich diese Reden mit wachsendem Unmut hatte anhören müssen. Levi wedelte das Papierchen das er gerade beschrieb und rollte es zu einer winzigen Schriftrolle zusammen. „Was die Heiden für lächerlichen Unsinn glauben, das ist für uns nicht von Bedeutung! Denn für uns Juden zählt nur der eigene Unsinn, ich meine, ähm...“ – „...alles was eben in der Thora geschrieben steht, und in unseren anderen heiligen Schriften! Und ob das einen Sinn ergibt oder einen Unsinn, das geht nur Adonai etwas an, nicht aber uns!“ rief Josef dazwischen. Ergriffen vom üblichen Eifer des Predigers kroch nun Josef auf die Beine. Er begann der Menge zu predigen, noch eifriger als sonst: „Weh euch ihr Spötter und feigen Zweifler, könnt ihr denn nicht mal die Wunder sehen welche vor euren eigenen Augen passieren? So glaubt doch den Wundern von denen euch die Thora berichtet! Moses stieß einst mit seinem Stab an einen Felsen, und da ließ der Herr einen Quell von Wasser daraus entspringen. Der Herr öffnet die Wasserquellen, aber er verschließt sie auch, so wie er es tat als er für Jesus, den Sohn des Nun, die Quellen des Flusses Jordan versiegelte...“ – „Bab... Bab... Babwug!“ brabbelte nun der völlig aufgeregte Richter Abichai, der von all diesen Reden fast nichts verstanden hatte. Heftig erregt krabbelte der Greis auf die Füße. Oben riss Abichai die Augen auf, warf den Kopf in den Nacken, sank auf seinen Teppich, und verschied. – „Euer Gott hat noch ein Wunder getan. Da könnte sogar ich wieder gläubig werden“, murmelte Panthera leise zu Maria.

36.

„Betrug“, meinte Judas anderntags zu einigen Kindern, mit denen er zusammen stand. „Der Richter sagte: Betrug, bevor er starb.“ Josef merkte auf bei diesen Worten, und begriff dass er jetzt sofort ernsthaft wütend werden musste auf sein unreifes Kind. „Judas du Verräter, halt sofort den Mund! Dein Vater und Gebieter befiehlt es dir!“ – „Aber Papa, er hat Recht“ meinte da Assia. Diese Worte brachten Josef in noch heftigere Wut. „Sei still Assia!“ wütete er. „Du bist ganz grundsätzlich still, so wie es sich für Mädchen gehört. Denn hier passiert etwas ganz Großes, das spüre ich, euer Vater. Man wird über Jesus einst das Buch Jesus schreiben, so wie über alle Könige Israels das Buch der Könige verfasst wurde. Aber es ist am Besten wenn du in diesem Buch gar nicht vorkommst, so als ob es dich im Leben Jesu niemals gegeben hätte, Assia!“ Da begann Assia zu schluchzen, sie drehte sich um und lief weg. – „Wir müssen bald einen Mann für Assia finden der sie in den Griff kriegt“, meinte Josef zu Maria. „Sei still Josef“, meinte diese nur mürrisch. Josef wollte ihr daraufhin eine weitere Strafpredigt halten. Aber dann erinnerte er sich an ihren großen Streit, der sie gestern nachts fast entzweit hatte. Der Familienfriede hing jetzt nur noch an einem dünnen Draht, also war es wohl besser wenn er wirklich selbst auch mal schwieg. Er war gerade aufgewacht, sein Kopf schmerzte, und er fühlte sich unrein am Hinterteil. Müde beobachtete er wie Maria die Duftampel schwenkte, die gelegentlich kleine Rauchwölkchen ausstieß. Der Rauch ekelte ihn an. Josef versuchte sich an den würzigen Duft zu erinnern den frisch gespaltenes Zedernholz verströmte... Maria bewegte die Duftampel in einem kleinen Kreis herum, über dem Tuch unter dem sie ihren Stern von Münzen ausgelegt hatte. „Das ist übrigens gar kein Gold“, meinte sie sinnierend zu Josef, „was dir diese drei falschen Könige geschenkt haben. Diese Ampel besteht aus Aurichalkum, also aus Messing, so wie die neuen römischen Sesterzen des Kaisers Augustus. Aber dieses falsche Gold ist unedel, und es ist innen geschwärzt und angefressen. Diese Schauspieler haben uns belogen und betrogen.“ – „Diese üblen Schwarzmagier, Zigeuner und Götzendiener“, schimpfte Josef, als er sich mühsam reckte und umblickte. Der Ort an dem die drei Gaukler ihr Zelt aufgeschlagen hatten war nun leer, sie waren also offenbar schon früh abgereist. Auch Panthera konnte Josef nirgendwo entdecken. Levi und die Dörfler hatten ihren toten Richter Abichai in Tücher verpackt und für das Begräbnis vorbereitet. Ein Pharisäer stand bei ihnen der gerade Totengebete sprach. Plötzlich begriff Josef dass Maria direkt neben ihm auch irgendein Gebet murmelte. So fromm kannte er sie ja gar nicht! Mit wachsender Unruhe beobachtete er sie. Es fiel ihm wieder ein dass Maria doch dieses Tuch über ihre 17 Münzen gedeckt hatte, die sie zu einem achtstrahligen Stern ausgelegt hatte, dem Symbol der heidnischen Göttin Astarte. – „Heil dem Sohn des Sterns“, sprach Maria gerade ganz leise vor sich hin. Das war eine traditionelle Bezeichnung für den Heiland. Josef hatte plötzlich das Gefühl dass sich hier übles Heidentum eingeschlichen hatte in seine jüdische Familie... „Sag mal, räucherst du jetzt etwa dem Gräuel Astarte, so wie es deine alte Mutter Anna immer tat, diese unverbesserliche Heidin?“ Maria erstarrte, aber sie schwieg. Mit einem Ruck zupfte Josef das ausgeblichene Tuch weg. Der Ort wo der Stern aus Münzen gelegen hatte war jetzt leer. „Ach wie gut, da ist ja gar nichts mehr!“ seufzte Josef erleichtert. „Ich hatte schon die schlimmsten Befürchtungen wegen des Sterns der Astarte...“ Josef verstummte als er betroffen sah wie Maria nun reagierte. Maria riss den Mund und die Augen weit auf, und sie stammelte: „Mein Geld! Verdammt sei die Ishtar! Mein schönes Geld ist weg. Es ist geklaut worden in der Nacht! Wer war das, ihr Betrüger, Araber und sonstigen Schufte?“ Marias wütende Klage steigerte sich schnell in der Lautstärke als sie aufsprang und schrill zu heulen und zu schimpfen begann. „Wer von euch Schurken hat mein Geld geklaut? Keiner verlässt die Scheune! Dass ihr euch nicht schämt eine arme Jungfrau zu beklauen!“ Die meisten der armen Leute in der Scheune schwiegen bedrückt. Ein Mann rief frech: „Bleibt demnächst in Galiläa, ihr Galiläer!“ Daraufhin begann Maria zu zürnen! Ein Wutausbruch schüttelte sie während sie aufs Stroh sank. – „Mama aua!“ meinte Jesus klagend. Eine dürre Bettlerin, eine flüchtige Bekannte, kam zu ihnen um Maria in den Arm zu nehmen und zu trösten. „Ich hab mehr schlechte Neuigkeiten“, berichtete die verhärmte Bettlerin klagend. „Ich wollte vorhin in Bethlehem betteln, so wie üblich. Aber der neue Stadthauptmann hat neue Befehle ausgegeben. Die Wachen lassen uns Arme gar nicht mehr durchs Tor passieren. Die reichen Herodianer sagen, hier in Bethlehem bekommt keiner mehr ein Almosen oder Obdach. Alle Judäer müssen in ihre Heimatstadt reisen, weil die Römer sich anschauen wollen was sie besitzen. Davon muss die römische Steuer bezahlt werden.“ – „Aber wir haben doch gar kein Zuhause mehr!“ schluchzte Maria. – „Das macht nichts“, erklärte ihr ein Berber von der Seite her. „Alles Bettelgesindel und Zigeunerpack wird umgesiedelt nach Galiläa, in die Trabantenstadt. Dort werden wir alle lernen müssen wie man ehrlich arbeitet. Und von dem was wir uns mühsam erarbeiten, müssen wir dann die römische Steuer bezahlen.“ Daraufhin begann Maria erst recht zu zürnen, sie schlug sich ihre Fäuste vor die Brüste. Die beiden Bettlerinnen jammerten nun so schrill, eindrucksvoll und laut, dass der schmucke Gerichtsdiener Levi rasch zu ihnen trat. In gemessenem Tonfall erklärte Levi Maria und der anderen Bettlerin, wie um sie zu trösten, dass er sie beide als Klageweiber in den Trauerzug des toten Richters Abichai hinein bat. Gleich gab Levi dem Josef einen wertvollen Silberling als Bezahlung, einen ganzen römischen Denar. Der befingerte froh die alte Silbermünze, denn der Denar war wenigstens nicht aus dem neuen kaiserlichen unedlen Metall Messing. Josef musterte sogar verstohlen die Münze und verdrängte bewusst dass es eigentlich eine Sünde war die Abbildungen darauf zu betrachten. Er stellte verblüfft fest, zu sich selbst: „Schon wieder Varus!“ In der Tat zeigte die Münze das Porträt des ehemaligen Militärbefehlshabers der ganzen Region. Varus war leicht erkennbar an seiner „starken Nase“, von der alle meinten dass sie wie die eines Juden aussähe. Josef rieb sich die Beule an seinem Kopf mit Spucke ein, und fragte sich ob denn all das nicht ein Zeichen Gottes war. Er zeigte die Münze Judas und erklärte ihm dazu: „Der Gy'tt und all die Engel scheinen sich für Varus viel mehr zu interessieren als für uns Arme.“ – „Papa pass gut auf unser Geld!“ riet ihm Assia nun leise, über seine Schulter. „Weißt du was diese Panthera nachts getan hat?“ – „Sei still, Assia“, murmelte Josef zerstreut. Erst allmählich ging ihm auf was seine Tochter gesagt hatte. Aber als er nun fragte: „Was hat sie getan?“ und den Kopf zu ihr umdrehte, da war Assia schon fortgelaufen. – „Jetzt wird deine Tochter auch so schlimm wie du!“ beschwerte sich Josef bei Maria. Da bekam diese solche Wut dass Josef rasch von ihr weg rückte.

37.

Papa, Papa, wach auf! Judas wollte Josef wecken, aber dieser war nicht gewillt dies zu bemerken. Erst als eine fremde Stimme „He!“ rief, da begriff Josef dass er doch aufwachen musste. Erschöpft und bedrückt tat Josef die Augen auf und blickte sich um, und machte sich gleich auf Ärger gefasst. Rings um ihn standen Hirten aus der Gegend, es waren die Leute denen diese Scheune gehörte. Ein asiatischer Fremder war bei ihnen, mit einer kleinen Schar von Söldnern. Der redete nun drohend auf Josef ein: „Ihr habt gehört was der Stadthauptmann Hanes gesagt hat. Und der Hirte Gassi hier, der sagt euch jetzt dasselbe, und der hat hier zu sagen! Also haut endlich ab ihr Gesindel. Verzieht euch.“ Als Josef bedrückt schwieg gab ihm der fremde Söldnerführer noch einen Hieb mit seiner Knute. Dann gingen die Männer weiter zu den anderen Reisenden in der Scheune, und wiederholten ihre Aufforderung. Der Oberhirte Agasi erklärte allen dass die hier ansässigen Wanderhirten mit ihren Tieren schon bis zu Salomos Teichen gekommen waren, und dass demnächst diese Scheune wieder gebraucht werden würde. – „Also dann, auf nach Ägypten“, schlug Josef Maria zögernd vor. Irgendwie ahnte er dass das nicht der richtige Vorschlag war. – „Ganz allein willst du mit uns in die Wüste, ohne Reittiere und Zelt und Geld und Vorräte und Begleiter? Du alter Esel! Nein, wir ziehen zurück nach Galiläa“, entschied Maria, „so wie das unser Fürst Herodes Antipas möchte. Er hat uns doch ein Zuhause und Arbeit versprochen.“ Josef wollte widersprechen, aber er überlegte erst noch ob er das riskieren durfte. Schon kam der Söldnerführer mit den Hirten zurück und gab Josef erneut einen Hieb. „Ihr packt euch zuerst, ihr Galiläer!“ befahl er. – „Mach dem Lumpenpack Beine!“ rief ein Wanderhirte von der Seite her. „Nachts haben die hier ein Brimborium veranstaltet, wie für die Heidengöttin der Unterwelt! Aber schau! Jetzt pennen sie am hellen Tag wie die Thora-Studenten.“ – „Wir gehen ja schon. Wir wollen nach Tiberias, der neuen Trabantenstadt“, versicherte Maria, da sie sich reckte und Jesus hochnahm. – „Ja genau. Dort gibt es Arbeit für uns. Ich bin Zimmermann“, erklärte Josef hastig dem Nomadenführer, es war ein Asiat mit einem finsteren schwarzen Bart, der wie ein Tatare aus der Steppe aussah. Dieser wurde daraufhin etwas freundlicher, er legte sogar Jesus kurz die Hand auf den Kopf. – „Bist du nicht der Eiferer und Prediger Josef aus Galiläa, der Sadokiter?“ fragte da ein Armer der neben Josef lagerte, und der irgendwie strenggläubig wirkte. Als Josef zögernd nickte, da flüsterte ihm der Arme ängstlich zu: „Dann geht nicht nach Tiberias! Ihr lauft in eine tödliche Falle!“ – „Wieso? Glaubst du die Römer wollen uns Gesindel nur heimlich in die Wüste führen und massakrieren?“ – „Wisse dass Tiberias verflucht ist!“ – „Wieso?“ – „Diese Stadt wurde auf Gräbern erbaut, auch auf denen von Juden. Deswegen will niemand dort wohnen. Und nur deshalb ist Herodes Antipas bereit jegliches Gesindel aus ganz Judäa dort unterzubringen.“ – „Verflucht!“ schimpfte Josef laut. Denn ein Haus auf einem jüdischen Grab zu errichten, das war ein klarer Verstoß gegen irgendwelche Tabus und Traditionen, auch wenn Josef die entsprechenden Gebote gerade nicht einfallen wollten. „Hast du das gehört!“ berichtete er voller Entsetzen seiner Frau. Und als der Tatare ihn erneut musterte, mit seinen kleinen schwarzen Augen, da erhob sich Josef mit neuem Mut auf die knackenden Beine. Mit fester, klarer Stimme erklärte er nun: „Wir gehen nicht nach Tiberias, niemals!“ Da zog der Tatare seinen Dolch und legte ihn Josef bedrohlich vor die Kehle: „Willst du lieber sterben, du Einfältiger?“ geiferte er. – „Liebe werde ich sterben wie ein aufrechter Jude, als auch nur eines der heiligen Gebote meines Herrn zu missachten!“ rief Josef ergriffen aus. Tränen rannen ihm die faltigen Wangen herunter. Heftig zerrte er seine Kleider vorne auseinander um die Kehle zu entblößen. Das hatte den Erfolg dass Josefs lumpiges Gewand vorne leicht zerriss. „Entschuldigung!“ murmelte Josef betroffen. Darüber musste der Tatare verächtlich lachen. „Ich kann es nicht glauben wie einfältig ihr Juden manchmal seid!“ erklärte er den Hirten ringsum. – „Du lebst noch nicht lange genug in Judäa, sonst wundert dich nichts mehr, Nomade“, erklärte ihm ein anderer Hirte gutmütig. Einen Moment lang starrten die Hirten sich schweigend an. – „Wir müssen doch nach Ägypten, uns bleibt keine Wahl“, verkündete Josef seiner Frau. – „Aber! Wer nicht wusste dass er auf Gräbern wohnt, und es nachher merkt, der muss sich doch nur sieben Tage lang reinigen; und dann darf er doch auf Gräbern wohnen bleiben, oder nicht?“ fragte Maria. – „Das mag sein, aber ein Gebot ist eben ein Gebot und gilt streng. Gerade die Reinheitsvorschriften gelten besonders streng. Für uns Juden ist alles unrein, unrein! Und du weißt doch wie streng der Herr ist. Gy'tt kann man es nie recht genug machen...“ predigte Josef standhaft. – „Papa, Papa, da kommen noch mehr Leute!“ rief Judas plötzlich. „Es ist eine große Schar, sie haben viele Waffen und sehen aus wie Räuber und Araber!“ – „Die haben hier noch gefehlt“, meinte der Tatare. Rasch zogen sich die Hirten und ihre wenigen Söldner aus der Scheune zurück. – „Die können rennen!“ meinte Judas lachend zu seinem Vater, als sie hinter ihnen her schauten. Josef aber war verärgert und ängstlich. Er hatte zwar nichts was Räuber ihm abnehmen konnten. Aber er wusste wie sinnlos grausam solche Banditen manchmal werden konnten. Da rief der strenggläubige Arme neben ihm plötzlich froh: „Fürchte dich nicht, Josef. Weißt du nicht wer da kommt? Das sind die Sadokiter!“

38.

Es ritten dann Kundschafter zur Scheune, Josef stellte sich ihnen froh als Prediger Sadduks vor. So einfach wurde Josef schon aufgenommen in die Schar der Sadokiter, und durfte bleiben wo er war. Er schaute erst mal nur zu wie die Sadokiter nach und nach mit ihren Eseln, Maultieren und einigen Dromedaren auf den Platz vor der Scheune zogen. Viele der Sadokiter waren dick vermummt und dennoch mit allerlei bunten Sachen malerisch herausgeputzt. Die verwegen gekleideten Nomaden geleiteten eine Karawane mit jüdischen Pilgern, die aus Ägypten stammten. Es waren überwiegend ältere Männer mit müden und bedrückten Gesichtern, die Gebetsschals und Gewänder aus feinem ägyptischem Leinen und staubiger Baumwolle trugen. Ein langer Tross von Dienern und beladenen Maultieren folgte am Schluss. Erneut erhellte sich Josefs verkniffenes Gesicht als er den Aufrührer Judas aus Gamala wiedersah. Der war durch die dunkle Scheune hinten herum geschlichen, er trug jetzt ein farbenfrohes ägyptisches Kopftuch über seiner Glatze. Judas aus Gamala wurde begleitet von einigen finsteren kleinen Kerlen, die verdächtig nach einer Räuberbande aussahen. Dennoch war Josef sehr froh unter den arg fremden Sadokitern ein halbwegs vertrautes Gesicht zu sehen. Er wollte Judas freundschaftlich umarmen und herzen, doch dafür hatte dieser jetzt keine Geduld. Mit routinierter bis gehetzter Stimme verkündete der Rebellenführer, wie immer laut und auch für die Bettler und Reisenden ringsum: „Hört mich an, ihr stolzen Juden! Jetzt haben die Römer den Bogen überspannt! Judäa bleibt unser Land und Königreich! Niemals werden wir es dulden dass die Römer uns in ihr Schurkenreich eingliedern! Überall im Land sammeln sich derzeit die Unzufriedenen und üben sich an den Waffen! Das gibt einen großen Aufstand, so wie damals als die Makkabäer unser Land von der Herrschaft der hellenischen Diadochen befreiten. Erinnert euch an diese Zeit, da der neue König Israels als Sieger in Jerusalem einzog! Und, war es ein Zufall dass dieser König der Makkabäer Judas hieß, also genau so wie ich?“ – Judas aus Gamala blickte sich gehetzt um. Dann reckte er sich und zog sein farbenfrohes Kopftuch etwas zurück, so dass er im Profil mit Hakennase erkennbar wurde. „Wer mag kann auch sein Bild mit dem meinen vergleichen. Ihr kennt den Judas Makkabäus doch von euren Münzen!“ – „Aber keineswegs!“ rief Josef entsetzt. Der prophetische Eifer regte sich in ihm. Er hob schnell den kleinen Jesus in die Arme, auf den er derzeit aufpassen musste weil Maria unterwegs war. Dann stellte er sich mutig neben Judas aus Gamala und wollte zu predigen beginnen, gegen das gebotswidrige Betrachten von Bildern. Aber bevor Josef noch ein Wort sagen konnte war schon ein finsterer Fremder in die Scheune getreten, der gleich alle Augen auf sich zog. Und da begriff Josef dass es besser war wenn er jetzt schwieg. Denn das war Sadduk! Seine Sadokiter hatten sich von der anerkannten Sekte der Pharisäer abgespalten, welche es derzeit nicht nochmals wagte gegen die Römer und die reichen Adligen zu rebellieren. Sadduk hatte diese Rebellenbewegung in der östlichen Wüste neu formiert, nachdem sein Vorgänger Simon mit 3.000 aufständischen Pharisäern nach einem gescheiterten Aufstand im Tempel niedergemetzelt worden war. Schon zu früheren Zeiten hatte es hier und da einen Sadok gegeben, aber niemand erinnerte sich genau an diese Radikalen und ihre Schicksale. Der neue Sadduk besaß mittlerweile im ganzen Land einen guten Ruf, aber vor allem unter den Tagelöhnern und Geringverdienern, den Radikalen und Eiferern, den Asozialen und Weinsäufern, den Renitenten und Banditen, den Zigeunern und Bettlern, den Geistesgestörten und Einfältigen, und den Süchtigen der hebräischen Schriftrollen. Nun führte Sadduk mit belegter Stimme und im gehetzten konspirativen Tonfall aus: „Wir haben östlich von Jericho schon gut befestigte Lager errichtet. Jeder der eine Waffe tragen kann ist dort willkommen. Aber ihr müsst euch der Regel unserer Gemeinde unterwerfen. Keiner darf irgendein Eigentum besitzen, denn Eigentum ist Diebstahl! Bei uns gehört alles der Gemeinschaft, und der Führer befiehlt was damit zu geschehen hat.“ Da murrten jedoch gleich einige Bettler ringsum, und manch einer griff unwillkürlich nach seinen paar Habseligkeiten. – „Und wo soll unser Nachschub herkommen?“ fragte ein zerlumpter Dunkler, ein Araber. – „Den besorgen wir uns durch Überfälle auf die Maultier-Karawanen der Römer, und eventuell auf reiche jüdische Pilger. Die Römer haben alles im Überfluss, aber das haben sie alles geklaut. Wir nehmen ihnen alles weg und fliehen in die Berge. Da können sie uns lange suchen.“ – „Das ist gut. Die Kultur der Wüstenräuber ist die edelste Tradition welche das Glückliche Arabien der Welt zu bieten hat. Und seid ihr Juden nicht eigentlich auch Semiten, also Araber? Sind wir nicht dabei, nach Gottes Willen, ein vereintes Räubervolk zu werden?“ fragte nun der Araber froh. – „Das siehst du nicht so falsch“, musste Sadduk zugeben. Josef rief dazwischen: „So oder so, wenn Adonais Segen mit uns ist dann kann unsere Sache nicht misslingen.“ Da brandete viel Beifall auf in der Scheune. – „Unterschätzt die Römer nicht!“ warnte jedoch nun Judas aus Gamala. Er fasste den zerlumpten Araber ins Auge, bis dieser seinen Kopf senken musste. Denn erklärte der beeindruckende Jude düster: „Wenn wir hier nur eine Patrouille der Römer überfallen sollten, dann sind im nächsten Monat zwei Legionen in Judäa unterwegs auf einer Strafexpedition. Und die kennen kein Erbarmen, die brandschatzen unsere Dörfer, versklaven unsere Frauen und kreuzigen unsere Männer...“ – „Wir ziehen uns einfach zurück in die Sandwüste! Dort gibt es fast kein Wasser, nur einige geheime Brunnen haben wir angelegt“, erklärte der Araber. „Die finden die Römer nie, und die Hitze der Wüste liegt ihnen sowieso nicht.“ – „Und was passiert mit den Hunderttausenden von den Juden hier? Willst du die auch dort hin führen, in die Wüste?“ – Der Araber schwieg, aber Josef konnte seinen Mund nicht halten und tönte: „Auch das wäre doch möglich! Moses führte doch auch alle zwölf Stämme Israels in die Wüste, und Gott schmiss ihnen Manna vom Himmel, um sie zu speisen.“ – „Diese Hebräer aßen in Wahrheit Menschenfleisch, so hungrig sind die nachher gewesen“, erklärte der Araber, und er sprach wie einer der es wohl wusste. – „Seid doch mal vernünftig, ihr Gläubigen!“ rief nun ein noch recht junger Pilger in die Scheune hinein, es war ein reich gekleideter großer Mann der ebenfalls viel Autorität ausstrahlte. Bedächtig erklärte der Pilger: „Ich bin Philo, ein Schriftgelehrter aus Alexandrien und auf dem Weg in unsere Heilige. Ich muss euch genauso warnen, liebe Volksgenossen, vor unüberlegten Schritten. Ihr denkt vielleicht dass ihr die Römer leicht besiegen könnt, weil sie bei uns kaum noch Truppen stationiert haben. Aber diese Legionen können leicht wieder hierher verlegt werden. Erinnert euch doch an die Zeit als die Piraten aus der Ägäis, Kleinasien und Afrika das östliche Mittelmeer unsicher machten. Vor zwei Menschenaltern hieß es dass die Römer machtlos wären gegen diese Plage. Aber dann zog der Feldherr Pompeius eine römische Flotte zusammen, und in nur einem Vierteljahr hat er all die Piraten restlos besiegt. So schnell, stark und entschlossen können die Römer militärisch handeln.“ – „Du hast schon recht“, meinte Judas aus Gamala, mit heftigen Gesten. „Aber mit den Piraten war das damals doch so, dass der reiche Römer Pompeius sie einfach begnadigt und in fremden Städten angesiedelt hat. Das haben die Römer mit Piraten, Banditen und feindlichen Kämpfern auch später noch oft so gemacht. Auf diese Weise kam ja auch Hanes der Lyder mit seinen Söldnern hierher nach Bethlehem, dieser Sch...“ Ein Schimpfwort lag dem Judas auf der Zunge, aber er zähmte seine Zunge und schaute sich nur sorgfältig um. Ein Sadokiter aus dem Gefolge des Judas, ein stämmiger kleiner Finsterling, meinte plötzlich: „Wenn sie Räuber und Banditen großzügig begnadigen; und ihnen sogar Land zuweisen, dann sind die Römer doch nicht so schlecht für uns.“ Dazu murmelten seine Mitstreiter beifällig. – „Tja, wenn sie nur unser jüdisches Gesetz einhalten würden!“ meinte Judas aus Gamala daraufhin verlegen. – „Ich weiß jemanden der die Römer lehren kann sich wie echte Juden zu benehmen, oder jedenfalls wie halbe Juden, also wie diese Proselyten. Wenn der erst mal loslegt, dann werden die Römer alle ihre blöden Heidentempel schließen und verfallen lassen, und statt dessen werden sie alle unseren jüdischen Messias anbeten!“ – „Und wer sollte das, bitte schön, bewirken?“ fragte Sadduk verblüfft, wobei er die gemurmelte Warnung von Judas: „Lass ihn, das ist nur ein Hochstapler und Meschuggener.“ ignorierte. – „Ja... wer soll die Heiden lehren den Messias anzubeten? Das kann doch nur einer, nicht wahr, Jesus?“ Während in der Scheune das nun schon übliche Gelächter aufkam reckte Josef mit erwartungsfroher Miene den kleinen Jesus in die Höhe. – „Mama?“ rief Jesus fragend in die Stille hinein. Nun lachten sogar die Frauen hell auf.

39.

Mürrische Unruhe kam nun auf unter den Banditen und Sadokitern, und manch einer scharrte schon mit den Füßen, ungeduldig darauf dass er sich um seine Angelegenheiten kümmern konnte. In der überfüllten, muffig riechenden Scheune gab es kaum noch Schlafplätze, und draußen wurde es in der Nacht schon mal frostkalt. Josef aber sah plötzlich die Gelegenheit gekommen selbst das Wort zu ergreifen. Er hatte so Vieles im Sinn was ihm wichtig erschien, so viele Worte die sich um das Recht zu streiten schienen von ihm ausgesprochen zu werden: „So hört mich nun an!“ tönte er. Und schnell steigerte sich seine Rede im Tonfall und in der Lautstärke zum eifernden Singsang: „Ja ihr Brüder im Glauben, erinnert euch in der Anfechtung an unsere heilige Schrift. Die Thora allein gibt uns Juden Kraft und Weisheit, denn nur mit ihrer Hilfe klären sich alle unsere Zweifelsfragen zur heiligen Gewissheit, durch die Macht unseres Gy'ttas. Fürchtet Gy'tt allein auf dass er euch den Sieg schenkt über eure Feinde! War es nicht auch so dass David einst vom Herrn Hilfe erhielt, im Kampf gegen die zahllosen Scharen der Philister und Hethiter? Als einst David ein Vorkämpfer war in der Schar des alten Königs Saul, da hatte Israel nur wenige Kämpfer. Doch nun kam die Kraft zu ihnen des Löwen von Juda! Und deshalb konnte sie niemand besiegen. Erst tötete David nur den Goliath. Und dann tötete er noch zehn Palästiner dazu, und dann noch hundert, und noch tausend, und noch zehntausend, und noch... ähm, das nächste Wort kenn ich nicht das hier noch gesprochen werden müsste. Aber einer wird alle Worte wissen die gesprochen werden müssen, zu seiner Zeit, wenn er euch Juden zum Sieg führen wird: Der neue Löwe von Juda, der König der Könige, euer Juda Löw! Könnt ihr ihn denn erkennen wenn er unerkannt unter euch weilt? Ich sage euch: Schaut ihn euch an!“ Hoffnungsfroh reckte Josef seinen Sohn Jesus der Schar der Rebellen und Räuber entgegen. Viele blickten sich verwirrt um. – „Ja nun, nach der Thora hat er recht“, meinte Judas aus Gamala zum finster starrenden Sadduk. – „Nach der Thora war alles ganz anders“, widersprach jedoch der Gelehrte Philo aus Alexandria. Und nun trat dieser Geschäftsmann mit verärgertem Blick vor die Menge, und stellte sich gegenüber Josef hin. „Darf ich euch radikale Träumer und davongetragene Eiferer mal an die geschichtliche Wirklichkeit erinnern? In Wahrheit war David nämlich allein, als Saul beschloss ihn zu ermorden. Aber da glückte ihm die Flucht. Und David verriet daraufhin Israel und ging über zu den Philistern, mit einer Bande von Banditen die er um sich geschart hatte. Und die Macht des Löwen von Juda wandte sich gegen sein Reich. König Saul wurde getötet mit seinen Söhnen, dieser Mörder von Propheten. König David aber regierte sein Reich mit der Zustimmung der fremden Eindringlinge, der Kreter und Philister. Und nur deswegen war die Macht mit David als er Jerusalem eroberte und alle Einwohner der Heiligen ausrotten ließ, Juden und Nichtjuden, fast mit der einzigen Ausnahme von Nathan dem Weisen.“ – „Lästerung! Das ist eine...“ völlig falsche Sichtweise, wolle Josef empört ausrufen. Aber da ging ihm plötzlich ein Licht auf. Blaue Funken tanzten ihm vor den Augen, und es kam ihm so vor als ob er immer noch unter Drogeneinfluss stehen würde, so wie nachts im Zelt der drei Gaukler. „Dieser Weise aus Ägypten hier, der hat ja recht!“ rief Josef erstaunt aus, auch zu sich selbst, und brachte damit die aufgeregt murmelnden Zuhörer erneut zum Schweigen. „Sollen wir nicht der Thora insoweit gehorchen, und erneut das tun was der große König David einst tat? Sollen wir also übergehen zu den Römern, so wie David einst überlief zu den Palästinern? Das wäre nicht so falsch. Ihr Juden alle, hört mich an so wie ihr einen Propheten anhört, denn ich bin jetzt einer. Ja, ich sah und hörte reden von Varus, dem römischen Feldherrn!“ Eifrig setzte Josef den Jesus-Knaben auf den Boden. Dann fingerte er die Silbermünze mit dem Porträt des Varus aus seinem Gürtel und reckte sie den Rebellen entgegen. „Die Römer haben alles reichlich, sie haben Wein, Brot und Wein und Schafe und Rinder, sie haben Schiffe und Truppen und, in unbegrenzten Mengen! Schließen wir uns ihnen an, und dann wird dieses Eigentum unser gemeinsames Eigentum sein. Dann sind wir auch Römer. Und Varus, der gerade Germanien erobert, wird unser Feldherr sein.“ – „Du irrst dich! Varus ist in Rom, der hat sich schon zur Ruhe gesetzt“, erklärte daraufhin Judas aus Gamala, aber mit dem Unterton des Zweifels. – „Ich irre mich nicht wenn ich Gy'tt tief in mir drin spüre!“ rief Josef ihm entgegen, mit dem sengenden Eifer des Eiferers. Er schwitzte fast als er jetzt erläuterte: „Varus wurde erneut zum Feldherrn berufen vom alten Kaiser. Jetzt führt er fünfzigtausend Legionäre an, die Germanien erobern. Bald wird Varus dort die fünfzigtausend Germanen alle ans Kreuz hängen, so wie er es mit den Palästinern tat die gegen ihn rebellierten. Und das bedeutet dass dieses ganze Land frei werden wird für neue Siedler, auch für uns Juden! Und hat uns das nicht Bileam der babylonische Prophet versprochen, dass wir zahlreich werden würden wie die Sterne, um in allen Ländern der Erde zu wohnen? Wahrlich ich sage euch, als der heimlich schon gesalbte neue König von Israel: Heute gehört uns Germanien, und morgen gehört uns die ganze Welt!“ Josef hatte mit fanatischer, lauter Stimme gepredigt, erfasst von einem Eifer den er selbst fast fürchtete, weil ihm dieser tückisch vorkam. Totenstille herrschte nun in der Scheune, jedenfalls für einen Moment. Dann bemerkte Josef jedoch dass die Leute vor ihm untereinander murmelten. Eine Gerücht verbreitete sich, man erzählte es von Mann zu Mann, und es löste überall eine gewisse Heiterkeit aus. Sogar das finstere Gesicht Sadduks erhellte sich, als ihm einer seiner Mitstreiter die Neuigkeit ins Ohr flüsterte. Dann trat der Rebellenführer aus der Wüste plötzlich vor Josef, und fragte ihn mit seiner dumpfen Stimme: „Du redest wie ein Prophet oder Gesalbter! Beweis uns dass du einer bist. Sag uns du Idiot Israels, was wird hier in dieser Hütte gerade heimlich über dich erzählt?“ – „Öhm...“ murmelte Josef leicht empört. Er sah wie jetzt auch Philo das Gerücht erfuhr, und der weise Jude aus Ägypten begann plötzlich lauthals zu lachen. Josef konnte Philo nicht ins Gesicht schauen, denn er schämte sich, und es kribbelte ihm warm an den Genitalien. – „Mama!“ rief Jesus sehnsüchtig. – „Da, hört ihr ihn? Dein Sohn hat dich erkannt Josef – als seine Mama! Wenn hier jemand die Sehergabe besitzt, oder gar als der Gesalbte Israels gelten darf, dann dieser Knabe!“ lachte Sadduk. – „Dann hat der Arschgeber also dieses Kind bekommen! Und seine Frau war deshalb noch Jungfrau! Das ist ja ein noch viel größeres Wunder.“ So lästerte man nun ringsum. Und während die Stimmung unter den Rebellen und Bettlern immer heiterer wurde nahm Josef den Jesus in den Arm, und floh mit schamrotem Gesicht in seine finstere Ecke.

40.

Einige Zeit später war müde Ruhe eingekehrt in der Scheune. Judas aus Gamala, der hier nur Judas Galiläus genannt wurde, war dabei sich als neuer König ins Gespräch zu bringen. Zur Zeit musste er eine müde Debatte über Pillepalle über sich ergehen lassen. War es denn erlaubt sich mit dem Bild auf einer Münze zu vergleichen? Judas argumentierte dafür: „Das Bilderverbot ergibt nur Sinn im Hinblick auf den Bilderdienst der Heiden.“ – „Aber die Halacha ist nun mal die jüdische Tradition, und was gegen die Tradition ist das geht eben nicht!“ widersprach strikt ein hässlicher Pharisäer aus Ägypten. Im Ausland hielten die Juden sich oft noch strenger an jüdische Traditionen als in Judäa. Maria gab derweil Rationen aus von dem angeschimmelten Brot das sie noch hatten, vor allem an ihre beiden Jungen. Die dünne Assia lungerte in der Nähe herum, aber das schlechte Brot mochte sie nicht, und das gute aß gerade Josef. Josef kam immer wieder dazu sich über Maria Gedanken zu machen. Er fragte sich jetzt fast ständig was denn mit seiner Frau geschehen war, und hatte doch nicht den Mut sie danach zu fragen. Das war eben einfach eines von diesen vielen Wundern wie sie die heiligen Schriften ja auch beschrieben. Beiläufig meinte Josef von oben herab: „Der Herr hat also an dir ein Wunder getan. Das bedeutet praktisch dass Gy'tt dir eine zweite Jugend geschenkt hat, nicht wahr?“ Sie entgegnete ihm mürrisch, mit einem bekannten Spruch aus dem Buch des falschen Salomo Kohelet: „Die welche ihr Wissen vermehren werden auch ihr Leiden vermehren.“ Josef fiel darauf keine gute Gegenrede ein, und so schwieg er. So was konnte er ja gar nicht leiden, wenn Frauen sich gelehrt und hochnäsig zeigten. Josef knabberte mürrisch sein restliches Eckchen Brot, und roch doch Bratenduft der ihm in die Nase stieg. Denn die Leute der Reisegruppe um Philo aus Alexandrien hatten sich draußen ein Feuer aus Dung angezündet, dort wurde gerade ein Schaf zerteilt und zubereitet. Es gab dort auch Gurken und Zwiebeln, und Kraut, Lauch und Lotos; sogar Süßspeisen besaßen diese Pilger noch. Diese Reisenden waren zumeist ältere wohlhabende jüdische Pilger aus Alexandrien und dem Nildelta, die im zentralen Tempel von Jerusalem opfern wollten. Die Banditen Sadduks hatten diese Karawane offenbar bis hierhin begleitet, doch zögerten sie nun sich weiter hinein ins römische Judäa zu wagen. Josef kam auf die Idee diese Pilger über den Weg nach Ägypten und ihre Reise-Erfahrungen zu befragen. Denn Josef war ja eigentlich auch auf dem Weg nach Ägypten, und seine Suche nach der Bundeslade würde ihn ja tief ins Innere dieses heißen Landes führen, von dem es hieß dass es in seiner Mitte so heiß war dass dort niemand leben konnte. Weiter südlich lebten sogenannte Pygmäen; Zwerge die angeblich schwärzlich und hässlich waren wie Schweine. Diese stellten den Kranichen nach, und für Kraniche und andere Zugvögel war Judäa ein beliebtes Durchzugsland. Josef trat nun nach draußen und schaute in den Himmel. Er sah in der Höhe einen Geier kreisen, und betrachtete dies als ein gutes Zeichen. Im Buch Ruth stand nämlich dass auch Gott Flügel hatte. Das hatte zwar nur der Boaz so behauptet, irgend so ein Landwirt war der gewesen, aber wenn es in so einem Buch stand dann stimmte es... Josef schlenderte spontan in die Nähe der Pilger, die sich schon froh zum Mahl begeben hatten und Fleisch mit Zwiebeln und Sauerkraut im Fladenbrot kauten. Ringsum lungerten leider schon viele Hungrige herum, die alle darauf warteten dass etwas Essbares für sie abfallen würde. Josef schritt mutig an ihnen vorbei, bis hin zu den paar Bewaffneten welche die Gruppe der Pilger beschützten. Dort stellte er sich auf und begann dann zu predigen, so wie er es oft tat wenn er vor der Tür eines Tempels um eine Einladung zum Opfermahl heischte: „Adonai, du Gy'tt von Abraham und Moses und Jesus und Israel, du hast uns weggeführt von den Fleischtöpfen Ägyptens, mit dem Versprechen das du für uns sorgen wirst. Und du hast Wort gehalten, denn du hast uns dieses Land zum Erbbesitz geschenkt, in dem Wein und ähm, Milch, fließen, das Land in dem nach deinem Willen alle Hebräer ewig satt werden sollen. Wir Juden bauten dir Altäre, auf ihnen brennen beständig Opferfeuer! In deinen herrlichen Tempeln fließt das Blut in Strömen, ja dort wird geschlachtet und gemetzelt fast ohne Pause, damit der süße blutige Dunst bis zum Himmel aufsteigt, dir hinein in deine göttliche Krummnase. Wahrlich es steht doch geschrieben das du Gy'tt uns Juden nach deinem Ebenbild erschufest, du siehst also auch nicht besser aus als wir alle. Doch wir laden dich herzlich ein – mit unseren Gebeten – teil zu nehmen an jeglichem Fest das wir feiern! Du Gy'tt holst dir das Deine von jeglichem Opfermahl das wir Juden feiern, und zu dem traditionell die Juden alle ihre Brüder herzlich einladen!“ – „Schweig besser, du Lump! Belästige die Herren nicht, sondern geh woanders beten“, schimpfte ein Karawanenwächter, und ließ seine Lanze drohend vorzucken. Doch da begann gerade der Opferpriester eine Hymne zu singen, und Opferblut wurde auf den improvisierten Altar gegossen. – „Josef, du bist eingeladen“, rief der reiche Philo mit überraschender Freundlichkeit. Das Herz hüpfte Josef froh im Leibe als er nun die Bewaffneten passieren durfte um sich zu den reichen Juden zu gesellen, die überwiegend die kleingriechische Tracht trugen, die weiten Klamotten der hellenistischen Kultur, die im ganzen Orient verbreitet war. – „Manches gefiel mir von dem was du vorhin sagtest, Prediger“, teilte Philo ihm mit, mit vollem Mund und nebenbei. – „Ach ja, das war doch gar nicht wichtig“, meinte Josef, und zog voller Scham und Ärger die Hände vor sein Geschlechtsteil. Es war ihm peinlich was ihm da nachts im Zelt passiert war, als Melchior ihn von hinten bestiegen hatte, und er dachte dass Philo jetzt darauf anspielen würde. Aber dieser meinte nur, kühl und freundlich: „Es gibt nun mal auch die gleichgeschlechtliche Liebe unter uns, welcher Grieche würde das leugnen? Wir Juden müssen pragmatisch und schlau denken. Und schlau ist es tatsächlich wenn wir uns jetzt mit den Griechen und Römern gut stellen. Rom ist nun mal die Macht die den ganzen Weltkreis beherrscht. Ja, es ist ja sogar ein Erdball, wenn man dem glaubt was Eratosthenes und andere weise Griechen festgestellt haben. Das weiß jeder Seemann, dass ein Schiff das sich entfernt von der Krümmung der Ozeane nach und nach verdeckt wird, so dass die oberen Lichter erst später unsichtbar werden...“ – „Ja. Oh ja“, bestätigte Josef. „Und wenn die Sterne und Planeten unsichtbar werden, dann wegen der oberen Ozeane im Himmel, aus denen heraus der Regen fällt. Das lehrt uns Juden das Buch Genesis gleich zu Beginn...“ Er wollte weiter predigen, aber er vermochte es nicht mehr, denn der Fleischduft stieg ihm in die krumme Nase, und der Speichel lief ihm triefend im Mund zusammen. – „Andererseits ist Rom eben ein Räubernest und wird es auch immer bleiben. Das dürfen wir Juden und Hellenen nie außer Acht lassen, wenn die Frage sich stellt inwieweit wir den Römern vertrauen können.“ So redete plötzlich ein anderer Reisender, ein hellhäutiger kleiner Jude aus Ägypten mit einem dicken runden Kopf. – „Es geht im Leben darum wer über die Fleischportionen zu bestimmen hat“, meinte Josef. Das klang nicht so klug jetzt, das hörte er selbst, aber diese Worte rutschten ihm eben immer so heraus. Josef sabberte und humpfte. – „Das siehst du richtig“, bestätigte Philo wohlwollend. Er winkte einen Opferpriester herbei, und dieser reichte Josef ein frisch gebratenes Beinstück auf die Hand. Da grinste Josef und strahlte, denn Fleisch hatte er schon länger nicht mehr gegessen. „Dank sei Gy'tt für seine Speisen“, murmelte er während er das sehnige Stück abnagte. „Wir Juden dürfen nie vergessen dass unser Herr uns einzig richtig wertschätzt. Der Herr ist unsere Stärke, und die ist stärker als ein Meer voller römischer Schiffe und eine Welt voller römischer Legionäre. Denn so oft half uns der Gy'tt doch durch ein Wunder in schwerer Not, wenn wir nur gehorsam waren und seine Gebote äußerst genau eingehalten haben. Und wenn er wieder mal gemein zu uns ist, oder sogar in seinem typischen wildem Zorn eine neue Sintflut über uns kommen lässt, dann doch nur weil wir zu hochmütig geworden sind und uns abgewendet haben von den Geboten. Denn die Gebote drücken und krümmen uns Juden die ganze Zeit, bis wir so klein und unsichtbar werden wie Schiffe auf dem krummen Ozean. So mag unser Herr uns am liebsten, so klein wie Pigmänen, die den Kranichen als Futter dienen, wenn diese sie entdecken können aus der Luft.“ Dazu nickten mehrere reiche Juden furchtsam. Philo aber wandte sich ab, er schnaufte zum Himmel hinauf, belustigt bis verzweifelt.

41.

Der Tag war kalt. Ostwind trug üblen Dunst mit sich. Der kam vom toten Meer, und legte sich als saurer Gestank über die kahle Landschaft. Philos Pilgergruppe war mit ihren Gedanken nicht bei der Reise, sondern man sah viele sorgenvolle Gesichter. Anstatt wie üblich die heiligen Schriften zu diskutieren oder die heiligen Stätten, sorgte man sich wegen der politischen Entwicklung. Josef aß nur und lauschte erst mal. Philo richtete wieder das Wort an ihn, mit einem leicht bitteren Unterton: „Josef, du bist rechtgläubig auch in schwerer Not, und deshalb hilft dir Gott mit Wundern. Und das gefällt mir. Wir alle vertrauen ja völlig auf unseren Gott.“ – „Nur bleibt die Frage offen wie wir die Römer dazu bringen sollen auch so zu glauben wie wir“, meinte einer der anderen Pilger. Josef blies die faltigen Backen auf, und schon konnte er nicht mehr still bleiben: „Na das ist doch ganz einfach, das ist doch fast sonnenklar! Der Herr wird's ihnen zeigen mit seiner Macht, so wie er einst Moses beistand; und er wird die Verächter strafen, so wie er einst den üblen Usia strafte!“ Dies verkündete Josef, jetzt schon wieder arg laut und mit dem singenden Tonfall des eifernden Predigers. – „Ach ja, den armen Usa.“ Diese düstere Geschichte aus dem zweiten Buch Samuels, Kapitel 6, schien nicht so beliebt zu sein beim weisen Philo. Josef rief sie ihm dennoch wieder in Erinnerung: „Usia sollte die heilige Lade in den Tempel befördern. Doch unterwegs glitten seine Rinder aus, und der Wagen kippte. Usia berührte daraufhin die Bundeslade um sie festzuhalten. Dafür strafte ihn die Lade, und Usia starb auf der Stelle. So schlimm kann es den Sündern ergehen, und so stark ist die Macht des gerechten Gy'ttes!“ – „Du zitierst richtig“, bestätigte Philo düster. „Aber welches war die Sünde des Usa? Wieso tat die Lade das wenn er ihr doch nur helfen wollte?“ – „Usa war eben ein Sünder, und nur Gott wusste es“, meinte dazu der ältere Pharisäer mit dem dicken runden Kopf. Der sehr kleine Mann grinste und präsentierte dabei eine Zahnlücke. „Usa hatte den Namen eines Sünders“, teilte er den Pilgern mit. „Es kann passieren dass Elohim einen Mann bestraft für die Sünden die ein anderer Mann gleichen Namens verübte! Wartet, ich werde euch das beweisen, mit der Bibel und meinen gematrischen Berechnungen...“ Der kleine Pharisäer winkte nun seinen ägyptischen Diener zu sich, der ein Bündel von verpackten Schriftrollen auf dem Rücken trug. Die Pilger murmelten skeptisch. – „Das mag ja alles wahr sein, aber darum geht es doch gar nicht, ihr Herren!“ legte ihnen plötzlich Josef dar, mit wachsender Begeisterung. Er eiferte: „Wenn der Herr sagte dass Usa ein Sünder war, dann war Usa eben ein Sünder. Wenn Gy'tta Usa strafte, dann muss Usa ein Sünder gewesen sein! Egal, sage ich. Die Lade unseres Bundes mit Gy'tta ist furchtbar mächtig, darum vor allem geht es! In der Arche des Bundes verbirgt sich die Macht Gy'ttas, so wie sich Blitze in einer Gewitterwolke verbergen. Derzeit ist die Lade ja verschwunden. König Salomo soll sie verschlampt haben, so heißt es...“ – „Er schenkte sie vielleicht dieser schwarzen Kebse aus Saba“, mutmaßte Philo. „Bilwis hieß sie, oder so ähnlich. Als Salomo sich sogar mit einer Negerin abgab da wich der Segen Adonais endgültig von ihm.“ – „Wie dem auch sei, wir wissen längst dass dieses Unheil wegen Salomos sündhaftem Lebensstil geschah“, erläuterte Josef drängend. „Damals entzog der Herr dem König und ganz Israel die Lade, dieses Objekt seiner stärksten Macht! Aber wenn wir Israeliten jetzt diese Lade wieder gewinnen würden, dann würden wir Gy'ttas geballte Blitzkraft zu uns zurückholen! Dann würden nicht nur unsere alten Schriftrollen vom Kampfstil unseres Gy'ttes Zeugnis ablegen. Sondern dann könnte jeder Römer diese schreckliche Macht unmittelbar erleben!“ – „Hört, hört!“ meinte dazu der einfältig wirkende Zwerg Rundkopf. Auch andere Pilger nickten nun. – „Gut. Und hier trete ich auf die riesige Weltbühne, ich Josef, der kleine Bettler aus Galiläa! Denn große Dinge geschehen derzeit in Bethlehem. Der alte König der gar keiner war, Herodes Archelaus, ist von uns genommen worden wie eine schwere Last. Und es war doch nun zu erwarten dass Gy'tt Propheten schicken würde um einen neuen König Israels zu salben, von dem geschrieben steht dass er erneut aus Bethlehem her kommt...“ Wieder kam hämisches Gelächter auf. Josef spürte dass er jetzt seine Zuhörer verlor. Also korrigierte er sich spontan und redete gleich anders weiter: „Wie dem auch sei, was Israel jetzt braucht das ist die Bundeslade. Und mein Sohn Jesus und ich, wir sind dieser Arche des Bundes verdammt nah auf der Spur! Es kam mir nämlich eine Botschaft zu als ich kürzlich in prophetische Verzückung geriet. Unser Gy'tt, ähm, genauer gesagt ein von ihm abgefallener Engel, befahlen mir die Lade des Bundes zu holen aus dem Land jenseits von Ägypten, wo sie sich derzeit befindet. Es handelt sich dabei um das merkwürdige Land...“ Ach, wie war noch gleich der Name des Landes gewesen, den er erfahren hatte? Josef erinnerte sich jetzt nur noch daran dass er diesen fremden Namen alsbald wieder vergessen hatte. Voller Eifer presste er jetzt die Lippen zusammen, und er schwenkte wild das Fleischstück herum das er gerade in der Hand hielt, so dass der blutige Saft herum spritzte. Dabei kam ihm ein Wort in den Sinn, und er stieß das fremde Wort hervor wie einen Seufzer aus tiefer Not des Herzens: „Usa! Ja genau! Die Lade des Bundes befindet sich im Land Usa! Das hat Gy'tta mir anvertraut, mir dem Propheten Josef, den er als heiligen Geist und Heiland lieb gewann und geil fand, so als ob er ihn nach seinem eigenen Bild erschaffen hätte.“ Der weise Philo schüttelte betrübt den Kopf. Und damit war Josef leider durchgefallen bei den gelehrten Juden. Das war nicht anders zu erwarten gewesen, sagte er sich. Dennoch haderte er nun mit seinem Gott und erbat sich insgeheim: Wenn ich die Bundeslade finden soll im hinteren Ägypten, dann gib mir mal mehr Hilfe! Und es schien Josef dass ihm vom Himmel herab ein übler Dufthauch zuwehte.

42.

Philo wandte sich seufzend ab von Josef. Er winkte aber nun dem Zwerg mit den vielen verpackten Schriftrollen, der beständig versonnen lächelte, und sagte: „Chodosis ben Chasali! Du und Josef, ihr beiden habt viel gemeinsam. Josef hier forscht auch nach der Bundeslade, da erzähl ihm doch das was du mir anvertraut hast, von deinen wissenschaftlichen Erkenntnissen!“ – „Gerne, edler Philo von Alexandrien“, meinte dazu Chodosis. Gleich trat der Kleine mit dem komischen runden Kopf zu Josef und erklärte ihm grinsend, im vertraulichen Flüsterton, dass er nicht nur ein kenntnisreicher Büchergelehrter war sondern auch ein in seltene Geheimlehren und Mysterien eingeweihter Adept. „Schon lange beschäftige ich mich mit der Suche nach der Lade unseres Bundes mit Gott. Und zwar habe ich auf wissenschaftliche Weise schon eine Menge in Erfahrung gebracht! Hier schau mal auf mein gelehrtes Diagramm...“ Josef kaute und nickte, während Chodosis ungeduldig eine Schriftrolle aufband und entrollte. Das dicke und fast endlos lange Papier war über und über mit Zauberzeichen bedeckt, also mit diesen Buchstaben der Schriftgelehrten, die Josef leider alle nicht lesen konnte. Er hatte aber jetzt nicht den Mut dies dem gelehrten Chodosis einzugestehen. Währenddessen erklärte ihm dieser, wobei er immer wieder auf einzelne Buchstaben und Wortkolonnen zeigte: „Ich bin vor allem ein Experte auf dem schwierigen Wissensfeld der gimatrija, der Gematrie. Bekannter Weise handelt es sich dabei um eine Methode mit der ein Schriftgelehrter aus der Thora und den Büchern der Propheten alle Geheimnisse der Welt erfahren und sogar die astrologischen Rätsel des Himmels erkunden kann...“ – „Ich hörte die Pharisäer schon oft davon reden“, murmelte Josef und log nicht. Chodosis erzählte dann noch viel. Er hatte auf bekannte bis rätselhafte Weise die Worte der Thora und andere Bibelstellen völlig auseinander gepflückt, und dann wie ein Händler auf dem Basar die Buchstaben als Zahlen benutzt, und sie neu zusammen gerechnet. So hatte er eine ganze Bibelstelle quasi in eine einzige Zahl übersetzt und konzentriert. Und diese Zahl hatte er dann quasi zurück ins Hebräische übersetzt, um daraus ganz neue Wörter zu entwickeln. Um sich jetzt vor Chodosis nicht als Ungebildeter zu beweisen malte Josef spontan mit der Fußspitze das einzige Zauberzeichen in den Sand das ihm gerade einfiel, nämlich den Stern Ishtars. Damit gedachte er das Gespräch auf das Thema zu lenken das ihm derzeit so sehr am Herzen lag. „Aber schau mal auf diesen Stern!“ riet er dem Gelehrten. „Der sollte uns erinnern an die Prophezeiung Bileams. Bileam orakelte ja von dem Stern, der aus Jakob hervortreten würde. Und die drei heiligen weisen Könige, die neulich bei mir zu Besuch waren, die hatten auch einen Stern gesehen. Mit diesem Stern war natürlich der Messias gemeint...“ – „Aber keineswegs!“ widersprach Chodosis irritiert. „Der Prophet Bileam war doch ein echter Babylonier. Und wenn der vom Stern sprach dann meinte er damit natürlich die babylonische Liebesgöttin Ishtar!“ – „Das Gräuel der Heiden?“ Josef wollte sich empören über diese Ansichten. Aber Chodosis war auf seine Art genau so ein Eiferer und Rundkopf. Da Chodosis jetzt einmal das Wort an sich gerissen hatte war er nicht mehr zu bremsen. Er erkläre Jakob was er in jahrelanger Kleinarbeit ersonnen hatte: „Das Wort Stern bedeutet ja dasselbe wie das hebräische Wort Esther. Das ergibt sich aus der exakten Wissenschaft der Paläographie. Die Perser kennen nämlich ein Wort das genau so geschrieben wird wie Esther, und zwar das Wort Stern. Das ist aber dasselbe Wort das bei uns als Objekt die heidnische Göttin Astarte oder Ishtar bezeichnet! Dies ergibt zweifellos die Prüfung der alten Traditionen der Schreiber, gewisse Buchstaben zu schreiben...“ Chodosis raffte seine Schriftrolle zusammen und wies Josef auf eine besondere Stelle hin. Ergriffen plapperte er: „Schau ich benutze dafür noch die alte aramäische Schrift, nicht das moderne Kursiv. Und hier hab ich sie rückwärts notiert. So kann nicht jeder lesen.“ – „In der Tat“, murmelte Josef leicht genervt. Er wollte wieder auf seinen Sohn Jesus zu sprechen kommen. Aber es war nicht möglich Chodosis zu unterbrechen, denn dieser ließ seine Worte unaufhörlich auf Josef regnen: „Wenn die Heiden also Ishtar anbeten, dann meinen sie damit eigentlich unsere jüdische Königin Esther! Das ergibt sich auch eindeutig aus der arabischen Wissenschaft der Geomantie, also...“ Er zeigte auf den von Josef in den Staub gezeichneten Stern. „...aus der Interpretation von Linien in der Erde. Ist es nicht richtig dass Esther tot und begraben ist in der Erde, also genau dort wo sich der Sage nach oft auch die Ishtar aufhält, erfüllt von Sehnsucht nach ihrem Herrn und Geliebten Adonai?“ – „Schon, ahm, ja...“ brabbelte Josef, überwältigt von der logisch konsequenten Beweisführung seines Gegenübers. Chodosis fügte noch viele weitere jüdisch-esoterische Lehren an diese an. Mit seinen Methoden war es dem ägyptischen Juden gelungen einem ganzen Buch aus dem Buch der Bücher völlig neue Inhalte zu geben und auch einen neuen Sinn. „Das Buch Esther hat mich besonders ergriffen“, teilte er Josef mit vertraulicher Stimme mit. „Diese Geschichte von Esther, der Jüdin die der wollüstige König der Perser unbedingt im Bett haben wollte, die hat mich quasi sinnlich angeregt. Aber jetzt schau mal und staune was ich aus dem Buch Esther mit Hilfe der Gematrie herausgelockt habe, das ist ja die eigentliche jüdische Wissenschaft.“ Chodosis zeigte mit zittrigem Finger auf ein Wort und fragte: „Hier! Ist das nicht erstaunlich?“ – „Erstaunlich ist das in der Tat“, murmelte Josef etwas zerstreut. Er winkte mutig einem Bedienten und ließ sich wie die anderen Juden ein Tablett reichen, auf dem Fruchtscheiben, Datteln und Ölkuchen lagen und 'Süße Finger' vom Johannisbrotbaum. Etliche süße Trockenfrüchte stopfte er sich gleich gierig in den Mund, und bekam sie in seiner Eile kaum herunter geschluckt. Währenddessen murmelte Chodosis die ganze Zeit wie ein Quell und dozierte: „Esther ist paläographisch also identisch mit der Königin Vashti! Esther war also Vashti, jene Frau die nicht gehorchen wollte als der König der Perser sie in sein Bett befahl. Daraufhin hat der König die Vashti geächtet. Das also war der heimliche Grund warum der Perserkönig damals die Juden so grimmig verfolgen ließ. Diese jüdische Frau hatte sich ihm widersetzt.“ – „Esther hat sich dem Heidenkönig natürlich verweigert. Da lief nichts im Bett. Das ist doch selbstverständlich für so eine gesetzestreue und sittsame Jüdin“, murmelte Josef mit vollem Mund. „Im Buch Esther steht es zwar genau andersrum geschrieben, aber das kann dann eben nur falsch sein.“ – „So ist es! Jetzt endlich finde ich mal einen Juden der die gleiche höhere Weisheit besitzt die ich mir erarbeitet habe!“ meinte Chodosis, von heller Freude ergriffen. Er ließ seine Schriftrolle in sich zusammen schnurren und tippte sich damit auf den Rundkopf. „Aber jetzt müssen wir zwei höheren Weisen noch unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse zueinander in die richtige Beziehung setzen. Was bedeutete es dass die Jüdin Esther vom König ins Bett berufen wurde, sich erst weigerte, und dann dem König so den Kopf verdrehte dass er sie zur Hauptfrau erwählte und den Heiden Saures gab? Das kann man doch nur so erklären dass Esther eben die verborgene Göttin Ishtar selbst war, oder mit ihr verwechselt wurde. Identische Namen führten hier zu einem Austausch der Schicksale. Und deswegen konnte Esthers Liebeszauber niemand widerstehen!“ – „Aber Ishtar hätte den König doch nicht so zappeln lassen!“ widersprach Josef spontan, aber mit verunsicherter Stimme. – „Oi je, die Frauen, du weißt doch wie zickig die sind. Erst zeigen sie sich kühl und wollen nicht, dann sind sie plötzlich nicht mehr zu bremsen vor Geilheit. Frauen schwören dir von Herzen ewige Treue, aber morgen schon schlüpfen sie mit dem Nächsten ins Bett.“ – „Nein, nein, das ist nicht rechtgläubig!“ Jetzt musste Josef sich doch empören. „Ägypter, ich glaube die Ishtar hat in Wahrheit dir den Kopf verdreht, dieses heidnische Gräuel! Außerdem täuschst du dich jetzt gewaltig über unsere sittsamen, besonders treuen jüdischen Frauen!“ Josef schüttelte sich nun vor Entsetzen darüber dass er sich von so einem Bücherwurm hatte verwirren lassen. Ja, es kam tatsächlich ein Erschauern über ihn, ein wahrer Gottesschrecken, weil er nämlich in Atemnot geraten war. Mit vollem Schlund und den Händen voller leckerer Sachen taumelte er einige Schritte rückwärts, und stieß dabei gegen Pilger und Bedienstete. Als er sich krümmte und Entschuldigungen murmelte merkte er dass Judas aus Gamala aus der Scheune trat und ihm zuwinkte. Zögernd nur begab Josef sich zu seinem radikalen Freund, denn er konnte sich ja schon denken dass dieser nur etwas haben wollte von seiner Beute. Dem war aber nicht so. Judas küsste ihn nur flüchtig auf beide Wangen und flüsterte ihm dabei mit besorgtem Gesicht zu: „Da drinnen in der Scheune, da bumst der Hanes gerade deine kleine Maria.“

43.

„Wer bumst Maria?“ murmelte Josef, der immer noch an einem Bissen würgen musste den er nicht herunter bekam. Er glaubte zuerst nur an einen Scherz. Es konnte doch nur ein Scherz sein den sie sich wieder mal mit ihm erlaubten. Mit vollem Mund taumelte er aus dem Kreis der Pilger und ihrer Beschützer hinaus und lief zur Scheune. Da erschrak er schon, denn draußen vor der Scheune waren jetzt zahlreiche Soldaten aufmarschiert aus der Stadt Bethlehem. Gut bewaffnete 'Rote' standen hier, die Idumäer aus der Garde der Herodianer. Andere Soldaten und Hirten waren dabei die Bettler und Obdachlosen aus der Scheune zu führen und hier zu sammeln, sogar einige Römer in dicken roten Mänteln standen bei ihnen. Sie wirkten leicht betrunken und hielten Becher mit warmem Glühwein, den ihnen einige Sadokiter geradezu aufgedrängten. Die meisten Sadokiter dagegen hatten sich aus dem Umkreis der Scheune zurückgezogen. Eine größere Gruppe ritt gerade Richtung Osten davon. Josef setzte sich in Bewegung um sich Glühwein zu besorgen. Doch dann hörte er aus der Scheune das erregte Gemurmel von Männern, und da besann er sich mühsam auf Maria, und er schämte sich. „Wo wollen die hin? Hier steht doch der Feind!“ Josef drehte sich um nach Judas aus Gamala. Aber der war auch schon wieder verschwunden. Josef nahm seinen Mut zusammen und wollte leise in die Scheune treten. Aber er stolpere und sprang deshalb in die Scheune, über die erhöhte Türschwelle. Er beschimpfte sich sogleich selbst dafür: „Siehst du, du alter Sünder, jetzt bist du selbst schuld an all deinem Unglück!“ Drinnen sah Josef erst mal kaum etwas, denn draußen war es greller Tag, und die Scheune drinnen war geräumig und recht dunkel. Er hörte seine Frau Maria bevor er sie sah, sie stöhnte laut und lustvoll. Dort wo Maria und er ihren Platz gefunden hatten stand jetzt eine größere Menge junger Männer, dicht gedrängt. Hastig verbarg er die Sachen die er in den Händen trug, das kleine Beinstück vom Lamm und die dunklen Kuchen und Süßspeisen. – „Ah, ah, ah...“ stieß Maria lustvoll hervor, sie stöhnte rhythmisch und dennoch verzweifelt. Als Josef sich den jungen Männern näherte sah er eine Mütze wippen die er kannte. Unverkennbar stand dort erneut der Hanes Lydius! Der neue Stadthauptmann von Bethlehem hatte sich Maria vorgeknöpft. Zwei seiner Männer hielten sie fest, und Hanes bumste sie heftig, wobei er grinste und auch seine Gefolgsleute ansah. – „He du, das ist meine Ehefrau!“ meinte Josef, mit einer Stimme die auch ihm selbst viel zu ängstlich klang. – „Bleib zurück, Alter“, meinte da einer der Grobiane aus der Schar von Hanes, „und warte bist du dran bist.“ Der schmierige Kerl grinste. – „Es handelt sich hier um eine offizielle Untersuchung in diesem Betrugsfall“, meinte ein anderer, dem die Sache peinlich zu sein schien. Josef wagte nichts anderes zu tun als zu gehorchen. Er sah sich um und sah dass Sadduk noch in der Scheune stand. Dieser kaute irgendwas und grinste. Josef seufzte und zitterte, und sah nun Assia. Sie stand an der seitlichen Scheunentür, passte auf den nervösen Jesus auf und weinte stumm. Mit gesenktem Kopf schlich ihr Vater zu ihr und reichte ihr verstohlen etwas Kuchen. Nun kam auch Judas an, diesmal schritt er langsam und geduckt über die Türschwelle, so wie es sich gehörte. Zur Belohnung reichte ihm Josef das halb verzehrte Lammstück. Dann flüsterte er ihm zu: „Mein Sohn, du musst groß und stark werden! Dann wirst du unser Land tapfer verteidigen, und alle Banditen und Römer ausrotten. Ja, zu tausenden und zu zehntausenden und zu ähm... so viele wie es halt gibt, du wirst sie vertilgen so wie einst der heilige König David alle Philister auslöschte, und dazu noch alle Einwohner von Jerusalem. Judas und Jesus, so grimmig wie David müsst ihr beide werden, um unsere Jungfrauen zu beschützen...“ – „...ja Papa, und dich mit dazu“, meinte Judas, etwas verächtlich und mutlos. – „Ah ja, na seht mal an wie die kleine Schlampe hier mitgeht! Oh wie geil ist diese falsche Jungfrau! Geil, Maria!“ rief Hanes nun mit froher, gemeiner Stimme. Josef zog den Kopf ein und wollte sich die Ohren zuhalten, aber das konnte er gerade nicht. Gierig fingerten nun die Kinder Josef seine restlichen Esswaren aus den knochigen Händen, sogar Assia bekam noch einen 'süßen Finger' aus Johannisbrotfrucht-Mark ab. – „Ihr da, ihr Galiläer!“ Wieder trat nun der Tatare von vorhin zu Josef, das Gesicht verächtlich verzogen. „Wollt ihr jetzt freiwillig mitkommen, oder müssen wir euch erst Beine machen?“ – „Uns zwingst du nicht, du Mietling aus Amalek! Wir ziehen jetzt wie Moses in die Wüste, und dann zurück nach Ägypten!“ Laut und mutig rief Josef nun diese Worte hinaus in die Scheune. Daraufhin schluchzte Maria laut. Ringsum kam verhaltenes Gelächter auf. – „Lass ihn, der Galiläer ist einfältig“, meinte nachsichtig ein Hirte. – „Einfältige Juden werden ja angeblich nach ihrem Tod sogar Engel im Himmel“, meinte der Tatare schmunzelnd. Da lachten die Hirten und meinten: „Das ist nur eine Tataren-Nachricht.“ Josef aber hob nun Jesus auf den Arm und fütterte ihn. Dabei erklärte er Judas und Assia, so laut dass es alle ringsum hören konnten: „Ich und Jesus, wir haben einen Geheimauftrag von Elohim, denn wir sind die Auserwählten, die Könige der Könige und heiligen Könige! Wir werden Israel befreien und alle Länder der Welt erobern. Und dafür brauchen die heilige Bundeslade, denn darin steckt die schreckliche Blitzmacht die uns Juden siegen lässt. Ich weiß zum Glück jetzt genau wo sie zu finden ist, und zwar in dem Land Usa! Und da werden wir jetzt hin reisen.“ – „Wo ist denn dieses Usa, Papa?“ fragte Assia ängstlich. – „Das ist genau hinter Ägypten, und dann irgendwie immer geradeaus“, riet Josef. Josef sah dass Hanes fertig war mit seiner 'Untersuchung'. Seine Gefolgsleute waren jetzt alle in guter Laune, auch die meisten anderen Männer grinsten verlegen. Hanes trat nun steifbeinig vor Josef. Er warf ihm einige Münzen vor, es waren geringwertige Obolen und römische Asse. Josef schaute stumm auf seine Kinder und war sich nicht zu stolz um das Geld anzunehmen. – „Und, Chef, was war sie nun wirklich?“ fragten die Männer. Hanes erklärte breit grinsend: „Schwamm drüber über diesen seltsamen Fall. Wenn dieses geile Luder jemals eine Jungfrau gewesen ist, dann war das sehr lange her.“ Wiederum lachte die ganze Scheune mit Hanes, sogar einige Frauen konnten sich etwas lüsterne Heiterkeit nicht verkneifen. Und nun ging das Getuschel los, denn viele waren erstaunt, ja sogar entsetzt dass Maria nun doch keine Jungfrau gewesen sein sollte. Einer der Männer trat noch vertraulich zu Josef und legte ihm die Hand auf den Hintern, und fragte ihn lüstern: „Möchtest du auch mal?“ – „Hau ab!“ meinte Josef in gepresstem Tonfall. Er wand sich wegen der Lüsternheit die ihn ergreifen wollte.

44.

Hanes und die Hirten und Beamten fuhren dann fort die Scheune von Gesindel zu leeren. Josef schlich betrübt zu Maria. Diese hatte sich ganz in ihre Decken gehüllt und an die Wand gekauert. – Als sie Josef kommen sah da begann sie nervös zu schluchzen und zu jammern. „Ich hab freiwillig mitgemacht, denn Hanes sagte sonst muss ich mitkommen. Ich hatte doch solche Angst vor dieser Henkerin.“ – „Du bist nicht schuld an diesem Unglück“, meinte Josef lahm, „ich bin nämlich eben über die Türschwelle gehüpft. Wir sind eben arme Leute. Mit Bettelvolk erlaubt man sich vieles.“ – „Ich bin doch schuld“, widersprach Maria nervös. Sie entspannte sich und war sichtlich froh weil Josef sie jetzt nicht schalt. „Ich hab eben diesen Betrug angefangen, aber nur weil die olle Panthera mir dazu geraten hatte. Sie hat mir dieses Ding quasi aufgedrängt das sie immer benutzt.“ – „Was?“ meinte Josef zerstreut, denn er musste schon wieder die ganze Zeit an die Bundeslade denken. – „Na dieses... Diaphragma, so nennen die Ärzte der Griechen so eine Trennwand.“ Maria bekam das schwierige griechische Wort nur mühsam heraus. „Es ist ein Teil aus Fischhaut das man sich vor die Katze bindet. Die Hetären der Griechen benutzen es. Es verhindert dass man schwanger wird.“ – „Ah“, meinte Josef nur. „Aber eben jetzt hattest du es nicht dran, was?“ Stumm verneinte Maria. „Wenn es eine Tochter wird dann werde ich sie Lydia nennen“, meinte sie nur. Und so geschah es... Kurze Zeit später begann Maria plötzlich zu weinen. Sie hob sich ihre Tücher über den Kopf und schlich sich zum nahen Brunnen. „Ich weine auch über dich“, jammerte sie noch zu ihrem Gatten. Josef wollte sie nicht verstehen und konnte nicht nachfühlen wie es ihr zumute war. Er beachtete Maria nicht, nicht nur um sie etwas zu strafen. Zu sehr hielten ihn derzeit auch eigene Gedanken gepackt, oder solche die er für die seinen hielt. Immer wieder musste Josef zwanghaft an die Lade des Bundes denken! Und zugleich bohrte sich eine Art Wut in seinen Geist, eine Aufsässigkeit die ihn heimlich erschreckte. Die Idee dass er jetzt blutige Rache nehmen müsste an diesem frechen Schurken Hanes Lydius, diesem feinen Heiden und Stadthauptmann von Bethlehem, die wurde geradezu unabweislich. Josef blickte Judas, Jesus und Assia an, die jetzt bedrückt zu seinen Füßen saßen. Dann erklärte er ihnen mit schwächlicher Stimme: „Wir wurden also bestraft, und wisst ihr warum? Der Herr straft uns hart wenn wir seine Gebote nicht ganz genau einhalten. Aber der Herr Elohim ist auch unsere Stärke, und er kommt uns zu Hilfe in unserer Not und straft unsere Feinde mit übernatürlicher Gewalt. Kommt Kinder, lasset uns beten.“ Josef sank wie üblich auf die Knie und begann zu beten. Assia kniete sich gleich folgsam hin; Jesus wirkte, wie so oft, abwesend und weinerlich; Judas jedoch gehorchte nicht, er blieb sitzen und nestelte stumm an Strohhalmen. Aus den Halmen hatte er sich eine Art Siegeskranz gewunden. Diesen setzte er sich jetzt auf den Kopf. Dazu erklärte er: „Mama ist einfach wie die Göttin Derketo der Heiden. Die ist auch eine Frau oben und unten ein Fisch. So was nennt man eine Nixe. Derketo ist auch eine Jungfrau, und das Kind von so einer ist ein Halbgott, also einer wie ich.“ – „Sei still, Judas!“ rügte ihn seine Schwester entsetzt. Auch Josef wollte Judas scharf rügen, aber dann zögerte er dessen Irrtum über Maria aufzuklären. Er überlegte hin und her, und predigte dann spontan Verse aus dem achtzehnten Kapitel des Buches von Jeremias: „Der Herr dirigierte einst seinen Propheten Jeremias in die Werkstatt eines Töpfers. Dort befahl der Herr seinem Propheten zu reden wider Juda, auf diese Weise: Darum sage nun den Männern Juda's und den Einwohnern Jerusalems: So spricht der Herr zu euch: Ich bereite ein Unglück vor wider euch! Ich nehme mir etwas vor gegen euch! Darum kehrt um von eurem Weg und bessert euch! – Die Juden aber sprachen daraufhin: Nix da! Wir wollen nach unserem eigenen Gutdünken handeln. – Da schimpfte der Herr auf diese Weise mit ihnen: Fraget doch unter den Heiden: Wer von euch hat etwas Derartiges schon einmal gehört? Gar abscheulich hat die Jungfrau Israel gehandelt...“ Josef schwieg erschrocken und löste sich mühsam aus seiner üblichen Gebetshaltung. Er hatte nur eine von den vielen düsteren Drohreden und Unglücksprophezeiungen der alten Propheten vorbeten wollen. Doch durch Zufall oder Vorsehung waren ihm Worte in den Sinn gekommen die ihn erneut an seine Frau Maria denken ließen und an ihre aktuellen Probleme. „Wer von euch hat etwas Derartiges schon einmal gehört?“ fragte er erneut. – „Mama war gar keine Jungfrau mehr, sondern sie hat die Leute angeschwindelt, nicht wahr?“ fragte Assia nun furchtsam. – „Schweig Assia“, mahnte sie ihr Vater wie gewöhnlich, während er sich die schmerzende Beule und seinen breiten Querkopf rieb und nachdachte. Dann erklärte Josef den Kindern in väterlichem Tonfall: „Mama hat nur das Beste für euch gewollt, und sie hat dennoch schlimm gesündigt. Genau so erging es ja schon Eva, der ersten Frau. Die horchte auf die Schlange und klaute im Garten Eden einen Apfel, aber das hatte Gy'tt ihr verboten. Und wegen dieser Sünde hat unser Herr alle Frauen verflucht die von Eva abstammen. Das betrifft Maria und leider auch dich, Assia.“ Da begann Assia erschrocken zu weinen und verhüllte ihren Kopf. Josef wurde nun selbst grimmig ergriffen, von der unerwartet schweren Wirkung seiner Predigt. Zitternd vor Erregung wandte der Bettler sich nun an seinen Erstgeborenen Judas, und erläuterte ihm: „Höre also, Judas, mein Sohn, auf dass du niemals im Leben zum Sünder werdest! Es kann sein dass der Herr uns eine geringe Sünde schon bitter übel nimmt. Nur wegen der Verfehlung einer einzigen Jungfrau hat der Herr ja einst Jerusalem und ganz Israel den Heiden ausgeliefert. Das geschah zur Zeit des Propheten Jeremias. Damals eroberten ja die Babylonier unser Land, und sie führten alle Juden in die babylonische Gefangenschaft. Und ich fürchte fast, ähnliches Leid wird nun über uns kommen wegen der Sünde die Maria gerade beging. Wegen dieser Geschichte kann es sein dass der Herr ganz Israel in römische Gefangenschaft führt!“ – „Mama war doch gar nicht schuld, weil sie festgehalten wurde!“ widersprach jedoch Judas trotzig. „Und außerdem war Mama ja doch keine Jungfrau mehr.“ – „Oh doch!“ rief da jemand von hinten. Es war eine kratzige, voll tönende Frauenstimme die Josef gleich erkannte. „Ach, Panthera“, meinte er seufzend, noch bevor er sich umdrehte. „Na du hast uns hier gerade noch gefehlt. Ich war gerade fertig mit meiner Predigt über sündhafte Frauen, und jetzt müsste ich noch mal von vorn anfangen.“

45.

„Spar dir deine Beterei, du Einfaltspinsel“, meinte Panthera jedoch garstig. Müde sah die gealterte Hure jetzt aus, und staubig war sie geworden, wie von einem stundenlangen Fußmarsch. Ächzend ließ sie sich auf das Stroh sinken das hier herumlag. Dann zog sie sich erst mal die eleganten roten Schnürsandalen aus. Die sahen wirklich teuer und fein aus, aber für lange Fußmärsche waren sie nicht geeignet. Panthera seufzte als sie jetzt die blutigen Striemen sah an ihren Fußgelenken. Dabei erklärte sie Josef düster: „Wenn du hier schon am lästern bist, Prediger, dann läster auch mal gegen die jüdischen Kerle, und gegen alle anderen Kerle. Die Männer sind alle gleich, die taugen einfach nichts. Ich dachte ja dass Kaspar anders wär, weil, er ist blond und dennoch ein Schlaukopf...“ Sie griff sich abwesend in die Haare, die wellig waren und schwarzbraun. „Hur hat mir in der Nacht erzählt dass er mit mir ein neues Leben anfangen wolle, er und ich allein am Roten Meer. Aber da war er berauscht gewesen, von dem Wein den ich ihm ausgeschenkt hatte, und von dem Kif das er geraucht hatte. Je nüchterner er dann tagsüber wurde desto weniger mochte er mich ansehen. Er ritt bequem auf diesem Tier, und ich konnte nicht mehr laufen. Dann sind die drei Gaukler nach Herta rein. Und als ich da endlich ankam, da war das Tor zu. Die Dörfler dort kannten mich noch von hier aus der Scheune. Sie haben mich einfach nicht rein gelassen bei sich. Also musste ich noch zurück hierher laufen.“ Panthera schniefte enttäuscht. – „Und was machst du jetzt?“ fragte Josef zerstreut und ohne rechte Anteilnahme. – „Ich denk an die Zukunft unseres Landes. Ich bin zwar eine Hetäre, aber dennoch eine Jüdin, die bislang treu zum Königshaus der Herodianer gehalten hat. Und jetzt hoffe ich einfach dass sich die Herodianer wieder neu etablieren werden in diesem rauen Land, so dass ich wieder bei Hofe einen Platz finden kann. Von Herodes Agrippa, dem jungen Prätendenten, heißt es ja dass er in Rom ein supergeiles Luxusleben führt. Und Salomé, seine schwerreiche alte Tante, besitzt ja angeblich die Gunst der Kaiserin Julia Augusta. Da können wir Judäer doch damit rechnen dass dieses Prinzlein bald her kommt in sein Land und unser neuer König wird, oder etwa nicht?“ – „Das kannst du dir abschminken, alte Panthera“, meinte da jedoch ein Hirte aus der Nähe, der Pantheras Reden mit angehört hatte. „Du kennst wohl noch nicht die neuesten Neuigkeiten aus dem Palast?“ Der Alte mit dem grauen Stoppelbart teilte dann Panthera und auch Josef mit was er wohl selbst gerade erfahren hatte. Bei den Römern war es nämlich übel angekommen dass Salomé und deren noble Verwandte derzeit mit vollen Händen ihr Geld unter die einfachen Leute verteilten, in der Absicht ihr herodianisch-hasmonäisches Adelshaus beliebt zu machen. Der Quästor Quirinus, der neue oberste römische Steuerbeamte, war nach Judäa unterwegs um das gesamte Vermögen des abgesetzten Völkerfürsten Herodes Archelaus zu sequestrieren. Der graue Bettler erklärte mit bitter verkniffener Miene was dieses römische Wort zu bedeuten hatte: „Rom wird also dem Clan der Herodianer alles Geld wegnehmen, und sich auch alle Schätze und Gebäude aneignen.“ – „Aber das geht doch nicht!“ rief da ein anderer Mann der das mitgehört hatte. „All dieses Geld war doch unser Geld! Es war das Geld von Judäa und Samaria, das der böse Völkerfürst sich jahrelang in die eigene Tasche gesteckt hat! Deswegen ist er doch angeklagt und abgesetzt worden in Rom!“ – „Ja! So was geht nicht! Wir müssen wieder in Rom protestieren!“ so riefen nun auch andere aufgeregte Männer ringsum. Bald gab es auch Geschrei draußen vor der Scheune. Die armen Leute die gerade noch so träge und deprimiert gewirkt hatten wurden nun, wie oft, von plötzlicher Empörung erfasst. Ihre Stimmen summten durcheinander als sie sich nun in Wut redeten. Josef duckte sich und war mal froh dass dieser Ärger ihn nicht unmittelbar betraf. Währenddessen rückte Assia an Panthera heran. Neugierig befragte das unreife Mädchen die überreife Frau, sie flüsterte laut, mit ängstlichen Blicken auf ihren Vater: „Sag doch Frau Panthera, wieso war Mama denn noch Jungfrau und dann plötzlich nicht mehr?“ – „Na das war ein Wunder, liebes Mädchen“, erklärte Panthera ihr leichthin. „Ein Engel kam zu Maria ins Bett und hat sie wieder zur Jungfrau gemacht. Als Maria untersucht wurde war sie also wieder eine Jungfrau. Aber dann nahm der Engel das Teil unten wieder fort von ihr, und da war sie wieder nur deine Mutter. Engel können so was.“ – „Also Panthera...“, begann Josef protestierend. Aber da knuffte die alte Hure und Lügnerin Josef frech in die Seite und befahl ihm fast: „Jetzt sei mal listig wie einst die Hure Ruth, und denk an die Ehre deiner Frau. Was sollen denn deine Kinder sonst den anderen Kindern erzählen?“ Zögernd nickte Josef dazu, denn er dachte nun an die arabisch-moabitische Bettlerin Ruth, die Schlampe die nachts in das Bett ihres jüdischen Verwandten Boaz gekrochen war, und so erst zu einem Wochenlohn an Gerste und dann zu einem Ehemann und Kind gekommen war. Zuvor hatte sich die Ruth mit der Naomi, der Mutter ihres toten Mannes, mit schönen Worten quasi wie bei einer Heirat verbunden. Aber sie war ja gut gewachsen und sollte nach Gottes Willen die Ahnfrau von König David werden. Josef verriet nun Assia und auch Judas im vertraulichen Tonfall, dass es tatsächlich so gewesen war dass ein Fremder Maria besucht hatte, und zwar bevor sie mit Jesus schwanger geworden war. Stolz war Josef nun darauf dass er seine Kinder nicht mit einer Lüge irre führte: „Damals hatte ich daran gedacht eure Mutter heimlich zu verlassen. Ich wollte ein Nasoräer werden, das sind die Büßer und Idioten die sich von Würmern und Heuschrecken ernähren und die nur ihre eigenen Haare anhaben als Kleider. Denn Maria wurde damals wirklich unleidlich. Das war aber nur so weil damals dieser Engel Maria besucht hatte. Auf den hatte sie sich wohl Hoffnungen gemacht. Neulich hat sie mir alles erklärt. Da dachte ich gleich an die Thora, wo ja geschrieben steht, im Buch Genesis Kapitel sechs, dass die Engel sich Töchter der Menschen zu Weibern nahmen, die welche sie schön fanden. Die Kinder dieser Engel waren die hoch berühmten Riesen der Vorzeit.“ Mit diesen Worten schaute Josef Jesus an. Dieser jedoch wirkte für sein Alter klein und zurückgeblieben, was kein Wunder war bei seiner schlechten Ernährung. Alle schauten jetzt Jesus an, der müde war und sabberte. – „Da muss der Dummkopf aber noch sehr wachsen, wenn aus ihm ein Riese werden soll“, meinte Judas zynisch. – „Es gibt ja leider auch die gefallenen Engel des Samael. Das sind die welche die böse Saat unter die Menschen streuen“, erklärte Josef ihm. Dazu schnaufte Judas laut. Er starrte nun Panthera böse an und fragte: „Sag mal, wer hat neulich Mamas Geld geklaut, den Stern der Ishtar?“ Da erstarrte die Hure und zeigte dann verlegen auf den Boden. „Frag das doch die Ishtar da unten, die weiß so was.“ – „Ja, das mag sein. Aber uns Juden wird sie es bestimmt nicht verraten“, murmelte Josef ängstlich. – „Papa weißt du was ich weiß?“ begann Assia. – „Sei still Assia! Sonst wirst du noch zur Heidin!“

46.

Im Traum sah Josef Engel, so wie auch Jakob einst Engel gesehen hatte. Sie schienen eine Leiter hinauf zu steigen, und sie sahen aus wie Enten, und weil sie Flügel hatten konnten sie natürlich auch fliegen. Josef folgte ihnen, und stellte fest dass er nun die Zinnen des großen Tempels von Jerusalem erstürmte. Und da stand sie, von einer Glanzwolke überstrahlt, die Arche des Bundes! Gerade schaffte er es noch in sie hinein zu steigen. Schon begann es zu regnen, die Sintflut kam. Josef sah dann dass seine Frau Maria neben der Arche schwamm. Er umarmte sie, und stellte fest dass sie sich ungewöhnlich hart anfühlte. Er wollte sie mit hinein ziehen, aber sie kam nicht hoch! Dann sah er dass Maria unten an ihrem Leib eine Fischflosse bekommen hatte, sicher als Strafe für ihre Schwindelei. Vor seinen Augen wuchs und wuchs der Fisch und wurde zum Leviathan! Da ging schon die Arche unter! Erschrocken musste Josef ins Wasser springen. Er gurgelte ängstlich, denn er konnte nicht schwimmen. Mühsam rettete er sich auf den Leviathan. Oben drauf gab es sogar eine Palme und eine nette wunderschöne Frau, das war natürlich die sündige Eva. Er wurde sofort geil und wollte sie umarmen, denn auf eine Sünde mehr kam es bestimmt bei der nicht mehr an. Aber statt Eva schob sich nun der Messias in seine Arme! Der sah natürlich jüdisch finster aus... Josef erwachte aus seinem lebhaften Traum, und stellte fest dass er einen bärtigen Fremden gerade zärtlich umarmte, einen dunklen Wüstensohn der ihn angrinste. So wie Ruth einst zu Boaz kroch, so war gerade irgendein Schwuler heimlich im Halbschlaf zu ihm in seine Arme gekrochen. – „Seht ihr dass er tatsächlich ein Warmer ist? Das hat er nicht gespielt!“ meinte der fremde Sadokiter nun, und dann wollte er Josef küssen. Josef ließ es geschehen, aber er erschrak doch nun über sich selbst. Er rappelte sich auf und sah sich um, und stellte unbehaglich fest dass etliche Sadokiter sich um ihn geschart hatten. Er war beim Beten müde geworden und hatte sich zum Mittagsschlaf etwas aufs Ohr gelegt. Nun blickte er in das dünn grinsende Gesicht des zwielichtigen Sektenführers Sadduk! „Komm Eiferer, wir müssen reden!“ teilte ihm der Wüstensohn flüsternd mit, als er ihn auf die Füße zog, mit der Hilfe seines Mitstreiters Judas aus Gamala. – „Ähm, was ist denn los?“ murmelte Josef verschlafen. Er bemühte sich keine Angst zu zeigen und auch keine zu haben. – „Hörst du nichts? Draußen geht gerade der große Aufstand los! Jetzt steht auf du Volk Israels, und Sturm brich los!“ Judas aus Gamala wirkte wieder konzentrierter und auch mutiger, er eiferte nun mit heller Stimme. Tatsächlich hörte Josef jetzt wie draußen vor der Scheune erregte Stimmen summten. Kurze Blicke durch die Scheunentore verrieten ihm dass sich draußen Männer sammelten. Sie trugen Piken und Sensen, und Hacken und lange Stöcke. Das waren Hirten und Dörfler aus der Umgebung, und die duckten sich nun nicht länger vor den Autoritäten die den Willen Roms taten. Judas erläuterte Josef: „Alle haben erfahren was der Zensor Quirinus jetzt Übles mit uns plant. Die Römer wollen uns alles Geld und Gut wegnehmen das die Herodianer besaßen. Und das wird erst der Anfang sein, denn die Geldgier Roms ist unersättlich. Der Zensus den dieser Quirinus jetzt überall durchführen will wird jeden Einwohner von Judäa und Galiläa betreffen. Jeder muss dann seine Besitztümer angeben, und alles was er hat kann ihm nach römischem Recht abgenommen werden!“ So eiferte der Glatzkopf Judas, dessen helle Stimme sich schnell zu Geschrei steigerte. Und sogleich stimmten ihm andere erregte Stimmen zu, während die Scheune sich mit aufgebrachten Hirten und Herumtreibern füllte. Die Männer riefen laut durcheinander: „Weg mit den Römern! Nieder mit Rom und den jüdischen Verrätern! Der Zensus darf niemals passieren!“ – „Der Zensus ist eine Volkszählung, und die ist bei uns nach der Thora ein Verbrechen!“ rief Josef angestrengt, als Judas gerade mal eine Pause machte mit seiner Schreierei. – „Genau und gut gesprochen!“ rief dieser erregt. Der stämmige Glatzkopf aus dem fernen Dorf Gamala im Golan umarmte den gebrechlichen Josef nun, und forderte ihn dann energisch auf: „Komm Josef, du bist unser Mann! Predige du zu den Leuten, hetz sie auf bis sie sich alle gegen Rom erheben.“ – „Lass das mal“, wehrte jedoch der tückisch wirkende Sadduk ab. „Der gute Josef hier ist ein Verwirrter, vergiss das nicht. Er hält sich für einen Propheten, ja mehr noch, für den Gesalbten Israels selbst.“ – „Ach ja. Au ja, ich vergaß!“ murmelte da Judas aus Gamala mit plötzlicher Pein in der Stimme. Sadduk erklärte weiter, gebückt und im hasserfüllten Tonfall des verschworenen Banditen aus der Wüste: „Aber der heilige Eifer erfüllt dich Josef, und der Eifer ist gut! Du hältst dich an das Gesetz, also hör mich an, denn ich bin der geheime Lehrer des Gesetzes. Steht nicht geschrieben im Buch Numeri, Kapitel 31, dass Adonai einst von Mose verlangte: Nimm Rache für die Kinder Israels! Dann sollst du zu deinem Volk versammelt werden.“ – „Nein das ist nicht richtig. Das war aus dem Buch Leviticus“, korrigierte ihn Josef, aber mit zweifelnder Stimme. Sadduk ächzte nur. – „Nein, du hast Unrecht! Schwachkopf! Red lieber nicht dazwischen wenn der Lehrer des Gesetzes zu dir persönlich predigt!“ So zischten gleich die Banditen und Verschwörer ringsum. Sadduk zog nun einen stählernen scharfen Krummdolch aus seinem Gewand. Er zückte ihn und zeigte ihn den Umstehenden, bevor er ihn Josef vor die krumme Nase hielt. „Josef, man hat deine Frau entehrt vor allen Augen! Diese Tat schreit nach Rache! Eile dich und übe Rache, so wie es dir das Buch Numeri, ja das Vierte, befiehlt! Töte diesen Schurken Hanes Lydios, den Verräter in römischen Diensten.“ – „Ja tu es, dann bist du einer von uns“, meinte nun auch Judas aus Gamala. Sadduk zischte drängend: „Alle sagen ja du bist nur ein Galiläer und musst raus aus Judäa. Wir aber bieten dir einen Platz an in unserer Schar! Du sollst einer von uns werden, und in ganz Israel wird man deinen Namen nennen unter den Namen der Schwärmer und Märtyrer! Und wenn dann am Ende alle solche Typen tot da liegen, dann darfst du mit bei ihnen liegen.“ – „Ja tu es Josef! Lass dir von denen nichts gefallen. Werde ein Sichelmörder!“ So redeten jetzt die Verschwörer auf Josef ein. Dieser jedoch nahm den Dolch nicht an, denn er fühlte sich einfach mutlos und schwach, und außerdem sündhaft und schuldig. „Es steht im dritten Buch Mosis“, widersprach Josef beharrlich. – „Dieser Josef ist genau so weichlich und feige wie Joseph, der Buhle von Potiphars Weib“, zürnte nun Judas aus Gamala enttäuscht. – „Aber jener wurde danach ein Prophet des Gy'ttes!“ erwiderte Josef darauf mit einem gewissen Stolz. – „Joseph war doch kein Prophet!“ widersprach da einer aus der Schar. Ein anderer meinte: „Aber ja doch!“ – „Und wo ist dann sein Buch?“ – „Das hat Moses bestimmt vergessen in Ägypten. Oder vielleicht liegt es noch in der Bundeslade.“ – „Oder aber die Pharisäer haben das Buch verschwinden lassen, weil was drin stand was ihnen nicht passte...“ Auch die Sadokiter waren Juden, und das Geschwätz über Pillepalle vertrieb den Banditen ihre übliche Langeweile. Josef drehte sich weg von den Aufrührern. Er zog sich in die Ecke zurück wo Maria saß, mit bitterer Miene und dem Jesuskind auf dem Schoß. Während er sich zu ihr setzte wurde ihm nach und nach klar dass Sadduk recht hatte. Das Rachegebot Gottes an Moses stand tatsächlich erst im vierten Buch der Thora, dem Buch Numeri. Es galt auch nur für den Fall dass alle Kinder Israels tot waren, weil sie gesündigt hatten. Josef nahm seinen Irrtum als Zeichen Gottes dass dieses Gebot für ihn nicht gelten sollte. Was er nicht bemerkte war dass sein Sohn Judas nun zu Sadduk hin trat.

47.

„Ich bin das alles hier jetzt leid“, teilte Maria Josef dann mit trockener entschlossener Stimme mit, als dieser wieder bei ihr Platz genommen hatte. „Wir Galiläer werden den Römern gehorchen und den Herodianern. Wir gehen zurück nach Galiläa, in diese Trabantenstadt, so wie es uns befohlen wurde...“ – „...aber das geht doch nicht, das weißt du doch, Täubchen, weil da jüdische Gräber sind, unter dieser Stadt. Ein Ort wo ein Jude begraben wurde gilt für immer als unrein. Und gerade an die Reinheitsgebote muss man sich doch streng halten! Und wir sind doch solche die alle Gebote streng einhalten. Und wir müssen doch die Bundeslade des Moses suchen. Sie ist in, ähm...“ Josef wurde es bewusst dass er den Namen des Landes hinter Ägypten schon wieder vergessen hatte. „Musa?“ sagte er, und hörte sogleich dass das nicht richtig sein konnte. – „Josef, mein armer lieber dummer Mann“, meinte Maria nun, im warnenden entschlossenen Tonfall. „Ich bin schon wieder schwanger, vermute ich mal. Und du bist schwächlich, du hältst derzeit keine zwei Stunden Fußmarsch mehr durch. Die Wüste ist furchtbar im Winter, und bis nach Ägypten ist der Weg elend weit. Schlag dir diesen Plan aus dem Kopf, sonst tu ich das.“ – „Es war der Wille Gy'ttahs dass wir aufbrechen nach Ägypten! Man muss Gy'tt mehr gehorchen als Menschen, Monstern und Frauen“, erwiderte Josef bockig, aber doch mit Furcht in der Stimme. Als Maria nur schnaufte und die Hand hob, da sprang Josef krummbeinig auf und zog sich zurück von ihr. Dabei sah Josef die Duftampel im Stroh liegen. Zögernd nahm er sie auf und ließ sie kreisen. Ob er sie verkaufen sollte? Es kam ihm statt dessen die Idee dass er erneut versuchen könnte ein Prophet zu sein, und Gott in dieser Not des Gewissens um Rat zu fragen. Hatte ihm nicht Kaspar alias Hur, dieser König der Gaukler, genau zu diesem Zweck so ein goldenes Gerät geschenkt? „Wir reden später darüber, Frau. Gy'tt wird mich hierhin oder dorthin schicken, so wie er auch den Moses herum kommandierte und all die Propheten.“ So versöhnlich redete Josef nun zu Maria. Und dann ging er schnell weg, um zu verhindern dass Maria nun versuchte ihn herum zu kommandieren. Josef taperte unschlüssig nach draußen während er die Duftampel betastete und von Asche säuberte. Wie benutzte man dieses Gerät? Erst mal musste er es anfeuern. Aber das ging schlecht mit dem dürren Heu und Stroh das in der Scheune lag, denn das brannte nicht sondern glimmte nur auf und verglühte rasch. Draußen vor der Scheune hatte sich unterdessen eine aufgebrachte Menge gesammelt. Der Aufstand den Sadduk und Judas aus Gamala angestiftet hatten schien erst jetzt wirklich loszugehen, und zwar erstaunlich schnell! Niemals hätte Josef damit gerechnet. Je länger er sich die aufgeregte Menge ansah, desto mehr wurde er überzeugt davon dass er jetzt die Bundeslade finden musste, und zwar dringend! Nur mit der Lade würde man ihn anerkennen als heiligen König von Israel, zusammen mit Jesus, der ja gar nicht sein Sohn war, sondern der Sohn eines Engels! – „Wir marschieren jetzt in Bethlehem ein. Kommst du nicht mit, Josef?“ So fragte jetzt Judas aus Gamala. – „Ich finde für euch noch eben die Bundeslade! Die wird uns so viel nützen wie tausend Bewaffnete, oder sogar zehntausend, oder... ach!“ Josef wandte sich ab, erneut voller Eifer und Aufregung. Jetzt merkte er erst wie dringend nötig es war dass er sich als Prophet bewies, und seinem zum Kampf entschlossenen Volk die heilige Lade des Bundes mit Gott herbeischaffte, und zwar jetzt sofort! Er lief hierhin und dorthin, und fand dann an einem Lagerplatz von Nomaden einen Haufen trockenen Dung, wie er in der Halbwüste im Süden zum Feuer machen benutzt wurde. Ohne Umschweife brach sich Josef einige Stücke Dung ab und stopfte sie in dieses Räuchergerät. Er wusste, echten Weihrauch aus Arabien würde er so leicht nicht bekommen. Aber vielleicht konnte er ja auch mit ganz normalem Rauch in den ekstatischen Zustand der Prophetie geraten. Noah selbst war ja einst wohl mit Wein zum besinnungslosen Propheten geworden, er war besoffen nackt flach auf dem Boden gefallen, und genau so war es anderen Erzvätern Israels auch ergangen. Josef holte sich ein brennendes Hölzchen aus einem Feuer das die Sadokiter entzündet hatten. Damit und mit der Duftampel lief er hinein in die Scheune, die nun fast leer war. Er trat verstohlen in die hinterste Ecke, hinter einige der wenigen Heuballen die hier noch lagen. Dort in der Finsternis entzündete er das Licht seines Glaubens. Josef blies die Duftampel immer wieder heftig an. Der trockene Dung brannte gut, und bald qualmte dichter Rauch aus dem oben offenen Gerät. „Rauch, das ist ja ruach, also der heilige Geist“, murmelte Josef aufgeregt. Er hielt sich die Duftampel am Draht vor die Nase, und dann sog er sich eine dichte graue Qualmwolke direkt in die Atemwege. Danach jedoch musste Josef schrecklich husten! Er verkrampfte sich und ließ dabei vor Schrecken die schmauchende, innen lodernde Duftampel fallen. Er weinte und rieb sich die Augen und rotzte und hustete. Als er wieder etwas sehen konnte da loderten schon ringsum die Flammen auf. Josef hatte die staubtrockenen Heuballen in Brand gesetzt! „Feuer, Feuer!“ krächzte er voller Schrecken, als er gebückt aus der finsteren Ecke hinaus wankte. Schnell nahmen andere Stimmen diesen Warnruf auf. „Wasser, bringt Wasser!“ schrie einer. Aber selbst wenn es jetzt Wasser genug gegeben hätte irgendwo in der Nähe, dieses heftige Strohfeuer war unmöglich noch zu löschen.

48.

Hustend und mit tränenden Augen taumelte Josef aus der Scheune. Ringsum schrien die Leute und liefen in Panik durcheinander. Einige schlugen mit Stöcken brennendes Heu zur Seite, aber das half nicht mehr viel. Schon züngelten Flammen durch die Ritzen im Holzdach. Das ganze staubtrockene Gebäude würde niederbrennen, das wurde Josef bewusst. Der Oberhirte Agasi packte Josef grob am Arm und schrie: „Warst du das etwa, du Schuft?“ – „Lass mich los, es geht um Leben und Tod! Ich suche nämlich meine Frau Maria, und meine Kinder!“ Agasi ließ ihn widerwillig los. Josef flüchtete durch den dicken hellgrauen Rauch. Er fand seine Familie inmitten jammernder Bettler, die sich auf eine nahegelegene Anhöhe geflüchtet hatten. Maria trug Jesus auf dem Arm, und Assia klammerte sich mit entsetzten Blicken an ihre Schulter. Josef ließ sich neben sie auf den Boden sinken. Düster betrachteten sie alle wie die Scheune brausend und fauchend in Flammen aufging, und eine hohe rot-schwarze Feuersäule in den dunstigen grauen Himmel aufstieg. – „Das kann ein gutes Zeichen sein. Der Herr erschien nämlich einst Moses in so einer Feuersäule“, erinnerte Josef fröhlich seine Familie, auch um sich selbst Mut zu machen. Er hustete erst mal ausgiebig. – „Verräter!“ brabbelte Jesus. Da erst ging Josef erschrocken auf dass sein Sohn Judas ja nirgendwo zu sehen war. – „Wo ist Judas? Wo ist mein Erstgeborener?“ fragte er Maria aufgeregt. – „Judas wollte weg von uns. Er sagte wir wären eben bloß elende Galiläer, und er wollte jetzt ein Streiter für Israel werden und ein Sadokiter.“ Maria wirkte fast unnatürlich ruhig bei diesen Worten, so als ob sie nur denken würde: Ein hungriges Kind weniger. – „Ja und wo ist er? Ist er vielleicht noch da drin, und hat sich nur im Heu verkrochen? Er versteckt sich doch manchmal da drin und schläft dann ein!“ Von plötzlicher Panik angetrieben sprang Josef auf die Füße. „Ich geh ihn suchen!“ Assia schrak auf und sagte mit zitternder Stimme: „Papa nein, geh nicht mehr da rein! Das Haus brennt doch schon lichterloh...“ – „Schweig Assia“, meinte Josef jedoch wie üblich. Er fühlte sich als Recke, ja als Held, als er nun zurück hastete zu der Scheune, so schnell es seine schwächliche Konstitution noch erlaubte. Rings um das Gebäude hatten sich einige Männer aufgestellt. Die Hirten denen diese Scheune eigentlich gehörte eilten gerade herbei, einige schleppten alte Amphoren und Wassertröge. Josef wusste dass sie sich diese Mühe sparen konnten. Diese Scheune musste komplett neu gebaut werden, mit Glück würde man die Nägel noch retten können. Es würde sehr schwer sein in der Gegend noch Holz zu schlagen für einen Neubau, denn es gab kaum noch Bäume in der mit kleinen Dörfern und Gehöften dicht besiedelten Gegend... „Ich suche meinen Sohn Judas!“ rief Josef, während er sich an Männern vorbei drängte die ihm den Weg versperren wollten. Er rannte noch einmal in die nun schon dicht verqualmte Scheune. Das war zwecklos, das sagte er sich selbst, er konnte ja die Augen kaum offen halten vor lauter Rauch. Krachend stürzten brennende Holzschindeln in die Scheune hinein. Josef weinte und hustete, und musste doch gleich wieder hinaus taumeln. Er stürzte über die Türschwelle und erstarrte im selbem Moment, weil er doch diese Sünde unbedingt hatte vermeiden wollen! Mit dem Eifer der streng Gläubigen begann Josef nun sich selbst zu prügeln, er schlug sich auf die Brust und die Schenkel. „Durch meine Schuld, durch meine große Schuld! Judas, mein lieber Sohn, das Feuer hat dich verzehrt!“ greinte er dabei, voller Verzweiflung. Der Klang seiner Stimme drang nicht mehr durch das Brausen des Feuers. – „Komm weg vom Feuer, du alter Esel!“ schimpfte nun überraschend Maria hinter ihm. Energisch legte sie Josef ein feuchtes Tuch über den Kopf und zog ihn dann am Saum seines Gewandes aus der Gefahrenzone. „Judas ist gar nicht da drin!“ erklärte Maria Josef mit bitterer Stimme. „Er ist doch bei den Rebellen des Sadduk. Die marschieren bereits mit ihrer Schar auf Bethlehem zu!“ – „Wieso hast du mir das nicht gleich gesagt?“ schimpfte und keuchte Josef, der sich kaum noch aufrecht halten konnte. – „Papa ich wollte dich ja zurückhalten! Aber da hast du gesagt ich soll schweigen“, meinte Assia weinerlich. Sie kam jetzt auch gelaufen, mit dem kleinen Jesus auf dem Arm, der nervös strampelte. „Außerdem hat Judas mir einen Eid abgenommen damit ich nichts verrate.“ – „Was sollst du nicht verraten?“ Josef spürte wie die Wut in ihm aufstieg. – „Das darf ich nicht verraten!“ Assia wandte sich jammernd ab. „Papa du hast neulich gesagt dass Verräter das Schlimmste sind was es gibt!“ Assia reichte Maria das Kleinkind zurück. Als Josef sie am Arm packen wollte, da wich ihm das flinke dünne Mädchen aus und lief weg. – „Bleib hier! Ich kenn das Geheimnis. Judas ist jetzt ein Sichelmörder geworden, und von seiner ehrbaren Familie hat er sich losgesagt. Der wird sicher am römischen Kreuz enden!“ meinte Maria bitter. – „Niemals! Dafür ist Judas zu schlau. Der macht die Römer nass“, keuchte Josef. Er musste lange husten, er wischte sich das verrußte Gesicht mit dem nassen Tuch ab, und schlich sich dann davon mit seiner Frau, und dankte Gy'tt innerlich dafür dass ihn jetzt niemand erkannte und festhielt. Denn für das was er eben getan hatte könnte er selbst leicht am Kreuz enden, das wurde ihm nun bewusst. Er fand es erschreckend dass er sich gerade jetzt so froh und gut fühlte wie schon lange nicht mehr. Eine böse hämische Macht tief in ihm drin schien ihn damit belohnen zu wollen.

49.

Stunden später saß Josef mit Maria, Assia und Jesus frierend und trübsinnig auf einem Grasflecken in der Landschaft. Die Luft war kalt und der Abendhimmel über ihnen schien sich mit Gewölk zu bedecken. „Es wird bald regnen“, orakelte Josef hustend. Da Maria schwieg setzte er hinzu: „Jetzt freuen sich die Hirten. Es wird auch nicht ganz so kalt werden in der Nacht.“ – „Die Hirten freuen sich hier ganz und gar nicht, und das wird noch lange so bleiben“, unkte Maria. – „Ja klar, dann lass uns sehen dass wir hier aus der Gegend verschwinden. Wir sollten versuchen dass wir wieder in die Stadt Bethlehem hinein kommen.“ – „Leider ist die Stadt ja für uns geschlossen. Derzeit lassen sie gar niemanden mehr rein. Das kommt weil die Sadokiter und die aufgehetzten Dörfler da bewaffnet hinein marschieren wollten.“ – „Das hat bestimmt wieder dieser fiese Hanes der Lyder so verfügt.“ Josef reckte sich und spähte in Richtung Bethlehem. Von der befestigten Kleinstadt im Norden sah man nur die hohen staubgrauen Mauern und Türme. „Vielleicht sollten wir froh sein dass wir da nicht wieder drin sind. Diese geizigen Bethlehemiter rufen nur wieder ihre Löwendämonin Lehemu herbei gegen uns, die Kinderfresserin, und mit der ist nicht zu spaßen.“ – „Ich hätte uns doch so ein schützendes Amulett der Lamaschtu kaufen sollen, von dem Zauberer Balthasar, als ich mein Geld noch hatte“, meinte Maria in jammervollem Tonfall. – „Heidnischer Unsinn ist das! Sei froh dass du nicht auf solchen Aberglauben reingefallen bist“, rügte sie Josef mit fester Stimme. „Frau, für uns Juden zählt doch nur das was die Thora und die Bücher der Propheten uns weis machen. Unser schützendes Amulett, das ist die heilige Lade des Bundes mit den Gesetzestafeln darin, die Adonai selbst einst dem Moses aus dem Himmel hinab reichte, auf dem feurigen Schicksalsberg im Sinai. Moses hat die Gesetzestafeln dann zerdeppert, aber Gy'tt gab ihm später noch eine Sicherungskopie. So nett kann unser Herr also sein. Ja Elohim, du zeigst Verständnis für unsere schwierige jüdische Wesensart...“ – „Pah! Und das ist kein Aberglaube, was?“ – „Wenn unsere tapferen Sadokiter jetzt diese Lade hätten, dann wäre Israel der Sieg nicht mehr zu nehmen!“ Josef hieb den Arm auf den Unterschenkel und wies energisch wie ein Feldherr auf das nahe Lager der Rebellen und Aufrührer. Die Sadokiter und andere Rebellen hatten sich spontan in der Nähe der heiligen Stadt versammelt, da man sie nicht hinein ließ. Es war ein mächtiger Haufen der nun dort lagerte, doch schienen die Aufrührer weiter nichts geplant zu haben als die Stadt und ihre Wächter hoch oben auf den Mauern gelegentlich mit ein paar Steinen zu bewerfen. Der Mauerring um Bethlehem war doch sehr hoch, und die Sadokiter hatten noch nicht mal Sturmleitern, denn es gab in der Gegend kein Holz mehr für solche Leitern. Josef versuchte einen klugen Plan für die Rebellen zu ersinnen. Doch während Josef noch darüber nachdachte, da kam ihm schon wieder eine für ihn typische Eingebung in den Sinn. Aufgeregt erklärte er seiner Frau: „Denk mal daran was passierte als Jesus einst gegen Jericho zog. Dies war auch eine Stadt mit stolzen Mauern. Aber weil Jesus die Bundeslade mit sich führte schenkte Gy'tt ihm den Sieg, denn die Mauern Jerichos fielen taumelnd in sich zusammen!“ – „Das geschah aber nur weil Josuas Priester und Leviten ihre Dinger geblasen hatten“, erinnerte ihn Assia. – „Schweig Assia“, meinte Josef verärgert. Aber dann durchzuckte ihn wie ein Blitz die Erkenntnis dass seine Tochter ihm möglicherweise einen wichtigen weiterführenden Hinweis gegeben hatte. – „Oi! Das könnte es sein, das könnte der Hinweis sein der uns zum Sieg führt!“ Aufgeregt erhob sich Josef auf die Füße. Der Eifer ließ ihm jetzt keine Ruhe, er wackelte mit dem Kopf wie ein strenger Beter, als er nun Maria und Assia, und sogar Jesus, erläuterte: „Es darf ja nicht sein dass die Römer uns Juden zählen für die Besteuerung, denn damit lästern sie unseren Gy'tt! Also ist dieser Aufstand gegen die Römer ein gerechter Krieg, und Adonai wird uns Beistand leisten nach seinem Ermessen. Unser Problem ist aber dass wir Araber und Verräter haben in unseren Reihen, die uns Widerstand leisten. Wie können wir diese Feiglinge und halben Heiden denn zur Vernunft bekehren? Gy'tt muss ihnen ein Zeichen geben damit sie sich bekehren zu unserem Eifer! Und als so ein Zeichen wird es gelten wenn erneut die Mauern von Jericho in sich zusammen stürzen, hier vor unseren Augen...“ – „Papa, das da hinten ist unser Bethlehem, und nicht das Jericho der Feinde!“ meinte Assia entsetzt. – „Sei still, Assia“, rügte Maria ihre Tochter. „Wenn Papa diese religiösen Anfälle hat, dann ist jede Gegenrede in den Wind gesprochen, und die Konsequenzen sind unvorhersehbar.“ Maria nahm nun Josef kurz in die Arme um ihn zu beruhigen. „Komm Joschele, setzt dich wieder hin, du alter Esel. Komm wir singen lieber gemeinsam das Halleluja, das sollte dich beruhigen: Hallelu-i-ah, i-ah, i-aah! Hei-di-dei, der Heiland ist da!“ Widerwillig sang Josef mit. Und weil es kalt wurde rückte er näher an seine Frau heran. Dabei erinnere Josef sich daran dass Maria ja gerade vermutlich wieder schwanger geworden war. Und das war doch für einen so geilen Kerl wie ihn eine frohe Botschaft. Jetzt umarmte Josef Maria plötzlich mit mehr Gefühl. Er ließ seine kalten Finger in ihre Tücher und Decken hinein gleiten, und er flüsterte ihr zu: „Sag mal, das mittlere Stockwerk ist vermietet, nicht wahr?“ Aber schon wischte Maria seine Hände zur Seite. „Lass mich, nicht in der Kälte hier! Lass uns lieber aufbrechen damit wir vor der Nacht noch irgendwo ein Obdach finden. Wir sollten uns in eine Gegend begeben wo uns noch niemand kennt.“ – „Dann gehen wir eben rein nach Bethlehem, denn so eine Stadt ist groß und voll, da fallen wir nicht auf. Oder nein, wir gehen auch zu Sadduk und seinen Rebellen. Ich bin einer von ihnen, und da finden wir bestimmt noch einen Platz in einem warmen Zelt.“ – „Nein! Ich komm nicht mit zu denen. Das ist ganz übles Gesindel. Vergiss es!“ murmelte Maria bitter. – „Maria, die Sadokiter müssen uns doch freundlich aufnehmen, weil wir nämlich die heilige Familie sind. Bin ich denn nicht ein Prophet, oder sogar der Gesalbte des Herrn, oder gar Gy'tt der Vater selbst? Wenn ich es nicht bin, dann ist es vielleicht Jesus. Komm kleiner Mann, lass uns Jericho erobern!“ Mit diesen Worten knotete sich Josef seine zerschlissene Decke locker um den Oberkörper. Dann hob er spontan den müden Jesus in das Tuch hinein. Mit dem Kind eilte er in die Nacht, in die Richtung des Lagers der Sadokiter und sonstigen Rebellen. Josef kam jedoch nicht weit, denn heftig wie ein Grashüpfer sprang nun Maria hinter ihm her. „Gib mir mein Kind zurück! Du alter Esel und Taugenichts, du wirst mir nicht noch einen Sohn verderben!“ Maria wand dem schwächlichen Josef den jammernden Jesus aus den Händen. Dann trat und stürzte sie Josef in den Staub, und trat noch einmal auf ihn drauf. „Und jetzt bleib bei uns wenn du schlau bist. Oder geh weg und verlass mich endgültig. Geh meinetwegen kacken Josef, und komm niemals zurück! Oder komm erst zurück wenn die Mauern von Jericho gefallen sind“, wütete sie. Da musste Josef nun empört weinen, während er im Staub lag und sich Maria von ihm entfernte. Rasch wusste er sich jedoch zu beruhigen, indem er sich auf die Knie erhob und erst mal etwas betete, aus dem Buch Jesajas, Kapitel 26: „Zu jener Zeit wird man singen im Land Juda dieses Lied: Wir haben eine feste Stadt! Unversehrt sind ihre Mauern und ihre Schutzwehr. Tut die Tore auf, ein gerechtes Volk gehe hinein, frei von Verräterei... Vertraut alsdann auf Adonai immerdar... Denn er hat erniedrigt die Bewohner der Höhe, er wirft nieder die stolze Stadt... Er wirft sie zu Boden, er stürzt sie in den Staub, auf dass sie zertreten wird, mit den Füßen der Elenden und den Tritten der Schwachen...“ In irgendeinem Buch irgendeines Propheten oder Königs oder Schriftgelehrten fand sich doch immer etwas das den gestürzten Elenden trösten konnte. Das sagte sich Josef jetzt als er sich mit neuem Mut auf die Beine erhob. Dann nahm er sich vor in Zukunft selbst ein Buch zu schreiben, über sich selbst. Er würde ein neues Leben anfangen, lesen und schreiben lernen und Schriftgelehrter werden.

50.

Bei Sadduk, Judas aus Gamala und ihrer Rebellentruppe aus dem Ödland war die Stimmung eher gedrückt. Ringsum war man dabei die Zelte und Teppiche vorzubereiten für das Nachtlager. Als Josef sich in der Dämmerung an Judas heran schlich, da ging es ihm wieder besser, denn er hatte sich als reinlicher Jude vorher gewaschen. Doch fror er nun und schauderte, und hüstelte ständig. „He, ich bin es, dein alter Freund Josef!“ rief er Judas heiser zu. Nun musste sich der Glatzkopf sichtlich überwinden um Josef zuzunicken. Aber sogleich wandte sich der junge Rebellenführer um, so als ob er sehr beschäftigt wäre, was wohl auch zutraf. Josef jedoch schwand der Mut als er sich nun umschaute und kein bekanntes oder freundliches Gesicht entdecken konnte. Viele der Rebellen waren Idumäer und Nabatäer aus dem Osten und Süden, nach Judäa zugewanderte Araber oder sonstige Nomaden und Herumtreiber. Sie sahen vielfach finsterer aus als die Juden und unterhielten sich auch in ihren eigenen gutturalen Dialekten. Dann aber sah Josef die Reisegruppe von Philo aus Alexandrien, und er wollte sich dieser anschließen. Aber als er laut rief: „Hallo erneut, lieber weiser Philo! Ich bin es, dein alter Freund Josef!“ da wies Philo die Karawanenwächter gleich an Josef auf Abstand zu halten. Dann warf der weise Ägypter sich seinen dicken Mantel über die Schulter und verkroch sich in sein Zelt. So ein Zelt und so einen Wintermantel hätte Josef jetzt liebend gern auch gehabt. Er dachte an Maria und die beiden Kinder, die er allein gelassen hatte. Sollte er nicht doch reumütig zu ihnen zurückkehren? Er fragte nach seinem Sohn Judas, aber der war angeblich mit der Jungmannschaft beim Waffentraining. Da rief ihn aus der Nähe jemand mit überaus freundlicher Stimme an: „Josef, na, komm her zu mir, Friede sei mit dir!“ Josef erschrak leicht als er die Stimme erkannte. Denn das war der Mann der ihm nachts beigewohnt hatte. „Du bist doch der weise König Melchior aus dem ganz unbekannten Land Melucha! Was machst du denn hier?“ fragte er verblüfft. – „Psst!“ zischte dieser, und legte den Finger vor die Lippen. Dann zog er Josef in das Zelt hinein, das er sich mit zwei unbekannten schmächtigen Männern teilte. – „Ich bin derzeit kein König mehr, aber immer noch ein weiser Gelehrter und mächtiger Magier“, teilte er Josef mit vollem Ernst mit. – „Aber Melchior, bist du denn nicht mehr zusammen mit Kaspar und Balthasar?“ – „Leider nicht. So geht das halt zu im Leben“, erklärte Melchior, dessen Stimme sich verhärtete. „Kaspar hatte ja mal was mit mir, und als wir neulich unterwegs diese Hure Panthera los geworden waren dachte ich es könnte wieder klappen mit uns beiden. Aber der Hur wollte nicht. Es stand ihm der Sinn nach Frau und Kindern, er wollte jetzt anständig werden, so was erzählte er jedenfalls. Und als ich an ihn ran ging ist er richtig sauer geworden, obwohl es ihm vorher manchmal total gefallen hat. Dieser arme Weibernarr! Aber sag mal, geiler Josef, wo ist denn deine Frau Maria abgeblieben?“ – „Der Maria bin ich davon gelaufen, so wie einst die Kebse Hagar davonlief in die Wüste, als ihre Ehefrau Sarah sie demütigte, vor ihrem gemeinsamen Ehemann Abraham“, brabbelte Josef nervös. Da lachten die beiden anderen Männer in dem Zelt, und Melchior meinte zu ihnen: „Deine Rede gefällt mir. Josef, manche Kerle sind schwul und wissen es gar nicht. Bei dir aber hab ich es damals gleich gemerkt, für dich gewissermaßen. Du warst einfach geil, nicht wahr?“ Melchior tätschelte Josef vertraulich am Hintern. Josef spürte wie Panik in ihm aufstieg. Wenn er jetzt in diesem Zelt bleiben würde, dann konnte er sich schon denken wie das ausgehen würde. Aber sollte er mutig zurückkehren zu Maria, die ihn doch so schändlich verjagt hatte, wie einen Hund in die Wüste? Düster sprach Josef: „Die Weiber kannst du doch alle vergessen.“ Und da er dies sagte meinte er es auch, jedenfalls so halb. – „Recht gesprochen, Joschka. Dafür wollen wir beide heute Nacht sorgen, oder auch wir vier, alle zusammen, dass wir Jungs die Weiber vergessen.“ Tatsächlich begann nun eine warme Nacht.

51.

„Das ist er, der Brandstifter! Ja, ich erkenne ihn genau!“ Diese Worte waren das erste was Josef zu hören bekam als er am nächsten Morgen aus dem Schlaf schreckte. Er fühlte sich völlig erschöpft und müde, denn so wie in dieser Nacht hatte er sich schon lange nicht mehr anstrengen müssen. Als ihn jetzt behaarte Arme aus dem Zelt hinaus zerrten, da leistete Josef keinen Widerstand. Es war ja wahr, er hatte diese Scheune in Brand gesetzt, wenn auch ungewollt. Der Kläger hatte sogar Josefs Duftampel aus der Asche gescharrt, er ließ sie nun vor Josefs Nase baumeln. „Ich muss mal, ganz dringend!“ hustete Josef, und das stimmte wirklich. Aber nicht mal das gestand man ihm jetzt noch zu. Deswegen war Josef echt beleidigt und weinerlich als man ihn gebeugt vor Sadduk und Judas aus Gamala schleifte, die beide mit ernsten Mienen und steifen Beinen vor ihrem Hauptzelt standen. Man warf ihn vor deren Füße. Judas ergriff zuerst das Wort und teilte Josef erregt mit: „Steh auf, du Schande Israels! Für deine Dummheiten musst du nun geradestehen!“ Da spürte der bibbernde Josef schon wie es unter ihm plätscherte, er konnte jetzt einfach seinen Urin nicht zurückhalten. Während die hageren Männer ringsum verächtlich murmelten versuchte Josef sich an irgend eine Bibelstelle zu erinnern die ihn jetzt trösten konnte. Jammernd und hustend erklärte er den düster blickenden Rebellen: „Ich konnte nichts dafür! Es war ein Unfall! Ich wollte doch ein Prophet sein, vielmehr, ich bin sogar einer, dessen bin ich mir sicher. Wahrlich ist es doch so dass der Gy'tt manchmal den Propheten nichts sagt, er schweigt zu ihnen...“ – „Schweig du mal lieber auch“, riet ihm Judas aus Gamala. Da lachten einige Männer zögernd. Josef aber konnte seinen Mund nicht halten, sondern er geriet in Predigtlaune. Während er sich aufrichtete verwies er sie auf die Geschichte des Tisbiters Elias: „Ihr wisst ja wie Elohim ist, der redet manchmal nicht zu uns, sondern der handelt sofort und rottet aus. Auch zur Zeit des Elias fiel ja als Strafe keinerlei Regen in Israel, so wie jetzt keiner fällt. Damals rottete ja Isebel, dieses finstere kleine Luder, alle Propheten Adonais aus. Also stand der Elia bald allein da in Israel, gegen 400 Propheten der Astarte und noch mehr Propheten des Baal. Doch da befahl der Prophet Elia den Zorn des Herrn auf seinen Altar! Und ein feuriger Schrecken fiel vom Himmel herab und zerstörte das Heiligtum des Herrn! Ist das nicht dasselbe was auch mir gestern zugestoßen ist?“ – „Nein“, meinte Judas nur, mit einer gewissen Traurigkeit in der Stimme. – „Nun, dann soll es hier erneut geschehen!“ rief da Josef noch lauter. „Ich will wie Elias den Herrn anrufen, und ich will ihn bitten einen großen Schrecken vom Himmel herab fallen zu lassen, ja auf mich selbst, wenn ich denn ein Sünder bin der ihm missfällt!“ So ereiferte sich Josef nun. Mancher Umstehende lachte empört bis furchtsam. Gerade jetzt fing es aus dem bedeckten Himmel wieder mal an ein wenig zu tröpfeln. Die Zuschauer sahen das als ein ungutes Zeichen, und der überdrehte Eifer der Rebellen wich ein wenig von ihnen. Sadduk erklärte knapp zur Versammlung: „Lasst uns nun zügig über diesen klaren Fall entscheiden. Vier Leviten und sechs andere Männer im Alter von über 25 sollen über Josef hier richten, so wie es bei uns Sadokitern Sitte ist.“ – „So ein Fall braucht doch einen erfahrenen Amtsrichter“, gab Judas zu bedenken. Aber da brachte ihn der finstere, halb arabische Wüstensohn Sadduk mit einem zornigen Blick zum Schweigen, und bewies so wer in der Schar der Rebellen wirklich das Kommando führte. Es dauerte dann eine ganze Zeit bis sich zehn Männer zu einem Standgericht zusammen gefunden hatten. Unterdessen schwenkte der Ankläger, der reich gekleidete Oberhirte Agasi, die ganze Zeit die rußgeschwärzte alte Duftampel vor Josef hin und her. „Bevor du stirbst musst du uns noch um den Wert der Scheune entschädigen!“ wütete der Jude der Agasi hieß, also Birne, und auch so ähnlich aussah. – „Ich bau sie wieder auf, denn ich bin auch ein Zimmermann“, versicherte ihm Josef mit matter Stimme. Da lachten die Umstehenden traurig. – „Dazu wirst du keine Zeit mehr haben“, rief nun Melchior von der Seite her. „Aber ich liebe dich Josef, das weiß ich seit dieser Nacht. Ich liebe dich weil ich an Zauberei glaube, an den Liebeszauber.“ – „Ich liebe dich auch“, erwiderte Josef spontan, obwohl das nicht so ganz stimmte. „Nur leider bin ich ja noch verheiratet mit meiner Frau. Meine Maria hat mich zwar verstoßen wie eine Frau, aber ich liebe sie ja noch wie ein Mann. Und auch wegen ihrer drei Kinder kann ich sie ja nicht verlassen.“ Josef kamen nun die Tränen, er ließ ihnen freien Lauf. Melchior wurde unsanft fort gedrängt, und Josef führte man mit nach hinten gedrehten Armen vor das Gremium der zehn Richter. Grimmig ernst waren hier die Mienen. Josef sah einen elften Mann an der Seite, es war der Scharfrichter der mit einem Wetzstein schon sein Richtschwert schärfte. Da wurden Josef die Beine weich und er wollte zu Boden sinken, aber das ließen seine Wächter nicht zu. Der Sprecher der Richter, ein stämmiger autoritärer Mann mit graumelierten Haaren, fragte nun in die Menge hinein: „Ist hier jemand der Josef als Eidhelfer und Verteidiger zur Seite treten möchte?“ Josef schaute Melchior verlangend an, aber der mochte sich nicht dafür bereit finden. – „Ich trete!“ rief da eine raue Jungenstimme. Verlegen trat nun Judas, der Sohn Josefs, vor die murmelnde Menge. Zappelig wirkte der hagere Junge und sehr nervös, inmitten der vielen finsteren Erwachsenen. – „Mein Vater ist ein so schwieriger Mensch dass nur jemand der ihn kennt ihn wirklich versteht“, erklärte Judas.

52.

„Das ist Judas Iskariot, der Sohn des Angeklagten“, erklärte Judas aus Gamala. Iskariot bedeutete Sichelkämpfer, so nannte man die Attentäter. In seiner verkrampften rechten Hand trug Judas jetzt tatsächlich einen scharfen Krummdolch, und dieser Anblick schien den Männern einen gewissen Respekt einzuflößen. Auch Josef war jetzt stolz auf seinen Erstgeborenen. Wenn er jetzt hier starb, wenn sein Blut bald auf den Boden strömte, dann würde sein Blut doch in seinem Sohn Judas weiter fließen, jedenfalls so lange bis Judas fremdes Blut fließen lassen würde. Josef sagte sich dann aber dass seines wohl ein nicht so gutes Blut war, und darüber geriet er ins Grübeln. Er schrak erst auf als er Judas vor dem Gericht aussagen hörte: „Mein Vater ist ein echter Prophet! Es kam nämlich ein Engel zu ihm der heißt Samuel. Und meine Mutter ist sogar eine Fischgöttin! Es kam nämlich ein Engel zu ihr, und der hat sie untenrum zur Fischfrau gemacht, obwohl sie schon meine Mutter war. Maria war Jungfrau während sie Jesus geboren hat, vor und nach der Geburt und dazwischen auch, also zwischen den Beinen! Das haben die vielen Frauen nämlich festgestellt als meine Mutter unten untersucht wurde... Alle haben das gehört, sogar der Richter Abichai aus dem Dorf Örta! Und der schrie dann zwar: Betrug, oder so, aber dafür strafte ihn Gy'tt, und er starb!“ So wie die meisten Juden konnte Judas nicht die arabischen Kehllaute aussprechen, und deswegen machte er aus dem Dorf 'Erta ein Örta. Er konnte jetzt mehr weitersprechen, denn die Erwachsenen ringsum murmelten aufgeregt durcheinander. Die meisten Männer wirkten ungläubig, empört und genervt. Judas aus Gamala meinte, plötzlich mit ätzender Schärfe in der Stimme: „Wie kann sich jemand nur so eine große Menge von geistreichem Blödsinn ausdenken! Dahinter kann doch nur der Ungeist stecken den wir Esséner und Sadokiter den 'Mann des Spottes' nennen!“ Sadduk trat unterdessen vor die von ihm ernannten Richter. Er befragte nun als Ankläger den zittrigen Josef, mit gepresster, fordernder Stimme: „Stimmt das, du armseliger Bettler? Ist der Geist von Samuel dir erschienen, so wie er einst dem König Saul erschien?“ – „Ja... es war fast Samuel“, meinte Josef mit zitternder Stimme. Da er nun wieder gefragt wurde, da entsprudelten ihm Worte die er schon lange hatte sagen wollen, und er rief sie hinaus, ja er schrie fast: „Ich wollte doch immer nur Israel helfen! Ich wollte für uns die Bundeslade finden, als Prophet. Und ja, ich hörte wo sie zu finden war, aber Gy'tta ließ es mich vergessen! Freiwillig kam ich hierher um das Schofar zu blasen, das Widderhorn, damit die Mauern Bethlehems umstürzen sollten, so wie einst die Mauern Jerichos in Trümmer sanken! Dies tat ich alles für den neuen Je-hoshua, für meinen Sohn Jesus, damit er einziehen kann in die Stadt Davids, um als König aller Könige, und als Löwe von Juda, sein Volk von Sieg zu Sieg zu führen!“ Mächtig schrillten nun die Worte von Josef in den Kreis der Rebellen. Da wurden viele Wüstenkrieger still, und auch manch ein schlecht bewaffneter Dörfler oder Landloser nickte dazu und rief ein „Wah!“ als Zustimmung. Ein Araber erzählte jedoch: „Damals als Josua hier ankam mit seiner Kriegsschar, da geschah doch ein Erdbeben, so erzählt man es noch im alten Moab. Und nur deswegen fielen die Mauern Jerichos um, und der Fluss Jordan versiegte ein Zeit lang. Dies geschah zur Zeit von Pharao Echnaton, der den Adonai anbetete, weswegen ein Segen war mit den Hebräern. Das kam also nicht vom Blasen irgendwelcher Instrumente.“ – „Aber Josef kann wirklich gut blasen!“ bekräftigte nun Melchior. Darauf trat Judas aus Gamala vor, der überraschend gegen Josef redete. Mit heller, kalter Stimme meinte der Glatzkopf nüchtern: „Da kannst du vermutlich lange Schofar blasen, Josef; da kannst du tröten wie ein Ganter, bevor die mächtigen Mauern von Bethlehem umfallen.“ – „Lasst es mich versuchen! Wenn es Gy'tt unserem Adonai gefällt, so wird er mir und meinem Sohn Jesus mit einem Wunder zu Hilfe kommen, so wie er auch sonst oft mit Katastrophen und Missgeschicken auf die Welt drauf haut. Wenn so etwas also passiert, oder wenn es nicht passieren mag, daran können wir wenigstens verlässlich ablesen was Gy'tt von mir hält, und von unserem Aufstand gegen Rom.“ Verblüffte Stille legte sich nach diesen Worten Josefs über die Schar der Rebellen. Die zehn Richter murmelten unschlüssig. Aber es war Sadduk der dann den Befehl gab Josef loszulassen. Er ließ sich ein krummes Widderhorn geben und reichte es Josef. „Für einen Versuch ist Zeit genug“, entschied er dann, und niemand wagte zu widersprechen. – „Jesus ist gar nicht dein Sohn! Also lüg jetzt nicht rum Papa!“ meinte Judas nun zu Josef. Ergriffen von heiligem Zorn fuchtelte der Knabe mit seinem Krummdolch herum. Josef spürte erst mal ein Kratzen im Hals, er musste schwarzen Ruß abhusten. Dann sagte er sich zum ersten Mal bewusst dass ja Jesus offenbar tatsächlich nicht sein Sohn war, sondern eine Frucht der Hurerei und ein untergeschobenes Kind. Dennoch hatte er Jesus aktuell viel lieber als seinen Erstgeborenen Judas, der gerade herum hampelte wie ein verrückter Attentäter.

53.

Kurze Zeit später saß Josef auf einem Hügel gegenüber von Bethlehem. Eine Wolkendecke lag nun über dem weiten kahlen Land, das nur hier und da noch graugrüne Flecken von Vegetation zeigte. Ständig wuchsen in Israel die typischen vielen kleinen Dörfer, auch nebenan wurde schon wieder gebaut. Dieser Anblick gab Josef Mut. Er war ja im Herzen kein fanatischer Prediger, sondern einer von den nützlichen Bauleuten. Auch wenn er jetzt vielleicht würde sterben müssen, Israel würde weiterleben... Rings um Josef standen die Sektierer, Rebellen und Aufrührer und warteten gespannt. Josef setzte mit zitternden Händen das krumme raue Widderhorn an die Lippen. Er hatte aber noch nie Schofar geblasen, und wusste gar nicht wie das ging. Ein Schammes und Levit konnte so was, er jedoch nicht, das stellte er jetzt fest als er fest hinein blies. Denn da passierte nichts! Josef entlockte dem Krummhorn keinen einzigen Ton. Oben rauschte die Luft hinaus die er unten hinein blies. Als er kräftig Luft holte bekam er wieder einen Hustenanfall, der ihn wahrhaft schüttelte. „Ich bin eben kein starker junger Kerl mehr. Aber ein Ton sollte vielleicht schon hinreichen“, meinte Josef danach entschuldigend zu den immer ungeduldiger blickenden jungen Sadokitern. Es kam aber weiterhin kein Ton, außer vielleicht einem schwachen Wimmern, das aber vielleicht aus Josefs verschnupfter Krummnase stammte. Bald hatte auch Sadduk die Nase voll von diesem peinlichen Schauspiel. Er begann zu eifern: „Er schafft das nicht, der Versager. Dies kann ja als hinreichender Beweis für den Willen Gottes gelten. Und unser Herr im Himmel wohnt in seinem Stern, er hat ihn erschaffen um Welten zu vernichten, und er hat kein Erbarmen mit Versagern. Ihm allein müssen wir die Treue beweisen, und nicht diesem falschen Messias aus Galiläa hier!“ Der wilde Rebellenführer wandte sich an seine zehn Untergebenen die er als Josefs Richter ausgewählt hatte. Er schnarrte dann, mit der durchdringenden Stimme die er manchmal besaß: „Ihr zehn Gerechten, wie lautet euer Urteil in diesem klaren Fall?“ Da scharrten diese mit den Füßen während sie sich berieten. Josef betrachtete sie von oben herab, ständig vom Hustenreiz gequält. Endlich erklärte der Sprecher dem Sadduk: „Wir können diesen Fall nicht lösen. Es kommt ja darauf an welche Engel hier auftraten. Denn es kann sein dass der böse Engel Samael den Josef irre geführt hat. Von diesem Belial, dem obersten Teufel, und seinem Los berichtet das geheimen Buch Hago. Das Buch Hago befindet sich jedoch, wie ihr vielleicht wisst, im einzigen Exemplar bei unserem Mebaker in Qumran, also dem Bischof unserer Gemeinschaft. Da drin stehen die geheimen Namen der Engel, und deshalb zeigt er es nur äußerst selten jemandem der nicht zu den Priestern gehört. Im Grunde kann nur der Bischof selbst entscheiden wie zu urteilen ist.“ – „Der alte Quatschkopf, der hätte mir hier gerade noch gefehlt!“ schimpfte nun Sadduk. „Eines ist doch gewiss, nämlich dass dieser schwindsüchtige Hochstapler da oben nie im Leben ein Prophet ist, sondern dass er zum Los Belials gehört, also zu den Kindern der Finsternis!“ Sadduk zückte nun sein Kurzschwert und stapfte damit keuchend auf den Hügel hoch, hin zum zitternden Josef. Dieser sank auf die Knie und fühlte sich schon todgeweiht, so wie Isaak sich gefühlt haben mochte auf dem Altar seines Vaters Abraham. „Ein Engel soll jetzt kommen und mich retten, so wie Isaak gerettet wurde!“ So flehte Josef zum Gott, mit zum Himmel erhobenen Händen. Und tatsächlich, als Sadduk jetzt etwas verlegen vor ihm stand, da fehlte dem Anführer der Impuls den schwächlichen Josef einfach so zu durchbohren. – „Warte, Sadduk! Ich weiß noch etwas was wir versuchen können!“ rief plötzlich der dunkle Melchior. „Lasst mich noch etwas zaubern! Es gibt nämlich eine ägyptische Zauberei um die Mauern Bethlehems in Trümmer fallen zu lassen. Es ist ein Zauberspruch mit dem man mächtige Pharaonen beschwört. Nur wenige Ägypter kennen ihn; aber ich erfuhr ihn einst vom weisen Kaspar, dem Weisesten unter allen Königen der Welt.“ – „Melchior, geliebter Freund, du rettest gerade mein Leben!“ jammerte Josef, und er hustete wieder. Nun war Melchior also an der Reihe mit dem Versuch die Mauern von Bethlehem durch Zauberei einstürzen zu lassen. Gepresst murmelnd erklärte der vermummte Gaukler, während er zu Josef auf den Hügel kletterte: „Die Zauberei der Ägypter ist leider nicht einfach.“ – „Ist das nicht heidnischer Unfug und Aberglaube?“ gab Josef mit schwächlicher Stimme zu bedenken. – „Aber keineswegs. Es kommt bei der Zauberei nur darauf an ob sie wirkt. Das muss man eben probieren. Die Geister die man rief die kommen nicht wenn du willst, sondern wenn sie wollen! Ich werden jetzt den Geist des Pharaos Ramses Ozymandias herbei zitieren. Der war ein berühmter Städtezerstörer. Und ich, ich bin ja ein Palästiner. Das Zerstören von jüdischem Eigentum ist ein wichtiger Aspekt unserer Kultur, das liegt uns im Blut.“ Melchior gab das leise zu. Er wirkte nervös aber doch professionell entspannt, und sogar irgendwie amüsiert und leichtfertig. Der dunkle und etwas zu dünne Zauberer wandte sich hinüber zur Stadt Bethlehem, die mit ihren klobigen gelblichen bis grauen Steinmauern uneinnehmbar wirkte. Dann wedelte er mit den Armen, so als ob er Luft aufwirbeln wollte, und rief mit singender Stimme: „Tri! Tra! Trulalau! Pharau Ramsau, Chomat Ha-Beth-Lechemau umhau!“ Dies wiederholte Melchior einige Male. Alle starrten lange die starken Mauern von Bethlehem an... „Der Geist des Pharaos will nicht gehorchen, das ist kein Wunder! Ich muss ihn erst mit dem Geist des Abraxas dazu zwingen! Und dazu muss ich Jao räuchern, denn sonst erscheint Abraka nicht. Gib mir mal das Ding zurück, denn das gehört sowieso mir.“ Mit diesen Worten ging Melchior zum Ankläger Agasi, welcher ihm tatsächlich widerwillig die rauchgeschwärzte Duftampel aushändigte. Nun murrten viele der Zuschauer. – „Was ist jetzt wieder los?“ begann Sadduk zu eifern. – „Lass sie, wir haben doch alle Zeit Israels“, beschwichtigte ihn jedoch sein Mitstreiter Judas aus Gamala.

54.

„Was ihr da tut ist großer Unsinn!“ rief plötzlich von ferne eine Stimme die Josef ebenfalls kannte. Er sah ihr nach, und sein Gesicht erhellte sich. Chodosis aus der Reisegruppe des Philo hatte dies gerufen. Er war durch die Reihen der Rebellen nach vorn getreten, diesmal ohne seine Schriftrollen, mit erstaunt erhobenen dicken Brauen und tief in Falten geworfener Oberlippe. Der kleine Pharisäer meinte kritisch zu Melchior: „Wenn es nicht klappt, kannst du dir nicht denken woran es liegt? Du hast es nicht richtig gemacht! Dein Zauberspruch ist nur hebräisches und absurdisches Gequatsche! Wie soll denn der ägyptische Pharao Ramses dich überhaupt verstehen?“ Die Rebellen murmelten zustimmend. – „Das alles hier ist doch nur übler heidnischer Unsinn!“ meinte der Sprecher der zehn Richter, ein Stämmiger der jetzt aggressiv wirkte. – „Warte noch ab, Maskil“, erwiderte Melchior, der plötzlich etwas aus seiner leichtfertigen Arroganz heraus geriet. Er fragte Chodosis: „Kannst du meinen Zauberspruch denn auf ägyptisch übersetzen?“ – „Das will ich meinen. Denn wenn sich hier einer in der Weisheit der Ägypter auskennt dann bin ich das. Ihr beiden Gaukler wisst einfach nicht gut genug Bescheid. Lasst mich besser mal diese Zauberei probieren.“ – „Chodosis, komm lieber wieder hierher!“ rief Philo mahnend von hinten. „Schriftgelehrter, bleib bei deinen Papierchen!“ Doch Chodosis wollte davon nichts hören. Ihn verlockte die Gelegenheit mit seiner unbestreitbaren Gelehrtheit Eindruck zu machen. Er plauderte los: „Ihr müsst zunächst wissen dass die Zauberei der Ägypter immer auf ihren Schriftzeichen beruht. Ohne Zeichen funktioniert sie gar nicht. Man muss die richtigen Zeichen kennen, und die stehen nur in den geheimen Büchern, zum Beispiel im Buch der Toten.“ Chodosis malte nun ziemlich aufgeregt einen großen sitzenden Löwen auf den Boden, oben auf dem Hügel wo Josef hockte, der nun den Blick furchtsam abwandte. – „Das ist ein L, das ägyptische Schriftzeichen für Löwe! Aber die Ägypter sprechen es wie Rrw aus, und dann klingt es genau wie das Grollen eines Löwen“, erklärte er versonnen. – „Das ist ja einfach! So eine Schrift kann man sofort erkennen!“ Josef wagte es jetzt doch sich das ägyptische Zauberbild anzuschauen. Und sogleich war er fasziniert von diesen Hieroglyphen. – „Leider sind nicht alle Hieroglyphen so einfach zu deuten“, meinte Melchior dazu, in dem Bemühen sich ebenfalls als original ägyptischer Experte zu beweisen. Chodosis achtete jetzt auf keinen von ihnen, denn er war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, und murmelte die ganze Zeit vor sich hin. Dann richtete er sich auf und erklärte mit lauter Stimme: „Diese Hieroglyphe L ist gefürchtet in Ägypten! Denn in ihr verkörpert sich die Löwenmacht aus dem Himmel. Genau diese Macht ist es die sich auch in Bethlehem manifestiert hat, und zwar in der Löwin. Die Lehem, die Stadtgöttin von Bethlehem, wird von den Arabern auf arabisch Lahm genannt, was sich fast nach Lamm anhört. Aber besser passt ihr aramäischer Name Lamashtu, was eigentlich 'mächtige Lahm' bedeutet. Wenn also Bethlehem hier vor uns die Tore schließt, dann deswegen weil die grimmige Lamashtu ihre heilige Stadt beschützt. Was tun wir also dagegen?“ Er stellte die Frage der ganzen Runde. – „Nieder mit der Löwin!“ rief Josef da spontan. „Wir müssen diesen bösen Geist austreiben aus dieser jüdischen Stadt!“ – „Sehr gut, also wirklich, exzellent. Du könntest fast mein Meisterschüler sein“, meinte Chodosis dazu. Nun kamen ihm fast die Tränen, er wischte sich die Augen mit den schweren Tränensäcken, und fuhr fort: „Aber! Jetzt schaut mal darauf was die Zauberer der Ägypter tun gegen solche Löwenmagie! Sie machen einfach die Hieroglyphe unschädlich, sie bedrohen sie magisch. Damit vertreiben sie den Löwengeist der sie erfüllt!“ Sorgsam malte Chodosis ein Messer oben auf den Kopf der Löwen-Hieroglyphe. Dann drehte er sich um, schaute auf die Stadt und wartete angespannt. Als nichts geschah zerteilte er die Hieroglyphe im Sand noch mit der Sandale, von oben rechts nach unten links. Dazu erklärte er hart: „Wer nicht hören will der wird vernichtet, so verfährt ja auch unser Adonai...“ Als wiederum nichts geschah, da war der Bücherwurm Chodosis sichtlich mal am Ende seiner Einfalt angelangt, und er verstummte betrübt. – „Jaa, leider ist die Zauberei eben nicht so einfach“, bemerkte Melchior dazu.

55.

Statt Chodosis redete nun der Sadduk unten: „Jetzt hab ich aber endgültig genug gehört von diesem tolldreisten heidnischen Unfug!“ Der Rebellenführer stieg nun erneut auf den Hügel, ja er stürmte fast hinauf. Dann zerstörte er mit dem Fuß die aufgezeichnete Löwin, und wütete dazu, vom Eifer ergriffen: „Habt ihr vergessen wie wir frommen Juden über Bilder denken müssen? Jetzt seht ihr selbst dass ausländische Zauberei nur Gaukelei ist und übler Betrug. Deswegen halten wir Sadokiter uns genau an die Thora, und kein falscher Prophet oder Lehrer soll uns ungestraft davon abweichen lassen, weder nach links oder gar nach rechts! Ich sage also, als euer Lehrer des Gesetzes: Erinnern wir uns wie im alten Israel, zur Zeit des Königs Saul, mit jeglichen Zauberern und Bauchrednern, und mit Wahrsagern und Beschwörern verfahren wurde. Ich weiß, ihr wisst es! Dann redet! Oh ihr Gläubigen unseres einen wahren Gottes, dann schreit es hinaus!“ – „Tod den Zauberern!“ schrie da der Stämmige, der unter den Rebellen ein Unterführer zu sein schien. – „Tod! Tod! Tod!“ riefen gleich etliche andere. Und schon griffen sie alle nach Steinen um die drei Zauberer auf dem Hügel zu steinigen! Sadduk brachte sich in Sicherheit, er strauchelte und rutschte hastig den Hügel hinab. Chodosis schrie entsetzt auf und hob die Hände vor den Kopf. Josef versuchte rasch noch etwas zu predigen! Er trat nach vorne und schrie: „Friede sei mit euch! Nehmt doch Vernunft an, oder nein, besser nicht! Denn Adonais Weisheit ist größer als die menschliche Vernunft. Und des Herrn Liebe ist noch größer!“ – „Aber dich hat er nicht lieb, denn du bist ein Verächter seiner Gebote!“ schrie da der Maskil. – „Und ob er mich lieb hat! Adonais Liebe ist so groß dass er sogar seine Feinde liebt!“ Josef legte zur Verdeutlichung die Hände an sein Geschlechtsteil. Bei diesen Worten hallte erregtes Hohngelächter durch das Lager der Rebellen. „Meschugge ist er! Du Neubekehrter! Von der Thora hat der keine Ahnung! Du bist Gottes Strafe für uns! Er predigt das weil er selbst Gy'ttas Feind ist!“ Dies schrien nun alle durcheinander. Schon flog der erste Stein, er traf Josef am Bein. Josef bückte sich hustend hinter Chodosis. Einzig Melchior bewahrte nun noch Haltung und Mut, er rief so laut er konnte: „Ein Wort noch, ein letztes Wort über Zauberei!“ – „Es sei dir gewährt!“ rief da Judas aus Gamala laut, dem der Eifer der Rebellen nicht zu gefallen schien. – „Ich habe soeben unseren dummen Fehler eingesehen!“ rief Melchior nun den wütenden, zögernden Sadokitern und Rebellen entgegen. Er wies mit dem Finger anklagend auf den Jammerlappen Chodosis: „Dieser ägyptische Faselmund hat versucht die Göttin Lamashtu mit einem Bild aus Sand aus ihrer Stadt Bethlehem zu vertreiben. Er ist eben ein Gelehrter, ein bleicher Bücherleser nur, der von der finsteren Praxis der Schwarzmagie keine Ahnung hat. Diese Hieroglyphe war natürlich keineswegs original ägyptisch, und deswegen zeigte sie keine Wirkung. Wir müssen nämlich dieses Bild der zerteilten Löwin nach Art der Ägypter in Stein einmeißeln! Nur so kann die Wirkung des Zaubers eintreten.“ – „Melchior hat recht!“ wimmerte da sogleich Chodosis, der als schlauer Jude die kleine Chance gleich erkannte und nutzte um sein Leben zu retten. Er richtete sich wieder auf und erklärte dann, wortmächtig wie zuvor: „Hört noch von mir dazu die lehrreiche Geschichte von dem weisen Pharao, und mächtigen Zauberer, Tenephachtus! Dieser war einst in der Wüste unterwegs, um die verfluchten Räuber und Araber zu bekriegen. Auf diesem Feldzug nahm der Pharao durch Zufall die einfache Nahrung der Soldaten und Armen zu sich, und er schlief auch wie ein Soldat nachts ohne ein weiches Bett. Das schmeckte und passte ihm so gut dass er die Üppigkeit und die Weichlichkeit verfluchte und sie den Pharaonen für alle Zeiten verbot. Deshalb ließ Tenephachtus einen Fluch in die Wände des Haman-Tempels von Theben einmeißeln, mit den geheimen Zauberzeichen der Ägypter... Ähm, als Exkurs darf ich kurz erklären dass Haman mit dem Ägyptergott Zeus-Amun paläographisch identisch ist... Es lag an diesem Fluch dass die Macht der Pharaonen in Ägypten alsbald völlig versickerte, und ihr Land nacheinander von verschiedenen fremden Völkern erobert wurde, zuletzt von den Römern!“ Die aufgeregte Menge war still geworden. Viele murmelten leise, einige klapperten mit irgendwas, so als ob gerade Purim wäre. Haman war ein bekannter Judenfeind gewesen, und kein Jude mochte seinen Namen gern hören. Nun ergriff auch Josef erneut das Wort, genauer gesagt, das Wort ergriff ihn. Er richtete sich auf und krächzte: „Ehrlich gesagt, ihr steinigt uns drei Sünder zu Recht! Das muss ich zu eurer Ehre sagen. Es war nun mal unser Fehler dass wir ein Bild vom Löwen gemalt haben. Es war zwar auch das L, und also ein Buchstabe, aber das hat keine Bedeutung, so wie es ja nicht von Bedeutung ist wenn einer sündigt und damit zugleich etwas Gutes tut. Wahrlich ich sage euch, jeder Buchstabe ist auch ein Bild! Deswegen schreibe oder male ich grundsätzlich nicht; das hab ich nie gelernt, das erkläre ich hier zu meiner ewigen Ehre! Aber dieser hier, der üble Ägypter Chodisis, der malt die ganze Zeit unheimliche Buchstaben! Er ist also ein Feind Gy'ttes...“ Weiter kam Josef nicht, denn Melchior gab ihm einen Tritt. Josef schlitterte den Hügel hinab, direkt auf Sadduk drauf, der unten noch saß und sich verzweifelt Sand aus den Augen rieb. „Au! Oi!“ riefen beide. Blindlings schlug Sadduk nun aus nach Josef, bis man die Streitenden trennte. Oben erklärte Melchior weiter, mit schauerlicher und flehender Stimme: „Lasst uns Zauberer mal machen, und wir werden euch nicht enttäuschen. Der Judengott hat zwar den Semiten die Bilder verboten, aber doch wegen der starken Magie die darin steckt. Das Bild der zerstörten Löwin ist gewiss lästerlich. Aber genau deswegen wird die Wirkung dieser schwarzen Magie gewisslich eintreten! Denn auch die Göttin Lamashtu ist ja eine jüdische Dämonin, und Bilder verabscheut sie wie wir alle, die kann sie nicht ertragen. Seid also so schlau wie König Saul, der ja doch nachher zu einer Zauberin ging, nämlich zu der Hexe von Ein-Dor, und damit sein eigenes Gebot gleich verletzte.“ Da verstummten die aufgeregten Rebellen, fast alle ließen nun ihre Steine sinken. Sadduk heulte leise vor sich hin. Judas aus Gamala aber trat mit Festigkeit nach vorn und erklärte, mit seiner schönen weit tragenden Stimme, und salbungsvoll wie ein Prediger: „Wenn ihr Zauberer das wagen wollt, so tut es ohne dass wir es sehen. Tut es nächtens!“ – „Nein, ich befehle...“ begann Sadduk. Aber Judas ließ ihn nicht zu Wort kommen, und erklärte eifernd: „Dämonen und böse Geister sind ein hässliches Übel. Wenn diese drei Austreiber es schaffen sollten die üble Kinderfresserin Lammu endgültig aus ihrem Bethlehem zu vertreiben, und sei es mit ihren zweifelhaften Methoden, dann werden alle jüdischen Mütter jubeln! Steht es nicht geschrieben dass wir Juden zahlreich und mächtig werden sollen, bis dass der Erdkreis kaum groß genug ist für uns? Was sagst du dazu, Maskil, unser Unterweiser des Gesetzes?“ – „So sei es!“ bestätigte da der stämmige Sprecher der Richter mürrisch. „Gy'tt segnete dich, du Mann des Loses von Eloym! Segne du uns mit Eloyms Weisheit.“ Doch da war Gott vor.

56.

Judas aus Gamala hatte nun an Ansehen und Eifer gewonnen. Er nutzte dies aus um selbst auf den kleinen Hügel zu steigen. Von dort oben begann er zu predigen. Seine helle, weit tragende Stimme war sicherlich ein Hauptgrund gewesen warum er es unter den Eiferern bis zum Anführer gebracht hatte. Er predigte nun wieder das was er sonst auch immer predigte, nämlich dass die Sadokiter und sonstigen Rebellen doch auf Gott vertrauen und sich streng an die Thora halten sollten. „Bald wird uns Gy'tt auch gegen die zwanzig oder dreißig Legionen der Römer wirksam Hilfe leisten. Wahrlich eine helle neue Zeit ist angebrochen in Israel, jetzt da wir Sadokiter dem Volk das in der Dunkelheit verharrt das Licht der Hoffnung leuchten lassen. Eine neue Zeit der göttlichen Gerechtigkeit steht uns doch bevor! Das kann kein Römer von sich behaupten, dass er der göttlichen Gerechtigkeit die Ehre gibt. Und deswegen sind diese Verächter unserer heiligen Traditionen doch schon besiegt und aus Israel vertrieben. Denn keinesfalls wird doch Eloym diese Sündenlümmel lange hier dulden...“ Josef war unterdessen fast von Sinnen vor Glück. Er tanzte mit Chodosis einen kleinen Tanz, bevor er dann Melchior umarmte und leidenschaftlich küsste. „Erneut hast du mir mein Leben gerettet. Ich liebe dich, mein Zauberer!“ – „Du bist so lieb wie doof, also total“, meinte Melchior anerkennend und leicht zynisch. „Weißt du was, Josef? Seit Kaspar mich verstoßen hat bin ich total einsam und frustriert. Ich brauche einen neuen Partner, damit ich wieder arbeiten kann als Zauberer. Und du bist zwar einfältig, aber du hast irgend eine starke Magie auf deiner Seite die ich nicht verstehe, aber die niemand leugnen kann. Vielleicht liegt das an deiner besonderen Untauglichkeit. Sag an, willst du mich heiraten?“ – „Was, ich?“ Josef zögerte als er bemerkte dass sein Sohn Judas ihn aus der Ferne musterte. Aber er war doch jetzt so von warmer Freundlichkeit erfasst dass er Melchior erneut lieb umarmte. „Ein Zauberer soll ich werden, so wie du einer bist? Ich bin doch nicht würdig“, brabbelte er. „Ich bin ein Kriecher und leider viel zu geil.“ – „Genau deswegen mag ich dich ja auch, Josef“, offenbarte ihm Melchior ernst. – „Ja, du bist so ein Kriecher dass es mich wundert dass du aufrecht gehen kannst“, schimpfte nun Chodosis von der Seite her. Fast hätte der Kleine Josef einen Tritt gegeben, aber das wagte er dann doch nicht. Vielleicht lag es an der großen Liebesszene die Josef gerade erlebte. „Mein Liebster, du verlangst leider zu viel, denn ich bin verheiratet“, seufzte Josef. – „Na und? Du bist doch jetzt der gesalbte König Israels, denn von mir wurdest du gesalbt. Und auch König David nahm sich doch zwei Weiber. Jakob hatte auch zwei Frauen, und wer nicht noch alles. Die Vielweiberei ist doch eigentlich die unserem Gott viel gefälligere Lebensweise.“ Dieser aus der Thora abgeleiteten Logik konnte sich Josef wie üblich nicht verschließen. Also murmelte er, mit Bangigkeit im Herzen und erotischem Kribbeln zwischen den Beinen: „Also gut. Ja ich will.“ Nach weiteren Küssen und Umarmungen trennte sich Josef widerstrebend von seinem Verlobten, um bei der Menge kein Aufsehen zu erregen, denn mehrere Sadokiter sahen ihn schon streng an. Er wusste dass diese Sadokiter vorwiegend nach den Bräuchen der Esséner lebten. Und bei denen war zwar brüderliche Liebe sehr beliebt, aber man enthielt sich doch traditionell von den sinnlichen Gelüsten. Statt selbst zu heiraten nahmen die Esséner lieber fremde Kinder bei sich auf. – „Wir müssen uns wohl in Griechenland einen Priester suchen der uns verheiratet“, meinte Josef zu Melchior. – „Sei unbesorgt. Ich weiß schon einen, gleich hier“, meinte Melchior jedoch zuversichtlich. Und als sich die Menge der Rebellen murrend verlief, da näherte Melchior sich verstohlen dem Maskil, der ihn mit einer gewissen freundlichen Neugierde anblickte. – „Na schöner Jungmann?“ fragte Melchior zur Begrüßung. Und als der Maskil gar verschämt lächelte, da begriff auch Josef gleich was dieser jüdische Religionspolizist für einer war. Melchior sprach dann den Maskil auf die Gebräuche seiner Sekte an, die sich tatsächlich von denen der Esséner kaum unterschieden. Der Maskil erklärte mit nun samtig dunkler Stimme: „Bei uns in Qumran, und bei den Essénern am Fluss Jordan und in den Lagern in der Wüste, da stehen alle Männer lebenslang wie Schulbuben unter der Zuchtrute ihres Lehrers. Und Frauen gibt es da zum Glück so gut wie keine. Denn so wie die Esséner glauben auch wir Sadokiter, dass keine Frau je einem Gatten die Treue bewahrt.“ – „Oh ja, da habt ihr so recht!“ meinte Josef ergriffen und empört. – „Möchtest du nicht auch einer von uns werden?“ fragte ihn der Religionspolizist nun. „Es hilft ja manchem wenn er im Leben eine strenge Zucht erfährt. Möchtet ihr beiden strammen Kerle mal meine Sammlung von Zuchtruten sehen?“ – „Geil!“ sagte Melchior. Der kleine Judas schaute nur von fern zu was sein Vater da tat, und er begriff wenig. Als Josef sich froh mit Melchior im Arm entfernte, da hockte er sich in den Staub und hörte düster dem eifernden Prediger Judas aus Gamala weiter zu. Dieser war inzwischen beim Kaiser Augustus angekommen, er ereiferte sich über des Kaisers wahre und erlogene Missetaten, und warnte doch gleichzeitig sehr eindrucksvoll vor der Stärke der römischen Militärmacht und der Lasterhaftigkeit und Grausamkeit der Legionäre. „Gegen die Römer zu rebellieren, das ist so gut wie aussichtslos! Denn selbst wenn wir die Römer besiegen können, dann kommen sie im nächsten Jahr wieder. Wir riskieren nur unser ganzes Land, und haben doch keine kleine Chance zu gewinnen.“ – „Eben hast du noch das genaue Gegenteil gepredigt!“ rief Sadduk dazwischen, immer noch wütend und mit tränenden Augen voller Staub. – „Ich eifere halt so wie es mir in den Sinn kommt, denn es kommt von Gy'tt“, meinte Judas aus Gamala. Aber da schnauften selbst seine mickrigen paar Gefolgsleute skeptisch bis ungläubig. – „Judas kann zwar gut reden, aber als Anführer ist er weniger geeignet“, tönte daraufhin der Sadduk zu den Gefolgsleuten. – „Dann mach es besser, und dann rede du nun. Was denkst du denn Sadduk, du selbst ernannter Lehrer des Gesetzes? Haben wir überhaupt eine Chance gegen die Römer oder nicht?“ fragte Judas aus Gamala. „Sollen wir gegen sie kämpfen oder uns mit ihnen einlassen? Sind wir denn für Gerechtigkeit und Vernunft oder für die römische Steuer und eine fremde Tyrannei?“ – „Wir sind für uns selbst“, erklärte Sadduk da eifernd. „Wir Sadokiter wollen die Macht für uns, sei es als römische Bundesgenossen oder als Rebellen. Wir wollen die Macht haben, so lange es geht.“ Jetzt stieg der Rebellenführer schon wieder auf den Hügel herauf, aber vorsichtig diesmal und fast mühsam. Oben angekommen begann er böse zu eifern: „Ihr fragt mich: Sind wir denn für dies oder für das? Ich aber antworte euch: Ja und nein! Das ist alles möglich, es ist unsere Entscheidung. Wir müssen nur an die Macht, und zwar unbedingt! Denn dann gehören uns all die Häuser und das Vieh und die Weiber. Dann entscheiden wir allein alles, und alle Priester predigen für uns oder halten den Mund. Es liegt dann an uns ob wir jemandem etwas abgeben oder wegnehmen. Wir werfen in den Kerker oder wir lassen frei. Und... wir werden uns viel geben und vielen anderen alles wegnehmen. Das ist doch klar, oder nicht?“ Sadduk grinste unter Tränen, als nun seine Anhänger nach und nach munterer wurden, und etwas zögernder Jubel aufkam. – „Aber die Thora müssen wir dennoch genau beachten!“ rief da der Maskil. – „Ja und nein! Das werden wir handhaben wie Gy'tt, also mal so und mal so!“ Fast bekam Sadduk nun einen Wutausbruch als er erklärte: „Ist es denn nicht so dass Gy'tt uns mal auf strengste Weise gängelt, und uns dann plötzlich viel Freiheit lässt? Ist er nicht ein Gy'tt der mal kleinste Übertretungen des Gesetzes grausam bestraft, und dann wieder über alles freimütig hinweg sieht und den schlimmsten Götzendienst freundlich duldet? Wenn ihr euch wirklich an dem Eloym im Himmel orientieren wollt, dann müsst ihr nicht der Thora aufs Wort gehorchen, sondern dann müsst ihr widersprüchlich und tyrannisch handeln, und mal so und mal so sprechen, genau wie Gy'tt es ja selbst auch tut.“ – „Du redest wie ein Irrer!“ schimpfte da Judas aus Gamala. – „Wenn du mich kritisierst dann lästerst du Eloym selbst, denn ich bin sein Sprachrohr und sein Maul!“ geiferte Sadduk. An seinem verzerrten Gesicht konnte man den Zwang erkennen unter dem er momentan stand. Doch die Menge ringsum verstummte, und man sah Männer die sich enttäuscht abwandten. – „Ich glaube Gott ist in Wahrheit ein Irrer!“ So redete Judas nun zu sich selbst, und erschrak darüber.

57.

Es gab nun Arbeit für den Maskil, denn im Lager der Karawane des Philo aus Alexandrien war es zu Streitigkeiten gekommen. Und zwar war Philo mit seiner Gruppe von reichen Pilgern auf dem Weg ins Hochland nach Jerusalem quasi in die Gefangenschaft der Sadokiter geraten, die sich bei Gelegenheit auch als Straßenräuber betätigten. Man hatte sich damals auf eine Art von Schutzgeld geeinigt. Aber jetzt, wo die Rebellion gegen die Römer in Judäa um sich gegriffen hatte wie ein Lauffeuer, da wollte der Sadduk diese Vereinbarung nicht mehr gelten lassen. Sofort sprang auch der Maskil ihm bei. Er erklärte den bedrückten Pilgern was die Sektenregel von Qumran vorschrieb: „Jeder von uns gibt von seinem Eigentum den anderen ab, so viel wie dieser braucht, und das sogar ohne Gegenleistung. Und wer ein echter Esséner oder Sadokiter werden will muss sogar sein ganzes Vermögen der Sekte übertragen. Möchtet ihr nicht spontan bei uns Mitglied werden?“ – „Kommt ihr frechen Räuber, einigen wir uns eben noch auf einen Tribut den ihr verlangt“, schlug der Philo mit bitterer Miene vor. Er zog sich dann mit dem Maskil und etlichen Arabern jüdischen Glaubens zurück um zu verhandeln. Der grinsende Melchior trat jedoch gleich zu den Eseln der Karawane, wo er einen dicken Weinschlauch erspäht hatte. „Kommt Freunde und Brüder, den Weinschlauch gebt ihr uns, denn wir Zauberer brauchen ihn für unsere Dienste“, erklärte er den dunkelhäutigen ägyptischen Dienern. Widerwillig gehorchten diese, aber Josef grinste nun so froh wie schon lange nicht mehr. – „Wir müssen doch unsere Hochzeit gebührend feiern“, erklärte ihm Melchior, und er lächelte bübisch. – „Ja genau.“ Es ergab sich dann rasch dass alle Rebellen und Sektierer und das sonstige Gesindel von den Vorräten der Karawane der Pilger ein reichliches Mittagsmahl ausgeteilt bekamen. Da Josef und Melchior in der Nacht kaum geschlafen hatten zogen sie sich dann zurück in ihr Zelt, das sie mit zwei anderen Kerlen teilten. Später kam dann noch der Maskil zu Besuch, und der trug nun mutig einen Frauenrock. Dies entging anderen Sadokitern nicht, und bald war das kleine Zelt so voll dass man aufeinander sitzen musste. Josef störte sich nur daran dass Melchior ihn mehrmals aufforderte doch noch seinen Sohn Judas mit dazu zu holen. „Bin ich dir etwa nicht jung genug?“ fragte Josef zickig, und war überrascht über seine Eifersucht. – „Ehrlich gesagt, du bist so einfältig dass ich glaube dass sogar Gott dich liebt, der uns Juden doch offenbar verabscheut. Heißt es nicht oft in der Thora dass Gott es nicht mag wenn die Menschen zu schlau und weise werden?“ – „So ist es. Aber das wird bei mir nicht passieren!“ versprach Josef, in Melchiors spermafeuchte Hand. Im vollen Zelt ging es im Gespräch dann darum was denn zu halten war von der Hochzeit von zwei Männern. Der Maskil war die Autorität, er erklärte: „Auch bei uns Essénern gibt es Ehen, aber sie sind doch selten. Es ist üblich dass man dann eine besondere Geldzahlung an die Gemeinde leistet. Das ist quasi unsere Heiratssteuer.“ – „Wir wollten eigentlich noch etwas warten“, erklärte daraufhin Melchior spontan. Und Josef nickte traurig dazu. – „Ach, das wär aber schade, ihr beiden Süßen“, meinte aber dann ein kleiner Kerl. Und sein Freund erklärte: „Bei uns in Qumran kommt es immer darauf an ob etwas Sünde ist oder nicht. Und die meisten von uns haben das Gefühl dass die Ehe sündhaft ist, und deswegen teuer sein muss.“ – „Wenn ich aber doch der heimliche Gesalbte des Herrn bin, so wie König David es war, dann kann das ja für mich nicht gelten“, meinte Josef. „Denn bin ich doch dafür zuständig das Land und das Volk Israels fruchtbar zu machen, über alles bekannte und erträgliche Maß hinaus, also so wie es uns die Thora vorschreibt. Dann kann man mir nach Treu und Glauben keine Straf-Heiratssteuer auferlegen!“ – „Aus der Sicht unserer Gemeinde hast du aber nicht recht“, meinte dazu der Maskil, voller plötzlicher Besorgnis. Und er erklärte dass in Qumran die Vielweiberei als sündhaft galt und verboten war: „Ein Mann der sich mehr als eine Frau nimmt, der verfängt sich in einem der Netze des Belial. Das gilt nach dem fünften Buch Mosis, Deuteronomikon Kapitel 17, sogar für den König Israels. Und es findet auch Anwendung auf Tote, weil diese ja nach unserem Glauben im Himmel weiter leben.“ – „Aber wenn ein König eine Frau heiratet und dann als Frau noch einen Mann, dann kann dieses Gesetz ja nach seinem heiligen Sinn keine Anwendung finden“, meinte einer der anderen Männer. – „Das war gewiss auch bei König David so“, meinte da Josef. Er war schon ziemlich betrunken und abgeschlafft, aber dennoch ergriff ihn jetzt sein üblicher Eifer. Er erklärte: „War es nicht ein Segen für sein Volk als der König David Micha heiratete, und dann noch eine Frau dazu, obwohl das unüblich war? Und gab es später nicht immer Zweifel daran ob Micha denn identisch war mit dem Propheten Micha, der ja gewisslich ein Mann gewesen ist?“ Josefs Rede fand endlich volle Zustimmung im vollen Zelt. Der Maskil, der die Thora und die Bücher genau kennen musste, meinte sogar: „Micha hieß ja eigentlich Michal, also so wie der Engel Michael.“ – „Aber ist Michael nicht vielleicht eine Frau?“ gab der kleine Kerl zu bedenken. – „Engel sind doch nicht untreu, unrein und dazu noch dumm wie Frauen!“ empörte sich Josef. – „Gut gesprochen, Josef! Engel haben kein Geschlechtsteil, sie sind ohne Sünde“, erklärte Melchior. Darüber wusste außer ihm scheinbar keiner Bescheid. Denn alles mystische Wissen über Engel wurde unter Essénern geheim gehalten, damit kannte sich nur der alte Mebakker wirklich aus. Der frauliche Maskil erklärte schließlich: „Ich bin ja gerne streng mit allen Sündern. Wer von uns ist ohne Sünde? Wir Juden lernen es einfach nie alle Gebote richtig einzuhalten, und das ist ja auch geiler. Denn wenn sich jeder an die Thora halten würde, an alle 600 oder so Gebote, dann hätte ich ja nichts mehr zu tun.“ Spontan meinte der stämmige Religionspolizist dann zu Josef und Melchior, und das mit gütiger Stimme: „Hiermit erkläre ich euch zwei Jungs zu Mann und Kerl. Ihr dürft euch jetzt küssen. Und weil das doch vielleicht bis sicher eine Sünde ist, werd ich euch anschließend nett bestrafen.“ Damit waren alle einverstanden. Man überdeckte Melchior und Josef für die Zeremonie mit einer Tallit, einem traditionellen Mantel. So kam es dass an diesem Nachmittag Josef noch eine zweite Ehe einging, und das auch noch ohne dass er dafür eine Heiratssteuer entrichten musste. Als der Maskil sie dann am Abend noch mit Gebetsriemen fesselte fand Melchior dies besonders geil.

58.

Irgendwann in der Nacht trieb den Josef dann seine volle Blase aus dem vollen Zelt ins kalte Freie. Während er schwankend und zitternd urinierte traf er Chodosis, der sich reisefertig gemacht hatte und unüblich erbost wirkte. Der kleine Schriftgelehrte mit dem großen runden Kopf hatte sogar seinen Leibdiener dabei mit einer Laterne, der seinen Stapel Schriftrollen tragen musste. Unwillig mahnte Chodosis nun Josef an seine Verpflichtung: „Komm mal hoch, du fauler Bettler und Säufer! Denn wir drei müssen doch jetzt unsere heilige Pflicht erfüllen die wir als Zauberer übernommen haben.“ – „Ich bim so besoffm“, murmelte Josef, was auch zutraf. Aber Chodosis ließ es nicht zu dass er sich wieder hinlegte. Er schaute dann in das volle Zelt hinein, und fluchte leise: „Bei Esthers magischem Duftwasser, ist das ein schwuler Mief hier drin!“ Grinsend rüttelte der kleine Chodosis den schlafenden Melchior und zog ihn am Bein, und kniff ihn dann sogar in die Zehen. Aber nichts half nun, Melchior war in dieser Nacht einfach nicht zu wecken. Josef jedoch sah plötzlich dass sein Sohn Judas bei ihm stand. Judas trug nunmehr einen Meißel aus Harteisen und einen Klopfstein, er wirkte grimmig entschlossen. Eine dunkle Filzkappe zierte jetzt seinen Kopf, und das mürrische, lange Gesicht hatte er mit Asche getarnt. Josef wollte seinen Sohn rügen, aber da musste er erst mal tüchtig husten, und wäre hingefallen wenn Judas ihn nicht gestützt hätte. Also sah Josef ein dass Judas bei dieser gefährlichen Kommandoaktion nicht zu entbehren war. Josef war froh als sie dann endlich aufbrachen, denn beim gehen wurde es ihm wohler. Nur langsam kamen sie jedoch voran. Während Chodosis mit seinem Diener voran eilte, und dabei laut vor sich hin lamentierte, blieben Josef und Judas weit zurück. Judas musste seinen angetrunkenen Vater stützen, und er kickte kleine Steine aus dem Weg über die Josef vielleicht fallen könnte. Dennoch war Josef bald am Ende seiner Willenskraft und setzte sich einfach auf den kalten Boden. Lallend und umständlich erklärte er dem erregten Chodosis wie es um ihn stand: „Ich geh ni meh weiter! Ich will ohne Melchior nicht mehr leben!“ Und auch sein Sohn meinte ängstlich: „Wir sollte wirklich diese Sache wann anders tun, denn Melchior ist doch der eigentliche Zauberer.“ – „Nix da! Ich bin hier der gelehrteste Zauberer! Selbst Philo von Alexandrien lobte mich mehrmals wegen meines außergewöhnlichen esoterischen Wissens. Er meinte, unter allen esoterischen Binsen wäre ich bei Weitem der vernünftigste!“ Schon wieder grinste Chodosis sein übliches debiles Dauergrinsen. Er zerrte Josef nun gemein an dessen spärlichen Haaren, bis dieser gezwungener Maßen wieder aufstehen musste. Nach diesem Kraftakt, der Josef wütend schüttelte, kam dieser plötzlich leichter voran. Aber nun kamen ihm dafür jüdische Schwierigkeiten in den Sinn. Er verhielt plötzlich und erklärte fast erschrocken: „Moment mal! Du willse doch jetzt mit uns wieder so ein Löwenbild verfertigen. Ohne mich und mein Sohn das sag ich! Da könne wir ja ma gleich anfangen ein heidnisches Götzenbild zu meißeln!“ – „Komm schon! Es geht doch nur darum eine einzige Hieroglyphe in diese Stadtmauer zu meißeln. In fünf Minuten sind wir doch damit fertig!“ – „Niemals!“ Josef verschränkte trotzig die Hände vor der Brust. Aber Chodosis ließ nicht locker, und wenn er etwas konnte dann war das esoterisches Zeug zu plaudern: „Wir machen doch gar kein Löwenbild! Wir machen zwei Hälften von einem Löwenbild, die durch eine Lücke getrennt sind. Es sind also nur zwei Halbbilder!“ – „Aber zwei Halbbilder ergeben doch ein ganzes!“ – „Nein, in der Mitte fehlt ein Stück. Es ist ein Bild von einem zerstörten Bild, also ist es ein Bild wie es dem Gott der zerstörten Bilder wohlgefällig sein wird.“ Von diesem Argument ließ sich Josef schließlich überzeugen. Außerdem sagte er sich dass Judas dies ja machen würde, so dass er sich nicht selbst versündigte, wenn es denn trotzdem eine Sünde war. Also schlurfte Josef widerwillig weiter voran, während der kalte Nachtwind ihn nach und nach ernüchterte. Mit seinen Gedanken schweifte er bald ab, und wanderte zurück zum warmen Zelt. „Damals als ich nicht mehr arbeiten konnte dachte ich schon einmal daran ein Nasoräer zu werden“, erklärte er seinem Jungen freimütig, „und auch diese Büßer sind ja alle schwul, wie man sagt.“ – „Papa bitte nimm dich mal zusammen. Du musst doch für Mama ein Mann sein!“ meinte Judas, mürrisch und willensstark wie immer. – „Wenn Maria sich von Engeln bumsen lässt dann braucht sie mich gar nicht“, widersprach Josef stur. Und dieser Logik konnte sich sein Sohn fast nicht verschließen. Chodosis jedoch sah die Lage anders, und er begann wieder so beständig zu murmeln wie der Quell Gihon im Kidron-Tal. Er erklärte seinem stummen Diener, und auch Josef und Judas: „Die Engel dürfen sich auch nicht alles erlauben! Wenn Engel nämlich mit Menschentöchtern Unzucht treiben, dann ist dies etwas das dem Herrn unserem Gott missfällt! Und dann werden solche Schweine-Engel auch schnell mal aus dem Himmel verjagt. Als Dämonen treiben sie sich dann in der Wüste herum und erschrecken die Reisenden. Oder sie hausen am Roten Meer in Höhlen, wie die Lilith.“ – „Wie kann man denn gute und schlechte Engel unterscheiden?“ fragte Judas wissbegierig. – „Das ist ganz einfach, wenn man nur lesen und schreiben kann. Der Enkel des Adam und der dritte Mensch auf der Erde nämlich, der vortreffliche Erzvater Seth, der hat seinerzeit die Namen der Engel und alles Wichtige sonst auf eine Steinsäule aufgeschrieben, die heute noch in Syrien zu finden ist. Eigentlich waren dies zwei Säulen, aber eine war nur aus Ziegeln, und deshalb ist sie bei der Sintflut des Noah zerstört worden. Bei dieser Sintflut sind auch all die Riesen und Titanen ertränkt worden die von den Engeln gezeugt worden waren. Es waren die Engel des bösen Fürsten Semchasai, also des Belial. Diese waren von Gott abgefallen und verbannt worden auf die Erde...“ – „Moment mal“, meinte Josef mit lahmer Zunge. „Wenn also Engel mit Menschentöchtern Kinder gezeugt haben, dann war das nicht nach dem Willen Gy'ttes?“ – „So was kann schlimme Folgen haben!“ erklärte Chodosis im unheilvollen Tonfall. „Es entstehen auf diese Weise goldene Titanen die von Hybris besessen sind, also einem unheilbaren Größenwahn!“ – „Oh mein Gy'tt! Oh Gy'tt meines toten Vaters Schotai! Oh Gy'tt aller Juden! Das ist also mit meinem, ähm, Sohn Jesus geschehen! Denn Jesus ist der Sohn eines Engels, das hat Maria mir mal anvertraut!“ Josef begann düster zu grübeln. – „Zum Glück ist Jesus ja kein weiser Titan geworden sondern nur ein einfältiger Jud“, meinte Judas dann, und das beruhigte auch seinen Erzvater Josef: „Sonst würde er ja von der Thora abfallen.“ – „Selig sind ja die Einfältigen, denn sie sind beim Himmel besonders beliebt“, lehrte Chodosis. „Dies bezeugt die Geschichte vom Turm von Babel, und der ist ja eigentlich die Cheops-Pyramide... Mit der großen Pyramide hab ich mich natürlich auch lange beschäftigt. Ich meine nämlich sie hätte in Gaza gebaut werden müssen statt in Gizeh. Aber vielleicht möchtest du davon lieber nichts wissen.“ – „Oh ja!“ bekräftigte Josef, aus tiefster Überzeugung seines Herzens. Dann schärfte er Judas ein: „Merk dir das mein Junge, bleib lebenslang einfältig! Am Besten ist es wenn du lieber nichts wissen willst! Und lerne nie lesen und schreiben.“ – „Die Schriftgelehrten sind leider oft die Einfältigsten. Ich bin da die eine seltene Ausnahme“, bestätigte Chodosis frohgemut. Er grinste breit und zeigte dabei seine Zahnlücke vor.

59.

Chodosis war noch längst nicht am Ende seiner esoterischen Gelehrsamkeit angekommen als sie endlich die Mauern von Bethlehem erreichten. Er dozierte nun über die Bücher des Henoch, eines weiteren Erzvaters, bekannt aus dem Buch Genesis. Obwohl Henoch viele völlig esoterische und geheimnisvolle Bücher geschrieben hatte war er in der Thora nur mit einem dürren Absatz erwähnt worden. Doch Chodosis wusste mehr. Er ließ sich eine Schriftrolle geben und zeigte sie Josef von außen: „Das hier ist das verlorene Buch des Henoch. Entsetzliches Material ist das, ich bekam es in Abschrift von einem jüdischen Äthiopier, und ich lasse dieses Schwarzbuch ungern aus den Augen. Leider sind ja viele Bücher Henochs mit der Sintflut untergegangen. Henoch hat diese Flut übrigens auch selbst mit erlebt. Ich habe nämlich durch die Gematrie herausgefunden dass Henoch niemand anderes war als Noah selbst! Und im Schwarzbuch des Henoch erklärt der Sintflutmann auch genau was damals passiert ist. Es gibt nämlich oben im Himmel das obere Meer. Und wenn es bei uns hier regnet, dann rinnt das Wasser aus diesem Meer heraus.“ – „Ja genau, das weiß jeder Jude der sich in der Thora auskennt“, bestätigte Josef. – „Aber! Wenn der Herr im Himmel das richtige Zauberwort sagt, dann öffnen sich oben alle Schleusen, und hier bei uns wird alles Land überschwemmt. Schon lange suche ich mit meinen gematrischen Rechenformeln nach diesem mächtigen Zauberwort...“ – „Vielleicht ist es gut wenn kein Mensch dieses Zauberwort kennt, damit es nicht missbraucht wird“, meinte Judas dazu. Judas war fast so groß wie Chodosis, aber nicht annähernd so gewandt mit der Zunge. Er schaffte es nur kurz Chodosis zu unterbrechen, denn der war so in sein Gefasel verliebt dass er jetzt unaufhörlich murmelte: „Sei deswegen ohne Furcht, Junge. Es kommt auch darauf an wer dieses Zauberwort spricht. Unser Gott erlaubt nicht jeden Zauber und hört nicht jedes Gebet. Der Zauberer muss schon bei Gott beliebt sein, ähnlich so wie wir Juden es sind. Henoch war zwar nur ein Phryger, aber dennoch war er bei Gott besonders beliebt, weil er der vierte Mensch war der jemals gelebt hat. Auch Moses hat ja gewusst dass die Zahl vier bei Gott besonders beliebt ist. Und auch die Zahl fünf ist ja eine bei Gott beliebte Zahl, denn es gibt ja fünf Bücher Mosis, voll mit all den peinlichen und kleinlichen Geboten...“ – „Ja, Gy'tt sei's gedankt dass diese fünf Bücher uns alle erhalten geblieben sind“, meinte Josef freudig. – „Ja, das ist der Grund unserer Simchat Thora, der Freude am Gesetz“, meinte Chodosis dazu, jedoch plötzlich etwas weniger begeistert. Josef reckte sich nun stöhnend und rieb sich den Kopf. Dann schaute er hinauf an der gelb-grauen Stadtmauer die vor ihm aufragte. Josef reckte das Kinn hinauf bis zur Himmelskuppel, an der die Sterne in der Winterluft höhnisch zu blinken schienen. Josef riss den Mund auf und es wurde ihm schwindelig, er wäre rücklings hingefallen wenn Judas ihn nicht gestützt hätte. – „Papa? Soll ich jetzt anfangen mit dem kaputten Löwenbild?“ fragte Judas, bibbernd vor Kälte und voller Tatendrang. – „Ich muss das selbst machen“, entschied Josef spontan. „Denn ich bin ja der amtierende Gesalbte des Herrn, quasi in Vertretung für meinen Sohn Jesus. Gy'tt hört nicht jeden Zauber und jedes Gebet, aber ich bin ja quasi der neue Moses, also derjenige dessen Gebet viel bewirken kann.“ – „Das siehst du im Prinzip richtig“, meinte dazu Chodosis, für den der Name Moses eine Art Stichwort war, um einen neuen Redeschwall los zu lassen. Er erklärte nun wortreich dass ja Gott nur auf das Wort des Moses hin ein Unglück nach dem anderen über Ägypten gewirkt hatte. Da war allerlei Ungeziefer gekommen, Finsternisse und Seuchen hatten sich ausgebreitet, und durch eine Zauberei des Moses waren sogar viele ägyptische Kinder getötet worden... „Und das war ja nicht das einzige Mal wo wir Hebräer uns in Ägypten wirklich unbeliebt gemacht haben... So oft haben sie uns Chapiru doch verflucht, und unser vortrefflicher Urahn Seth gilt ihnen als der Fürst des Bösen. Ich verstehe, ehrlich gesagt, nicht, warum die Ägypter uns nicht längst mit ihren Zauberformeln zu Tode verflucht haben...“ – „Die wirkten eben doch nicht so gut, weil solche dunklen Menschen bei Gott weniger beliebt sind“, meinte Judas. – „Genau! Junge, du hast schon alles begriffen von der Magie!“ rief Chodosis froh. „Du könntest mein Meisterschüler werden.“ – „Aber gib nur acht dass du immer einfältig bleibst!“ mahnte Josef seinen Sohn. Überraschend gab der stumme Diener ein lautes Stöhnen vor sich, und wackelte mit seiner Stocklaterne. „Ihr Herren!“ murmelte er undeutlich, und wies mit dem Finger die Stadtmauer hinauf. Er öffnete die Laterne und wollte den Wachsstock ausblasen, aber Chodosis hinderte ihn daran. „Ruhig Blut mal! Wir beeilen uns. Entschuldige meinen Sklaven, er ist nur ein Ägypter niederer Herkunft“, erklärte Chodosis. „Also los, du Gesalbter Israels, nun mach dich rasch ans Werk.“ Josef ließ sich bereitwillig von seinem Sohn Meißel und Haustein geben. Er war aber doch noch so zittrig, angetrunken und auch schwächlich dass ihm selbst davon schon fast die Arme lahm wurden. Mit Mühe kaum konnte Josef den Meißel an die klobige Stadtmauer ansetzen. Und als er dann kräftig draufhauen wollte, da glitt der Meißel ab, und eine weißes Wölkchen Putz löste sich. „Kacke!“ fluchte Josef verblüfft. – „Nein das ist Rauhputz!“ stellte Chodosis fest. „Natürlich haben die Leute hier ihre Stadtmauer außen verputzt, damit sie von fern schöner aussieht. Sie leben ja immerhin in einer der heiligsten Städte von ganz Judäa.“ – „Sie wollten vielleicht verhindern dass hier Sichelmörder hochklettern“, mutmaßte Judas. – „Kluger Junge!“ lobte ihn Chodosis. – „Kluger Chodosis, denk dir mal schnell was aus, denn unser Plan haut schon wieder nicht hin!“ Josef hieb nun in einem Wutanfall mit Meißel und Haustein schwächlich auf die Stadtmauer von Bethlehem ein und schrie dabei: „Fall um! Stürze ein du Mauer, durch mein Zauberwort und durch den Willen Gottes! Ich bin doch der Gesalbte, ich bin quasi der Gottvater selbst!“ Die Stadtmauer jedoch zeigte sich unnachgiebig. Bittere Verzweiflung ergriff Josef. Er ließ Meißel und Schlagstein zu Boden fallen und schaute ihnen stumpfsinnig hinterher. „Wirklich, so eine Kacke“, jammerte Josef. Er ließ sich mutlos zu Boden sinken, aber der war so hart und kalt dass er dort nicht liegenbleiben mochte. „Ach Melchior, Zauberer, wir brauchen dich!“ seufzte er voller Sehnsucht. – „Der Kinderschänder weiß das Zauberwort bestimmt auch nicht“, meinte Judas jedoch, mit Verachtung in der Stimme.

60.

„Nur Melchior kann hier noch helfen mit seiner Zauberei“, meinte Josef dennoch. „Wir müssen ihn holen. Lasst uns also zurückgehen.“ Aber Chodosis lehnte das unwillig ab, von Furcht gepackt. „Ich gebe nicht so schnell auf, wo wir einmal hier sind. Wenn wir hier nicht wenigstens etwas Sichtbares ausrichten, dann kann es sein dass uns diese Wüstenräuber morgen gleich steinigen.“ Der kleine Gelehrte griff sich Meißel und Hammer und begann nun selbst auf die Mauer einzuhauen. Es löste sich eine Menge Putz, aber das was da entstand hatte mit einer Hieroglyphe keinerlei Ähnlichkeit. – „Die Löwengöttin Lehemu beschützt ihre Stadt gut“, meinte Judas dazu. – „Heidnischer Unsinn!“ schimpfte dagegen Josef von unten. Putzstaub stob ihm in die Atemwege. Er musste erneut husten, lange, laut und bellend. Der ägyptische Diener schaute mit wachsender Unruhe die Mauer hinauf. „Leute echt ist heiß Ort hier“, meinte er dann in gebrochenem Aramäisch. – „Red keinen Unsinn, Sklave!“ wies ihn Josef zurecht. „Du verwechselst unsere Worte heiß und kalt.“ – „Ich hau hier auf den Putz! Wartet mal!“ Chodosis hatte einen Einfall, und er befahl seinem Diener: „Gib mir schnell das Buch des Hesekiel! Da stand auch was drin über Putz...“ – „Ja natürlich, recht hast du, weiser Chodosis. Und ich hab es alles hier drin, in meinem Dickschädel!“ Josef kroch mühsam wieder auf die Füße und tippte sich aufgeregt an die Schläfe. Dann zitierte er laut das dreizehnte Kapitel aus dem Buch des Propheten Hesekiel: „Das Wort Adonais erging an mich: Menschensohn, weissage wider die Propheten Israels... Blablabla, diese Stelle ist jetzt unwichtig, tralala... Die Juden waren bockig wie immer, und jetzt kommt die Strafe des Menschensohnes wie immer, also des Heilands... Jenes Volk baut eine Wand und kalkt sie mit losem Kalk. So sage nun denen die da kalkten dass der Kalk abfallen wird! Ein Platzregen wird kommen und Hagelsteine werden fallen, und...“ Aufgeregt unterbrach sich Josef und erklärte freudestrahlend: „Heureka! Wiederum gibt uns die Thora genau im richtigen Moment den richtigen Hinweis wie es hier weitergeht.“ – „Wie soll was weitergehen?“ fragte Judas verwirrt. – „Na, hast du es nicht gehört? Ein Platzregen wird kommen und Hagelsteine werden fallen, wegen der Sünde Bethlehems...“ – „Papa es geht nicht dass jetzt ein Platzregen fällt. Schau in den sternklaren Himmel! Wie soll das gehen?“ – „Wir müssen eben wirklich hart beten“, schlug Josef vor. „Wir müssen beten wie Elias betete. Der legte die Hände an sein Gemächt und betete, und daraufhin kam ein Unwetter vom Himmel. Und hab ich nicht vorhin schon im Lager der Sadokiter den Schrecken des Elias vom Himmel herab beschworen? Herr, erhöre also mein Gebet! Wenn du uns Einfältige wahrhaftig lieb hast, dann handle jetzt und beweise es mit der Macht deiner Wunder...“ – „Nein warte mal“, befahl Chodosis. Breit grinsend erklärte er: „All diese Beterei kann ein weiser Zauberer sich sparen. Wir brauchen einfach nur das Zauberwort des Henoch, welches die Schleusen des Himmels öffnet, damit jetzt eine wahrhaft große Regenflut kommt... Sklave gibt mir schnell mein Tagebuch, und dazu eine frische Binse, und das Tintengefäß. Ich muss etwas auf die Schnelle gematrisch berechnen, und zwar Henochs Sintflut-Zauberwort...“ – „Herr, wirklich!“ Der Ägypter wies zitternd auf die Mauerkrone über ihnen. „Das mal, dich beunruhigen!“ – „Was, mich beunruhigen...“ Das war des Chodosis letzter Spruch. Leise sirrend krachte von oben her ein großer Stein auf ihn drauf, und er verschied. Eine dunkle Flut von Blut spülte Josef zu Boden. – „Haut ab ihr Geschmeiß!“ rief von oben die Stimme des Hanes. Man hörte höhnisches Gelächter aus rauen Kehlen durch die Nacht schallen. Der ägyptische Diener ließ sofort seine Laterne fallen und rannte leise fluchend weg. Judas packte seinen gestürzten Vater und half ihm auf die Füße, und flüsterte drängend: „Komm Papa, laufen wir schnell zurück zu Mama! Du bist eben kein Zauberer sondern nur ein Bettler. Und Melchior weiß auch nicht wirklich Bescheid.“ – „Langsam glaub ich es auch“, brabbelte Josef entgeistert. „Aber Jesus, der ist bestimmt was Besonderes!“ Judas wollte seinen Vater fortziehen vom Ort des Unglücks, hinweg in die dunkle Nacht. – „Warte noch!“ hustete Josef leise. Er musste lange unterdrückt husten, und dabei sah er doch im fahlen Licht des Mondes etwas auf dem Boden liegen. Es war eine Schriftrolle, der ägyptische Diener hatte sie eben weggeworfen! In den harten Jahren seines Bettellebens hatte Josef es gelernt jede Gelegenheit zu nutzen um sich Habe und Geld zu verschaffen. Mit knackenden Gelenken bückte er sich und eignete sich die dicke Schriftrolle an. „Das ist zweifellos Henochs geheimes Schwarzbuch!“ zischte er Judas zu. Josef ging es dabei auf dass er mit dunklem Blut und heller Hirnmasse besudelt war, sogar das Licht der funkelnden Sterne spiegelte sich schwach darin. Dann sah Josef schattenhaft dass Judas dabei war dem zerschmetterten Chodosis dessen feine Sandalen auszuziehen. – „Sohn, du bist schlau wie ein Bettler“, sagte er anerkennend. – „Dieser tote Ägypter war viel schlauer“, meinte Judas mürrisch. – „Chodosis war zu schlau geworden. Deshalb hat der Himmel ihn gestraft!“ meinte Josef traurig. – „Hagelsteine werden fallen. Und das hast du genau vorausgesagt, Papa! Du bist doch ein Prophet!“ – „Ja genau.“ Spontan ballte Josef eine Faust und schüttelte sie gegen den Sternenhimmel. Wieder wurde ihm vom Hochblicken schwindelig, er taumelte zurück und fiel zu Boden. Von unten erklärte er Judas: „Das reicht mir jetzt mit denen da oben. Und bin ich denn nicht jetzt selbst der Gy'tt, also der Gottvater?“ – „Dazu passt es aber nicht wenn du meinst dass Jesus dein auserwählter Sohn ist. Denn der ist ja gar nicht wirklich dein Sohn.“ Dieser Logik konnte sich Josef nicht verschließen. – „Aber du Judas, du bist wirklich mein Sohn!“ sagte er langsam, während Judas ihm erneut aufhalf.

61.

Im Morgengrauen erreichten Josef und Judas die Viehtränke in der Nähe der abgebrannten Scheune wo sie mal gewohnt hatten. Die Sklaven die hier eine Eimerkette bedienen mussten schliefen wohl noch, doch schon brüllten ringsum Kühe und begrüßten so die aufgehende Sonne. Unwillig nur und zitternd vor Kälte hockte sich Josef an einen Trog, in dem sich noch eine Wasserneige befand. Dann reinigte er sich etwas, während er sein Morgengebet sprach, so wie eben jeder Jude am Morgen erst mal viele Gebete sprechen musste. – „Und wohin jetzt Papa?“ fragte Judas etwas weinerlich. Er war mit seinem Vater lange durch die Wüste geirrt, jedoch ohne dass sie Maria und deren andere Kinder wieder gefunden hätten. Josef schaute entkräftet nach Süden, wo sich dunkel die nächst gelegene Karawanserei abzeichnete. Das war eine der vielen burgartigen Raststätten welche die Herodianer gebaut hatten, vor allem für Pilger auf dem Weg ins heilige Jerusalem. Dort jedoch konnte Josef nur mit Geld im Geldbeutel einkehren, und so war es überall anderswo ja auch. Geld hatte Josef jedoch derzeit wieder mal überhaupt keines. „Wir müssen zuerst versuchen die Schriftrolle zu verkaufen, das äthiopische Buch des Henoch“, flüsterte er seinem Sohn zu, mit rauer Kehle. „Wenn es wahr ist dass es sich dabei um ein uraltes verlorenes Buch handelt das keiner mehr besitzt, dann mag uns ein Schriftgelehrter dafür zehn Schekel zahlen, oder sogar hundert, oder tausend, oder...“ Weiter kam Josef nicht, denn er wurde entdeckt von den Hirten und Nomaden, die hier in einem Gehöft hausten oder auf dem freien Feld lagerten. – „Das ist er doch, der böse Brandstifter, der Galiläer Josef! Ich erkenne auch den kleinen Attentäter bei ihm, den Sichelmörder Judas!“ rief eine Frau halblaut und mit schrill werdender Stimme. – „Was denn? Wo denn?“ riefen andere verschlafene Stimmen. Josef erschrak zutiefst über diese Reden. – „Papa lass uns schnell weglaufen, zurück zu Sadduk und den Rebellen!“ schlug Judas ängstlich vor. Josef kam nur mühsam auf die Beine, und schaute kopflos hierhin und dorthin. „Nein das geht auch nicht“, entschied er spontan. „Hast du vergessen dass diese Sadokiter und Aufrührer uns steinigen wollten? Unser Zauber hat versagt, also können wir niemals dorthin zurück. Nein, ich weiß was wir machen. Vertrau mir, mein Sohn!“ Ruhig blieb Josef stehen, während sich die Dörfler und Nomaden ringsum zögernd näherten, mit vorgestreckten Spießen und erhobenen Stöcken. Mit zittriger Stimme erklärte Josef nun seinem Sohn: „Sadduk trachtet uns also nach dem Leben. Na und? Genau so hat einst König Saul dem Zweitkönig David nach dem Leben getrachtet. Wir machen jetzt genau das was damals David machte. Wir göttlichen Auserwählten wechseln schlau die Seiten, und werden einfach zu römischen Sozis, also zu Bundesgenossen. So wie König David einst eintrat in den Dienst der Philister, so werden wir Streiter für die Herodianer, die sich ja mit Rom verbündet haben. Auch David war ja der Gesalbte des Herrn, so wie ich es bin. Und der Herr half ihm in aller Not, und fügte es dass sich bald eine eigene Schar von Banditen und Palästinern um ihn scharte. Ja Herr, hilf uns in der Not, gib uns Wasser...“ Weiter kam Josef nicht mit seiner Predigt, denn nun stürmten ihm ringsum die aufgeregten Hirten und Landleute entgegen, welche Knüppel und Waffen schwangen und Werkzeuge. – „Friede sei mit euch!“ rief Josef ihnen weichlich zu, und hob die Arme. Doch das nützte ihm nichts, er wurde rasch zu Boden geknüppelt und dann gleich gefesselt. Die Leute die ihn nun mit Abscheu anstarrten kannte Josef, aber es ergab sich bei ihm keine Wiedersehensfreude. – „Bah wie sieht dieser Bettler denn jetzt wieder aus?“ rief der Tatare, der Anführer der fremden Söldner. – „Dieser Galiläer Josef ist völlig mit Blut besudelt, verdammt noch mal! Sicher haben die zwei Banditen in der Nacht heimlich jemanden gemeuchelt“, fluchte der reiche Oberhirte Agasi. – „Sag Bandit, hast du einen Mann abgeschlachtet unterwegs?“ fauchte der fremde Söldnerführer, der Josef nun brutal schlug und auf die Beine zerrte. – „Wahrlich ihr Herren, das war nur ein Hagel! Wir Zauberer taten Wunder!“ bekannte Josef unter Tränen. Seine Chuzpe von eben war rasch von ihm gewichen, und sein schwerer Kopf sackte zwanghaft tief nach unten. Er sah aus den Augenwinkeln dass die Hirten und Söldner auch Judas fesselten. Rasch fand man bei diesem den krummen Attentäter-Dolch, so wie ihn viele Bösewichte Arabiens trugen, und reckte ihn als Beweisstück in den Himmel. – „Ich werde sie für euch töten; so wie es Bösewichten, Schadenszauberern und Wüstenräubern gebührt“, schlug der fremde Söldnerführer den Hirten vor. Der Tatare in dicken Lederkleidern zückte seinen Dolch, aber der Hirte Agasi gebot ihm zu warten. Unterdessen pulte ein zerlumpter Landloser etwas Hirnmasse von Josefs Hinterkopf und steckte sie sich in den Mund. „Das ist echtes Hirn!“ stellte er entsetzt fest. – „Mehr Hirn hat dem Schwachkopf immer gefehlt“, meinte eine Frau verächtlich. Sehr vorsichtig entknotete inzwischen der Oberhirte Agasi die Bänder der Schriftrolle welche Josef an sich gebracht hatte. Der breithintrige Oberhirte warf einen flüchtigen Blick darauf und erklärte dann erschrocken, und dennoch mit widerwilliger Anerkennung: „Und hier sind die Zaubermittel der beiden. Darüber hat Josef also nicht gelogen. Ihr Tataren, überführt diese beiden Schurken nun in die Obhut der Herodianer! Und vergesst dann nicht uns die Belohnung abzuliefern welche Salomé auf Josefs Kopf ausgesetzt hat, die reiche Schwester des Königs Herodes.“ – „Dreißig Silberlinge Kopfgeld, für diesen falschen Messias! Davon können wir keine neue Scheune bauen, aber für ein paar zusätzliche Schafe reicht es“, meinte ein Hirte froh. Die Frage lag Josef auf der Zunge welches Gras denn all die neuen Schafe noch fressen sollten. Das umliegende Hochland war fast öde wie eine Wüste, weil es immer noch nicht richtig geregnet hatte. – „Ich könnte euch Regen zaubern! Eine neue Sintflut könnte ich vom Himmel herab rufen“, schlug Josef vor. „Ich hab einen tödlichen Steinschauer herbei beschworen! Das hat trefflich funktioniert.“ – „Nur leider traf der Stein einen von uns, und nicht unsere Feinde“, jammerte Judas. – „Dann sei jetzt lieber still, du jüdischer Schwachkopf!“ befahl der Söldnerführer, und schlug Josef mit seiner Knute. Als die Tataren Josef und Judas dann abführten, da sahen diese Furcht in vielen jüdischen Gesichtern stehen. Vielen Juden schwante schon dass diese Geschichte noch nicht zu Ende war...

Zweites Buch: Jerusalem

62.

Die Residenz von Salomé, der uralten Patriarchin des Clans der Herodianer, lag etwas östlich von Jerusalem. Ringsum am Horizont sah man die klobigen Festungen die Judäa gegen einen Überfall der Nabatäer verteidigen sollten. An einem Flussbett entlang führte eine Militärstraße hinab in die Oase von Jericho. Hier, am Rand des tief eingeschnittenen und öden Jordantals, gab es nur wenige Quellen die sogar im heißen regenarmen Sommer nicht versiegten. An einer dieser Quellen lag das weitläufige Anwesen der heimlichen Fürstin von Judäa. Dorthin waren Josef und sein Sohn Judas nun verbracht worden, von einigen Gardisten der Wache des gerade abgesetzten herodianischen Völkerfürsten Herodes Archelaus. Dieser verhasste und habgierige Hasmonäer hatte am Ende seiner Regierungszeit sein Vermögen an die Römer abtreten müssen. Er war auf Lebenszeit aus seinem früheren Fürstentum Judäa verbannt worden, nachdem einflussreiche Judäer ihn beim Kaiser in Rom verklagt hatten. Die Folge war dass in Judäa ein Machtvakuum entstanden war. Die etablierten Clans, die gebildete Oberschicht und die Geschäftsleute hatten sich um die Herodianer gruppiert. Diese Herrscherfamilie hatte arabische Wurzeln, sie war in Judäa wegen ihrer Tyrannei gefürchtet. In diesen Kreisen hielt man treu zu Rom, man pflegte die römische Lebensart oder tat sich mit den Arabern zusammen. Auch die reichen Sadduzäer, die Herren des zentralen jüdischen Tempels von Jerusalem, hatten sich mit der römischen Okkupation abgefunden. Doch gab es bei diesen oft streng konservativen Erbpriestern starke Vorbehalte gegen die Herodianer. Weil diese Oberpriester aller Juden noch auf uralten und längst veralteten jüdischen Traditionen beharrten, und römische Sitten strikt ablehnten, waren sie mit dem hasmonäisch-herodianischen Herrscherhaus mehr oder minder verfeindet. Das galt um so mehr für die Pharisäer, die oft armen Schriftgelehrten. Viele von ihnen waren radikale Gegner der Römer. Viele gewöhnliche Juden sympathisierten heimlich mit den noch radikaleren, räuberischen Sadokitern und den esoterischen, mönchischen Essénern. Typische Juden lehnten Römer wie Araber generell ab und hofften auf ein messianisches Großreich Israel, einen Gottesstaat mit einer national-religiösen Kultur. Jüdische und heidnische Judäer gemeinsam waren derzeit zutiefst schockiert über die Tatsache dass die Römer nun die Eigenständigkeit des früheren Königreichs Judäa ganz abgeschafft hatten, und dabei waren Judäa als Provinz ins römische Reich einzugliedern. Heftigen Unmut gab es über die Steuerschätzung, die dazu dienen sollte das Land nach römischer Tradition gründlich auszuplündern. Die heilige Stadt Jerusalem war deswegen in Unruhe und galt als unsicher. Der römische Prokurator Coponius war gerade dabei sich dort als 'Landpfleger' zu installieren. Die Römer waren militärisch längst überall präsent, aber sie konnten sich noch nicht auf loyale einheimische Priester, Militärs, Beamte und Clans stützen, die im Orient sonst einem Herrscher seine Macht sicherten. Die Herodianer und die Leute aus dem Umfeld der römischen Besatzer galten jetzt als die Friedenspartei, die bereit war sich an die Sitten und Unsitten der Römer anzupassen und sich mit den neuen Machthabern zu arrangieren. Doch hoffte man in diesen Kreisen noch auf einen neuen jüdischen König aus dem etablierten Haus der Hasmonäer und Herodianer. Als geeignetster Prätendent galt dieser Schickeria der 16-jährige und ebenso reiche wie verschwenderische Römerfreund Herodes Agrippa. Daneben war der Vierfürst Herodes Antipas, der einst nach Galiläa abgeschobene Bruder des Herodes Archelaus, bemüht sich als neuer König ins Gespräch zu bringen. Über die Idee dass der Obdachlose Josef aus Galiläa, oder gar einer von dessen Söhnen, der von Gott auserwählte heilige König Israels sein oder werden könnte, war man dagegen in diesen Kreisen nicht amüsiert. Dies machten die Hauswächter und Sklaven jetzt Josef deutlich, der in seinen Ketten halbnackt herum geschubst und leicht voran gepeitscht wurde. Grob schleifte man ihn schließlich in einen dunklen Innenhof des weitläufigen Anwesens, und steckte ihn dort in eine mit Eiswasser gefüllte Tränke. – „Da drin bleibst du hässlicher Dreckskerl und hältst den Mund, wenn du deine Vorderzähne nicht einbüßen willst! Und wehe wenn du böser Zauberer den Himmel auf unsere Köpfe fallen lässt, oder so was!“ erklärte ihm ein Sklaventreiber, während er drohend seine eingerollte Peitsche schwenkte. Josef war erstarrt vor Kälte und vor Furcht. Das eiskalte Wasser in der Tränke stach ihn wie tausend Nadeln. Er gurgelte und stöhnte und schluchzte und trank auch ein paar Schlucke. Das Herz glühte ihm, es pochte bis in seinen Hals! „Oh Herr, warum strafst du mich so?“ gurgelte und brabbelte er leise. Die Geschichte vom Propheten Jonas kam ihm in den Sinn, wie um ihn zu trösten. Auch dieser war ja ins Wasser geworfen worden. Jona hatte einst eine Schiffsreise nach Tarschisch angetreten. Aber der Judengott hatte die Schiffer mit einem Sturm erschreckt, und da hatten sie seinen Juden über Bord geworfen. Daraufhin hatte Gott Jonas einem Wunderfisch in der Tiefe überantwortet, dem Leviathan. Und dieser Super-Walfisch hatte Jonas angeblich verschluckt und so vor dem Ertrinken gerettet... Josef schaute zitternd und blinzelnd auf das wogende Wasser vor seinen Augen. Er stellte sich vor dass dieses bleiche Gesicht in den Wellen, also sein Spiegelbild, das Antlitz des Leviathan sein könnte. Aber die Einsicht kam ihm dass der Leviathan da unten ständig viel Wichtigeres zu tun hatte als ihn zu retten... „Bitte hilf mir! Ich gehorche dir, oh Fisch!“ brabbelte Josef nun. Jonas war ja auch gerettet worden nachdem er Gehorsam gelobt hatte. Der Leviathan hatte ihn angeblich wieder ausgespuckt, denn dieser Jude hatte ihm nicht geschmeckt. Jona war dann ein Prophet geworden, er hatte die restliche Zeit seines Lebens als Nasoräer vor Ninive gehaust, und die stolze Stadt auf Gottes Weisung hin verflucht. Das hatte alles nichts bewirkt, nur der Rizinus-Baum unter dem Jona damals gerne saß war zugrunde gegangen. Dafür macht die Bibel einen Wurm verantwortlich, gemeint war wohl wieder einer der Leviathane, denn davon gab es mehrere. Aber als die assyrische Hauptstadt später doch noch von Feinden zerstört worden war, was ja fast nicht ausbleiben konnte in dem unaufhörlich von Kriegen zerrissenen Orient, da nahmen dies viele Juden als ein Zeichen dafür dass der Fluch des Einsiedlers doch noch in Erfüllung gegangen war. In Wahrheit aber war der Einsiedler Jona sicher ein anderer Jude gewesen als der Schiffsreisende Jonas... – „Ich bin euch gehorsam!“ brabbelte Josef mit tauben Lippen, als er es wagte den Kopf zu heben. „Lasst mich wie Jona weiter Bethlehem verfluchen, ich bin sicher, irgendwann klappt es!“ Daraufhin wollte ihm der Sklaventreiber einen Peitschenhieb geben, wegen Ungehorsams. Der traf nur die Steine des Wassertrogs. Josef nahm das als Zeichen dass Gott ihm nun vergeben hatte, wegen seines Gehorsams... Zur gleichen Zeit, im nahen Hof der Aborte, musste Judas ebenfalls eine kalte Wasserkur über sich ergehen lassen. Drei Haussklaven übergossen ihn mit Seifenwasser, und er wurde mit Schwämmen und Bürsten aus der Entfernung gereinigt. – „Wenn ich meine Fettkruste verlier dann werd ich in der Nacht erfrieren!“ protestierte Judas. – „Wenn du deinem Fürsten Herodes Antipas gehorchst, dann könnte er dir einen schönen Mantel schenken“, versprach ihm ein Aufseher. Judas nickte mürrisch, aber er versprach nichts. Als er sich zitternd und steif abtrocknete da hörte er das aufgeregte Tuscheln einer jungen Frau, hinter einer Wand aus Brettern. Erschrocken und zornig starrte Judas diese Wand an, durch deren Ritzen man hindurch sehen konnte. Die junge Frau kicherte nervös, er hörte wie sie sich raschelnd duckte. Dann begann der Aufseher mit dem Verhör: „Ist es wahr dass dein Vater Josef sich als ein Messias ausgibt?“ Judas nickte zögernd und erklärte: „Manchmal aber meint Papa er sei eher ein Prophet. Oder er hält sich für Gott selbst, den Vater des Messias.“ Da lachten die Haussklaven ungläubig bis verächtlich. – „Diese Bettler sind halb verhungert und verrückt“, meinte der Aufseher nachsichtig. – „Dann gebt ihnen zu essen!“ befahl da die helle Frauenstimme hinter der hölzernen Trennwand. – „Junge Prinzessin, schlagt das dem Vierfürsten vor“, erklärte ihr der Aufseher devot. Ein Schauder schüttelte Judas. Diese Frauenstimme kam ihm bekannt vor! Wo hatte er die nur schon mal gehört?

63.

„Das reicht! Holt Josef da raus“, meinte eine kalte Stimme von der Seite her. Ein Edelmann trat aus dem Dunkel des Vordachs in den nur wenig helleren Innenhof. Während zwei Haussklaven Josef aus dem eiskalten Wasserbecken zogen kamen die anderen mit den Bürsten und Schwammstöcken um ihn abzuschrubben. Josef brabbelte und zappelte und schrie und eiferte, aber das half nun nichts gegen diese Zwangsreinigung. Danach brachte man eine alte Wolldecke in die er hinein gewickelt wurde. Josef bibberte so sehr vor Kälte dass er kaum aufrecht stehen konnte. Er grimassierte sich die Feuchtigkeit aus den Augen; und sah dann dass ein gedrungener Edelmann vor ihm stand, der eine dicke graue Tunika aus Wolle trug und darüber einen prächtigen, leuchtend blauen und grünen orientalischen Mantel. An den Beinen trug er Kniehosen, ein unübliches Kleidungsstück hier im Orient. Dazu hatte er lange Stiefel an aus Filz. Die Villa der Salomé östlich von Jerusalem eignete sich gut als Sommerresidenz, aber im Winter konnte es hier sehr kalt werden. Josef erkannte diesen Edelmann nun sofort, denn vor ihm stand sein Fürst! – „Du bist Herodes Antipas, der Vierfürst von Galiläa“, brabbelte Josef. – „Und wer bist du? Sag die Wahrheit, Josef aus Kafernaum, denn wir Herodianer wissen schon alles über dich. Dein böser Bube Judas hat schon gestanden dass du dich für den Messias hältst, der am Hinterteil zum neuen heiligen König von Israel gesalbt wurde.“ – „Dieser kleine Verräter!“ Trotz seiner elenden Lage brodelte nun Schurkenzorn auf in Josef. Der Sklaventreiber hob drohend die Peitsche, aber Herodes Antipas gebot ihm Einhalt. Überraschend freundlich sagte er zu Josef: „Gib alles zu, rede frei heraus. Wenn du kooperierst, dann könnte dir das nutzen und auch deiner Familie. Denn wenn es wahr ist was du sagst, dann müssen wir dich ja alle als unseren Gottvater anerkennen, und dir der Sitte gemäß huldigen. Sogleich würden wir dich dann nach Jerusalem überführen, und dort müsste dir die versammelte Priesterschaft im Tempel ihr Hosianna singen.“ – „Ja, ähm... ja genau, Herr Vierfürst“, brabbelte Josef, den diese Entwicklung der Dinge doch überraschte. Also erzählte Josef frei heraus was er wusste: „Ich bin ja wirklich so oft von Wundern überrascht worden, und ich sah so viele Zeichen, dass es unmöglich ist dass ich nicht der Messias bin, oder sogar Gott selbst. Das ist auch deswegen so weil doch mein Sohn Jesus der Sohn eines Engels ist. Es kam nämlich ein Engel zu meiner Frau Maria und verkündete ihr dass sie schwanger werden würde. Das tat er nachdem er sie zum Essen eingeladen und dann, ähm, nun, nachts noch gebumst hatte...“ – „Ja, so was kommt vor. Aber wieso wusste deine Frau denn dass der Kerl ein Engel war?“ – „Er hatte ihr doch vorhergesagt dass sie schwanger werden würde, und also wusste er die Zukunft.“ – „Hatte dieser Fremde denn auch Flügel wie ein Engel?“ – „Das weiß ich nicht auf Anhieb, Herr... Wer weiß schon Bescheid über diese Engel?“ Josef blickte nun so lieb und einfältig dass der Vierfürst ihm unmöglich böse sein konnte. Herodes Antipas wollte sich schon abwenden; aber da wurde Josef, wie so oft, von plötzlichem Pfingsteifer erfasst, und er predigte los: „Wir Juden wissen ja eine Menge über die Engel. Es gibt ja Legionen von ihnen! Es gibt die guten Cheruben die über den heiligen Tempel wachen, und die haben Flügel. Es gibt aber auch die üblen, abgefallenen Engel des Satans Semchasai. Denen hat Gott die Flügel gewisslich abgenommen, denn sonst könnten sie ja wieder in den Himmel hinauf fliegen, und dort sind sie gewiss so wenig beliebt wie Penner im Palast.“ – „Du hast prinzipiell recht“, musste da der Vierfürst zugeben. „Esoterische Täufer und Gnostiker lehrten ja auch dass alle Menschen am Anfang Engel waren, die aber aus dem Himmel hinab fielen und zu Menschen wurden als sie in Fleisch gekleidet wurden. Gewisse Esséner und Platoniker meinen dass die Seele des Menschen unsterblich ist und nach dem Tod wieder in den Himmel hinauf fliegen darf...“ – „Ja genau!“ rief Josef, heftig erregt. Sein dürrer Körper zitterte als er nun brabbelte: „Ich traf neulich einen Tataren, und der wusste es dass die einfältigen Juden nach dem Tod in den Himmel kommen und dort Engel werden. Und wenn ich irgend etwas ohne Zweifel bin, dann einfältig...“ So erzählte Josef, bis der Vierfürst genug gehört hatte und mürrisch abwinkte. Herodes Antipas gab dann freundlich Anweisung Josef von seinen Ketten zu befreien. Man ließ ihn seine alten, blutbefleckten Lumpen wieder anziehen, und brachte ihm als Mahl etwas altes Brot und dazu einen Napf mit Wein. – „Das Liebesmahl der fleißigen Bettler und Beter“, meinte Josef froh. Herodes Antipas schien das als Ironie zu nehmen und sagte amüsiert: „Sobald dich der Hohepriester Joazar anerkannt hat, als den heiligen König, Herrn und Heiland Israels, wirst du gewiss nur noch feinstes ägyptisches Tuch tragen, das königliche weiße Linnen der Pharaonen. Und dann wirst du die köstlichsten Speisen aller Länder serviert bekommen. Und du wirst in einer Villa wohnen auf dem Hügel der Hohepriester. Die lassen es sich gut gehen.“ Herodes Antipas schaffte es fast ernst zu bleiben, aber die Sklaven amüsierten sich. Josef zog sich mühsam an, und stellte dabei erstaunt fest dass er größer war als der kleinwüchsige Spross der Hasmonäer... Doch gab es Unruhe im Haus nebenan. – „Was tust du? Bist du von Sinnen, du Sohn einer Samariterin?“ quäkte eine alte Stimme von der Seite her. Es war die alte Patriarchin Salomé selbst, die Herrin dieses Anwesens, die jetzt in den schattigen Innenhof hinein rauschte. Josef sah dass sie an ihrem mageren, faltigen Hals eine dünne Kette von Bernstein-Kugeln und Perlen trug, und ähnliche Kettchen an ihren dürren Armen und seitlich an ihrer Perücke. Ihre stumpf schwarze und pralle, dicke Perücke war auch mit bunten Edelsteinchen und gefärbten Strähnchen verziert, sie sah ziemlich ägyptisch aus. Die faltige Haut im Gesicht hatte man Salomé nach römischem Brauch mit Bleiweiß aufgehellt. Mit rauen Lauten höhnischer Verachtung musterte sie den zitternden feuchten Josef. „Aha, der falsche Messias, dieser Bettler aus Bethlehem!“ – „Josef hier ist ein am Hintern gesalbter Messias, und der göttliche Vater seines Sohnes Jesus, der aber zugleich und eigentlich der Sohn eines ehebrecherischen Engels ohne Flügel ist“, erklärte Herodes Antipas, mit salbungsvoller unernster Stimme. Der stattliche Vierfürst duckte sich unwillkürlich vor Salomés Zornesausbruch, und dieser ließ nicht lange auf sich warten. „Waas? Dieser klapprige irre Schwärmer wagt es den Thron Israels zu beanspruchen, der doch uns Herodianern gebührt, also dem königlichen Enkel Marcus Julius Agrippa, dem neuen Herodes, auf den ganz Israel schon wartet, als seinen König, voller Freude wie ich hoffen will...“ Die Patriarchin Salomé unterbrach sich als Herodes Antipas leise lachte. „Du weißt genau dass Jerusalem am Rand einer Rebellion brodelt. Die jüdischen Meschuggenen aller Sekten und Größenklassen, von groß und gemein bis mickrig und miesepetrig, sie alle wollen doch keinen herodianischen König oder Fürsten mehr nach Herodes Archelaus!“ – „Ich weiß das, Anti. Ich habe ja in Rom mehrmals gegen unseren Völkerfürsten interveniert. Ja, ich verriet ihn!“ zischte Salomé. „Endlich ist er weg, und wir können uns neu gruppieren.“ – „Aber dein Günstling, der minderjährige reiche Taugenichts Marcus Agrippa, würde doch nur noch zügelloser und verschwenderischer werden. Der würde als ein neuer König Salomo sogar die Tempelherren gegen sich aufbringen. Und wenn der in Rom alsbald pleite geht, was ich schon kommen sehe, dann wäre es hier völlig aus mit unserem Ansehen.“ – „So willst du also ernsthaft diesen Bettler hier als Prätendenten unterstützen?“ – „Warum nicht? Das wär doch mal eine unterhaltsame Abwechslung. Ein neuer König der Bettler und Eiferer in Jerusalem, einer der sich wie einst Simon der Nabatäer mit allen anlegt und sogar Wunder tut, der gibt den Römern was zu tun und erinnert sie daran was sie an uns Herodianern haben, nämlich verlässliche Schurken und Verbündete.“ Herodes Antipas grinste amüsiert, und die Diener und Sklaven ringsum lachten verlegen mit. – „Du riskierst viel zu viel, Anti. Das darf hier nicht geschehen solange ich Herrin bin in diesem Haus! Ich habe das Kopfgeld bezahlt für diesen falschen Messias, also gehört sein Kopf jetzt mir. Weg damit!“ Mit dem zitternden nackten Finger wies die aufgedonnerte Greisin nun auf Josef. Der bibberte immer noch vor Kälte und war nicht recht bei der Sache. Er musste nämlich hart nachdenken über das Problem, dass er ja doch nicht der Vater war von Jesus.... Josef erschrak erst heftig als er sah dass dieser Sklaventreiber schon sein blinkendes Gladius zückte, das Kurzschwert; und es gleichmütig ansetzte um ihm, Josef die Kehle aufzuschlitzen! – „He Sklave, zurück mit dir!“ rief da jedoch Herodes Antipas, mit plötzlicher Schärfe in der Stimme. Zu Salomé erklärte er: „Der Einfältige da ist Galiläer, also gehört er zu meinen Untertanen. Ich allein bestimme was mit ihm zu geschehen hat.“ – „Schweig lieber stille! Hier in meiner Domäne hast du keine Macht!“ – „Jetzt sei doch mal vernünftig! Sei keine alte Zankhexe! Du weißt, die Römer wollen hier abkassieren. Dieser Quäls-Tor Quirinus ist schon unterwegs um uns all unser Eigentum zu klauen!“ – „Das darf er nicht wagen, beim himmlischen Elohim!“ – „Da vertraust du auf Mächte die uns Juden immer besonders schlecht beschützt haben. Lass mich lieber etwas versuchen was die Römer beeindrucken könnte!“ Einen langen Moment lang starrten sich die beiden arroganten Herodianer an. Josef aber fiel schon mal auf die Knie und dankte für seine Errettung, die ihm nun nicht mehr zweifelhaft war, mit einem Gebet nach dem Psalm 92: „Der Herr ist meine Zuflucht, ich machte ihn zu meiner Schutzwehr! Es wird dir kein Unglück zustoßen, und keine Plage wird sich deinem Zelt nähern, denn er hat seine Engel für dich aufgeboten...“ Daraufhin wich die Wut von Salomé, sie schien binnen Augenblicken sehr zu altern. Wortlos drehte sie sich um und zog sich ins Haus zurück. Auch von Herodes Antipas schien seine spöttische Fröhlichkeit plötzlich abzufallen. Er schnitt ein düsteres Gesicht während er hinüber schlenderte in den Hof der Aborte. Dort hatte man Judas inzwischen ebenfalls wieder seine dreckigen Lumpen anziehen lassen. Bibbernd musste er auf einem der hölzernen Klolöcher sitzen, die hier nebeneinander an der Wand angebracht waren. – „Edler Herr, der Bube hat alles nochmals bestätigt“, erklärte der Aufseher im Hof dem Vierfürsten, „auch dass er ein Sikarier ist. Sollen wir ihn jetzt...?“ Er zog seinen Dolch heraus und ließ ihn verstohlen nach unten zucken. Der Vierfürst besah sich zögernd den feindselig blickenden Judas und schüttelte dann düster den Kopf. Plötzlich erregte die Wand aus Brettern das Interesse des Herodes Antipas. Mit raschem Zorn schimpfte er: „Herodias? Spionierst du etwa wieder den Sklaven nach?“ Zur Antwort hörte man ein Kichern und Rascheln. „Ich bin doch jetzt der Engel Ridja!“ versicherte ihm die helle, perlende Frauenstimme. Da musste der Fürst widerwillig lachen, und auch einige Haussklaven lachten, bis auf den Aufseher. Herodias... Judas erinnerte sich erst jetzt daran dass er diese arrogante junge Prinzessin schon mal getroffen hatte. Ob sie ihn wiedererkannt hatte, den Bettler den sie damals kalt abgewiesen hatte? Zorn stieg in ihm auf, Zorn auf die Reichen und auf die Frauen, und besonders auf diese Prinzessin. Der böse Gedanke kam ihm diese Adligen zu töten, aber er fand dass er dies nicht ernsthaft wollte. Dann sah der Junge die Prinzessin plötzlich, einen Augenblick lang, als sie sich seitlich entfernte. Sie trug einen langen roten Mantel. Ihre Haare leuchteten hellblond! – „Du Engel!“ flüsterte Judas. Trotz der Kälte versteifte sich sein Glied ein wenig, und er war völlig fasziniert und fast verliebt.

64.

Einige Hausdiener weckten Josef am Abend. Sehr schwer nur fiel es diesem nun auf die Füße zu kriechen. Er war am Nachmittag in einen dunklen Raum eingeschlossen worden und hatte sich eine lange Zeit hindurch warm gezittert. Der Wein den er getrunken hatte hatte ihn nicht erwärmt, im Gegenteil, er war dadurch nur noch zittriger geworden. Immer noch war Josef erschrocken darüber dass er vorhin fast erstochen worden wäre! Entsprechend schlecht war nun seine Laune. Er hatte am Nachmittag wie üblich lange gebetet; aber was er nicht verstand war ja warum Gott ihn dennoch so oft in Gefahr führte und plagte! Oft hatte Josef an eine andere Geschichte von Jona gedacht. Dieser Prophet hatte einst dem König Jerobeam große militärische Erfolge prophezeit, und diese waren eingetroffen. Jerobeam war jedoch aus jüdischer Sicht ein großer Sünder gewesen. König Asarja andererseits tat seinerzeit alles was frommen Juden vorgeschrieben war. Gott jedoch hatte diesen König so geplagt dass dieser davon aussätzig geworden war! Josef hatte sich so viel Mühe gegeben die Thora und andere heilige Bücher auswendig zu lernen und zu beachten. Jetzt dachte er sich dass er damit vielleicht aufhören sollte, weil er doch selbst so eine Art Gott geworden war. Musste denn ein Gott sich an seine eigenen Gebote halten? „Der Messias Israels der gegen seine eigenen Gebote verstößt wird davon nur noch mächtiger, weil doch der Gehorsam den Menschen so klein macht“, meinte er nun zu den fein gekleideten Hausdienern. „Ich werde von nun an alle Gebote der Thora ausdrücklich missachten!“ – „Hört ihr das? Der is wohl total besoffen“, sagte ein Diener entsetzt. – „Nein, das ist bei ihm der normale Zustand“, erklärte sein Kollege. Man zog Josef nach draußen. – „Bah, der alte Tropf is schon wieder so am stinken“, meinten der erste Diener, als Josef nun streng beschnuppert wurde. – „Das kommt von seinen blutigen Lumpen. Aber der Anti meint dieses Blut muss sein bei ihm. Manchmal schmiert man ja auch ein Opferlamm zuerst mit Blut ein, damit Gott auf den Geschmack kommt.“ – „Aha“, brummte Josef mürrisch. Eine rundliche Sklavin reichte ihm nun eine Lacerna, einen schweren Umhang aus Schafwolle. Auch setzte sie ihm eine braune warme Filzkappe auf seinen dicken Kopf. – „Oh das ist sehr nett!“ meinte Josef versöhnlich. Da flüsterte ihm der erste Diener gepresst ins Ohr: „Vertrau du nur auf den neuen Sadduk aus der Wüste! Der Anführer der Sadokiter erobert gerade schon Bethlehem! Unser Aufstand beginnt, der die Römer bald raus fegen wird, aus'm gesamten Orient. Sadduk weist uns Gerechte nämlich an, an kein König oder Fürsten fest zu halten außer an Adonai selbst, unsern Gy'tt.“ – „Gut gesprochen“ meinte Josef spontan. Doch als er sich daran erinnerte dass er Sadduk schon mal getroffen hatte, da schwand ihm seine Zuversicht. Denn dieser Sektenführer war ja genau so ein übler Tyrann wie Herodes Antipas! Man führte Josef nun lange durch das weitläufige Anwesen, bis in den Gebäudetrakt der Patriarchin Salomé. Dieser Häuserblock mit Innenhof waren ebenfalls aus Ziegeln errichtet, aber mit seinem sauberen weißen Putz machte er einen viel freundlicheren Eindruck. Der Boden war hier gefliest und sehr sauber, und an den Wänden sah man Wandmalereien im römischen Stil, allerdings nur stilisierte Ranken und Muster, und keine Bilder von irgendwelchen nackten Götzen. In der guten Stube der Herrschaften dann waren Tische mit Speisen das Erste was Josef auffiel. Hier sah man dünne marmorierte Stückchen Schinken, und Eier, und Räucherfisch, Muscheln und Schnecken in Gelee und Soße, eingelegten Lauch und Rübchen, zarte Krautblättchen und Dörrobst... Josef konnte sich kaum von diesem leckeren Anblick losreißen, er verschlang diese Speisen quasi mit Blicken. – „Ist das also dein neuer König David?“ fragte die junge Herodias, mit angenehmer Stimme. – „So ist es, meine schöne Nichte“, erwiderte Herodes Antipas. Da lachte die junge Frau mit dem breiten Gesicht, und ihre hellblonden Locken wippten. Trotz der Kälte in dem spärlich beheizten Raum voller Kerzen war Herodias nur recht dünn bekleidet. Sie trug eine knappe Tunika die viel von ihren breiten Schenkeln zeigte. Es war ein schillerndes Kleid das Josef an die bunten Flügel von Libellen erinnerte. Darüber trug Herodias noch einen weißen langen Schal, und noch einen vorne offenen roten Wintermantel. Josef spürte die latente erotische Spannung die zwischen dieser sehr jungen Prinzessin und dem angetrunkenen Vierfürsten knisterte. Herodias lief nun zum Speisetisch und war sich doch unsicher ob sie noch etwas zu sich nehmen sollte, denn ihre Hüften waren etwas zu breit. Josef musterte unterdessen Herodes Antipas widerwillig und befand dass dieser viel besser aussah als er selbst, mit seinen bis zu den Knien hochgebundenen Sandalen die er jetzt trug und der breit gesäumten, rein weißen Tunika. Der Vierfürst erläuterte, ohne groß auf Josef zu achten: „Du weißt doch, liebe Nichte, die Stimmung in Jerusalem ist gefährlich gegen uns. Aber dieser Einfältige hier könnte sie wieder in unsere Richtung drehen, wenn wir ihn den Eiferern unterschieben können und er heimlich unser Mann ist.“ – „Ich verstehe“, meinte Herodias höflich, und lachte gefällig. – „Aber ich verstehe gar nichts!“ geiferte nun die Stimme Salomés, aus ihrer düsteren Ecke in dem ziemlich leeren Raum. Josef musste zweimal hinschauen bevor er die alte Hausherrin ausmachte. Salomé lag auf ihrer Liege völlig zugedeckt, unter einem großen Haufen von Mänteln und Decken, sie wackelte gerade mit den warmen Filzpantoffeln die darunter hervor schauten. Herodes Antipas ignorierte den Zwischenruf der greisen Patriarchin und fragte nun Josef freundlich: „Aber du verstehst hier alles, nicht wahr Josef? Du bist doch angeblich ein biblischer Prophet, so wie Moses es war und all die Propheten vor dir, und Propheten sind voller Weisheit. Das wirst du doch auch dem Hohepriester im Tempel sagen; und ihnen weis machen, all den Thora-Sklaven dort, dass du der Gott selbst bist der ihnen alles Mögliche befehlen kann... Sag ja dazu, und morgen brechen wir auf in die Heilige.“ – „Nein, das geht so nicht“, erwiderte Josef jedoch störrisch. „Denn der Herr hat mich ins Wasser werfen lassen, so wie Jonas weggeworfen wurde, damit ich besser gehorche. Aber der Leviathan in der Tiefe wollte mich nicht retten. Der will mich nicht mehr haben, das hab ich genau gespürt! Ich muss aber jetzt trotzdem den Willen Gottes tun und weiter Bethlehem verfluchen, so wie Jona einst Jericho, verflucht, nein, Bethlehem, ähm... Jerusalem... verflucht, wie hieß die Stadt noch gleich!“ Diese Fluchreden sprudelten aus Josef spontan so heraus, und er spürte furchtsam dass sie seinen Gastgebern nicht gefielen. – „Jetzt verflucht der Prophet schon Jerusalem!“ schimpfte da Herodias erschrocken. Josef tönte rabiat: „So geht das eben beim Adonai! Wenn dem irgendwas nicht passt, dann sagt der sofort: Weg damit!“ – „Da kennst du Gott schlecht.“ – „Ich... bin ja eigentlich selbst Gott. Ich hab nur noch nicht die ganze Gotteskraft, weil mir die Bundeslade fehlt. Aber ich werde ständig stärker. Und wenn ich meine eigenen Gebote missachte dann werde ich noch stärker! Also ist es vielleicht besser wenn ich Jerichos Mauern doch nicht einstürzen lasse...“ Josef kam jetzt sehr ins Grübeln über diese schwierigen theologischen Fragen. – „Das sind erstaunliche Gedankengänge. Wenn dieser Einfältige doch mal ans Denken kommt dann ist das Ergebnis unvorhersehbar!“ sagte Herodes Antipas. Darüber musste jetzt sogar Salomé laut lachen, und daraufhin lachte sofort auch die gesamte Dienerschaft. Dieses Lachen drang auch bis in den fast dunklen Nebenraum. Dort stand gerade Judas, mit finsterer bis ängstlicher Miene, geduckt unter seinem Umhang. Der Aufseher und zwei weitere Diener reichten ihm nun seinen Sicheldolch. Der Aufseher flüsterte mit angespannter Stimme: „Warte bis der Vierfürst getanzt hat, dann ist er außer Atem. Wir werden dir ein Zeichen geben. Dann springst du über die Türschwelle, und stichst ihn ab!“ – „Das tu ich besonders gerne“, sagte Judas dazu, „ähm, ich meine...“ – „Sei doch leise Junge!“ zischte der erste Diener vertraulich, es war ein finsterer Bärtiger. „Dein Mord am Vierfürsten wird den Sadokitern das Zeichen sein dass der Aufstand gegen die Schweine und die Römer vor Gy'tt in Ordnung geht.“ – „Wenn Gott diese ruchlose Tat gelingen lässt, dann steht unser Schicksal schon fest“, munkelte der Aufseher. Judas versuchte das glatt rasierte Gesicht dieses Mannes zu deuten, aber dafür reichte das Licht nicht aus. Er versuchte Herodias aus seinem Geist zu verdrängen, und musste doch dauernd an sie denken. Sie war eine Dame aus dem Königshaus, und er war nur ein Bettler und ein Verräter! Herodias war so blond wie ein Engel! Er aber war nur schwarzhaarig, und sie beide hatten nichts was sie verband.

65.

„Da hörst du es, Anti! Dieser König der Bettler will nicht auftreten in Jerusalem. Das zeigt doch das Erbarmen das unser Gott mit uns hat, trotz alledem!“ Salomé warf nun mit erstaunlicher Stärke all ihre Decken von sich und raffte sich auf von ihrer vergoldeten Liege. Die Hausherrin trug jetzt eine dünnere feuerrote Perücke, die sich erst zeigte als sie die Kapuze ihres mit Goldfäden und Pelzen verzierten Mantels abwarf. Sie klatschte dreimal in die Hände, woraufhin sofort einige Sklaven in den Raum eilten. „Bringt dem Bettler nun seinen Wein. Das soll der Dank sein den er hier erfährt für seine frechen Reden. Außerdem ist er gewiss lustiger wenn er besoffen ist.“ – „Oh, das ist gut. Das ist eine sehr gute Idee!“ meinte Josef, freudig bis zickig. „Ich könnte euch Edelleuten bestimmt auch eure Zukunft vorhersagen. Sie ist gewiss äußerst düster.“ Er hatte zwar schon Wein getrunken, und er vertrug ihn eigentlich auch nicht gut, aber bei Wein sagte er aus Überzeugung niemals nein, denn Wein war nun mal das traditionelle Getränk der Bettler und Beter. Er sah sich um nach dem Wein, und stellte dabei völlig erstaunt fest dass links und rechts von der Haupttür sechs bewaffnete Wächter lauerten, die nervös wirkten und ihre Schwerter und Framen zum Stoß bereit hielten. – „He ihr netten Jungs, bleibt immer locker!“ riet Josef ihnen etwas nervös zu, um ihnen zu verdeutlichen dass von ihm keine Gefahr ausging. Ein Sklave kam durch den Kücheneingang hinein, es war ein schwarzer Nubier in einem sehr bunten Kostüm. Der schlaff wirkende Neger trug mit weichlichen Bewegungen ein Silbertablett zu Josef, auf dem ein silberner Pokal mit dunklem Wein stand. Josef starrte verblüfft auf den völlig schwarzen Mann. „Ah, einer aus dem Geschlecht des Ham“, erklärte er, um mit seinem biblischen Wissen zu glänzen. – „Geh schlechtes Ham!“ brabbelte der Neger ihm nach. Er murmelte vor sich hin und versuchte diesen Worten einen Sinn zu geben. Plötzlich starrte er Josef so finster an dass dieser sich fast bei ihm entschuldigt hätte. – „Is-a gutes Hamham!“ stellte der Schwarzafrikaner fest. Aber dann kamen ihm doch Zweifel. Er schaute erst in seinen Kelch und schnupperte daran. Plötzlich riss er die Augen erschrocken auf und schaute nervös Salomé an. „Edle Hea-rin dis is-a Pro-fet! Ea weiß!“ sagte er. – „Ach ja?“ raunzte Salomé, voll plötzlichem Grimm. – „Ja genau! Der Neger hat mich erkannt!“ tönte Josef froh. „Das ist ja auch kein Zufall, denn ich bin der Auserwählte!“ Grinsend griff Josef nach dem Pokal. Aber da merkte Herodes Antipas plötzlich auf, und rief erschrocken: „Warte du Prophet, trink das lieber nicht!“ Josef hatte den Pokal schon an die Lippen gehoben... Aber mit großer Mühe, ja nach einem inneren Kampf gelang es ihm nun nicht zu trinken! – „Salomé, ich kenn dich, du ägyptische Viper!“ zürnte Herodes Antipas mit plötzlicher Schärfe. „Ist das etwa der gleiche Trank den einst Glaphyra von dir zu trinken bekam, kurz bevor sie überraschend verstarb?“ – „Glaphyra war eine Fremde und eine Sünderin“, meinte Salomé dazu nur. Jetzt wirkte sie so schnippisch wie ein unreifes Mädchen. – „Onkel du weißt wie sauer damals all die Thora-Sklaven auf diese Kappadokierin waren.“ Dies sprach Herodias in die bedrückte Stille hinein die plötzlich auf dem Raum lastete. Die Prinzessin erschauerte und bedeckte sich zusätzlich mit ihrer Adderet, einem eleganten Überwurf mit einem Pelzkragen. „Der Hass all dieser Religiösen kann wie ein Todesfluch wirken.“ – „Du hast völlig recht, mein goldenes Prinzess'chen“, bestätigte Herodes Antipas schmeichelnd. – „Anti, schenk mir jetzt den Kopf dieses Galiläers“, bat Salomé erneut den Vierfürsten aus Galiläa, sie befahl es ihm fast. „Er gehorcht dir ja doch nicht, denn so welche gehorchen immer nur wie Sklaven der Thora. Und gegen den sturen Sinn dieser Fanatiker gibt es kein Gegenmittel, so wie gegen einen vergifteten Wein...“ Wiederum legte sich eine lastende Stille über den Raum. Dann schien Herodes Antipas plötzlich nachzugeben. Er entspannte sich und lächelte dann Herodias süß an. „Höre, du schönste Blume Israels. Ich schenk euch diesen Penner, aber dafür musst du mir eine Freude machen. Entblättere dich noch mal, und dann tanze für mich.“ – „Aber ich hab doch gar nichts geübt“, meinte Herodias dazu, und sie lachte nur nervös. – „Dann werde ich eben für dich tanzen, Anti!“ eiferte Salomé plötzlich, von Wut und auch Lust ergriffen. „Schau her Vierfürst, jetzt werde ich dir mal Augen machen, da kannst du mal was sehen! Musik! Meine Musikanten, rasch!“ Herodes Antipas wagte keine Widerrede als nun Salomés Musikanten eilig in den Raum huschten, auf den Fußballen und geduckt. Sie stellten sich auf, mit einer Kinnur, einer Leier, und mit Flöten, Schellen, Rasseln und Tamburins; und spielten eine leise orientalische Melodie. Salomé schien sie gut zu kennen, sie summte sie mit. Nun warf die Greisin ihre Mäntel und Schals ab, knickste sehr vorsichtig und begann dann sehr steif zu tanzen. Salomé trug ebenfalls so ein kostbares, knapp anliegendes Gewand, aus demselben schillernden Stoff aus dem das Kleid der Herodias angefertigt worden war. Nach ein paar Tanzschritten schon entspannte sich Salomés ewig verkniffener Mund, und sie brachte sogar eine Art von Lächeln zustande. Doch da rümpfte Herodes Antipas schon die Nase und wandte demonstrativ den Kopf ab. Heftig winkend unterbrach er die Musikanten und murrte dann zynisch: „Ach je, Oma kann es nicht lassen! Doch das mag der schillernden Schlange in der Tiefe besser gefallen als unsereins, der Schlange Leviathan von der es heißt dass sie in einer Höhle in der Erde lebt.“ – „Aber mir hat es gefallen“, meinte Josef. In der Tat fand er schon dieses schillernde Kleid faszinierend. – „Oh! Oh ja?“ Salomé wirkte verblüfft und war sogar etwas geschmeichelt. Wieder wich ihre Energie plötzlich von ihr, und sie seufzte tief.

66.

Bitter winkte Salomé ihre Musikanten wieder fort, aber Herodes Antipas rief rasch: „Wartet! Bleibt und spielt noch etwas, und zwar in einem Dreiertakt. Jetzt werde ich nämlich selbst etwas tanzen!“ Der Vierfürst stellte sich heiter in Positur, und erklärte stolz: „Ihr Damen, ich lernte in Rom einen heiligen Tanz der römischen Arval-Brüder! Priester tanzen ihn auf den Straßen, wenn die Römer einem ihrer Feldherren einen Triumph gewähren. Ursprünglich war dies ein heidnisches Ritual zu Ehren der Göttin, der Dea Dia...“ – „Oi je!“ rief Josef empört. – „Sei unbesorgt. Es wurde modern umgedichtet, und kennt jetzt Gott und die Wandelsterne, den wilden Mars und den goldenen Saturn. Der goldene Planet kann als Allegorie dienen für den Messias, Mars symbolisiert einen Widrigen. Die Verse stammen im Original wohl tatsächlich aus dem legendären goldenen Zeitalter des Saturn, aus der Zeit des verlorenen Paradieses. Und davon berichtet ja auch unser Buch Genesis“, erklärte ihm der Vierfürst nachsichtig. – „He-eh!“ schimpfte Josef aufbrausend, als der Neger ihm nun den Weinpokal wieder wegnehmen wollte. „Ich hab gehorcht und nicht getrunken!“ beschwerte er sich, im rabiaten Tonfall der Bettler. Herodes Antipas stöhnte nur. Dann winkte er, damit wieder Musik gemacht wurde. Diesmal spielte die Kapelle flotte Tanzmusik; die Musiker trommelten, rasselten und zupften die Harfe mit morgenländischer Gewandtheit. Der eitle hasmonäische Vierfürst, der das mondäne Rom besser kannte als sein rückständiges Fürstentum Galiläa, sang selbst auf Aramäisch:

Also, Elohim,
Lasst nicht den Marmarer Unheil her bringen,
Lasst nicht die Seuchen der Fremden eindringen!

Steh, wilder Mars!
Spring auf die Schwelle und bleib dort, Barbar!
Edler Saturn, verbann die Gefahr!

Feiert Triumphe...

Schön und leichtfüßig tanzte Herodes Antipas jetzt im Dreischritt. Spontan sang die Prinzessin den Refrain mit. Mädchenhaft freudig sprang die Prinzessin zum Vierfürsten, und sang und tanzte mit ihm den einfachen Refrain: „Feiert Triumphe, feiert Triumphe!“ Eine kurze Weile hüpfte Herodias mit dem Fürsten angeregt durch den Raum, und beide nahmen sich etwas verliebt bei den Händen. Doch rasch verhielt Herodes Antipas und lauschte nervös, er war schon sichtlich außer Atem und leicht betrunken. Er ließ nun Herodias stehen und schielte mit schiefem Hals hinüber zur Haupttür, wo seine sechs lauernden Wächter sich erneut duckten. Draußen wartete der Aufseher, der Judas an der Schulter gepackt hielt. – „Los jetzt, Iskariot“, zischte dieser, „tu was Gott dir befiehlt!“ Judas lief zögernd die paar Schritte bis zur Haupttür. Er setzte an zum Sprung, doch dabei sah er dass die Prinzessin Herodias entsetzt in seine Richtung starrte. Daraufhin konnte Judas weiter nichts tun! Er erinnerte sich sehr intensiv daran dass er sie gehasst hatte, aber nun rappelte er sich frei von diesem Gefühlszwang! Es mochte sein dass diese reichen Edelleute es verdient hatten dass man sie hasste und bekämpfte. Aber dies war nicht das was er wirklich glaubte. Außerdem entsprach er selbst nicht seinem eigenen Bild von sich! Judas sprang auf die Türschwelle und blieb dort schwankend stehen, seinen Krummdolch ließ er sinken. Im Augenblick wandelte er sich von einem Attentäter zu einem Jungen der eine Prinzessin liebte. – „Da! Was ist das?“ rief Herodes Antipas mit nur halb gespielter Aufregung, während er sich ängstlich krümmte. Die Dienerinnen begannen halblaut zu schreien, die beiden Edelfrauen aber blieben stumm. Judas wimmerte ganz leise. Fast gleichzeitig sprangen nun die sechs Wächter auf ihn zu. Man packte Judas und entriss ihm den Dolch, zerrte ihn vor Herodes Antipas und drückte ihn dort auf die Knie. Dieser war benommen und ergriffen; und er erklärte, zu den wie erstarrt wirkenden Edelfrauen gewandt: „Das war gerade ein Abwehrzauber der Römer! Dieser Zauber soll es bewirken dass ein wilder Fremder auf die Türschwelle gebannt wird, und dort verharren muss, und nicht Seuchen und Übel hinein bringen kann. Und genau das ist auch passiert!“ – „Es war ein wahres Wunder“, meinte Herodias ergriffen. – „Die Magie der Römer ist doch stärker als die unsere!“ urteilte Salomé mit rauer Stimme. – „Auch dahinter steckt doch nur unser Gy'tt!“ erklärte Josef überzeugt. „Deshalb beten wir Juden ja: Keine Plage wird sich deinem Zelt nähern...“ Judas war jetzt davon überzeugt dass man ihn nun sogleich kreuzigen würde. Aber Herodes Antipas schaute Judas nur ernst an, und befahl trocken: „Diese Aufrührer, Eiferer und Schwärmer sind eine wahre Plage. Zurück mit diesem bösen Buben in seine Zelle.“ Dann ging er zu Josef, nahm diesem heftig den Kelch mit dem vergifteten Wein weg, und schüttete ihn vor Salomé auf dem Boden aus.

67.

Zurück in seiner Zelle fand Josef zu seiner Freude seinen Sohn Judas vor. Der Knabe wirkte müde und verzweifelt, er hockte mit starrem Blick in der Ecke, tief in seinen neuen dunklen Wollumhang gehüllt. Judas sah kaum auf als sein Vater sich neben ihn hockte. Josefs Gesicht verdüsterte sich ebenfalls, denn er war noch zu verwirrt um sich wirklich zu freuen, und in tiefer Sorge wegen ihrer Zukunft. Er fröstelte in dem kleinen Raum mit dem nackten Boden aus gestampftem Lehm und Schutt, der nur nach Norden zu ein kleines Sommerfenster aufwies, das aber jetzt mit einem Laden verschlossen war. Nachdem die Wächter die Tür schlossen und verriegelten wurde der kalte Raum stockdunkel. „Warum hast du das gemacht?“ fragte Josef seinen Sohn. – „Weil sie mir das gesagt haben.“ – „Du wolltest doch diesen frechen Kerl in Bethlehem erstechen.“ – „Dafür wär ich auch bloß gekreuzigt worden. Ich hab sowieso daran gedacht mich danach selbst zu töten! Die Leute hier sagen dass es ganz schrecklich ist und peinlich wenn man gekreuzigt wird. Ich will doch noch nicht sterben, Papa! Ich will lieber ein Bettler werden so wie du. Ich will der König der Bettler werden!“ – „Ich will auch nicht sterben“, erklärte ihm Josef. – „Aber kannst du dann nicht aufhören jüdische Schwierigkeiten zu machen? Können wir nicht einfach raus gehen und wieder ganz normale Bettler werden?“ – „Nein, denn das ist nun mal des Judengottes Wille. Ich wurde berufen und auserwählt! Ich bin der Weg, die Wahrheit und die Lüge, ähm, auch Gott lügt leider schon mal. Außerdem habe ich eine Mission. Ich muss zuerst Bethlehem verfluchen. Das ist unsere Missionsarbeit, und die ist noch nicht fertig. Und dann will ich Melchior wiedersehen. Denn der ist doch mein Ehemann, und ich liebe ihn so!“ Josef kamen jetzt echte Tränen als er an den schwulen Gaukler dachte und seine erotischen Momente mit ihm. Judas aber meinte verächtlich: „Dieser olle Knabenschänder kann von mir aus tot sein! Liebst du denn die Mama gar nicht mehr?“ – „Ich bin doch jetzt Gott, und der hatte doch schon mit Eva so Pech“, murmelte Josef bitter. – „Ich hab eine Idee!“ meinte Judas dann. „Du wolltest doch immer Jesus als Heiland. Aber der ist doof und zu klein, und du hast ihn ja noch nicht gesalbt. Außerdem, Papa, bin ich doch dein Erstgeborener! Sicher wirst du viel mehr Erfolg haben wenn du mich als neuen König David salbst. Denn du bist doch auch ein Prophet wie Samuel. Und ein Prophet kann doch jeden Taugenichts zum König Israels salben den er auserwählt, oder nicht?“ – „Im Prinzip schon. Gott muss es aber dem Propheten so sagen. Gut, Gott bin ich ja auch selbst“, murmelte Josef, den diese Wendung seiner Gedanken fast bestürzte. Er rieb sich seine schillernde Beule vorn am Schädel. „So weit ich mich erinnere kam ich zuerst darauf dass du der Messias sein könntest. Ich weiß auch nicht mehr wieso ich dann auf Jesus abgeirrt bin...“ – „Papa, ich hab echtes Heiland-Öl gekriegt! Du kannst mich gleich hier salben“, meinte Judas eifrig. Er raschelte mit etwas an seinem Gürtel. Josef hörte dass ein Stöpsel entkorkt wurde, dann stieg ihm ein feiner Duft in die Nase. „Das ist wirklich echte Narde“, stellte Josef anerkennend fest. Fast hätte er nun Judas spontan zum Heiland gesalbt. Aber dann erinnerte Josef sich wieder an Melchior, und er erklärte Judas mit der Festigkeit eines Fanatikers: „Ich kann so was nicht tun ohne mit Melchior darüber zu reden. Er ist doch mein Gemahl, und vielleicht will er ja Heiland werden.“ – „Das kann ich mir bei dem gut vorstellen“, meinte Judas mürrisch. Eine bedrückende Stille legte sich nun über die völlig finstere Zelle. Nach einer Weile hörte Josef wie draußen vor dem versperrten Nordfenster etwas raschelte. Als er dort hin tapste und genau hin horchte, da hörte er draußen kurze Schritte, so als ob sich eine Frau davon schlich... Sie schliefen dann schnell ein, aber irgendwann mitten in der Nacht schreckte Josef unvermittelt auf. Eine innere Macht ließ ihn nicht weiterschlafen. Kurze Zeit später hörte er wie die Tür seiner Zelle leise knarrte, als draußen der Riegel entfernt wurde. Atemlos setzte Josef sich auf, er war erschrocken und auf das Schlimmste gefasst. Die Tür öffnete sich seltsam langsam. Zugleich waberte ein leuchtender Rauch hinein in die stickige Zelle! Josef kroch ängstlich zurück an die hintere Wand der Zelle, und dort kroch Judas an ihn heran. „Bitte bitte nichts tun!“ jammerte der Junge mit kratziger Stimme. – „Fürchtet euch nicht!“ Von draußen ertönte eine sehr hohe, klare singende Stimme, voll wie die eines Mannes aber so hoch wie die einer Frau, sie artikulierte sehr genau und mit einem seltsamen Akzent. Als die Tür knarrend ganz aufschwang, da sahen Josef und Judas eine sehr helle Erscheinung im Nebel. Von hinten gelb beleuchtet und von Weihrauch-Dunst umwabert erschien ihnen eine Art Engel. Der Engel trug eine Art Federgewand und schlaffe Flügel. Seine vollen Haare waren exakt so blond und lockig wie die der Herodias, sie leuchteten grell im Widerschein einer verborgenen Laterne. In seiner Hand trug er eine kurze goldene Trompete. „Josef ich bin dein Engel des Herrn!“ erklärte er. „Geh nicht mehr nach Bethlehem zu diesem Schwulen. Sondern bleibe da bei Judas. Geh nach Jerusalem. Sage es dort allen, dass du ein Prophet bist wie es Samaul war. Und salbe deinen Judas als Messias Israels.“ – „Aber höre, Bote Gy'ttes! Ich bin nicht würdig, aber eigentlich doch, und ich wäre gern selbst der Gott und Messias. Ich wollte doch schon immer gerne Leute in den Himmel schicken oder in den Scheol“, stammelte Josef. Doch der Engel drehte sich wortlos wieder um. Jemand zog dann rasch die Tür zu. – „Der redete aber geschwollen“, meinte Judas misstrauisch. – „So ein Engel spricht sicher sonst nur Englisch, also die Sprache der Engel“, meinte Josef, auch um sich selbst zu beruhigen. Denn jetzt klopfte ihm das Herz laut, sein Pulsschlag war so heftig dass er sogar Josefs linken Arm vibrieren ließ. Mit knackenden Knien trat Josef zur Tür. Vorsichtig prüfte er ob sie sich aufziehen ließ, und stellte fest dass sie immer noch unverriegelt war. Draußen traf er zu seiner Überraschung erneut Herodes Antipas! Dieser erklärte froh und scheinbar aufgeregt: „Höre, edler König der Bettler! Hier soll ein Engel erschienen sein! Er suchte euch auf, nicht wahr?“ – „Ja genau“, murmelte Josef. Dabei stieg in ihm die Ahnung auf dass das Schicksal gerade dabei war sich zu seinem Vorteil umzugestalten. Josef log: „Der Engel hat meinen Sohn Judas zum Messias berufen, und mich hat er Gott den Vater genannt. Wir müssen nach Jerusalem. Kann ich eben noch was Wein kriegen, und Brot?“ – „Aber gerne, mein Freund!“ Des Herodes Antipas Miene entspannte sich. Der Völkerfürst wollte Josef sogar auf die Schulter klopfen, aber dann schnüffelte er entsetzt und zog sich zurück. Die Tür blieb aber offen, und kurze Zeit später reichte man für Josef und Judas noch Decken hinein, ein Tablett mit einem Nachtmahl und eine Öllampe, und sogar noch die Schriftrolle des Chodosis die Josef in der Wüste gefunden hatte. Josef war immer noch wie gebannt und überwältigt von der Erscheinung von vorhin. Hustend und mit schleppender Stimme erklärte er dem bedrückt wirkenden Judas: „Und ich hab den Engel noch nicht mal gefragt wie er heißt. Dabei sind die Namen der Engel so wichtig!“ – „Frag morgen den Fürsten Herodes, der weiß das bestimmt“, grummelte Judas. – „Das tun wir, sobald es tagt“, meinte Josef froh. „Aber etwas müssen wir jetzt gleich tun. Knie nieder, Sohn.“ Judas gehorchte. Josef nahm nun etwas duftendes Salböl auf den kalten Zeigefinger und salbte Judas damit die Stirn und die Wangen. „Judas, mein Sohn. Ich salbe dich zum König Israels und zum Kaiser der Welt! Zum wahren roten Adam salbe ich dich, zum neuen Elias und zum neuen Saul, zum neuen Israel, dem Streiter Gottes gegen die zuchtlosen Rotten der Heiden, und gegen alle Übertreter des Gesetzes und verstockten Sünder...“ Josef schloss die Augen und hob das Kinn, ergriffen von der Ekstase des Predigers. „Auf dieselbe Weise salbte einst der Prophet Samuel den Saul zum König Israels. Dieser hatte damals noch kein Reich, er musste nämlich erst Kana'an erobern. Samuel sprach damals zu Saul diese Worte die ich jetzt zu dir spreche, mein Sohn: Ziehe hinaus und vollstrecke den Bann an den Sündern, bis sie ausgerottet sind.“ – „Ja! Ja, das will ich tun Papa! Ich werd sie alle ausrotten!“ Judas biss mit erneuerter Entschlossenheit die Zähne zusammen und ballte die Hände zu Fäusten. Josef freute sich über den plötzlichen radikalen Ausbruch seines Sohnes, und erschrak doch etwas darüber. Er schnupperte an seinen Händen und stellte fest dass das Salböl nach Rosenwasser roch. Das gefiel ihm, und so salbte er sich selbst auch noch ein. Schließlich war er ja auch der Messias. „Jetzt müssen wir aber sehr darauf achten dass wir nicht auch sündigen!“ schärfte er Judas noch ein. – „Nein!“ widersprach Judas trotzig. „Kann denn ein Gott sündigen? Was eine Sünde ist oder was nicht, das haben von jetzt ab wir zu bestimmen!“ – „Ja genau“, sagte Josef, aber er zweifelte daran.

68.

„Wer von uns ist ohne Sünde? Gibt es einen der von sich sagen kann dass er alle Gebote der Thora genau einhält, und zwar bis auf das Doofste?“ Das fragte Josef anderntags den Vierfürsten Herodes Antipas; wobei er die Thora schwenkte die er besaß, die geheimnisvolle Schriftrolle welche vorher Chodosis gehört hatte. Josef lallte leicht, er war schon angetrunken und konnte sich kaum noch auf seinem Esel halten. Vor ihm ritt der Vierfürst auf einem kleinen Pferd. Sie waren jetzt unterwegs nach Jerusalem, in Begleitung der Prinzessin Herodias und dem großen Gefolge des Vierfürsten, denn Herodes Antipas hatte viele verstreute Besitztümer und war dauernd auf Reisen. Er schwieg derzeit vor sich hin, denn er war genau wie Josef dem Rotwein zugetan, und jetzt war ihm offenbar mal wieder übel. Die heilige Stadt aller Juden war schon vor ihnen zu sehen, als graue Festung mit hohen Zinnen in der grauen Steppe. Die Festung Antonia überragte die Stadt ebenso wie die breiten Haupttürme der inneren Stadtmauer. Von dem daneben liegenden großen Tempel stieg wie üblich eine finstere Rauchwolke auf in den dunstigen Himmel. Dieser Tempel war ihr Reiseziel. An sich plante Herodes Antipas den Josef im Tempel als Vatergott oder was auch immer vorstellen. Aber er hatte heute schlechte Laune und behandelte Josef arg unfreundlich. Nur weil Josef derzeit schlecht auf den Beinen war hatte man ihm einen Esel gegeben, und Judas musste das Tier führen. Judas sah finster aus in seinem dunklen Überwurf unter all den Pilgern, die überwiegend helle Wollmäntel oder Fellumhänge trugen. – „Papa, ich weiß wie wir Bethlehem erobern können“, meinte Judas nun, von einer plötzlichen Eingebung erfasst, „die sündhafte Stadt die uns Göttern nicht gehorchen will.“ Judas nahm dann seinem Vater dessen Schriftrolle aus den Händen, die schon fast hinunter zu fallen drohte in den Staub der Straße. Mit seiner gerade stimmbrüchig werdenden Stimme brummte der Knabe grimmig: „Wir wollten doch damals so ein Zauberzeichen von der Löwin auf die Stadtmauer ritzen, um die böse Löwin Lahmu aus ihrem Haus Bethlehem zu vertreiben.“ – „Sohn, der Himmel hat es uns nicht erlaubt...“ – „...nur wegen dem Putz ging es ja nicht. Aber ich hab mir eine Lösung ausgedacht für dieses Problem. Es ist bei mir nämlich wie bei König David, dass ich dauernd auf so geniale Ideen komme! Wie Funken aus dem Himmel kommen sie mir in den Sinn!“ Judas tippte sich an die von Öl glänzende Schläfe. Seit Tagen hatte Judas sich nicht mehr gewaschen, um das Salböl nicht mit abwaschen zu müssen. Jetzt erklärte er mit wachsendem Eifer: „Wir malen einfach das Löwenbild auf so ein Stück Papyrus. Und dieses Papierchen kleben wir dann an die Stadtmauer. So kommt das ägyptische Zeichen an die Mauer, und die Katze Lahm muss flüchten. So werden wir Bethlehem erobern, ohne einen unserer Soldaten zu verlieren!“ Judas wies mit großer Geste auf die Bewaffneten des Fürsten Herodes, die in einem langen Zug hinter ihnen marschierten. Josefs großer Kopf wackelte im Einklang mit den Schritten seines Esels, er konnte sich gerade nicht umschauen. Er spähte nur vorsichtig hinüber in die Richtung wo Bethlehem lag. Dann schüttelte er betrübt den Kopf, und erklärte Judas wie sich die Lage darstellte nach seiner Meinung: „Mein Sohn, hör lieber auf deinen Vater. Dein Plan ist nicht zu verwirklichen. Denn das Bild ist nun mal ein Bild, und uns Juden ist es verboten Bilder zu malen. Und das war bestimmt auch der Grund warum wir damals nachts vor Bethlehem nichts ausrichten konnten. Das hat Chodosis nur nicht verstanden, obwohl er doch einer der weisesten Juden aller Zeiten war. Auch der Weise kann nicht machen was er will, sondern er muss sich streng an die Gebote halten. Und wenn er zu weise wird für die Gebote, dann kommt die Strafe des Himmels über ihn und er muss sterben.“ – „Die uralten Gebote sind aber doch Quatsch. Das hat König Melchior auch mal gesagt“, erklärte da Judas. Der Junge bockte richtig auf der Straße und kam darüber ins Straucheln, als er sich jetzt zu seinem Vater umdrehte. Nun ergriff der Vierfürst das Wort und erzählte, plötzlich mit etwas besserer Laune als zuvor: „Junge, was du da redest ist nicht ohne einen guten Sinn. Warum soll man nicht schöne Bilder malen dürfen? Das gewaltige Rom ist voller Götzenbilder und sonstiger Bilder, und Rom ist furchtbar mächtig. Ich sah einst in Rom das berühmte Bild das der Feldherr Titus Gracchus malen ließ, von den Sklaven die er in Sizilien freigelassen hatte. Als Soldaten im Dienste Roms hatten sich diese Männer bewährt, im Krieg gegen die Karthager. Deswegen gewährten ihnen die Römer danach immer mehr Freiheiten. Dieses Bild sagte mir damals mehr als tausend Worte aus unseren heiligen Schriften. Denn sind wir nicht auch derzeit faktisch halbe Sklaven der Römer? Müssen wir nicht auch danach streben unsere römischen Herren durch unsere Ergebenheit und unseren Eifer für ihre Sache zu beeindrucken, um unser schweres Los zu verbessern?“ Diese Worte machten Josef nachdenklich. Aber Judas eiferte: „Die Römer können kacken gehen! Denn sind wir nicht die Juden, also Gottes auserwähltes Volk? Ich bin doch jetzt der Messias, und mein Papa ist der Gott selbst und sein Prophet noch dazu! Also können wir die Gebote ganz neu machen, so wie es uns gefällt...“ Der Vierfürst wollte den Jungen barsch unterbrechen. Aber Judas merkte es und redete ihm rasch so zu: „Du hast ja Recht, Herodes Antipas, wenn du Bilder magst und für Bilder bist. Auch mir gefallen Bilder, und deswegen müssen von jetzt an überall Götzenbilder von mir und Papa aufgestellt werden, in allen Tempeln der Welt. Und wenn ich gebiete dass alle Menschen immer diese Götzenbilder anbeten müssen, nur weil es mir so gefällt, dann müssen alle mir eben gehorchen, oder sie sind Sünder und werden ausgerottet! Denn so ist doch der Gott der Juden schon jetzt, und wenn wir das sind dann dürfen wir das auch!“ Judas packte seinen Sicheldolch und begann damit zappelig herum zu fuchteln. Das nervte jedoch den Esel, und jetzt bockte dieser und wollte nicht mehr weiter. Josef stieg rasch erleichtert ab, denn sein Hintern tat ihm arg weh. – „Das sind ja schöne Aussichten! In Jerusalem werden sie von euch Gesindel begeistert sein, besonders das zahlreiche und traditionell besonders fanatische Jerusalemer Gesindel!“ meinte der Vierfürst Herodes Antipas zynisch zu Josef, dem diese radikalen Streitreden seines Sohnes auch missfielen. Während Judas und Josef nun am Halsstrick und am Schwanz des Esels zerrten, um diesen wieder in Gang zu setzen, kam die ganze Karawane ins Stocken, und viele machten bei der Gelegenheit ein Päuschen. Josef aber jammerte trübsinnig: „Wahrlich, ist das nicht das Zeichen welches Bileam auch erhielt? Diese Eselin will nicht dass wir nach Jerusalem reisen!“ – „Er ist nur ein Esel, Papa! Und er hat zu wollen was wir wollen.“ Judas stach den Esel mit seinem Dolch ins Hinterteil. Daraufhin begann das Tier laut zu schreien: „I-ah!“ Josef kam daraufhin zu einem neuen Einfall. Zappelig wie er gerade war teilte er Judas mit: „Der hier ist ein jüdischer Esel, so wie alle Esel ringsum. Er ist eben bockiger als andere Esel. Und genau so wie ihre Esel sind auch die Juden. So urteilt ja auch das Buch Jesaja zu Recht über uns Juden, im 30-ten Kapitel: Es ist ein widerspenstiges Volk...“ – „Esel müssen aber genau so gehorchen wie Juden, das gehört sich so.“ – „Nein warte, Junge, hör erst zu. Genau wie wir Juden sind nämlich auch die jüdischen Esel eselig. Die Esel Israels sind auf unserer Seite, das sagt ja die Bibel. Deswegen redete ja Bileams Eselin für die Juden, als Bileam gegen Israel in den Krieg ziehen wollte. Da sagte die Eselin: Nix da! Was tat ich dir dass du mich dreimal schlugest? Hab ich dich denn auf ähnliche Weise geschlagen? Diese Eselin pochte also auf die Thora und ihre Rechte, und sie war von Natur aus widerspenstig. Und das zeigt doch dass Esel wie wir Juden sind.“ – „Du mit deinen alten Geschichten, Papa! Dann sag doch diesem Esel dass er weitergehen soll. Oder frag ihn was er will.“ – „Was weiß ich was er will, wenn er nicht reden will? Er will einfach nicht weitergehen. Er will jetzt schreien. Also gut sage ich, lass uns mit ihm schreien, wie mit einem widerspenstigen Juden. Lass uns alle gemeinsam das Halleluja schreien!“ Josef begann laut Halleluja zu singen, Judas sang das alte Kinderlied widerstrebend mit: „Hallelu-i-ah, i-ah, i-aah! Mei-oh-mei, der Messias ist da!“ Zusammen mit den Eselsschreien ergab dies ein misstönendes Terzett. Ein Auflauf entstand rasch um diese Szene, ja viele Reisende eilten hohnlachend herbei um sich dies anzusehen. Das Geschrei und Gedränge machte den Esel jedoch noch wilder, jetzt trat er auch noch nach hinten aus. Judas hörte entnervt auf zu singen. Aufgeregt hüpfte der Junge mit seinen Dolch herum und schrie den Esel an: „Du Sünder! Du gehorchst Gott nicht, also werde ich dich ausrotten! Alle Esel werde ich ausrotten! Dann gibt es statt Esel nur noch Maultiere, die sind nicht so bockig.“ Diese Worte quittierte die Menge mit lautem Hohngelächter. – „Junge, ohne Esel gibt es keine Maultiere!“ erklärte ihm sein Vater. – „Doch das geht weil ich das befehle!“ Immer wütender wurde Judas, als er sich vorstellte dass ihre große Chance in Jerusalem zu Ansehen und Geld zu kommen an einem Esel scheitern könnte. Herodes Antipas schaute sich das amüsiert bis betroffen an. Er befahl schließlich knapp: „Gebt den Idioten lieber ein Maultier. Und nehmt dem Bibelbuben das Messer ab, bevor noch was Schlimmes passiert.“ Und so geschah es.

69.

Als es weiterging da war Judas erst recht sauer. „Ich hab doch jetzt hier zu bestimmen, wenn ich ihr heiliger König bin. Sie sagen mir ich wär der neue David, aber dann nehmen sie mir meinen Dolch weg! Es sind Sünder und man muss sie alle töten! Man muss dem Gott doch absolut gehorsam sein, aber die Juden sind von Natur aus widerspenstig. Papa, wir müssen vielleicht alle Juden ausrotten!“ – „Oach!“ stöhnte Josef. Er wollte gegen diesen jugendlichen Unsinn anreden, aber ihm war übel und er konnte gerade nicht nachdenken. – „Da müsstest du dich ja zuerst selbst töten, denn du bist ja auch ein jüdischer Sünder“, witzelte der Vierfürst. – „Nein, bin ich nicht! Ich bin doch jetzt Gott, und Gott kann doch nicht gegen seine eigenen Gebote verstoßen.“ – „Doch! Wenn ein Gott sündigt wird er sogar stärker“, warf Josef ein. – „Nein! Wenn Gott gegen ein Gebot verstößt dann heißt das dass das Gebot von jetzt an nicht mehr gilt.“ – „Das kann nicht sein, Junge, überleg doch mal“, rief da der Vierfürst von der Seite her, den dieses typische Gequatsche über Pillepalle wider Willen zu interessieren begann. Er führte aus: „Die Römer sagen gern: Quod licet Jovi, non licet bovi. Das bedeutet: Was der Vatergott darf, das darf ein Rindvieh noch lange nicht.“ – „Das ist auch richtig“, gab Judas mürrisch zu. – „Wenn der Gottvater also gegen ein Gebot handelt, dann gilt das Gebot doch immer noch für seinen Sohn“, meinte Josef. – „Es kann sogar passieren dass der Sohn für die Sünden seines Vaters bestraft wird. Dies lehren gewisse Pharisäer. Sie nennen dies die Erbsünde, und stützen sich dabei auf das Buch Genesis“, informierte sie der Vierfürst. – „Oder aber, der Mann wird bestraft für die Sünden seiner Frau!“ rief Josef mit plötzlichem Eifer. Er schlug sich leicht auf die kahle Stirn, so betroffen war er von diesen Gedankengängen. „Auch Adam, der erste Mensch, wurde ja für die Sünden seiner Frau Eva bestraft. Diese Frau war schuld daran dass die Sünde in die Welt kam. Und meine Frau Maria war genau so schuld an meinem Unglück! Die Frauen sind unser Unglück!“ Josef wackelte hin und her auf seinem Maultier als ihn Erinnerungen bedrückten: „Ich war einst Zimmermann in Galiläa, ich arbeitete viel und verdiente gut. Doch weil ich wissbegierig war, deswegen zog es mich in die Schul. Bald hörte ich ständig den Pharisäern zu. Ich lernte viele Bücher auswendig, weil ich gehorsam war und mehr verstehen wollte vom Gy'tt. Ich bettelte und betete mit den Schriftgelehrten, und wir teilten Brot und Wein. Ich lernte alle Gebote zu beachten und alle Sünden zu vermeiden...“ – „Und dann, Papa?“ – „Dann kam es dazu dass mir ein Balken auf den Kopf fiel, bei der Arbeit! Ich gab nicht auf, und durch das Studium der heiligen Schriften erkannte ich wer wirklich Schuld war an all meinen Leiden. Ich begriff dass alles nur Marias Schuld gewesen sein musste. Mama hat mich immer kritisiert! Unser Gy'tt hat leider die Frauen erschaffen um Israel zu verderben, das glaube ich jetzt...“ Josef schwieg beklommen, denn das Thema war ihm peinlich. Er blickten sich verblüfft um als ein hagerer Reisender neugierig in seine Nähe trat. „He sag mal, du Esels-Kohen, bist du etwa der Galiläer Josef, der Ehemann der angeblichen Jungfrau Maria?“ fragte der. Als Josef verblüfft und unwillig nickte, da grinste der Fremde und lachte dann laut. Schnell verbreitete sich die Neuigkeit auch unter den anderen Reisenden die denselben Weg hatten, und viele begannen ringsum aufzuhorchen und spöttisch zu lachen. – „Weißt du nicht wo deine Maria ist?“ fragte der Reisende. – „Nein, und es ist mir auch fast egal“, murmelte Josef, nun unbehaglich und dennoch so trotzig wie Judas. – „Die Jungfrau Maria wagte sich doch hinein nach Bethlehem, um den Stadthauptmann Hanes vor dem Magistrat zu verklagen. Sie glaubt schwanger zu sein, und jetzt will sie von ihm Geld für das Kind das sie vielleicht kriegt. Aber weil Bettlern der Zutritt in diese heilige Stadt derzeit verboten ist; und weil es jetzt von dir, Josef, heißt, du seist ein Rebellenführer und Brandstifter geworden; da kam die geile Maria zur Strafe ins dortige Zuchthaus. Und weil es hieß Maria sei eine Schlampe und schon schwanger, da wurde sie dort zur Hure. Jetzt ist Maria die beliebteste Hure von Bethlehem geworden! Viele wollten doch die geilste Jungfrau Israels vögeln, von der es heißt sie sei nachts durch einen ehebrecherischen Engel zu einem Sohn gekommen. Solche Skandalgeschichten findet man ja sonst nur an den ältesten Stellen der Thora...“ – „Oha. Wei! Oi!“ jammerte Josef laut. Der weinschwere Kopf sackte ihm nach unten, und Tränen des Selbstmitleids rannen ihm über die Wangen. „Herr, also ich selbst, wieso strafe ich mich denn so, durch dieses sündige Weib welches meinen Ruf in der ganzen Welt ruiniert?“ Zu den Reisenden ringsum predigte Josef spontan: „So weit kommt es wenn man mit der Lügerei einfach mal anfängt. Lügenhafte Kinder, so nannte uns ja unser klügster Prophet Jesaja, und das war nicht gelogen! Wir Juden sind eben widerspenstig, verlogen, dümmlich, habgierig und oft hässlich. Wir sind häufig nur von minderer Größe, und vor allem unsere Frauen sind häufig alles andere als geil; viele sind das Gegenteil davon. Darum ist unser Gy'tt zu Recht viel strenger mit uns als es die Engel der Heiden sind, mit ihren Völkern. Wahrlich, uns lehrt die Thora doch schon im ältesten Buch Genesis, also gleich zu Anfang: Bist du aber nicht gut, so lauert die Sünde vor der Tür, und ihre Begierde ist auf dich gerichtet...“ Viele nickten bei diesen Worten. Der Vierfürst Herodes Antipas aber meinte hart:„Josef aus Galiläa, denk lieber mal zuerst an deine eigenen Begierden. Denk an deine lasterhaften Ausschweifungen. Wegen deiner großen Sünden wurde deine arme Frau mit Unglück geschlagen.“ – „Ach, meinst du wirklich?“ erwiderte Josef fast erschrocken. Judas aber meinte unbeeindruckt, mit frecher Stimme: „Das ist völlig unmöglich! Wir beiden Propheten und Eiferer sind nämlich jetzt die Gesalbten Israels! Wir alle sind eine heilige Familie! Deswegen können wir gar keine Sünder sein, sondern alles was wir tun ist von jetzt ab euer neues Gesetz. Und wenn ihr uns nicht gehorcht, dann wird die neue Sintflut kommen und euch alle ersäufen! Und, was noch viel wichtiger ist, ist dass danach die Einfältigen wie Vögel in den Himmel fliegen!“ Dazu lachten die Reisenden immer lauter, aber viele blickten doch zornig auf das schreckliche Kind. Josef fühlte sich immer besorgter wegen Maria. „Ich brauche jetzt Wein“, krächzte er. „Sohn, besorg mir Wein!“ – „Nein! Bleib mal lieber trocken, du Penner, denn unser Weg ist noch weit“, meinte der Vierfürst jedoch nur. – „Er hat Recht, Papa“, murmelte Judas. „Auch was deine Schwulitäten betrifft hat er Recht.“ Und darüber ärgerte sich Josef noch viel mehr, und er nahm sich vor mit Judas später noch einige ernste Worte zu reden, wenn er erst mal wieder nüchtern war und von diesem schwankenden Maulesel herunter gekommen war... Judas aber war mit den Gedanken schon wieder ganz woanders, nämlich bei der Prinzessin Herodias. Diese reiste in einer mit Vorhängen verhüllten Sänfte, die von zwei Mauleseln getragen wurde. Judas hörte wie die Kleine aus ihrer Sänfte heraus mit einer Sklavin schimpfte, im arroganten Ton der Oberschicht. Er stellte fest dass er dauernd an sie denken musste, und verstand gar nicht wieso. Als Judas jetzt jedoch nur von fern ihre Stimme hörte, da versteifte sich sein Penis. Und gerade jetzt stieg sie kurz hinaus, um sich die Beine zu vertreten. Sie trug unter ihrer Adderet, die mit Reiherfedern besetzt war, ein bequemes kurzes Reisekostüm das ihre Schenkel frei ließ. Ihre Filzstiefel waren mit dunklem Pelz verbrämt, die blonde Haarmähne hatte sie ganz hinten mit einem Band befestigt. Gleich schauten alle Männer ringsum sie an! Herodias schaute sofort zu Judas hin. Konnte es sein dass die Begierde dieser jungen Frau auf ihn gerichtet war? Judas dachte kurz daran seinen Vater danach zu fragen. Aber dann dachte er dass der sowieso von nichts eine Ahnung hatte.

70.

Herodes Antipas umrundete die heilige Stadt Jerusalem in einem großen Bogen, und passierte dann das westlichste Joppe-Tor. Er hatte vorgehabt von dort aus gleich in die herodianische Festung an der Stadtmauer zu reiten und dort erst mal einzuziehen. Doch aus diesem Plan wurde nichts. Das Tor der Festung wurde von römischen Legionären bewacht, und die ließen ihn einfach nicht hinein; und das obwohl der Vierfürst sich extra vorher eine original römische Toga angezogen hatte, mit Purpurstreifen daran wie sie die römischen Edelleute trugen. Es gab lange Diskussionen, die Josef und Judas nicht mitverfolgen konnten, denn beide sprachen kein Latein. Josef gähnte erschöpft und sah sich unwohl um. Judas sog erregt die Stimmung in Jerusalem in sich ein. Die reiche Oberstadt war am Abend voller zorniger Menschen, er sah Ärger und Bitterkeit auf vielen Gesichtern. Der Vierfürst Herodes Antipas war auch zornig, als er schließlich aufgeben musste. Unwirsch wendete er sein kleines Steppenpferd und teilte dann seinem Quartiermeister mit: „Der Römer hier hat klare Befehle von Quirinus, und der befindet sich in Syrien und kann sie nicht für mich ändern. Aber das macht nicht so viel aus. Dann ziehen wir eben doch in den alten Stadtpalast. Ich möchte heute noch im Tempel opfern, damit gleich alle sehen wie fromm ich doch jetzt bin.“ – „Aber Herr, die Stunde ist schon vorgerückt“, meinte dieser beunruhigt, „und die Altstadt gilt als gefährlich.“ – „Sind wir denn nicht jetzt die Gefolgsleute des neuen Messias? Josefs erhebende Gestalt sollte alle Aufrührer davon überzeugen dass wir Herodianer auf ihrer Seite stehen.“ Da lachten die Wächter und Diener des Fürsten, und gleich hatten sie alle etwas weniger Angst vor Räubern oder Rebellen... Auf dem Weg die breite Joppe-Straße entlang kam der Vierfürst dann nur langsam voran. Genau vor ihnen befand sich ein bewaffneter Treck von römischen Legionären, Stadtwächtern, Volkszählern und Zöllnern, die gemächlich von Haus zu Haus gingen und die römischen Steuern gleich einkassierten. Die verhasste Steuererhebung, welche der römische Quästor Quirinus von Syrien aus derzeit in der ganzen Region durchführte, die begann ausgerechnet hier im heiligen Jerusalem! Josef war zu müde und zu betrunken um sich jetzt mit all den anderen Juden einträchtig darüber zu ärgern. Er hatte sich unterwegs doch noch etwas Mut angetrunken, in der heimlichen Hoffnung dass ihm auf diese Weise auch die göttliche Inspiration zukommen würde die ein Prophet einfach brauchte. Nun brauchte er die Hilfe seines Sohnes um von seinem Maultier herunter zu steigen. Er wankte in eine Straßenecke und sank dort in die Hocke, um sich zu entleeren. – „Lang lebe der König Copronius!“ schrien von hinten einige Gassenjungen, die nun Herodes Antipas erspäht hatten, den Prätendenten und Fürsten etlicher jüdischer Gebiete. – „Nenn unseren Landpfleger Coponius besser nicht Copronius!“ sagte plötzlich die kecke Herodias sanft zu dem wartenden Judas. Sie war wieder ausgestiegen aus ihrer Sänfte um sich die Füße zu vertreten, und ignorierte das aufgeregte Gerede ihrer Anstandsdamen. Jetzt trug sie einen bodenlangen grauen Mantel unter ihrer mit Federn besetzten grauen Adderet; das war sicherlich der richtige Aufzug für diese heilige Stadt, die als besonders frauenfeindlich galt. Auf seine mürrischen bis fragenden Blicke fügte die Prinzessin hinzu: „Das Wort 'kopros' bedeutet auf griechisch: Kot.“ Daraufhin musste Judas widerwillig lachen. „Frauen sollten still sein über das was sie wissen“, meinte er dann, nach der Tradition seiner Familie. Sofort bewölkte sich die breite, vom dicken Blondhaar umrahmte Stirn der Herodias, denn solche frechen Töne von einem Elenden zu hören, das passte ihr nicht. „Ich weiß noch viel mehr, ich weiß was dich bestimmt interessiert.“ – „Und was denn?“ – „Du weißt ja nicht was die Römer machen mit den Wagenladungen von Geld und Gütern, die sie ständig aus allen ihren Provinzen hinaus karren.“ – „Doch. Sie bauen Tempel für ihre heidnischen Gräuel“, erwiderte Judas kühl, der vor der reizvollen und spürbar verständigen Prinzessin nicht als Dummkopf dastehen wollte. – „Nicht nur das. Sie werfen Geld leichtfertig raus, mit vollen Händen; für Hetären, Huren und Knaben; für Musikanten, Tänzer und Akrobaten; und sogar für Zauberer und Sterndeuter“, erklärte ihm Herodias mit spitzer Diktion. Sie erzählte Judas alten Klatsch über den einstigen römischen Kaiser Markus Antonius, der Jahre lang unbestrittener Alleinherrscher im Osten gewesen war, und dazu noch ein schwerreicher Lebemann. „Antonius zog herum mit allerlei Gauklern, zum Beispiel mit dem Flötisten Xuthos und dem Tänzer Metrodoros. Diese waren auch so verdorben und schamlos das sie das schlimmste Gesindel aus Italien noch weit übertrafen. Antonius aber erfüllte seinen Gefährten, Spielleuten und Betthäschen alle Wünsche. Er überhäufte sie nämlich mit dem Geld das er in den eroberten Provinzen im Osten abkassiert hatte. In Ephesus zum Beispiel hat Antonius ganze Patrizierfamilien, also Adlige wie uns, an einem Tag enteignet und von ihren Ländereien vertrieben! Und in diese Villen zogen dann nur seine schwulen Musikanten ein, und alles gehörte dann diesem Gesindel.“ – „Die Römer sind Scheusale!“ erklärte Judas. Plötzlich war der junge Eiferer, fast wider Willen, doch innerlich auf der Seite der gebildeten jüdischen Prinzessin. Und er gelobte ihr mit flammendem Eifer: „Wenn ich hier als heiliger König anerkannt werde, so wie es den Engeln gefällt, dann werden wir so was Gemeines nicht dulden von den Römern! Dann wird ganz Israel rebellieren und gegen das Räubernest in Italien einen Krieg führen wie die Römer ihn noch nicht erlebt haben.“ In Judas loderte nun der radikale Eifer auf der auch seinen Vater Josef oft entflammt hatte. Herodias schwieg erschrocken und blickte sich voller Sorge um. Doch dann lachte die hübsche Prinzessin perlig, und flüsterte konspirativ: „Mein Onkel der Vierfürst ist nicht dafür dass wir so einen Aufstand wagen“, warnte sie ihn, „ich aber vielleicht schon. Weißt du was ich denke?“ – „Nein, was?“ fragte Judas fasziniert. Da erzählte ihm Herodias, während ihr das heiße orientalische Blut die Wangen rötete, davon wie Antonius einst im Osten als lebendiger Gott begrüßt worden war: „Es wurde nämlich damals von Antonius geglaubt dass er der zu Fleisch gewordene Gott Dionysos sei, der als Sohn einer Jungfrau gilt, nämlich der Semele. Und weil die Griechen in Ephesus echt dachten dass der Römer ihr Gott des Weines sei, deswegen haben sie ihm alle seine Wünsche erfüllt. Aber eigentlich steckte dahinter die Kleopatra! Diese Pharaonin nämlich war die Geliebte des Antonius! Nachts verkleideten sich die beiden als Sklavenpaar, dann zogen sie los und hatten Spaß! Als sie später in Alexandria residierten, da stellte Antonius goldene Throne auf für sich und seine Geliebte. Und er schenkte der Kleopatra viele Länder. Die Pharaonin aber erschien damals als die Göttin Isis!“ Herodias senkte ihre Stimme zu einem ehrfurchtsvollen Flüstern, als sie weitersprach: „Kleopatra trug nämlich damals ein spezielles Zauberkleid, das war die Tracht der Isis. Daran erkannten all die Ägypter dass sie diese Isis geworden war.“ Die junge Prinzessin schaute nun den Judas unverwandt an, und sie spürte dass ihre Worte eine Wirkung nicht verfehlten auf den unreifen simplen Knaben. Also wage sie gleich noch etwas mehr. Vorsichtig und verstohlen öffnete Herodias ihren Mantel ein Stück weit. Darunter trug sie wieder dieses schillernde Kleid. Im Abendlicht schimmerte der gelbe Stoff rötlich. „Das ist auch ein verzaubertes Kleid. Es ist aus Raupen gemacht und stammt aus dem sehr fernen Seidenland Sera. Die griechischen Händler nennen diesen Stoff bombyx. Willst du mal anfassen?“ – „Ja!“ hauchte Judas ergriffen. Aber als er die Hand vorstreckte, da kicherte Herodias nur. Schnell verbarg sie ihr seidenes Kleid wieder unter ihrer grauen Kutte. Dann reckte sie das Kinn in die Höhe und wandte sich rasch von ihm ab. – „Die Heiden die die Thora nicht einhalten sind verflucht, und merken es nicht!“ schimpfte vor ihnen ein neuer römischer Steuerbürger, als Kisten und Säcke aus seinem Haus geschleppt wurden. Daraufhin wurden die Römer gleich noch zornig, und der reiche Jude erhielt Schläge. Er zeterte und zappelte wie ein Gefolterter während man seinen Arm packte, ihm auf die Hand spuckte und ihm noch brutal einen Fingerring abzog. Das erregte nun auch die Aufmerksamkeit von Judas und Josef. Josef hatte sich mühsam wieder aufgerafft. Judas erwartete von seinem Vater etwas dazu zu hören, aber Josef war mit sich selbst beschäftigt. Er murmelte zu seinem Sohn mit schwerer Zunge: „Achte du mal darauf dass ich jetzt keinen Wein mehr trinke. Ich muss im Tempel nüchtern erscheinen. Verdammt ich bin doch ein Jud und kein Weinsäufer! Wir sind doch Gott der Vater und der Messias, und das müssen die arroganten Priester gleich merken!“ Judas schwieg verlegen dazu. Aber dann versuchte er den arroganten Ton von Herodias zu treffen, und sagte laut: „Papa du hast recht. Wenn die hohen Herren auf dem Tempelberg uns als zwei Götter annehmen, als Herr und Heiland, dann können wir ihnen auch alles Eigentum als Steuer abnehmen.“ – „Die Thora erlaubt dem Gott alles, mein Sohn!“ Josef hielt sich nun fast fest an seiner Schriftrolle. – „Ihr Herren, habt Mitleid!“ rief eine Bettlerin von der Seite her. – „Gib alles was du hast deinen Göttern!“ rief Josef nur, und Judas nickte dazu.

71.

„Die Thora will nun mal das Gottkönigtum.“ Dies erklärte Herodes Antipas dem Josef, während sie gemeinsam den ummauerten Tempelhof von Jerusalem betraten. „Diese alte Idee steckt hier noch in allen alten Köpfen drin. Der Messias ist es auf den ein Volk vertraut dem die Römer zuwider sind. Ich sage es dir im Vertrauen, ich gehöre mit dazu. Die Frage die sich dir jetzt stellt, Josef, die lautet, ob du mit deinem Sohn das Vertrauen rechtfertigen kannst das Israel in diesen Erlöser setzt.“ Josef nickte fahrig und hörte doch kaum zu. Der Fürst redete gern so gebildet und kompliziert dass Josef schnell den Faden verlor und an etwas anderes dachte. Gerade konzentrierte sich Josef darauf wo er hintrat. Hier lagen überall nasses Stroh und Unflat auf dem Boden, denn der Vorplatz der Heiden war dicht gefüllt mit schönen Opfertieren und deren Händlern. Am Abend begann ein Fastentag, einer von vielen, die jedes Jahr auf einen anderen Wochentag fielen. Deswegen waren viele Pilger darum bemüht noch auf die Schnelle einen Ochsen oder ein Lämmchen geschlachtet zu bekommen, am Brandopferaltar ihres blutrünstigen Gottes Jahwe. Ein Kohen, ein jüdischer Barde, ein schöner und großer Mann, ließ gerade seine dunkle Stimme über den Platz schallen. Er sang ein religiöses Lied das den Erlöser lobte, den König der Könige der Welt. – „Hörst du Papa? Das Volk will auch den Gottkönig! Deswegen verehren die Unbeschnittenen überall im Osten ja den Kaiser Augustus als Gott, in ihren Tempeln. Die Römer wissen einfach nicht Bescheid, sonst würden sie natürlich unseren Messias als ihren wahren Gott anbeten! Wir müssen all den Leuten nur klar machen dass ihr Erlöser gerade jetzt lebt!“ Dies erklärte Judas völlig aufgeregt, der seinen müden Vater am Arm durch die wuselnde lärmende Menge führte. Dieser erwiderte: „Ich weiß dass mein Erlöser lebt! Weißt du wer das einst gemeint hat? Der Prophet Hiob, aber der ist schon lange tot, und er meinte vermutlich auch den König Kyros...“ Josef hatte seinen Sohn unterwegs ermahnt sich nicht selbst so aufdringlich als heimlicher König ins Gespräch zu bringen, so lange sie beide mit diesem Anspruch hier in Jerusalem noch nicht anerkannt waren. Denn Jerusalem war ein Ort der vielen verbohrten Fanatiker, und die glaubten alle trotzig an ihre eigenen Lehren. Er sah nun hinüber zu den Tischen der Geldwechsler und Zöllner, die für die Opfertiere das Geld kassierten. Den Essénern, Eiferern, Nasoräern, Täufern und Sadokitern war dies ein Ärgernis und galt als Entweihung des Tempels. Es gab verschiedene Auffassungen darüber ob denn die Thora diese Praktiken rechtfertigte oder nicht. Die Radikalen waren aber der Auffassung dass hier alles geteilt werden müsse und nichts verkauft werden dürfe. Josef war als Bettler immer auch ein Radikaler gewesen, und wenn er sich in einer Angelegenheit nicht auskannte, was bei ihm fast immer der Fall war, dann übernahm er gern gleich radikal die Meinung welche eben die Radikalen vertraten. Oft hatte er ja hier gestanden und hungrig zugeschaut wie oben geopfert und geschmaust wurde. Er schimpfte nun: „Schau doch, Sohn! Aus meinem Tempel haben sie einen Viehmarkt gemacht, wo nur der willkommen ist der Geld hat. Das muss hier alles geändert werden. Ich sollte diese Kerle hinaus schmeißen!“ – „Warum denn, Papa?“ fragte da Judas. „Wir sind doch jetzt selbst Gott, und wir sollten die Zöllner nicht verfluchen wenn sie für uns die Tempelsteuer kassieren. Mit diesem Geld können wir viel bewirken. Wenn wir jetzt einen Krieg anfangen wollen, dann brauchen wir verflucht viel Geld.“ – „Ja genau!“ murmelte Josef erstaunt. Froh rief er den Zöllnern daraufhin zu: „Weiter so! Nur wer sein Opfer bezahlt für den gilt es vor Gott!“ Es kamen ihm aber Skrupel als er jetzt all die Bettler wiedersah die er noch von früher her kannte. – „Josef, du alter Schwätzer! Au er hat ne große Beule oben! Na, haste wieder eins auf deinen Dickschädel bekommen? He, du siehst aus als ob du reiche Freunde hättest! Schaut mal wie der schwankt, der ist schon wieder knülle.“ Ein paar Bettler und Nasoräer wollten sich ihm kollegial nähern. Doch die Wächter des Vierfürsten Herodes hielten das zerlumpte Gesindel so auf Abstand: „Haut ab ihr Schnorrer, mit euren Schnurren!“ – „Hier ist es aber sehr voll heute!“ sagte Herodias unterdessen zu Judas. „Ich weiß nicht ob das nötig war dass wir hier rein sind.“ In der Menge der Männer war sie viel zu klein, und jetzt wo die Stimmung so gegen die Herodianer war in der Stadt, da hatte sie sichtlich Angst bekommen. Judas sah dass Herodias hohe Absätze hatte an ihren dicken Filzstiefeln, und er fragte sich ob sie denn noch wachsen würde. – „Wir müssen unbedingt noch was opfern, das dürfte nicht nur die Priester günstig stimmen“, meinte der Vierfürst trocken. Sie waren gerade an der inneren Schranke angekommen welche die Heiden und Habenichtse nicht passieren durften. Ein Diener hatte schon ein schneeweißes Opferlamm besorgt. Weißer ist besser, so hieß es hier bei den Priestern. Der Vierfürst gab nun Anweisung das Lämmchen rasch schlachten zu lassen. Auch Herodes Antipas hatte unterwegs schon reichlich Wein genossen und stand nicht mehr sicher auf den Füßen. Doch er wurde von den Tempeldienern gleich erkannt, und als jüdischer Fürst von hohem Rang von Sadduzäern mit gehörigem Respekt willkommen geheißen. Priester und Leviten führten den Fürsten mit seinem Gefolge vorbei an den inneren Höfen. Im beliebtesten Hof saßen da die Nasoräer. Manche kräuselten sich ihre wallenden Haare, andere vertrieben sich die Langeweile indem sie sich salbten oder kratzten. Manche taten Buße, indem sie sich mit Ruten geißelten oder auf einem Bein standen, oder beim Beten heftig mit dem zotteligen Kopf wackelten. Zum Hof der Frauen wurde nun die Prinzessin Herodias weg geführt von ihren Begleiterinnen, dorthin wo die schönsten und saubersten Zelte standen. Eine lange Zeltreihe beherbergte die Jugendlichen; die im Tempel in der Thora unterrichtet, als Männer neu eingekleidet und den arroganten Tempelherren dargestellt wurden. Ein düsterer Hof war für die Aussätzigen und Schwerkranken reserviert, um den machten die normalen Pilger einen Bogen. – „Schau dorthin, du kleines Großmaul!“ befahl Herodes Antipas jetzt dem Judas. „Da wartet Arbeit auf dich. Diese Aussätzigen hoffen alle darauf dass der Gott ihnen ihre Sünden vergibt und sie durch ein Wunder heilt.“ Judas jedoch rümpfte nur die Nase und zog seinen Vater eilig weiter. Auch Josef mochte ungern an die Aussätzigen erinnert werden. Er sog gierig den fetten Bratenduft ein der ihm hier in die Nase stieg, und schaute wohlgefällig auf die Pilger die hier zusammen saßen und frisch gebratene Fleischstücke verzehrten. Diese stammten alle von dem großen Opferaltar auf dem inneren Vorplatz. Dort fand gerade ein blutiges Gemetzel statt wie man es selbst hier nicht so oft zu sehen bekam. Ein schreiendes und bockendes Opfertier nach dem anderen wurde im Eiltempo über eine steile Rampe hoch zum Opferaltar gezerrt und dort geschlachtet. Das Blut floss heute in Strömen. Rings um den völlig blutverkrusteten Opferaltar aus ehemals weiß verputzten Ziegeln, auf dem das fressende Feuer loderte und das Fett schäumte, lagen oder hingen die blutigen Reste der Opfertiere. Die rötliche Abendsonne schien den vollen Vorplatz vor dem Judentempel in ein einziges Meer aus Blut zu verwandeln. Josef musste einen Hustenreiz unterdrücken, und er murmelte bittend zum Fürsten Herodes Antipas: „Ich brauch doch noch einen Schluck Wein heute!“ – „Aber gerne doch, Väterchen! Süßen Wein darfst du saufen, so viel du rein kriegst in deinen alten Brummschädel“, meinte der Fürst süffisant. – „Papa aber du wolltest doch...“ begann Judas mahnend, aber Josef wollte jetzt von seinem Sohn nichts hören. Und wie immer wenn er nichts hören wollte begann er statt dessen zu predigen, das was ihm gerade so einfiel. Er hob die Hände in den von Rauch verdunkelten Abendhimmel und betete Worte aus dem Psalm 104, es war sein beliebtester Psalm: „Lobe Adonai, meine Seele... Mein Gott der sich in Licht kleidet wie in ein Gewand... Du hast die Erde auf festem Grund errichtet... Du lässt Quellen entspringen, sie tränken die Tiere. Du lässt Pflanzen wachsen, damit der Wein des Menschen Herz erfreue... Ja, der Wein!“

72.

„Du willst der Messias sein? Du bist voll süßem Wein, nicht wahr?“ So zürnte nun ein älterer Rabbi in der Halle der Schriftgelehrten. – „Ja ja!“ lallte Josef, und beantwortete so auf die Schnelle beide Fragen. – „Der süße Wein der haut besonders rein“, dichtete Herodes Antipas dazu, der auch schon sichtlich angeheitert war. Doch die Schriftgelehrten, ernst blickende ältere Männer mit gepflegten grauen Haaren und Händen, angetan in grauen bis weiß-blauen Leinengewändern und Wollmänteln, hatten keinen Sinn für die Komik der Situation. Das letzte Abendlicht war schlecht dazu geeignet die alten brüchigen Schriftrollen noch einmal zu studieren, und so war jetzt die Zeit gekommen für gelehrte Debatten und Spitzfindigkeiten. Die meisten älteren Herren wandten sich sogleich pikiert ab von Josef und dem Fürsten. Sie setzten ihre üblichen Debatten fort; über alte Überlieferungen und moderne Deutungen, über Lehren, Probleme und Gedankenspiele, hier Pilpulistik genannt. Nur ein Radikaler mit haarigen Beinen forderte den volltrunkenen Josef mit Handbewegungen heraus: „Bist du der Gy'tt selbst, dann tu ein Wunder, damit wir dir glauben!“ – „Lass es krachen oben am Himmel! Lass es endlich richtig regnen über Judäa und Samaria“, verlangte ein anderer Pharisäer, der knorrig und besorgt wirkte wie ein Bauer. – „Hmm ja!“ grummelte Josef während er hin und her schwankte und überlegte. Er wäre ja jetzt hingefallen wenn Judas ihn nicht gestützt hätte. Er sah die vielen Schriftrollen die hier in Wandregalen verstaut waren. Spontan fiel ihm die eine Schriftrolle ein die er selbst besaß. Und war so ein Schriftstück nicht der Schlüssel zum Erfolg im Tempel? Er war doch der Gott, und der Gott konnte Wünsche erfüllen, und es regnen lassen über Israel. Er hatte das alles schon gründlich durchdacht, in Erinnerung an die Schreckensnacht vor der Stadtmauer von Bethlehem. Man musste die Schleusen des Himmels öffnen! Und dafür gab es ein Zauberwort. Das befand sich in dem geheimen Schwarzbuch des Henoch. Und genau das hatte er jetzt in der Hand! Josef scheiterte jedoch bei dem Versuch die Bänder der Schriftrolle aufzuknüpfen, selbst mit den Zähnen gelang es ihm nicht. „Zauwawot! Zau-ba-wort!“ brabbelte er zu seinem Sohn, und drückte ihm dann diese Thora in die Hände. Judas begriff sofort was sein Vater von ihm wollte. Nur leider konnte er ja auch kein Wort lesen! Doch das war hier kein Problem, in der Halle wo sich die besten Schriftkenner von ganz Judäa versammelt hatten. Zitternd aber dennoch mutig posierte er vor den skeptischen Schriftgelehrten, er wedelte vor ihnen die Schriftrolle des Chodosis hin und her. Dazu erklärte er ihnen, immer wieder mit Seitenblicken hin zu seinem Vater, der halb auf ihm drauf hing: „Dies ist das geheime Schwarzbuch des Zauberers Henoch aus Ägypten. Darin steht alles drin was hier keiner weiß, weil es nämlich uralt ist. Und je älter ein Buch ist desto besser ist es ja. Ein altes Buch das ist so mächtig wie das Blitzschwert des Engels am Tor des Paradieses!“ – „Das stimmt. In der Tat“, bestätigten das Raubein und sein knorriger Freund erwartungsvoll. Mehr und mehr ältere Herren hörten jetzt auch hin, wider Willen neugierig geworden. – „Wahrlich ich sage euch...“ tönte jetzt Judas mit erhobener Stimme, wobei er genau den üblichen predigenden Singsang seines Vaters imitierte, „...der Ehrfürst Henoch wusste genau Bescheid darüber wie man Regen macht. Er kannte das Zauberwort, und das steht hier drin. Also bitte, lest es selbst!“ – „Na das ist ja einfach!“ meinte Herodes Antipas, in spöttischem Tonfall. Die Pharisäer jedoch blieben bitter ernst, manche wirkten gekränkt bis zornig. – „Die Bücher des Erzvaters Henoch sind längst verschollen, und manche alten Gerüchte behaupten: aus gutem Grund! Wer sie las der musste weinen über die Sintflut, so wie einst Henoch weinte, Tag und Nacht. Aber wenn du meinst dass du Regen zu machen verstehst, Knabe, mit einem Zauberwort des Henoch, dann sprich es aus!“ Dies befahl nun ein Pharisäer der kleiner war als alle anderen und dennoch eine Aura der Autorität besaß. – „Das Wort steht halt hier drin.“ Judas begann zu zittern und nestelte an den Bändern der Schriftrolle, und schaffte es nicht sie zu öffnen. Da winkte der kleine Pharisäer, und man brachte ihm diese Thora, mit einer Verbeugung: „Ehrwürdiger Großrabbiner Ananus...“ Der Großrabbiner Ananus war sogar kleiner als der Knabe Judas, das zeigte sich jetzt als er ihm direkt gegenüber trat. Ananus winkte einem Diener mit einer Menora, der eilig herbeikam mit seinem siebenarmigen Leuchter um zu leuchten. Es war extrem schwierig die Schriftrolle zu entrollen, denn Josef hatte die Bänder mit den Zähnen festgezurrt und dann noch eingespeichelt. Aber als das Dokument endlich offen vorlag, da beugten sich all die alten Schriftgelehrten im Dutzend über das kryptische Gekritzel und Gekrakel, welches das lange Papier von oben bis unten bedeckte. Einer meinte: „Wenn das hier das Buch Henoch ist, dann hat es einer in eine Geheimsprache übersetzt.“ – Ein anderer meinte: „Das sieht eher aus wie die Notizen und Schmierereien eines Meschuggenen. Das kann keiner entziffern.“ – „Doch“, meinte das Raubein, „hier steht immer wieder der Name Esther, in verschiedenen Schreibweisen und Sprachen, sogar auf Samaritanisch; und schlimmer noch, in Latein.“ – „In Latein!“ wiederholten die Schriftgelehrten entsetzt im Chor. – „Und das soll ein echtes Buch Henochs sein? Das kann ja wohl kaum stimmen!“ erregte sich Ananus. – „Papa, sag du jetzt noch mal was“, bat Judas nun drängend, denn mit seinem Latein und mit allen anderen Sprachen war er am Ende. Sein Vater konnte aber gerade jetzt nicht gut nachdenken und reden. Er brabbelte: „Zauwawot!“ – „Zauwawot! Zauwawot!“ wiederholte Judas langsam. Dabei erhellte sich sein wie üblich mürrisch verkniffenes Gesicht. „Zauwawot, echt Leute, das ist das genaue Zauberwort! So öffnen sich die Schleusen des Himmels! Dann kommt die neue Sintflut, so wie bei der Arche. Blam! Woosch!“ Bei diesen entschlossenen Worten des jungen Zauberers verstummten die Pharisäer. – „Nu, dann sag das Zauberwort, damit es regnet“, schlug dann der knorrige Alte vor, dem man ansah dass er sich wohl um sein Land sorgte. – „Nein, warte!“ widersprach das Raubein. „Der Knabe beschwört gerade eine neue Sintflut! Die soll er doch bitte nicht auf uns hinab rufen.“ Andere mischten sich sogleich in die Pilpulistik ein, sie argumentierten: „Eine neue Sintflut betrifft doch nur Städte an der Küste, und nicht uns hier im heiligen Salem.“ – „Durchaus nicht. Bei einer Sintflut wie zu Zeiten von Noah ist überall Land unter!“ – „Keineswegs, denn auch zu Zeiten von Noah lag zum Beispiel der Berg Ararat oberhalb des Wasserspiegels!“ – „Das schreibt aber nur Nikolaus aus Damaskus, der alte Lügner und Schönredner...“ – „Kann dieser Zauberer nicht die Sintflut wieder abbestellen wenn es genug geregnet hat?“ – „Hört auf! Ruhe!“ rief Ananus autoritär, und sogleich verebbte das Gemurmel. „Knabe, hör mir zu. Dieses fragliche Zauberwort hast du doch bereits gesprochen, oder irre ich mich da?“ – „Nein, ich sprach es bereits sogar dreimal! Aber vielleicht müssen es alle heiligen Priester sagen damit es hinhaut“, mutmaßte Judas. – „Hört hört, euer Möchtegern-Heiland hat ein neues Gebot für euch! Ihr sollt alle mal sein Zauberwort sprechen, und dann ersaufen! Und keine Widerrede, denn wenn Gy'tt euch eine Sintflut zaubert, dann habt ihr das noch zu rechtfertigen“, rief Herodes Antipas heiter. Er sprach vor: „Zau-wa-woth, Zauwawot! Und jetzt alle!“ – „Zauwawot, Zauwawot!“ riefen die Schriftgelehrten, mehr oder weniger im Chor, zweifelnd aber gehorsam, so wie Gott es von den gesetzestreuen Juden eben gewohnt war. – „Der Chor hat seinen Auftritt getan. Ist jetzt Ende mit deiner Schmieren-Komödie, Josef; oder geht jetzt draußen dein Feuerwerk los, mit Jahwes Donnerkeilen vom Himmel herab?“ Herodes Antipas tänzelte die paar Schritte bis zur Tür an der Halle der Schriftgelehrten. Er schaute hinaus in den Himmel, wo immer noch die schwarze Wolke des Opferfeuers hing. „Da tut sich gar nichts!“ stellte er scheinbar enttäuscht fest. – „Also sind sie bloß zwei Betrüger.“ Der Pharisäer mit den haarigen Beinen rollte enttäuscht die Schriftrolle zusammen und reichte sie Judas zurück. Josef stöhnte laut. – „Vielleicht ist 'Esther' das Zauberwort!“ raunte ihm Judas zu. – „Mäh Weihn!“ lallte Josef, der nun meinte dass er nur im völligen Vollrausch ein besserer Prophet sein könne. – „Wein!“ wiederholte Judas, der nun dachte dass das vielleicht das Zauberwort sei. – „Zu spät!“ erklärte der Vierfürst. Denn draußen wurden schon die Trompeten geblasen. Der neue Tag begann, und es war ein Fastentag. – „Und jetzt raus mit diesem stinkenden Bettelpack!“ befahl nun Ananus energisch.

73.

„Was ist das hier für eine göttliche Komödie?“ schnarrte da plötzlich eine herrische Stimme aus der Tiefe der Halle. Der Hohepriester Joazar eilte nun persönlich von hinten her in den düsteren Raum, begleitet von zahlreichen Sadduzäern und einem Gefolge von Leviten und Tempeldienern. Diese Tempelherren unterschieden sich von den Schriftgelehrten nicht nur durch ihr mehr babylonisches bis orientalisches Aussehen. Die Sadduzäer waren auch abgearbeitet von dem langen und besonders harten Tagesdienst. Manch einer der Opferpriester wirkte verschmutzt und müde, auch Joazar selbst trug Blutspritzer an seinem etwas unscheinbaren Arbeitsgewand. Unwirsch und fahrig stellte sich der hagere semitische Joazar dem dickköpfigen kleinen Großrabbiner Ananus entgegen, den er um um zwei Köpfe überragte. Er schnarrte: „Was ist euch Aufrührern und Schönlingen denn wieder in die Köpfe gestiegen, während ihr den langen Tag mit euren fruchtlosen Debatten vertan habt?“ – „Frag das den Vierfürsten dort. Er hat uns den Bettler Josef beschert, der von sich behauptet er wäre der neue Samuel, wenn nicht sogar der einzig wahre Gy'tt, mit seinem Sohn Judas als Gesalbtem!“ – „Eine lästerliche Abirrung von unserer Thora ist das!“ erwiderte Joazar. „Das hatten wir doch hier genau so schon zur Zeit des Nabatäers Simon! Der stellte sich auch dar als Messias, und viele hier glaubten er wäre immerhin was Besonderes. Aber am Ende lagen hier 3.000 Pharisäer und Priester, tot im eigenen Opferblut!“ Milde und doch herrisch sprach nun der große Hohepriester, und alle die Pharisäer duckten sich etwas. Aber als Joazar sich nun dem benommenen Fürsten Herodes Antipas zuwenden musste, da merkte man sogleich wie der Hohepriester selbst in einen anerzogenen Reflex des Gehorsams fiel. Fast bitterlich und mit gesenkter Stimme murmelte Joazar zu dem Vierfürsten: „So ein Scherz ist gerade das was wir hier nicht brauchen können, in der Notzeit unserer nationalen Schande, edler Tetrarch aus dem Hause Herodes!“ – „Beschwert euch bei eurem unbekannten Gott. Denn der hat euch doch diese Tempel-Schande angeblich beschert, oder etwa nicht?“ Der Vierfürst wies mit dem Finger auf Josef, der inzwischen zu Boden gesunken war und sich jetzt breitbeinig bequem hinlegte. Untenrum hatte sich Josef spontan eingenässt, und das war ihm sichtlich peinlich. Nun musste sich Joazar also selbst mit diesem unangenehmen Sündenfall befassen. Herrisch und doch nachsichtig befragte er Josef und auch Judas: „Was soll das, ihr Bettelpack? Beim Saufgelage kam euch diese Idee, nicht wahr?“ – „Nein, ein Engel hat uns das vorgesagt!“ Dies erklärte Judas standhaft, da sein Vater auf dem Boden nun in ein Nickerchen entflohen war. „Wahrlich ein Engel kam schon zu meiner Mutter und bumste sie nachts, so dass sie wieder Jungfrau wurde. Und dann hat er uns besucht. Er war sechs Ellen groß, oder drei, und hatte Federn wie ein Engel eben, und er leuchtete sogar! Seine Stimme war so hell wie eine sehr helle Trompete, die er auch bei sich hatte, aber er hat sie sogar gar nicht zu blasen brauchen. Und er sagte meinem, ähm, Gy'tt, dem sagte er, also Papa sollte mich salben wie David, und dann hier her rein bringen.“ – „Was? Das ist doch eine dreiste verlogene Bocksbeutel-Geschichte!“ Joazar lachte nur verächtlich, und zögernd lachten auch die Sadduzäer und Priester seines Gefolges. Die Pharisäer jedoch erschraken, viele murmelten unter sich, und mancher raufte sich sogar den ergrauten Bart. – „Wie war der Name des Engels?“ fragte Ananus den Judas, voller Zweifel. Das hatte sich Judas auch schon gefragt. Fragend sah er nun den Vierfürsten an. „Papa sagte der wüsste es.“ – „Das war gewiss der bärtige Engel Barbiel. Er wurde aber vermutlich rasiert, nicht nur am Kinn sondern auch zwischen den Beinen“, fantasierte Herodes Antipas. – „Lug und Trug! Es gibt doch gar keine Engel! Das ist alles nur Täuschung und Abirrung für die Heiden“, meinte Joazar rasch. – „Dieser adlige Bösewicht will uns von Gott abirren machen, mit seinen dreisten Engelsmärchen“, flüsterte ihm ein Sadduzäer laut zu, hinter vorgehaltener Hand. Angeekelt aber energisch beugte sich Joazar hinab zu Josef. Er rüttelte diesen wach und zerrte ihn behutsam halb nach oben. Dann packte der hagere Hohepriester Josefs dürre Hand und legte seine Finger auf die dicke Goldkette die ihm vom Hals hinab baumelte, mit einer runden Sonnenscheibe unten daran. „Schwöre mir das nun, du Bettler, dass du einen Engel sahst! Schwör es beim heiligen Tempel!“ – „Jahwenau“, brabbelte Josef. – „Ich, König Judas, schwöre es auch beim Tempel! Und Herodes Antipas da hat den Engel bestimmt auch gesehen, denn der war mit dabei!“ Dies erklärte Judas nun, aber mit sehr zittriger Stimme, weil er sich plötzlich an seine Zweifel erinnerte an dieser Engelsvision. Joazar starrte Herodes Antipas strafend an, aber der Vierfürst hob nur angeheitert und erstaunt die Brauen. Dann reimte er theatralisch: „Man rief mich hinzu, und ich sah Licht! Doch so ein Engel mag vielleicht nicht erscheinen, vor einem Bösewicht.“ Da wandte sich Joazar erneut und fast verzweifelt an Judas: „Dann schwör es nochmals, bei den Schätzen unseres Tempels! Denn der Tempel ist doch in Wahrheit leer, er ist nur ein ummauerter Ort wo unser Gott nicht ist, jetzt wo der Messias noch nicht wirklich gekommen ist. Nur das Gold drinnen im Tempel hat wahren Wert, und der Berg von Weihgeschenken im Tempel beweist die Macht deines Gottes Jahwe, schon zu deinen Lebzeiten!“ Dazu schüttelte Judas jedoch nur spontan den Kopf, mit seiner typischen Störrischkeit, denn ihm widerstrebten die konfusen Lehren dieser als habgierig geltenden Tempelherren. Er rannte dann stürmisch hinaus aus der Halle, um zu schauen ob es draußen regnete. Doch das geschah nicht.

74.

„Der Gassenjunge Judas wagt es also nicht zu schwören! Das hab ich fast erwartet!“ Als Joazar sich nun mit triumphierender Stimme aufrichtete und sein Gewand zurecht zupfte, da sah Fürst Herodes Antipas die Stunde gekommen für seinen geplanten großen Auftritt. Ein Diener war gerade dabei ihm den Kopf mit Wasser zu besprengen, um dann seine schönen vollen Haare neu zu frisieren und den Staub der Reise etwas zu entfernen. Nun trat der Vierfürst vor die beiden religiösen Führer, den nervösen gealterten Hohepriester Joazar und den dickfellig wirkenden langbärtigen Großrabbiner Ananus. Die Stimme des Herodes Antipas klang weich und dennoch arrogant, als er nun so begann: „Ihr nehmt Eide gern ab auf das viele Gold im Tempel. Aber dieses Gold könnte bald nicht mehr da sein, das wisst ihr genau! Als damals der Cäsar Julius Gallien erobern ließ, da plünderte dieser erste Kaiser Roms einen gallischen Tempel nach dem anderen. Berge von Weihegaben karrten damals die Römer nach Rom. Die rebellischen Gallier aber ließ der alte Julius damals zu Hunderttausenden abschlachten! Und seine Nachfolger, die Cäsaren Augustus Octavian und Markus Antonius, haben nachher diese Schätze an ihre Günstlinge verschleudert, und an alle möglichen Römer verschenkt.“ – „Das wird uns Juden doch wohl nicht genau so passieren“, hoffte Joazar, mit plötzlicher Furcht in der Stimme. Auch Ananus nickte dazu und grummelte: „Da sei unser Gy'tt vor, der Gott Abrahams und Jakobs, der Gott von Joseph und Moses, der Gott von Jesus und Elias, der doch allein mächtig ist unter allen Göttern der Welt.“ Herodes Antipas wirkte daraufhin gereizt, und er schlang sich die Toga nach römischer Sitte über die Schulter, bevor er fortfuhr: „Ihr kennt die Römer, aber kennt ihr euren Gott? Ist der das etwa, der in seiner Pisse liegt und gerade seinen Rausch ausschläft?“ Dabei stieß er mit der Spitze seiner Reisesandale gegen den röchelnden, im Schlaf zuckenden Josef. – „Der Fürst beliebt zu scherzen“, meinte Joazar mit einer gewissen Verzweiflung in der Stimme. – „Ich hab diesen König der Bettler nicht auf die Idee gebracht, sich hier als Messias darzustellen, so wie ein Knabe sich hier als Mann darstellt. Sondern den hier hat euch Gy'tt geschickt...“ – „Das ist Lästerung!“ rief das Raubein zornig dazwischen. „Das ist eine Schlinge Belials, des nichtsnutzigen Satans!“ – „Recht hast du, Katzaffer!“ rief sein knorriger Freund, auch andere murmelten beifällig. – „Wie dem auch sei“, rief der Vierfürst, „das hier ist jedenfalls das was ihr kriegt von eurem Gott! Josef der strunzdumme Bettler ist die real existierende Antwort auf all eure Gebete um Gottes Hilfe. Wir Herodianer und Hasmonäer bemühen uns sehr eifrig, die Römer zu Freunden zu machen und sie zu maßvollem Benehmen anzuhalten. Ihr wisst aber selbst dass sie nichts halten von unserem Kultus. Unsere alte Religion gilt ihnen als der Aberglaube von Bekloppten, ja sogar als verderbliche Lästerung ihrer heidnischen Götter! Was die Römer aber respektieren, das sind nette Leute hier die hellenistisch und romfreundlich, und gemäßigt und weltoffen denken. Ein guter neuer König wird gebraucht in diesem Land, damit weiterhin Frieden herrschen kann mit Rom. Als fähiger Fürst habe ich mich in meinen Ländereien, von Dan im Norden bis nach Ephraim jenseits des Jordans, schon jahrelang bewährt. Galiläer, Edomiter und Moabiter gehorchen mir treu; und selbst die Beni Amin, die Abtrünnigen Bileams, akzeptieren mich als ihren Herrn. Ich, der letzte in Ämtern und Würden verbliebene Sohn des Königs Herodes, bin gerade dabei mich bei den Römern als neuer König von Judäa ins Gespräch zu bringen. Meine Großtante Salomé pflegt schon lange beste Kontakte zum kaiserlichen Hause! Und wenn es sich ergeben sollte dass die Römer meinen Verwandten Herodes Agrippa hierher schicken, als neuen König, dann wären wir Herodianer auch noch zufrieden. Aber was tut ihr, ihr Priester und Schriftgelehrten?“ Herodes Antipas hob beide Hände und ließ so das widerspenstige Gemurmel verstummen das sich in der weiten Halle erhoben hatte. „Ihr murrt und meckert nur die ganze Zeit, und bringt das Volk auf gegen unser adliges Haus. Wir wären nicht mal wahre Adlige, heißt es, weil wir Herodianer von niederer und arabischer Abkunft sind! Wir wären deswegen keine Gerechten Gottes, heißt es! Ihr Sadduzäer bringt tausend nichtige Einwände vor gegen unsere, ähm, bewährte Dynastie; aber ihr sagt den Römern nicht dass ihr auf dem Glauben beharrt dass es hier keinen König geben darf außer einem göttlichen Messias, einem neuen Herakles und lebendigen achten Weltwunder. Und ihr Pharisäer seid noch schlimmer! Ihr benehmt euch hier so romfeindlich als ob ihr tatsächlich Parsen und Parther wärt, so wie man es euch in den Gassen ja schon spöttisch nachruft. Ihr hetzt Judäa so kriegslüstern auf gegen die Römer als ob ihr Legionen von parthischen Söldnern in der Wüste stehen hättet!“ – „Wir haben unseren Gy'tt, und der ist der Adonai Zebaoth, der Herr der himmlischen Heerscharen!“ Dies rief nun der heftige Katzaffer mit den behaarten Beinen, ein Wortführer der radikalen Pharisäer. – „Ach ja? Wie viele Legionen Engel wird Gott euch senden, wenn die Römer hier erneut mit vier Legionen einmarschieren?“ – „Acht!“ brabbelte Josef vom Boden aus laut dazwischen, der diese Schreierei so halb mitbekam. – „Und der Messias selbst wird dann vor unserem Heer streiten. Ja! Er ist der Löwe von Juda!“ riefen halblaut einige Pharisäer. – „Ach so, und wo ist er? Ist euer Erlöser also gerade hier eingetroffen, in Gestalt von Josef Dionysos und seinem Sohn, dem Satyrn Judas?“ Herodes Antipas lachte etwas betrunken, als ihm kein Jude darauf eine Gegenrede liefern mochte. Schnell straffte der Vierfürst sich wieder, und redete erneut mit gewinnender Stimme auf die Kleriker ein: „Ihr lest, predigt und eifert gerne markig von unserem Gott, so als ob er der Gott aller Götter der Welt wäre...“ – „In der Tat ist unser Adonai der einzige Gott der ganzen Welt!“ meinte Joazar rasch. – „Das ist es allerdings was die alte Thora behauptet, und was euch eure mündliche Überlieferung glauben lässt. Aber du, Hohepriester Joazar, du bist doch ein Realist! Dann schau auf die Realität. Während ihr auf den Messias wartet, da ist Josef hier das Zeichen dass der Messias noch nicht kommt!“ – „Gott schickte uns dieses Pack um uns zu züchtigen“, meinte da Joazar verächtlich. – „Genau“, meinte Herodes Antipas, mit noch mehr Milde in der Stimme. „Gott erteilte euch in der Tat heute eine Lektion. Ihr solltet sehen dass eure Hoffnungen nichtig sind, darauf dass Gott euch in dieser schweren Zeit einen heiligen König schickt. Also gebt eure religiöse Hartnäckigkeit auf, und hört auf wider das noble Haus des Herodes zu opponieren. Sonst könnte es sein dass euch bald so ein einfältiger Eiferer als miserabler Messias anführt, aber nicht zum Sieg über die harten Heerscharen Roms, sondern in die totale Niederlage und die Vernichtung Judäas!“ Joazar hatte lange gewartet um zu erwidern. Jetzt wollte er sprechen, und wusste doch nicht was er sagen könnte. Langsam ließ er den Kopf sinken und murmelte nur: „Herr Tetrarch, deine Rede war wahrlich besser als man es hier von euch Herodianern erwartete.“ – „Auch das hat unser Gott Elohim bewirkt, dankt ihm dafür“, meinte der Vierfürst stolz. Er winkte dann seine Gefolgsleute und Wächter in die Halle und befahl ihnen arrogant: „Und jetzt verjagt mir diesen Bettler, ich kann ihn nicht mehr riechen.“ Unsanft wurde Josef alsbald auf die Füße gezerrt. Die Wächter und Diener des Hauses Herodes zerrten und schleiften ihn mit Tritten und Schlägen bis hinab zu der Holzschranke, die den heiligen Bezirk vom Vorhof der Heiden abtrennte. Dort warf man Josef zu Boden, vor die Füße von Schaulustigen. – „Papa!“ rief Judas entsetzt, der nun zu Josef eilte, da die Diener und Wächter sich zurückzogen. – „Wein!“ forderte Josef laut. Dann weinte er.

75.

„Schawuot!“ brabbelte Josef dann mehrmals laut, im Tonfall des renitenten Bettlers, während Judas ihn mit wachsender Verzweiflung durch den überfüllten lärmigen Vorplatz zu den südlichen Toren hin schleppte. Hier ging es kaum voran, denn der Tempelberg leerte sich nur langsam. Menschen und Vieh verstopften die wenigen Abgänge. Der Himmel war schon fast dunkel und leicht bewölkt, man sah kaum noch etwas. In der Ferne wurden jetzt sogar Pechfackeln entzündet, dort wo der Weg zur Oberstadt abging. Judas hüpfte hoch und sah dass Herodes Antipas mit seinem Gefolge gerade den Tempelberg verließ, durch die Pforte die in die westliche Oberstadt führte, zum Stadtpalast der Hasmonäer. Er sprang noch mehrmals hoch und suchte mit seinen Blicken nach Herodias, aber er sah sie nicht. – „Schawuot!“ brabbelte Josef. Dieser wollte jetzt den heiligen Geist des Pfingstfestes beschwören, von dem es hieß dass er Eiferer geradezu besaß, bis dass sie das Zungenreden überkam und sie in Sprachen eifern konnten die sie nicht beherrschten. – „Ihr Galiläer! Ihr seid alle Idioten und Lästerer!“ Dies riefen Heranwachsende aufgeregt, die Judas und Josef wohl aus früheren Zeiten wiedererkannt hatten. Eine Bande von lumpigen Jugendlichen umringte sie plötzlich. Einer knuffte Josef und zog ihm seine neue Filzkappe ab. – „He lasses du Schuft das is meins!“ polterte Josef, aber dafür bekam er nur noch einen Knuff. – „Das ist die Strafe des Herrn für unseren Hochmut“, meinte Judas voll bitterer Verzweiflung. – „Schawuot... is nichas Zauwawot“, brabbelte Josef vor sich hin, immer noch in ablenkenden Gedanken befangen, „sonnern Zauwawot is... Zau-la-zau! Das isses was Kaspa sahte! Dasissesessa!“ Josef wurde plötzlich von heftiger Freude ergriffen. Er hob die Hände zum Himmel und brabbelte freudig, so laut er es noch konnte, in einer Fremdsprache die noch nicht mal Gott verstand: „Zaulazaulazaulazau, zaulazau!“ – „Das hört sich gut an“, meinte ein Schriftgelehrter forsch, ein Dünner der sich gerade vorbei schob. „Aber Zauberer, du musst aus der Kehle reden, und zwar so: „Gawhlagawhlagah!“ Der Pharisäer gurgelte und grollte, es hörte sich an wie das Knurren eines Hundes. – „Was macht ihr'n da? Zaubert ihr gerade?“ fragten Umstehende. – „Grraauwh!“ antworte Josef, jetzt vermutlich in der Hundesprache. Etliche Tempelbesucher blieben jetzt neugierig stehen. Einer trug sogar eine Stocklaterne mit der er freundlich leuchtete. Sie alle beobachteten wie Josef sich knurrend ereiferte, und dann rasch deprimiert auf den sehr schmutzigen Boden sank. Judas entriss seinem Vater schnell die Schriftrolle bevor der sie verlor. – „Ist das euer Zauberbuch?“ fragte ein Alter mit eingefallenen Backen und verkniffenen Brauen. – „So ist es. Das ist das total geheime Schwarzbuch des Erzesels Henoch, und voller Zauberwörter. Das Buch ging verloren aber es wurde wiedergefunden von einem Ägypter. Leider starb der neulich in der Wüste! Und das ist total blöd, denn der Typ hat Henoch in eine Geheimsprache übersetzt. Jetzt kann keiner mehr das Buch lesen.“ Dies erklärte der Knabe spontan den einfachen Leuten ringsum, beseelt vom Mut der Verzweiflung. – „Von Henochs Büchern hörte ich auch“, erklärte der dürre Schriftgelehrte, der zwar zerlumpt aber reinlich gekleidet war. – „Ist das so kostbar wie das Buch Rasiel?“ fragte ein Händler Judas. – „Das ist einmalig“, murmelte Judas vertraulich, und war stolz dass er nicht log. „Ich verkaufe das, für tausend Silberlinge, oder meinetwegen für nur noch dreißig, äh, hundert.“ Da schnaufte der Händler nur, und er war rasch verschwunden. – „Ich bin leider pleite“, erwiderte der dünne Schriftgelehrte, als Judas sich nun an ihn wandte. „Aber lass dich nicht übervorteilen, Junge. Das Buch Rasiel ist noch viel mehr wert, denn es stammt von dem himmlischen Engel Rasiel. Der hat es einst im Himmel auf einen einzigen Speicherkristall geschrieben, nämlich auf einen Saphir.“ – „Das hier ist aber das Buch Henoch“, meinte Judas, und fühlte sich sündig weil er vielleicht log. – „Das macht nichts, denn das Buch stammt ja auch aus dem Himmel. Das Buch Henoch hat Henoch damals geschrieben als er schon ein Engel war. Danach kam er als Geist aus dem Himmel auf die Erde zurück und übergab es seinen Kindern. Und zwar hatte der Engel Samuil den Henoch aus dem Himmel auf die Erde zurück begleitet...“ – „Au weh, der hört sich schon wieder an wie der Samael, der oberste der Teufel“, rief da Judas. Plötzlich war er misstrauisch geworden. Daraufhin rümpfte der Schriftgelehrte nur noch mal die spitze Nase und drängte sich ebenfalls durch die Menge davon. – „Grawlagraw!“ grollte nun Josef von unten her. – „Aus! Sei still!“ befahl ihm Judas ahnungsvoll. – „Wozu dient denn das Zauberwort?“ fragte eine Mutter. – „Es öffnet die Schleusen des Himmels. Dann kommt eine neue Sintflut, und die überflutet alles, wie damals bei Noahs Arche“, erklärte Judas mit bedrohlicher Stimme. Die Leute ringsum schwiegen schockiert. Judas entrollte ihnen nun die jetzt unverschlossene Schriftrolle, und zeigte allen die gelehrten Aufzeichnungen, Notizen und Rechenkolonnen des Chodosis die sich darauf befanden. Und hier im unteren Vorhof, wo kaum einer richtig lesen konnte, da machte dieses Geschreibsel einen enormen Eindruck. – „Also kommt jetzt eine Sintflut?“ fragte einer. Und ein anderer meinte: „Erst lässt Gy'tt es gar nicht regnen, und dann hört der Regen nicht auf. So kennen wir doch den Herrn im Himmel.“ Die Mutter fragte Judas, furchtsam bis einfältig: „Und was machen wir Juden denn jetzt, Zauberer?“ – „Ihr solltet besser in die Berge fliehen, auf den Berg Karmel, denn der ist sehr hoch. Denn wenn ein Hochwasser kommt, dann wird immer zuerst das flache Land überschwemmt“, überlegte Judas laut. Immer mehr ärmlich gekleidete Umstehende starrten nun hinauf in den Himmel, der sich tatsächlich vom Westen her zu bewölken schien. – „Der kleine Zauberer, er spricht die Wahrheit!“ staunte ein Mann. – „Zauberer, heile mein krankes Kind!“ So flehte plötzlich eine Zigeunerin, die sich zwischen die Leute drängte. Als Judas nicht reagierte, da packte die dunkelhäutige zerlumpte Frau mit einem mickrigen bösen Gesicht energisch seine Hand; und legte sie auf die Stirn ihres runzligen Säuglings, den sie in ihre Lumpen eingehüllt trug. Das finstere Kind erwachte und begann leise zu wimmern. Tatsächlich schien sich der Säugling jetzt zu beleben, bald begann er laut zu schreien. – „War das ein Wunder?“ fragten Umstehende verblüfft. Judas nickte stumm. – „Meine Arme, bitte heile auch meine Arme!“ bat nun ein krummer Alter. Als Judas den Alten ansah, da schien sich dessen gealterte fleckige Haut in Augenblicken mit dunklen Malzeichen zu füllen, im trüben Licht das die eine Laterne ausstrahlte. Doch verschwanden diese Flecken gleich wieder, als Judas kurz wegsah. Judas schaute schockiert in den Himmel, und legte dem Alten die Hand auf die Arme. „Ich heile dich, mit der Macht Gottes“, beteuerte er ihm, er redete wie ein Priester. – „Danke Herr Zauberer!“ flüsterte der Alte ergriffen. – „Und jetzt gib mir Geld“, forderte Judas ihn auf. Aber der Alte schien ihn nicht zu hören, er wandte sich ab. Statt dessen schob sich ein gelähmter Bettler auf Krücken an Judas heran. Der konnte nicht mehr auf den eigenen Füßen stehen, und vor Anstrengung atmete er heftig. „Jetzt ich!“ rief er laut. Er war wohl ein Proselyt, das hörte man am Akzent, also ein Fremder der zum Judentum konvertiert war, vermutlich weil er sich von dem Gott Israels bessere Hilfe erhoffte als von den Heidengöttern. – „Wirf deine Krücken fort und geh!“ befahl ihm Judas, nun mit immer mehr Mut und Eifer. Sofort gehorchte der Bettler. Wild hob er seine Krücken und schleuderte sie beiseite. Umstehende schrien empört auf als sie davon getroffen wurden. Der Gelähmte sank nach vorn in die Arme von Judas. Er grinste, und er schien sich in der Tat unter dem Blick des Knaben zu verfestigen, und irgendwie zu verjüngen! Du kannst es, mach weiter, Messias! Geisterstimmen kamen Judas in den Sinn. Er nahm den Krüppel fest in die Arme, und dieser schien aus Judas jetzt dessen Lebensenergie auszusaugen. Judas musste an eine Mutter denken, die sich ebenso aussaugen ließ von ihren Kindern... Er schob den Krüppel weg und stellte ihn auf die Füße. Dieser blieb tatsächlich stehen und rief laut, in einer ekstatischen freudigen Aufwallung: „Gelobt sei der Gott Eseldai!“ – „Der Galiläer da tut Wunder! Wahrlich, dies ist der Gesalbte Israels!“ Dies riefen plötzlich immer mehr Umstehende. Eine Masse elender Leute drängte sich mit vorgestreckten Händen und fiebernden Blicken an Judas und seinen Vater heran. – „Hinweg! Aussatz!“ Von fern riefen Leprakranke, und man hörte ihre Stäbe rasseln die vor ihnen warnten. Judas begriff sofort dass diese Kerle auch von ihm geheilt werden wollten. Und da packte Judas doch heftige Angst! Denn der Aussatz war eine ebenso schlimme wie weit verbreitete Krankheit, sogar Moses selbst hatte sie angeblich gehabt, aber das war vertuscht worden von den Schriftgelehrten... Judas rutschte vor dem Gelähmten nach unten weg und flüsterte seinem gestürzten Vater weinend zu: „Papa komm schnell, wir müssen hier weg!“ – „Graw! Wuff! Rauf!“ knurrte Josef wütend. Dann packte er Judas um ihn zu sich hinunter zu ziehen. Judas dachte dass sein Vater ihm jetzt auch Lebensenergie aussaugen wollte, so wie die Elenden ringsum. Er bekam Platzangst und riss sich los. Er konnte seinen Vater nicht mehr ertragen, da ging es ihm genau wie neulich seiner Mutter. „Papa lebe wohl! Wir sterben sowieso in der Sintflut! Bleib einfältig, dann sehen wir uns im Himmel“ rief er noch. Dann krabbelte er auf Händen und Knien durch den Unflat, durch die gedrängte Menge der Elenden hindurch. Judas war völlig zittrig jetzt, jedes Kind hätte ihn aufhalten können; als er jetzt davon krabbelte, mit der Schriftrolle als seinem einzigen Besitztum.

76.

Der junge Judas schob und drängte sich mit gesenktem Kopf und leicht irrem Blick durch die sich schnell verfinsternde Stadt. Er kannte sich zwar ein wenig aus im Labyrinth der Altstadt, aber jetzt hatte ihn grimmige Panik erfasst. Eine lange Zeit irrte er ziellos und leise schluchzend durch enge überdachte Gänge und belebte Straßen. Er hatte jetzt keinen Blick für die aufgetürmten Haufen von Gewürzen oder die sorgsam ausgelegten leckeren Happen, für die glänzenden Geräte aus Silber und Messing, Bronze und Kupfer oder für die glasierten oder stumpfen Töpferwaren... – „Junge!“ rief ein Fremder und wollte ihn festhalten. Aber Judas war mutig und störrisch, er kämpfte sich frei und hastete weiter. Kurz kam ihm das Gesicht der Prinzessin Herodias in den Sinn. Lieber erinnerte er sich an Judas aus Gamala und Sadduk. Und war er nicht einer von ihnen geworden, ein Sadokiter? Ja! Der Sadduk selbst hatte ihm neulich den Sicheldolch der Attentäter in die Hand gedrückt. Judas hatte diesen abgeben müssen, und das war vielleicht besser so gewesen. Als Zauberer war er noch besser geeignet denn als Sichelmörder, das sagte er sich jetzt mit einer gewissen Selbstverachtung. Dennoch hatte ihn plötzlich eine vage Hoffnung erfasst. Judas hatte erfahren dass es Sadokiter und andere Radikale und Eiferer reichlich gab in Jerusalem. Einige Sadokiter wohnten dort wo auch die sektiererischen Esséner wohnten, also am Esséner-Tor und in der Nähe des Teichs von Siloah. Dort war Judas schon öfters gewesen. Dieser Teich befand sich in der untersten Unterstadt, und nur dort gab es sauberes Trinkwasser auch für die Armen. Judas drückte sich mit dem Rücken an eine Wand und bemühte sich sein laut pochendes Herz zu beruhigen. Das Blut rauschte ihm in den Ohren und Augen. Nur mühsam bekam der Junge sich so weit unter Kontrolle dass er die Schriftrolle in seinen Händen ordentlich zusammen rollen und zubinden konnte. Mit diesem Ding wirkte er fast wie ein Student der Thora, und die fielen nicht auf in der heiligen Stadt. Er sah sich um und bemerkte dass sich überraschend viele Städter auf den Straßen befanden welche Säcke und Kisten schleppten, und Ballen und Amphoren, so als ob sie spontan umziehen und verreisen wollten. – „Wo wollt ihr denn alle hin?“ fragte er einen Passanten. – „Nur weg von den Römern und ihren verfluchten Zöllnern“, meinte ein gut gekleideter Mann. – „Flieht in die Berge!“ rief Judas ihm nach. Dadurch gewann der Knabe seinen üblichen Mut und seine mürrische Unnahbarkeit zurück. Er fragte sich dann durch bis zum Teich von Siloah. Dort angekommen trank er erst mal und kühlte seinen brausenden Kopf. In dem bleichen Mondlicht konnte er kaum etwas sehen, aber das störte ihn jetzt nicht. Er hockte sich irgendwo an eine nackte Hauswand hin, hüllte sich in seinen schweren Wollumhang und sah zu wie der Mond hinter Wolken verschwand. Er geriet ins dösen. Traumbilder gaukelten vor seinen Augen herum. Er sah die blonde Herodias, aber die verwandelte sich von einer Traumprinzessin in einen Jungen, der einen Bart trug und kurze schwarze Haare hatte... War sie der Engel Barbiel gewesen? Judas wurde wach und fror, er zitterte vor Kälte. Er rief sich in Erinnerung dass er die Prinzessin gehasst hatte. Jetzt jedoch sehnte er sich verzweifelt nach ihr. Während Judas nun noch aufgeregt den Lauten und Gesprächen ringsum lauschte und keine Ruhe mehr fand, da grummelte plötzlich Donner am Himmel, was ganz unüblich war für diese kalte Jahreszeit. Und dann platschte ihm doch tatsächlich ein Regentropfen auf die starke Nase. Ringsum zeterten nun die Bettler und Armen, die hier im Freien nächtigten. Aber nicht wenige freuten sich alsbald, und es gab viele die aufsprangen und spontan ein Dankgebet sprachen an den Herrn des Wolkenhimmels, der es endlich regnen ließ auf sein leidgeprüftes Land Israel. Viele suchten Schutz vor dem prasselnden Regen unter einem vorspringenden Dach oder Erker. Judas wickelte sich einfach fester in seinen Wollumhang hinein. Aber der half ihm wenig, als nun nach und nach ein Platzregen losbrach, der ihm zuerst die Haare durchnässte und dann vom Hals abwärts den Oberkörper. – „Wahrlich, das ist die neue Sintflut!“ murmelte er zu dem Armen der neben ihm hockte. – „Kleiner Quatschkopf, halt lieber die Fresse!“ warnte dieser, im rabiaten Tonfall der Elenden. Da sprang Judas ängstlich auf und lief erneut davon durch die Dunkelheit, jetzt durch den nassen Matsch und die Pfützen in welche die dicken, kalten Regentropfen hinein trommelten und platschten. – „Wo sind die Berge?“ fragte Judas einen Mann der mit erhobenem Kopf im Regen stand und die Zunge in den Himmel ausstreckte. – „Wir müssen in die Berge fliehen!“ erklärte er ihm noch, da dieser nicht antwortete. – „Nur zu, Kleiner“, meinte dieser, gütig wie zu einem Verrückten. Judas schluchzte und rief ihm im weglaufen noch zu: „Auch Moses ging auf einen Berg als ihm die Menschen nicht glaubten, und dort hat ihn Adonai erkannt!“ – „Dann geh doch zum Tempelberg, Junge!“ rief ihm eine Frau nach, die es gut mit ihm meinte.

77.

Als Judas nun tropfnass an einem erleuchteten Hauseingang vorbeilief, da hörte er wie durch Zufall den Namen seines Vaters! Und zwar war dieses Haus eine der schlichten Synagogen der Esséner. Judas erkannte diese Sektierer an ihren zerfetzten Klamotten. Denn es war typisch für Esséner dass sie eine spezielle Kutte der Sekte trugen, die sie aus Geiz und wegen ihrer Armut stolz so lange am Leib behielten bis sie ihnen in Fetzen herunter fiel. Jetzt drängte sich eine dichte Menschentraube in und um diesen Hauseingang, um Schutz zu finden vor dem Regen: Esséner und sonstige Arme und Passanten. Einer berichtete der frierenden Menge gerade aufgeregt von den neuesten Vorfällen auf dem Tempelberg: „Vorhin war da ein Zauberer namens Josef bei den Tempelherren, der es regnen lassen wollte. Als er es nicht konnte, da haben die Diener ihn im Eiltempo rausgeworfen. Aber da zogen schon die Wolken auf die er herbeigerufen hatte, mit einem Zauberwort; und die Priester und edlen Herren hatten nur keine Geduld mit ihm bewiesen!“ – „He, ich bin Judas bar Josef, der Sohn dieses Zauberers!“ rief Judas da, mit dem Mut der Verzweiflung. Und als die Esséner ihn von oben herab ungläubig musterten, da zeigte er ihnen als Beweis seine Schriftrolle vor, die schon ziemlich nass geworden war. Betreten schwiegen sie, und dann rückten sie mühsam beiseite um ihn eintreten zu lassen in das volle ehemalige Lagerhaus. Unten standen oder saßen gedrängt fast ausschließlich Männer, die Frauen hatte man wie üblich oben auf eine Empore verbannt. Vorne an der Stirnwand befand sich ein Schriftrollen-Schrein mit einem abgetrennten Bereich für die Rabbiner und Thora-Schüler. Dorthin schoben jetzt einige Tempeldiener den durchnässten kleinen Judas. Hier beteten oder ruhten die Ältesten der Gemeinde, welche teilweise auch ziemlich nass geworden waren. Im spärlichen Licht der wenigen Kerzen hier war kaum etwas zu sehen. Judas rubbelte sich erst mal die nassen Haare trocken. Er hörte wie man dem schläfrigen Vorsteher der Gemeinde flüsternd von ihm berichtete. Der murmelte mit seinen langbärtigen Kollegen, so gemächlich als ob diese alten Leute noch alle Zeit der Welt besäßen. – „Unsere Welt wird bald untergehen“, warnte Judas sie spontan, mit seiner üblichen Nervosität. – „Was du nicht sagst ist besser als das“, murrte einer der Ältesten. – „Bist du ein Messias, so wie Simon der Nabatäer einer war?“ fragte der Vorsteher blinzelnd. Judas nickte knapp. „Ich habe eine neue Sintflut herauf beschworen“, verkündete er finster. – „Dieser ist ein Fall für den weisen Simon“, meinte daraufhin der schläfrige Vorsteher, und die anderen Ältesten nickten unwillig. So kam es dass man extra für Judas den Traumdeuter Simon weckte, einen noch jungen und eher finster wirkenden Mann. Der Vorsteher erklärte Judas: „Simon hier ist bekannt für seine Sehergabe. Er hat dem Fürsten Herodes Archelaus einen Traum zutreffend gedeutet, und ihm vorhergesagt dass er in Rom das Ende seiner Amtszeit erleben würde.“ – „So ist es. Gy'tt sei Dank dafür“, murmelten dazu die Ältesten der Gemeinde. – „Aach... Scheiße!“ murmelte Simon böse, als er nun erwachte weil man ihn wach rüttelte. Lange rieb er sich die Augen und das bärtige Kinn. Er leckte sich die Lippen und fasste Judas streng in seinen Blick. Aufgebracht fragte er die anderen Esséner: „Muss das jetzt sein dass ihr mich weckt, wo ich gerade mal etwas Schlaf gefunden habe? Kann das nicht bis morgen warten?“ – „Es regnet wie wild. Der Bub fürchtet dass morgen die Welt untergeht“, teilte ihm ein Kollege mit. Da lachte Simon laut und etwas weibisch auf. „Das wird so schnell nicht passieren, denn ich selbst sah kein solches Zeichen. Glaubt mir mal, und nicht diesem Bettelkind. Erinnert euch immer daran wie das geht mit dem Deuten von Zeichen: Man muss auch die Gesetze der Logik beachten!“ – „Das ist logisch“, murmelte der Vorsteher der Gemeinde. Damit war die Sache abgetan. Simon zog sich ein Tuch über den Kopf und legte sich zum Schlafen wieder hin. – „Aber ich kann auch Wunder tun. Ich heilte Kranke im Tempel“, beteuerte Judas nun. – „Das kann von uns Gerechten jeder der den heiligen Geist hat“, erklärte ihm der schläfrige Vorsteher. Die Sitzenden murmelten leise zustimmend. Einer meinte dann nachsichtig zu Judas: „Mach dir keine Sorgen Junge, falls diese böse Welt jetzt untergeht. Denn unser Herr hat für uns gesetzestreue Juden schon eine neue im Gürtel stecken, zusammengerollt ist sie wie deine Schriftrolle. Die wird unser Gott Eloym ausbreiten wenn diese Welt untergeht, so dass wir Gerechten dorthin eingehen können. Dort werden auch alle guten Toten auferstehen.“ Judas begriff dass ihm diese Leute nicht glauben würden dass er dieser Gott sei, denn die lebten in der ganz speziellen Geisteswelt ihrer Sekte. Aber das war bei den hohen Herren im Tempel anders. Denn hatte sein Vater nicht dem Vierfürsten und all den Priestern und Pharisäern prophezeit dass dieser Regen kommen würde? Hatte Josef nicht sogar das richtige Zauberwort noch selbst ausgesprochen, und den Regen selbst herbei beschworen? Das war doch der Beweis dafür dass Josef, und auch sein Sohn Judas, tatsächlich Götter waren die Wunder tun konnten! Es mochte sein dass viele Wundertäter hier und da mal einen Kranken heilten, aber Regen machen konnte nicht jeder! Judas dachte dass dies nicht die Zeit war um sich vor seiner Berufung zu flüchten und sich vor seinem Volk zu verbergen. Sondern jetzt, wo die auch von ihm beschworene Sintflut offenbar gerade begann, da musste er Mut zeigen vor den Erwachsenen, und ihnen als der neue Löwe von Juda entgegen treten! Und mit dem richtigen himmlischen Löwengeist konnte er bestimmt auch die Löwensprache lernen. „Rraah! Groarr!“ Wie ein Löwe knurrte Judas jetzt vor sich hin, um sich selbst Mut zu machen. Entschlossen drängte er sich durch die Menge der fremden Erwachsenen und wurde doch immer mutloser. Morgen würde er erneut zum Tempelberg gehen, das nahm er sich fest vor, und seinen Vater wiederfinden. Judas schob sich durch die dicht gedrängten Reihen der Müden die hier saßen oder kauerten. Der Regen hatte sie alle ins Gebetshaus getrieben, sie rochen muffig. Es gab hier beim besten Willen keinen guten Schlafplatz mehr für einen verirrten Jungen! Er setzte sich am Rand irgendwo hin, aber der Steinboden war ihm zu kalt, und dauernd schoben sich fremde Leute an ihm vorbei. Also stand er wieder auf und drängelte sich zwischen die Leute. Er geriet hinter zwei sehr kleine Frauen die auf dem Weg zum Aufgang waren der zur Empore der Frauen führte. Judas war nicht größer als sie. Er zog sich spontan eins seiner lumpigen Tücher über den Kopf und tat so als ob er auch so eine Ische wäre. Am Aufgang stand eine müde Dienerin die Wache hielt. Sie döste und merkte nicht auf, als Judas hinter den zwei anderen Frauen die knarzende Treppe hinauf schlich. So geriet der Junge also auf die Empore der Frauen. Hier lagen Decken und Teppiche auf dem Holzboden, und es war viel weniger los als unten bei den Männern. Judas drückte sich an der hinteren Wand entlang und setzte sich dann gekrümmt auf den Boden, denn er wollte jetzt nur noch schlafen. Er brauchte lange bis er einschlief... Und er erwachte unvermittelt als ihn jemand an der Schulter berührte. „He bist du neu bei uns? Du siehst ziemlich jungenhaft aus!“ Es war ein nettes Mädchen mit einem Lämpchen, sie hatte sich über ihn gebeugt. Judas erschrak und wagte kein einziges Wort zu sagen. Stumm schaute er die Fremde an und schüttelte den Kopf. Da lächelte das Mädchen und flüsterte vertraulich: „Hab keine Angst! Es gibt hier viele unter uns die etwas andersrum sind. Siehst du den Fleischberg der da vorne liegt?“ – „Hm!“ wimmerte Judas mit verstellter hoher Stimme. – „Das ist Nemanja. Sie ist die Geilste hier. Sie war früher eine Gladiatorin, stell dir das mal vor, sie hat sogar Männer getötet in der Arena! Jetzt ist sie die Henkerin von Bethlehem. Sie schauspielert auch für die Reichen, sie spielt die böse Lamaschtu. Oft kommt sie her nach Jerusalem um hier zu opfern, denn sie hat Angst dass sie in den Scheol muss wenn sie stirbt. Sie geht in die Synagoge der Freigelassenen, aber hier ist sie beliebter, vor allem in der Dunkelheit.“ Judas schaute zur Gladiatorin hin und sah doch kaum etwas von ihr. Das Mädchen flüsterte noch: „Wenn du was essen möchtest dann geh nur hin zu Nemanja.“ Aber da schüttelte Judas heftig den Kopf. Und daraufhin ließ ihn das fremde Mädchen wieder allein. Judas stellte entsetzt fest dass sein Glied sich versteift hatte, aber das wollte er jetzt nicht dulden. Lange Zeit drehte er sich nun von einer Seite auf die andere, und fand doch keinen Schlaf mehr. Endlich träumte er von seiner Mutter Maria, aber nach dem Aufwachen vergaß er rasch was er erlebt hatte. Heftiger Hass stieg jedoch in ihm auf, als er sich daran erinnerte dass Maria jetzt in Bethlehem als Hure ins städtische Zuchthaus gesteckt worden war. Judas nahm diesen Traum als Mahnung Gottes sich um seine Mutter zu kümmern. Um diesen Traum zu verstehen brauchte er keinen Traumdeuter!

78.

„Josef aus Kafernaum? Papa? Hallo, ich suche Josef, meinen Vater!“ Dies rief Judas Stunden später während er durch matschige Gassen irrte, an der großen Mauer entlang die den Tempelberg von der jüdischen Unterstadt trennte. Es regnete immer noch, aber die Heftigkeit des Regens hatte merklich nachgelassen. Im dunkelblauen Zwielicht des frühen Morgens hatte Judas sich erneut mutig bis zum Tempelberg durchgefragt. Doch die beiden großen Pforten, die doppelte und die dreifache, waren für die Nacht geschlossen worden, nachdem die Wächter den Vorplatz der Heiden geräumt hatten. Gegen Westen zu gab es in der Nacht kein Durchkommen, denn dort begann die Oberstadt, die von der inneren Stadtmauer abgetrennt wurde. Scheinbar uneinnehmbar ragten überall ringsum Türme der beiden Stadtmauern in den grauen Himmel. Mit wachsender Verzweiflung starrte Judas in die Finsternis hinein, wo sich hier und da die Armen und Obdachlosen in den Schutz der Mauern und Häuserwände kauerten. Er musste jetzt Acht geben dass man ihn nicht belästigte! Er war ja nur ein Junge und nicht groß für sein Alter. Gerade die Gegend in der Unterstadt vor dem Tempelberg galt als wild und gefährlich; denn hier waren diverse Räuber und Araber besonders auf der Jagd nach arglosen Pilgern, die hier häufig nachts ohne Wächter herum spazierten oder sogar auf dem Boden nächtigten. Judas war dann doch wieder heilfroh über den Regen der jetzt auch allerlei Gesindel von den Straßen vertrieb. Er suchte also weiter nach seinem Vater, und rief immer wieder leise dessen Namen: „Josef bar Schotai?“ – „Judas! Ich bin hier!“ rief plötzlich ganz in der Nähe eine grämliche Stimme. Als Judas nachsah da konnte er erst niemanden sehen, und glaubte schon an einen Geist. Dann aber erkannte er dass da jemand in einem Haufen Kehricht lag, den man vor die Tempelmauer gekarrt hatte für die Müllabfuhr. Er sah zwei nackte Arme die daraus hervor schauten, sie glänzten im Regen. – „Papa was machst du denn da in dem Mist?“ fragte Judas bestürzt. – „Mir war nachts so kalt! Und der Müll hier dampft wie Kompost und wärmt seinen Mann!“ brabbelte Josef, der jetzt seinen Kopf aus dem Müllhaufen steckte. Keuchend beschwerte er sich: „Die bösen Buben da oben haben mir alles geklaut was ich hatte! Sogar das letzte Hemd haben sie mir ausgezogen, der Herr soll sie strafen! Aber das ist auch die Strafe des Himmels für all meine Sünden. Ich schwöre ab, vor Adonai meinem Gy'tt und bei allen Schätzen seines Tempels! Nie wieder werde ich behaupten dass ich ein Prophet bin oder gar der Gesalbte des Herrn!“ Josef brach nun in Tränen der Erbitterung aus, hilflos begann er zu schluchzen. Judas ekelte sich so sehr dass er sich abwenden musste um sich nicht zu übergeben. Aber er war gleichzeitig erleichtert dass sein Vater am Leben war, und sogar wieder fast nüchtern geworden war über Nacht. Er griff jetzt nach Josefs schlaffen kalten Händen und zerrte daran um ihn aus dem Müll zu befreien. – „Komm Papa wir müssen jetzt wieder nach oben zu den Priestern, und uns ihnen erneut darstellen.“ – „Bist du völlig meschugge?“ – „Nein, wir haben doch für sie den Regen herbei gezaubert, oder nicht? Also müssen die Priester uns jetzt als ihre zwei gesalbten Götter anerkennen. Und wenn sie das immer noch nicht tun, dann soll es ihnen schlecht ergehen!“ – „Nein, warte... oder ja, doch! War es nicht beim Propheten Elias damals genau so?“ Zitternd wischte Josef sich etwas schmierigen Dreck vom Gesicht. Gleichzeitig forschte er in seinem Gedächtnis nach der Bibelstelle die er suchte. Ergriffen predigte Josef dann aus dem ersten Buch der Könige, Kapitel 18: „Der Prophet Elias betete einst um Regen. Und weil die Macht des Herrn mit ihm war kam der Regen. Daraufhin metzelte der Elia mit der eigenen Klinge alle Priester nieder die ihm widerstrebt hatten! Sie hatten ihn nämlich nicht als Propheten anerkennen wollen.“ – „Meinst du also wir sollen jetzt auch alle Priester oben im Tempel erschlagen, so wie Elia es tat?“ – „Nur wenn sie uns Göttern nicht gehorchen. Aber wir haben ja nicht mal ein Schwert. Ich hab gar nichts mehr!“ beschwerte sich der völlig nackte und verdreckte Josef, dem jetzt die morgendliche Kälte die Schläfrigkeit vertrieb. „Gib mir mal eben deinen Umhang“, forderte er seinen Sohn auf. – „Erst wäschst du dich mal, Papa“, meinte Judas, jetzt wieder so mürrisch und störrisch wie üblich. Er schaute Josef an, und stutzte. Dann beugte er sich zu einer Pfütze und wischte das Gesicht seines Vaters ab, mit etwas Regenwasser. – „Du hast Zauberzeichen bekommen auf der Stirn! Da steht ein jüdisches Wort!“ stellte er erschrocken fest. – „Oh jei!“ jammerte Josef, als ihm wieder einfiel dass ihn am Abend irgendwelche Jugendliche noch mit Tinte bemalt hatten. „Was steht denn da? Ja, ich weiß, du kannst es nicht lesen. Ist es ein Zauberwort?“ – „Es ist dreimal dasselbe Zeichen. Es sieht aus wie ein Gehstock“, stellte Judas beunruhigt fest. – „Das kann nichts Gutes bedeuten. Sicher ist das Gottes Strafe dafür dass wir die neue Sintflut herbei beschworen haben, das ist unsere Missetat. Unsere Sünde, unsere Schuld, unsere Strafe“, jammerte Josef, und haute sich die Faust auf die Stirn.

79.

Nachdem Josef sich in einer Regenpfütze zitternd und schnatternd gewaschen hatte fühlte er sich besser und fast nüchtern. Er rubbelte an der Stirn herum um die Schrift abzuwaschen, aber die blieb immer noch gut lesbar. „Ich brauch wärmenden Wein! Nein!“ so stritt er nun mit sich selbst, und erinnerte sich mühsam daran dass ja heute ein jüdischer Fastentag war. Judas hatte sich unterdessen bei einigen Händlern ringsum umgesehen, die allerlei überteuerten Kram für die Pilger verkauften. Jetzt kam er mit finsterem Gesicht zurück zu Josef und erklärte: „Der Trödler will mir keinen Dolch eintauschen für diese Schriftrolle. Das Papier ist nass und modrig, und die Schrift ist verlaufen und ergibt keinen Sinn.“ – „Das ist doch das geheime schwarze Zauberbuch von Henoch, das wird nicht verkauft!“ rügte ihn sein Vater erregt. „Da stehen uralte Zauberwörter drin die sonst niemand kennt. Und was willst du überhaupt mit einem Dolch?“ – „Ich bin doch ein Sadokiter. Und ich habe einen Auftrag der Rache zu erfüllen. Hast du vergessen dass sie unsere liebe Mama als Hure in Bethlehem gefangen halten?“ – „Ich hab mich bemüht“, gab Josef da zu, ehrlicher als er es oft war. „Ich denke lieber an Melchior. Er ist zwar etwas fies, aber mit ihm war es zehnmal geiler als ich es mit Maria je erlebt habe...“ Judas musste Josef nun seinen Umhang lassen, und dieser wickelte sich so tief hinein wie er konnte. Judas entrollte die nasse Schriftrolle und ließ sie im auffrischenden Wind hin und her flattern, um sie zu trocknen. Dabei grummelte er: „Das mit den Zauberwörtern das stimmt sowieso alles nicht. Denn ich hab gestern echte Wunder gesehen...“ Er schaute nachdenklich in eine Pfütze, in die der Wind kleine Wellen blies. Dann erläuterte Judas: „Diese Welt ist so wie ein Pfütze: Alles fließt! Du bläst ein bisschen und alles bewegt sich...“ Er bückte sich und blies in die Pfütze. „...aber wenn du aufhörst, wird es wieder wie zuvor oder anders. So funktioniert es wenn jemand Wunder tut. Und deswegen funktioniert auch die Zauberei ganz anders als Melchior das glaubt.“ – „Ach, mein Melchior!“ seufzte Josef. „Es mag sein dass er von Zauberei wenig Ahnung hat, aber vom Sex hat er tierische Ahnung. Steht es außerdem nicht geschrieben in der Thora an manchen Stellen dass der Herr es nicht mag wenn wir Menschen zu schlau werden, so dass wir zu viel begreifen von Gy'tt und der Welt? Als die Bauleute zu schlau wurden die den Turm von Babel bauten, da hat ihnen der Himmel absichtlich die Sprache verwirrt. Wenn wir Menschen weise werden dann liegt das nur an der Schlange im Garten Eden und an ihren verbotenen Früchten. Aber die ist vielleicht in Wahrheit gar nicht interessiert an uns Juden. Vielleicht ist die sogar eine die nur auf Frauen steht, und deshalb hat sie nur Eva diesen Apfel gegeben...“ – „Papa, ich glaub in der Thora und in all den Büchern der Könige und Propheten steht viel drin was nur von doofen Priestern aufgeschrieben wurde, also von Leuten die wegen ihrer Dummheit keine Ahnung hatten von Gy'tt, also uns. Deswegen geraten die Juden immer so schnell ins Unglück hinein wenn sie versuchen sich ganz genau an alle Gebote zu halten.“ – „Richtig, nur die Priester sind schuld“, meinte Josef dazu spontan, und mit neuem Eifer. „Bestimmt hatte der Tisbiter Elia also recht als er so viele Priester umgebracht hat. Denn was in der Thora steht das stimmt, egal was doofe Priester dazu sagen.“ – „Recht so!“ rief spontan ein Passant der neben ihm stand, mit einem Ballen unter dem Arm und einem schweren Korb auf dem Rücken. Viele Städter trugen ja in dieser Notzeit ihre wertvollste Habe quasi spazieren, aber dieser Fremde war doch anders, das merkte man sofort an seiner hellen Tracht der Nomaden der südlichen Wüste. Der finstere Wüstensohn bückte sich mit angespannter Miene zu den Galiläern Josef und Judas, und flüsterte ihnen zu: „Ihr redet so mutig wie Sadokiter!“ – „Ich bin Sadokiter!“ schnaufte Judas mit finsterem Gesicht. – „Dann seid ihr hier richtig, dann hat euch Gott hierher geschickt um zu helfen. Denn jetzt geht gleich der Aufstand in ganz Judäa los!“ Der edle Nomade sprach es laut und lauter. Ihn hörten etliche andere Umstehende, und einige stimmten gleich aufgeregt zu: „Das wäre gut! Die Römer haben es längst viel zu dreist getrieben! Alles wollen sie uns ja wegnehmen, jetzt wo sie den Fürsten Herodes Archelaus abgesetzt haben! Und die Preise steigen immer weiter, so als ob schon Krieg wäre. Jetzt sind ihre Händler und Zöllner hier die Reichen, die haben die Taschen voller Geld und verderben uns die Preise. Aber wovon sollen wir armen Leute in Zukunft unser tägliches Brot bezahlen?“ – „Euer Aufstand wird das klären“, erklärte ihnen der Nomade, es klang wie der Aufruf eines Anführers. Er ächzte als er nun seinen schweren, leise klirrenden Korb auf den Boden setzte. Dann flüsterte er verschwörerisch: „Bethlehem gehört schon uns, ebenso wie Bethanien! Und jetzt dringen wir Sadokiter gerade heimlich in die Oberstadt ein, denn ein Tor wurde uns geöffnet. Zuerst soll der Tempel besetzt werden, dann der Palast der Hasmonäer, das Gebäude des Magistrats, und zuletzt die Baris. Seid ihr mit uns, Israeliten, ihr Streiter für Gott?“ – „Haltet ein, ihr Söhne Judäas, und erinnert euch lieber an Scipio Africanus, den schrecklichen Römer“, schimpfte da ein narbiger Veteran. „Als Hannibal besiegt war und die Römer zwei Kriege gewonnen hatten, da wollten die Karthager dennoch nicht aufgeben. Aber daraufhin haben die Römer sie alle getötet und Karthago ganz platt gemacht! Im neuen Karthago wohnen jetzt nur noch Römer!“ – „Das kann uns Juden aber nicht passieren. Erinnert euch lieber daran dass Gy'tt uns immer beigestanden hat in der Not; wenn wir nur sein Gesetz, bis aufs Wort genau, brav eingehalten haben...“ Radikal eiferte Josef nun los, er krähte fast wie ein Hahn am Morgen. Anschließend stellte er der Menge gegenüber fest: „Ihr habt außerdem jetzt einen Messias, einen Gesalbten Gottes, auf eurer Seite. Genauer gesagt, ihr habt den Adonai und seinen gesalbten Sohn!“ Dabei zeigte Josef mit dem bläulich verfärbten Finger auf sich selbst. – „Dann hilf uns mit deinen Wundern! Ja hilf uns, Zauberer! Wir vertrauen dir, König Judas, und deinem Hund!“ So riefen nun ein paar Leute ringsum, die Judas wieder erkannt hatten. Andere jedoch blieben unbeeindruckt, oder lachten sogar verächtlich als sie sich Josef anschauten. – „Spart euch die Lobeshymnen, denn jetzt sprechen gleich die Waffen“, meinte dazu der edle Nomade kühl. Er öffnete den klirrenden Korb und zog einige einfache Kurzschwerter heraus. Dann deckte er noch einige entspannte Bögen auf und Pfeilbündel, aus seinem Ballen im Arm. Judas griff sich gleich ein Kurzschwert und drückte auch Josef eines in dessen klamme Hände. – „Äh, warte lieber mal noch, Junge. Die Anführer gehen im Krieg meistens hinten“, riet Josef ihm, mit etwas kläglicher Stimme. Aber da hatte Judas sich bereits zu den anderen Bewaffneten gesellt. Ohne dass diese einen Führer brauchten rückten die jungen Rebellen mit gezückten Schwertern vor, auf die beiden Rampen zu die zu den zwei weit geöffneten Türen des Tempelbergs führten, der doppelten und der dreifachen Tür. Josef machte einige zögernde Schritte in dieselbe Richtung, aber dann kehrte er lieber wieder um. Er blickte noch mal in die Pfütze, rätselte über dieses Zauberwort, und ärgerte sich dann sehr heftig.

80.

Judas rannte also mit den bewaffneten Bettlern und Unzufriedenen, mit jungen Radikalen, Banditen und Gassenjungen einfach die Rampen hinauf. Und bevor die müden Tempelwächter es merkten, oder merken wollten, da standen die Rebellen schon auf dem ummauerten Tempelhof. Sie kamen an einigen Pilgern vorbei, die mit ihren gestreiften Gebetsschals und Mänteln zum Tempel unterwegs waren, und nun hastig zur Seite auswichen. Auch die Diener mit Bauchläden, die Verkäufer und die Wechsler an den Zahltischen wichen den heranstürmenden Bewaffneten schnell aus. Ansonsten war im nassen Tempelhof noch kaum etwas los. Oben auf den Zinnen war kaum jemand zu sehen, denn der Regen hatte die Leute vertrieben die dort sonst gerne verweilten. Heute am Fastentag wurde der Vorplatz gereinigt, und nur in einigen Holzställen und festen Zelten waren noch Leute. Bewaffnete Wachen gab es hier keine, man verließ sich darauf dass die Gottheit selbst ihr Heiligtum beschützen würde. Oben am Opferaltar stieg etwas Rauch auf. Dort wurde das eine Lamm geopfert das der Gott Israels auch an Fastentagen forderte, um den Rauch zu schnuppern, wie es hieß. Judas rannte hinter der Schar der jungen Rebellen dort hin, denn was sollte er sonst tun? Er war nur ein kleinerer Junge unter lauter starken Jugendlichen und Erwachsenen, und in der Aufregung achtete kaum einer auf ihn. An der Schranke, die den Vorhof der Heiden abtrennte vom inneren Vorhof, trat den Rebellen ein Sadduzäer entgegen. Hochmütig und dennoch mit hörbar zittriger Stimme herrschte der ältere Opferpriester die Rebellen an: „Was soll das, und was wollt ihr hier? Ihr verübt Frevel gegen Gottes Heiligtum!“ Gleich kamen andere Sadduzäer, Pharisäer, Wächter und Diener herbeigeeilt um ihn zu unterstützen, und sie riefen durcheinander: „Achtet den Frieden des heiligen Bezirks! Der Elohim wird euch bestrafen wenn ihr sein höchstes Heiligtum mit Waffen entweiht! Dafür müssen wir noch mal viele Sühneopfer bringen, und die werdet ihr bezahlen!“ Die Rebellen zögerten und ließen ihre Waffen sinken. Sie blickten sich um nach einem Anführer, aber sie hatten keinen. Einige besannen sich dann auf Judas. Der kurzbeinige Knabe stand hinten eingezwängt hinter einigen Erwachsenen, und bekam kaum mit was vorne an der Schranke vor sich ging. Während man ihn nach vorne treten ließ, hörte er wie die Rebellen diskutierten, erst leise und dann lauter: „Wo ist denn der Sadokiter von vorhin? Ja, wo ist dieser Beduine in edler Tracht, der uns diese Waffen gab?“ Man blickte sich um und sah ihn nicht. Einer aber, ein untersetzter und doch klug wirkender Finsterer, erinnerte sich nachdenklich: „Jetzt fällt mir ein dass ich diesen Araber kannte! Das war einer von denen die oft bei den Räubern und Arabern herum lungern, die vor dem Tempel verirrten Pilgern auflauern.“ – „Ja“, bestätigte ein anderer verblüfft, „ich sah den Kerl auch in der Schar der Nabatäer. Es gibt ja in der Heiligen etliche Nabatäer die im Dienst stehen ihres Königs Aretas, der früher Achilles hieß. Und die Phasaelis bezahlt ihnen einen Lohn, die reiche Frau des Vierfürsten Herodes Antipas.“ – „So ist es! Freund, du sprichst die Wahrheit“, meinten andere. „Dieser Beduine war keiner von den Söhnen des Bundes. Sondern diese Araber beten die Astarte Derketo an und den Kriegsgott Ares Duschara, und all die anderen Götzen der Heiden.“ – „Na und? Die Araber sind eben auch keine Freunde der Römer, das ist ja bekannt. Viele von den Sadokitern sind in Wahrheit halbe Araber“, meinte nun ein Kämpfertyp, der ungeduldig sein Schwert hin und her zucken ließ. – „Ja, und Räuber sind sie auch, alle zusammen“, schimpfte der Sadduzäer der die Schranke bewachte. – „Ich bin Sadokiter“, rief da Judas, damit man ihm endlich vorne Platz machte und er reden durfte. Ein Kloß schien Judas in den Hals zu steigen als er vor die Schar der Rebellen trat, und sich ganz allein einem halben Dutzend Priester entgegen stellen musste. Was sollte er jetzt sagen? In seiner Not erinnerte sich der zerzauste Junge an all das was er seit gestern erlebt hatte. Und er erklärte den Erwachsenen fest: „Ich bin der Messias, der Gesalbte des Herrn! Erkennt ihr mich nicht? Ich war gestern bei den Schriftgelehrten. Und dies hier ist von jetzt an mein Tempel. Alles Eigentum der Welt gehört mir und meinem Vater Josef, und meinem Halbbruder Jesus noch dazu. Israel muss mir gehorchen so wie es König David gehorcht hat. Sonst wird der Gy'tt euch eine neue Sintflut aus dem Himmel schicken und alles Land untergehen lassen, auf unser Zauberwort hin! Das hat ja schon gestern dazu geführt dass es geregnet hat wie am Tag von Noahs Arche...“ Weiter kam Judas nicht, denn etliche Leute ringsum, Priester wie Rebellen, brachen in immer lauteres Gelächter aus. Selbst die gestrengen Tempelherren rissen die Münder auf und kicherten. Sie lachten zum hellen Morgenhimmel hinauf, wo die Sonne durch aufgelockerte Bewölkung hindurch schien. Dann meinte der vorderste Sadduzäer an der Schranke, jetzt mit mehr Mut und Gelassenheit: „Schau doch, Jungchen, es hat aufgehört zu regnen. Die neue Sintflut kommt nicht. Also verschon uns bitte mit diesem gotteslästerlichen Unsinn.“ – „Ja, komm Kleiner, gib mir dein Schwert bevor noch ein Unglück passiert.“ Ein Tempelwächter, angetan mit einem eindrucksvollen bunten Mantel, streckte seine Hand vor. – „Niemals!“ schrie Judas jedoch hell auf, und er wich spontan zurück. „Ich bin Judas Iskariot, der Dolchkämpfer!“ schimpfte er, von dem selben Eifer ergriffen der auch seinen Vater so oft unvermutet packte. „Die Sadokiter kommen schon in die Stadt hinein, und gleich werden sie hier sein, mit einer Schar von zehn tausend hundert Bewaffneten! Wir werden den Römern alles abnehmen was sie uns geklaut haben! Und das wird dann an die Armen verteilt, also zuerst an uns selbst, an die Eiferer, und an mich!“ Diese Rede kam besser an als die vorherige, Judas spürte es sofort. Sogleich stärkte sich der Kampfgeist in der doch recht kleinen Schar der Aufrührer. Sie schrien durcheinander während sie wieder voran drängten: „Recht hat der kleine Sichelkämpfer! Judas hier hat den Mut von König David! Und Sadok sagt ja: Eigentum ist Diebstahl! Und die Volkszählung der Römer ist eine Sünde. Juden, unsere Sache ist gerechtfertigt vor unserem Gy'tt!“ Immer heftiger redeten die Rebellen sich in Wut. Und während die Sadduzäer von der Schranke zurück wichen, da stürmten die Rebellen in den heiligen Bezirk. – „Und da kommt schon unsere Legion von Sadokitern!“ schrie einer freudig. „Seht doch, das Tor zur Oberstadt wird geöffnet!“ Aber als die Rebellen sahen wer da jetzt auf den Tempelhof vordrang, da wich der stolze Eifer aus vielen jungen Gesichtern. Denn durch die westliche Pforte, die direkt zum tiefer gelegenen Vorplatz führte und hinüber zum Stadtpalast der Hasmonäer, da trapste in ruhigem Laufschritt eine gepanzerte und gut bewaffnete Elitetruppe, eine spezielle Kohorte von Gardisten der Stadtwache. Dies waren wieder die 'Roten', vor allem gefürchtete Idumäer aus dem Süden. Von denen war bekannt dass sie mit Unruhestiftern keine Gnade zeigten! Einige dieser Gardisten waren auch Europäer. Diese waren teilweise so hochgewachsen wie die sagenhaften Giganten von Hebron. Der kleine Judas konnte kaum etwas sehen. Aber als er hochsprang und einen Blick auf diese Roten warf, da konnte er anschließend kaum noch stehen, denn nun wackelten ihm vor Furcht die Beine!

81.

Josef hatte den Rebellen von unten hinterher geschaut, er spürte Verzweiflung in sich aufsteigen. – „Wer das Schwert wählt soll durch das Schwert umkommen“, meinte der Veteran leise zu Josef, als er sah dass dieser übermüdet und schwächlich war und mutlos zögerte. „Aber wer das Schwert nicht benutzt ist ein feiger Hund, jedenfalls dann wenn es Krieg gibt.“ Der Fremde hob auffordernd die Rechte, und Josef reichte ihm sein Schwert hinein. Damit stapfte der Veteran auch noch hoch zum Tempel, er hinkte leicht. – „Ich bin ein heiliger Mann. Die Thora ist meine Waffe“, meinte Josef dann zu den älteren Leuten die mit ihm zurückgeblieben waren. Dabei schwenkte er die ausgerollte, durchfeuchtete Schriftrolle die Judas ihm in die Hand gedrückt hatte. – „Ach schau an, da ist ja die verlorene Thora mit den Notizen des alten Chodosis“, meinte plötzlich ein älterer Mann, mit einem Akzent der sich ägyptisch anhörte. Er gehörte zu jener Gruppe von Pilgern an die sich Josef gleich erinnerte. – „He, ihr seid doch die Gefährten des Philo von Alexandrien! Willkommen im heiligen Salem!“ erklärte er, mit herzlicher Freude. Diese gebildeten und reichen Juden aus Ägypten jedoch waren nicht so erfreut Josef wiederzusehen, der jetzt in dem kurzen Wollumhang seines Sohnes vor ihnen stand, welcher seine Blöße nicht verdecken konnte. Kurz entschlossen wickelte Josef sich das feuchte Papier um den Leib. Den Pilgern tat es weh das zu sehen. Und als sie dann sahen dass er im Gesicht bemalt worden war, da amüsierte sie das. – „Wau!“ bellte einer zu Josef. – „Ich rede nur die Hundesprache wenn der Pfingsteifer mich erfüllt“, erklärte ihm Josef würdevoll. Da lachten sie alle los. – „Was habt ihr?“ fragte Josef weinerlich. Niemand wollte ihm antworten. „Wo ist Philo? Holt ihn her, der hat sich doch neulich mit diesem Arschgeber abgegeben!“ murmelten die ägyptischen Juden. Es dauerte eine Weile bis man Philo zu Josef führte, aus einer nahe gelegenen Taverne wo dieser zu Morgen gesessen hatte. „Oi jeh!“ murmelte der Gelehrte aus Alexandria als er sich Josef in seinem merkwürdigen Aufzug anschaute. – „Das hier ist das geheime Schwarzbuch von Henoch, nicht wahr?“ fragte Josef ihn, weil er sich dessen plötzlich nicht mehr sicher war. „Ich fand es in der Wüste, also ist es jetzt mein Eigentum. Du hast Glück, edler Philo, dass du es bei mir findest. Denn ich würde es euch verkaufen, für hundert Schekel, oder so“, bot Josef dann spontan an, im frechen Tonfall der Bettler. – „Das sind leider nur die kryptischen Aufzeichnungen des armen toten Idioten Chodosis“, erklärte ihm Philo unwirsch. „Außer ihm konnte keiner dieses esoterische Geschreibsel verstehen. Leider hat es deswegen für uns nicht mehr den geringsten Wert.“ – „Oi jei!“ murmelte nun Josef betroffen, da er sich an dessen Tod in der Wüste erinnerte. „Ich hatte noch gehofft dass Chodosis mir sagen könnte wo die Bundeslade zu finden ist. Aber der plapperte die ganze Zeit vor sich hin, ich kam nie dazu ihn danach zu fragen...“ – „Die Suche nach der Bundeslade hat Chodosis in der Tat sehr beschäftigt“, erinnerte sich Philo nachdenklich. Der würdige und noch recht junge Gelehrte schaute sich dann doch flüchtig die Schriftrolle an welche Josef nun vor ihm ausrollte, und erläuterte: „Hier unten findest du seine Notizen und Berechnungen zu diesem Thema.“ Mit dem Finger wies Philo auf eine kaum noch lesbare Passage in dem Schriftstück. Er teilte dann kollegial Einzelheiten mit über die gelehrten Methoden des toten Chodosis. Dieser hatte mit der Hilfe der Paläographie das Wort Zion in verschiedenen Schreibweisen analysiert, und scharfsinnig sogar eine hypothetische vorsintflutliche Schreibweise rekonstruiert. Philo erklärte Josef nachsichtig lächelnd: „Unser Idiot Chodosis kam zu dem fast sensationellen Ergebnis dass das mythische Land Zion mit dem südlichen Land von Syene identisch ist, dem derzeitigen Gebiet Assuan an der Südgrenze von Ägypten, also einer Gegend die sich noch weit jenseits von der Elefanteninsel befindet. Konsequent vermutete Chodosis dass die Bundeslade nach dem Tod von Salomo dorthin verbracht worden sein müsse. Weitere Hinweise in diese Richtung erbrachten die Leberschau, das Auspendeln sowie die Dialektik. Aber nur durch eine sorgfältige Recherche kann man Sicherheit gewinnen. Chodosis war gerade dabei seine Hypothese mit Hilfe der Gematrie rechnerisch zu beweisen, denn als reputabler Gelehrter sollte man sich mit verschiedenen wissenschaftlichen Methoden absichern.“ Philo wies Josef auf eine Rechenkolonne in Quadratschrift hin, die mittendrin abbrach. „Hier müsstest du also weiter rechnen“, schlug er vor. „Du musst das Wort Bundeslade so umrechnen dass das Wort Zion dabei herauskommt. Du weißt ja, nicht nur im hebräischen Alphabet hat jeder Buchstabe auch einen Zahlenwert. Die Gematrie gilt unter uns Binsen als die beste Methode um etwas Wichtiges aus der Thora heraus zu lesen was dort leider nicht drin steht.“ – „Ja genau.“ Josefs hörte nicht mehr zu, er war in Gedanken bei der Recherche des korrekten Verkaufspreises. Er begann zu feilschen: „Dann hat diese Schriftrolle also doch noch einen erheblichen Wert. Ich würde sie euch für 50 Silberlinge verkaufen, oder nur noch für 30.“ Aber Philo winkte gleich ab und erklärte ihm im bitterem Tonfall: „Wir Rabbiner und Pilger aus Ägypten müssen leider derzeit sehr sparen, deswegen haben wir nur eine Herberge genommen hier in der Unterstadt. Wir haben einen Kredit aufnehmen müssen, den werden wir zu Wucherzinsen abzahlen müssen. Denn diese üblen Sadokiter – der El Schaddai soll diese Räuber beklauen – haben uns so ziemlich alles abgenommen was wir besaßen.“ Philo sprach da ein Thema an das die Gefühle ringsum erregte. – „Der freche Sadduk sagte uns es sei eine Steuer für die Befreiung Israels“, schimpfte ein reicher ägyptischer Jude. – „Diese Sadokiter und Eiferer sind noch schlimmere Zöllner als die Römer!“ schimpfte ein anderer. Diese Reden erregten Unruhe unter den Umstehenden. „Und jetzt sind diese Banditen dabei Jerusalem zu erstürmen?“ fragten die Einheimischen und Pilger ringsum besorgt. – „Was? Nein, das ist nur ein Tataren-Gerücht“, sagte Philo dazu verwundert. Er erzählte dann dass die Sadokiter sich kürzlich noch weiter in die Wüste zurück gezogen hatten, nachdem sie lange vor Bethlehem randaliert hatten ohne etwas zu erreichen. – „Aber dieser freundliche, freigiebige Beduine hat uns doch gesagt...“ begann Josef, wobei er sich nach dem Anstifter umschaute der die Schwerter verteilt hat. Doch der war längst verschwunden. Philo hatte die Chance genutzt um Josef stehen zu lassen. Als dieser ihm nacheilen wollte, da traten ihm gleich irgendwelche Diener in den Weg. „Philo, ich hab nur noch eine Frage!“ rief Josef laut. „Was steht da auf meiner Stirn? Ich kann es ja selbst nicht lesen...“ – „Es ist die Zahl eines Tiers“, erklärte ihm Philo noch gutmütig, bevor er in seiner Herberge verschwand. Josef wollte ihn noch fragen welches Tier denn gemeint war. Aber als er darüber nachdachte kam er von selbst darauf. Er rieb sich die Stirn, und ärgerte sich die ganze Zeit heftig über diesen Bubenstreich an einem Säufer.

82.

Josef schaute hinüber zum Tempelhof-Tor, das der Veteran gerade erreicht hatte. Der alte Hinkfuß sah gerade kurz hinein. Dann warf er sein Schwert fort und hastete die Rampe wieder herunter. Das erstaunte Josef, und er ging los um den alten Kämpfer zu befragen. Josef hatte eigentlich erwartet dass er jetzt bald Judas wiedersehen würde, der vielleicht schon gesiegt hatte da drin und der bald zurück kehren würde, schwer mit geraubtem Gold und Beute beladen. Es war ja eigentlich nicht erlaubt Tempel zu bestehlen, und es galt als gefährlich. Aber wenn doch die Römer schon dabei waren die ganze Stadt auszuplündern... Milde erschrocken war Josef als er jetzt mit ansehen musste wie eine Abteilung von schwer bewaffneten Gardisten im lockeren Trab aus dem Tempelhof-Tor schwärmte. Ihre rot gefärbten Federn oder Haarbüschel tanzten im Takt auf ihren matt glänzenden Helmen. Die herodianischen Elitesoldaten verteilten sich ohne Hast auf dem Platz vor der Rampe und in den Gassen ringsum. Etliche der Umstehenden eilten sofort davon. Josef dachte auch darüber nach, aber bevor er sich noch entscheiden konnte da hatte man ihn schon erspäht und umringt. Es war nämlich auch ein Tempeldiener bei den Gardisten, ein junger blasierter Thora-Schüler der Josef vermutlich von gestern her kannte. „Da ist er ja, der falsche Judenkönig!“ erklärte der Junge unfroh den Gardisten. Von den streng gedrillten Elitesoldaten kam darauf keine Reaktion, nur hier und da entspannte sich ein verkniffenes Gesicht. – „Du da, mitkommen!“ befahl der Zugführer, der Josef auch sogleich am Arm packte. Recht unsanft wurde Josef abgeführt, den steilen Aufweg hinauf der hinein in den Tempelhof führte. Hier blies ein frischer Morgenwind, der die Schriftrolle flattern ließ die sich Josef wieder um seinen mageren Leib gewickelt hatte. Josef sah nun dass die Morgensonne heiter durch die zerfetzte Wolkendecke schimmerte. War das schon sein letzter Morgen in diesem kurzen Leben? Er bekam ein gutes Gefühl bei dem Gedanken dass er jetzt vielleicht sterben müsste; denn mittlerweile war er fest davon überzeugt dass dieser Tatare doch recht hatte, und dass er nach seinem Tod in den Himmel fliegen würde. Das war das Beste über das Jenseits was Josef je gehört hatte, und obwohl von einer Himmelfahrt nichts in der Thora stand, glaubte Josef doch dass er eine Art Entschädigung verdient hatte von Gott, für sein bisheriges mieses Leben... Doch sein Schicksal nahm eine andere Wendung. Das spürte Josef gleich als man ihn über den fast leeren Tempelhof führte, vorbei an der Schranke und hinein in den heiligen Bezirk. Hier standen frierend die mürrisch bis froh blickenden Rebellen, mit seinem Sohn Judas in ihrer Mitte; friedlich neben Gardisten, Schaulustigen, Priestern, Dienern und Wächtern. Seitlich fanden sich gerade einige Nasoräer ein, welche mit ihren langen Haaren und bizarren Lumpen einen malerischen Anblick boten. Diese religiösen Schwärmer wirkten froh über die Abwechslung im täglichen Einerlei ihres Daseins als unterhaltsame Büßer und nervige Bettler. Einige erkannten Josef, sie riefen und winkten ihm zu. – „Hallo Josef, hier ist der Onan, dein alter Freund!“ rief einer von ihnen. Josef erinnerte sich dunkel an diesen besonders aufdringlichen Büßer, aber er war zu müde jetzt um ihn erneut zu begrüßen. Es gab noch andere Neugierige, Bettler und Radikale die nun versuchten sich Josef und den Rebellen anzuschließen; aber das wurde von den Tempeldienern und Gardisten zunächst nicht geduldet. Die Gardisten schienen aber von der allgemeinen Aufhellung der Stimmung überrascht zu sein. Man ließ Josef plötzlich los und zog sich in die Formation zurück. Josef fühlte sich hundemüde. Er trat nun einer ziemlich froh gestimmten Menge von Wartenden entgegen, es waren Priester, Diener und Tempelbesucher. Es gab Rufe: „Sei willkommen im heiligen Tempel, du neuer Samuel. Gelobt sei dein Sohn Juda, der gesalbte Messias. Heil sei dir, alter Josef! Ihr Zauberer und Regenmacher!“ – „Ja genau!“ meinte Josef leutselig, und er wagte es sich wieder etwas aufzurichten. Nach und nach ging ihm auf dass er über Nacht bei all diesen Leuten im Tempel jede Menge Ansehen gewonnen hatte, weil ja auf sein Zauberwort hin der lange ersehnte Regen gefallen war. Er sah die Pharisäer heraustreten aus ihren Gebäuden und Zelten, zusammen mit den Knaben die sie gerade wie üblich in den heiligen Schriften unterrichteten. Die Sadduzäer hatten sich vor dem Opferaltar aufgestellt, der gerade erloschen war und nun mit Bürsten abgeschrubbt und abgespült wurde. „Seht das Lamm Gottes! Sei willkommen an deinem Altar, Josef!“ rief einer von ihnen, mit einer gewissen Furcht in der Stimme. Das veranlasste etliche der jüngeren Priester dazu sich vor dem nun zittrigen Josef zu verbeugen. Und nach und nach sank die ganze Schar der Tempelherren vor Josef auf die Knie! Er konnte es nicht fassen! Das Papier mit dem er sich jetzt mühsam bedeckte knatterte leise, weil seine Hände zitterten. „Hat einer der Herren vielleicht ein sauberes Gewand für mich?“ fragte er höflich die gebückten Sadduzäer. „Er sollte das Gewand eines Hohepriesters erhalten“, schlug da einer vor. Viele andere stimmten dem zu. Die Tempelherren schauten sich um. „Joazar, unser Hohepriester, muss so was entscheiden. Aber er hat heute seinen freien Tag“, erklärte einer dann entschuldigend. – „Ich bin immerhin sein adliger Vetter“, rief da der Großrabbiner Ananus, als er mit kurios langen Schritten vor Josef hin schritt. Er sah sich Josef an und erklärte abschätzig zu ihm: „Du schaust aus wie eine lebendige Schriftrolle!“ – „Das bin ich ja in der Tat. Ich bin euer neuer Gott und auch euer neues Gesetz!“ erklärte Josef ihm würdevoll. Daraufhin blies Ananus empört die behaarten Backen auf und erwiderte streitlustig: „Das kann ja wohl nicht richtig sein! Das widerspricht völlig unseren Traditionen!“ – „So ist es“, meinte sogleich ein anderer Schriftgelehrter. „Auch der Gottvater muss sich doch an seine Gebote halten. Der Rabbi Tannait, der Palästiner, lehrte ja dass dass Gott und das Gesetz einst miteinander stritten, weil Gott eine zweite Welt erschaffen wollte, was aber der Thora widersprach. Es handelt sich also bei Gott und dem Gesetz um zwei Entitäten.“ – „Durchaus nicht!“ widersprach ein Dritter. „Denn kann Gott nicht auch mit sich selbst hadern, so wie wir Menschen mit uns selbst in Unfrieden geraten?“ – „Das geschieht doch nur wenn der Mensch besessen ist von einem bösen Geist. Dadurch gerät er in inneren Unfrieden und geistige Verwirrung...“ Schon wieder waren die Pharisäer mit ihrer üblichen Pilpulistik beschäftigt. Einer jedoch trat an den Disputanten vorbei und wandte sich an den fröstelnd wartenden Josef. Es war der raubeinige radikale Katzaffer, der nun über den Kopf des kleinen Ananus hinweg die Umstehenden anwies: „Jetzt mal Ruhe mit dem Geschwätz! Unser Herr selbst ist heute zu uns in seinen heiligen Tempel eingekehrt. Das hat er uns bewiesen durch das Regenwunder das er tat, und sein Sohn tat gestern noch weitere Wunder. Es gibt natürlich nur ein Gewand das würdig genug ist um unseren Messias jetzt einzukleiden. Holt die Ephod aus der Festung Baris!“ Dazu murmelten viele Sadduzäer entsetzt bis widerspenstig, aber die Pharisäer riefen beifällig: „Ja!“ – „Ja genau“, sagte Josef müde. Er schaute sich um nach Judas und winkte ihn zu sich. Dann musste dieser seinen Vater stützen. Denn Josef war so überwältigt von der Änderung seiner Lage und auch so geschwächt von seiner schlimmen Nacht, dass ihm jetzt die Knie weich wurden. Aber er begann zu grinsen, und er lachte sogar heiter während er zusah wie sich der weite Tempelhof langsam mit Neugierigen füllte. Da Ananus nicht widersprach und auch sonst kein Tempelherr Einspruch erhob, da war also Josef nun offiziell im Tempel als Gott anerkannt worden. Judas aber hatte die seltsame Idee dass der wahre Gott zur Zeit genau so übermüdet war und gähnte.

83.

Kurze Zeit später stand Josef freudestrahlend vor der Menge der versammelten Priester, Gelehrten und Tempelbesucher. Er trug noch den Wollumhang seines Sohnes. Dazu hatte man ihn in aller Eile mit einem langen weißen Ornat aus Leinen bekleidet, und ihm noch eine schlichte weiße Mitra auf seine Beule gesetzt. Nun waren Tempeldiener schon unterwegs um ihm das stattliche Gewand des Hohepriesters zu holen, welches in der nahe gelegenen Festung Antonia aufbewahrt wurde, und nur an den hohen Festtagen benutzt wurde. Wer ein alter Jerusalemer war der sagte noch Baris zu dieser Militärburg. So hatte die Festung Antonia früher geheißen, bevor ihr der gefürchtete König Herodes einen neuen Namen gegeben hatte... – „Das Festgewand des Hohepriesters bestehen eigentlich aus zwei Teilen, dem kleidsamen engen Untergewand und dem überaus kostbar verzierten Obergewand. Manche Tempelherren bezeichnen die zwei Teile als Ewoth, als zwei Frauen namens Eva“, erklärte ihm ein Leibdiener des Hohepriesters Joazar, „damit wir Diener uns daran erinnern dass wir auf die Ephod beständig acht geben müssen; wie auf eine schöne Frau die die Sünde an sich zieht, auf dass sie sich nicht verunreinige.“ – „Ja genau“, murmelte Josef, aber er war geistig weit abwesend. Der Tempelhof hatte sich mit immer mehr Gläubigen und Neugierigen gefüllt. Josef grinste arrogant bis einfältig hinab in den weiten Hof mit der hohen Mauer ringsum. Schon sein kindisches Kichern ließ nun die Frommen jubeln. Erst recht brachen sie in Jubel aus als Josef ihnen mit Gesten seinen Sohn Judas vorstellte. Dieser winkte vorsichtig mit ihrer Schriftrolle und hampelte dabei nervös herum. „Papa, ich hab ein schlechtes Gefühl bei dieser Sache“, vertraute er seinem Vater an. – „Gott will es und Gott kriegt es, nämlich das gute Leben mit Sahne oben drauf“, erklärte dieser jovial. „Und Gott, das sind jetzt du und ich, also der Vater und der Sohn. Vertrau mir, Judas! Komm, wir schauen uns erst mal unseren Tempel an.“ Spontan drehte Josef sich um und schritt langsam zum Tempel des Königs Herodes. Diesen hatte ursprünglich der Zorobabel erbaut, der auch Cherub-Babel genannt wurde, also der 'Engel Babylons'. Ganz Israel war stolz auf diesen Tempel, den König Herodes der Große größer wieder aufgebaut hatte, nachdem er bei der Eroberung der Stadt durch Pompeius ganz zerstört worden war... Josef sah jetzt staunend hoch zu den zwei riesigen Säulen an der Stirnwand, die traditionell Boaz und Jachin genannt wurden, was durch zwei Lettern in klobiger Quadratschrift verdeutlicht wurde. – „B und J steht da“, erklärte ihm nun Ananus, er sprach zu Josef wie zu einem ungebildeten Besucher. – „Oder W und J, denn ein B kann auch als W gelesen werden. Diese zwei Buchstaben symbolisieren die zwei Wurzeln des Stammbaumes aus dem der Messias hervorgehen wird. Der gilt ja ein nobler Nachkomme Davids. Du stammst doch zweifellos auch ab aus dem Haus von König David, nicht wahr, Josef?“ – „Nein, da steht aber J und W“, korrigierte Josef ihn nun. Er las die zwei Buchstaben am Tempel falsch, von rechts nach links. Dabei erklärte er leutselig: „Das liest sich: Jewa! Da oben steht einfach noch ein Zauberwort. Das habt ihr Priester bisher alle nicht kapiert.“ – „Ach so! Na so was!“ Die Priester ringsum lächelten und nickten, manch einer legte sich sogar die Hand reuig an die Brust. – „Mein Gott Josef, und wir haben das da oben immer falsch rum interpretiert!“ stellte Katzaffer erschrocken fest. Dann schaute er Josef genau an und stutzte. „Und was steht da auf deiner Stirn? Waff, waff, waff, also Wauwauwau, das ist doch ein Hundename!“ – „Waff ist auch ein geheimer Name Gottes“, knurrte Josef. – „Der Name des Gy'ttes lautet Jahwe!“ schnarrte Ananus. – „Das ist jetzt nur noch wie Brot von gestern, denn euer neuer Gott heißt Josef“, erklärte ihm Judas von oben herab. Er hatte sich an Josefs Seite gestellt und winkte genau wie sein Vater gelegentlich in die Menge hinein. Viele Kleriker stellten sich ringsum in Positur, und alle schienen auf weitere lichtvolle Worte und Offenbarungen von Josef zu warten. Dieser zögerte, auf dem Weg in den Tempel hinein. Denn so weit wie jetzt war er vorher noch nie gekommen, weil er hier ja nie geopfert hatte. Und Josef erinnerte sich schuldbewusst daran dass es gesetzwidrig war am Tempel zu erscheinen wenn man nicht opferte, nach dem fünften Buch Mosis. Und heute fanden ja wegen des Fastentages gar keine Opfer statt. An den vielen Fleischerhaken vor dem Opferaltar hing heute nur der Körper des einen makellosen Lammes das für den Gott Israels allein bestimmt war. Aber war er nicht hier und jetzt selbst dieser Gott? Und war dies nicht sein Tempel, mit allem Drum und Dran? Josef grinste noch breiter und befahl dann spontan den Opferpriestern: „Bereitet mir nun mein privates Lamm zu für das Opfermahl! Ich werde es jetzt gleich drinnen im Tempel essen!“ – „Huaach!“ Da erhob sich ein kollektiver entsetzter Seufzer aus der Schar der Priester und Rabbiner. – „Das darf nicht geschehen, Prophet! Die Thora erlaubt es nicht!“ widersprachen die Sadduzäer. – „Ach bitte ihr Herren, habt Mitleid!“ rief Josef, der plötzlich in den Tonfall des energischen Bettlers verfiel. „Ich bin euer Erlöser, und wenn ich nicht gleich was esse dann erlöst mich das von meinem Leiden! Und dann muss ich erst auferstehen, in den Himmel fliegen, und wieder zurückkommen, und das ist gewiss schwierig, auch dazu muss ich mich jetzt stärken. Das steht auch irgendwo in der Thora oder auf so einer Schriftrolle aufgeschrieben, und zwar im Buch, ähm...“ Josef erschauerte in der kalten Luft, und leckte sich die Lippen, denn jetzt fiel ihm gerade mal kein passendes Bibelzitat ein. Er sah Judas an, aber der wedelte nur stumm mit seiner unlesbaren Schriftrolle herum. Da kam ihnen der kleine Großrabbiner Ananus überraschend schnell zu Hilfe. Er erklärte, als unbestrittene Autorität auf diesem Gebiet: „Natürlich muss der Messias sich nicht genau an die Thora halten. Hat dies nicht der Prophet Habakuk einst so festgestellt: Der Aufgeblasene, unaufrichtig ist seine Seele in ihm! Aber der Gerechte wird durch seinen Glauben leben.“ – „Ja eben, der Messias lebt durch seinen Glauben, der braucht gar nichts zu essen. Der Geruch der Opferspeise genügt ihm doch“, rief da ein Sadduzäer, im typischen streitbaren Tonfall der frommen Juden. Josef widersprach ihm laut: „Am Anfang war Gott nur ein Wort im Buch Genesis. Aber das Wort wurde zu Gott, und der steht jetzt vor euch! Und genau so geht das mit Gottes Opferlamm! Am Anfang war es nur ein Gebot, dann wurde es geschlachtet und gebraten, und jetzt hängt es da. Es ist, mit einem Wort, meins!“ – „Aber Herr, dann sündigst du wie ein Fresser am Fastentag, und vor allen Augen noch dazu! Das wäre ein besonders schlechtes Beispiel für die Thora-Schüler!“ – „Ganz im Gegenteil. Ihr seid doch alle unwürdig und Sünder, das wisst ihr! Um eure Sünden zu sühnen, deswegen habt ihr mir dieses Lamm geopfert. Also nimmt dieses Lamm eure Sünden hinweg. Und ich nehme jetzt euer Opfer zu mir, und befreie euch so von euren Sünden. Ihr solltet mir noch dankbar sein dafür dass ich euch sogar am Faftentag noch von der... Laft euwer Sünden befweie!“ Josef konnte kaum noch sprechen, so sehr lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Er war sein Leben lang immer hungrig gewesen und schlecht ernährt, und jetzt sollte er fasten – im Angesicht seiner Fleischspeise die man ihm schon vor die Nase gehängt hatte? Das konnte doch nicht richtig sein! Spontan trat Josef nun hin zum gebratenen Opferlamm. Er rupfte sich etwas frisch gebratenes Fleisch ab und stopfte es sich in den Mund. – „Seht das Lamm Gottes, welches hinweg nimmt die Sünden der Welt! Gefressen ist es gleich, und mit ihm verschwinden auch eure Sünden!“ rief Judas lauthals hinaus auf den Vorplatz. Josef hörte den verhaltenen Jubel kaum noch der jetzt aufbrandete, denn er hatte allzu gierig seinen Bissen verschlungen. Er würgte in Atemnot, ein Schwächeanfall packte ihn und ließ ihn taumeln. – „Recht geschieht es dem Fresser am Fastentag“, meinte da Ananus nur, hasserfüllt zischte er nun. – „Wein!“ röchelte Josef, an Judas gewandt. – „Rasch, bringt Wein, das ist ein Notfall!“ befahl dieser.

84.

Josef bekam alsbald besten Wein kredenzt, und den schüttete er, so gierig wie üblich, in sich hinein. „Und dann tut mir noch Rahm und Senf und süßen Quark oben auf das Fleisch“, brabbelte er. Judas und Katzaffer führten den geschwächten Josef hinein in den Tempel Jahwes. Ihm folgte die große murmelnde Schar der Kleriker. Wieder wollten Bettler und Rebellen sich Josef spontan anschließen, aber die Tempeldiener ließen sie nicht passieren. – „Oi, wir gehören zu ihm!“ protestierte einer mit einer roten Säufernase. Und ein anderer meinte: „Josef, he kennst du deine Kumpels nicht mehr? Wir haben neulich noch das Brot geteilt, erinnerst du dich?“ Josef schwieg, er wollte davon jetzt nichts hören. – „Ist es nicht Gottes Lästerung wenn ein Galiläer, der hier vorher ein elender Bettler war, jetzt als Messias gelten will?“ schimpfte ein Bettler. – „Josef hat immerhin verlässlich Regen beschworen, also ist Gottes Segen gewisslich mit ihm“, erwiderte diesem ein älterer Priester. – „Er sprach sogar das Zauberwort das eine neue Sintflut kommen macht“, fügte Judas hinzu. Daraufhin erhob sich ringsum viel Gerede. „Aber was machen wir denn jetzt? Wann kommt denn die Sintflut? Herr Heiland, wie wär es denn jetzt mal mit etwas mehr Erbarmen?“ fragten sie alle durcheinander. Judas wollte ihnen befehlen ihm auch Fleisch zu servieren, aber das wagte er nicht, weil sein Vater das Fleisch so schlecht vertragen hatte. Sein Magen knurrte, und er verkündigte: „Ich werde euch einen neuen Kalender geben, mit viel weniger Fastentagen. Fasten ist sowieso Blödsinn.“ – „Aber junger Herr, das geht nicht!“ erwiderte da Katzaffer bestürzt. „Wenn wir Juden nicht ständig fasten, dann werden wir so dick, groß und schwer werden wie der Wunderstier Re'em! Und weil wir dann Sünder sind, nämlich Fresser, deswegen werden wir außerstande sein unsere Triebe und Gelüste zu bändigen!“ – „Der Stier Reem ist aber doch nur ein wildes Tier, und er muss die Gebote der Thora nicht einhalten“, gab sein knorriger Kumpan zu bedenken. – „Aber, lieber Jeshimon, deswegen ist der Re'em doch so wild dass jeder Versuch ihn für die Deichsel zu bändigen jüdischer Wahnsinn wäre!“ – „Wenn man das Tier auf halbe Rationen setzen tät würd das dennoch klappen“, mutmaßte der bäurische Kumpan. – „Immerhin ist ein Re'em-Stier, weil er nie fastet, so dick und mächtig dass es ihm viele Vorteile bringt. Deswegen hat er ja auch die Sintflut überlegt! Er war zwar zu wild und zu schwer für Noahs Arche. Aber er schwamm einfach hinterher“, erzählte Katzaffer. – „Ja, genau, das ist die Lösung für unsere Probleme“, rief da Judas plötzlich. „Weil der Re'em nie fastet deshalb hat er die Sintflut überlebt. Deswegen verbiete ich, der Heiland, von jetzt an alle solche Fastentage, und zwar bis zur nächsten Sintflut. Die könnte ja vielleicht schon morgen kommen!“ Judas warf aus der Vorhalle des Tempels hinaus noch einen Blick in den Himmel, und ignorierte dabei die älteren bärtigen Priester und Schriftgelehrten, die nun alle verblüfft bis andächtig schwiegen. Nur Katzaffer grinste und wirkte auf seine Art fast so tierhaft wie ein Re'em, ein mythischer wilder Monsterbulle. Josef gähnte derweil immer wieder, und staunte doch über die Weihgeschenke die im Tempel an den Wänden aufgestellt und angehäuft waren. Schon die Vorhalle war angefüllt mit goldenem Gerät und Kostbarkeiten. Noch mehr Glitzerzeugs häufte sich im Hekal, dem Hauptraum im Heiligtum. Als Tempeldiener nun den großen bodenlangen Vorhang etwas hoch banden, da fiel durch die halb offenen Tore helles Morgenlicht in diesen von Kerzendunst stickigen Hauptraum. Direkt gegenüber stand der glänzende Hochaltar Jahwes mit der riesigen Menora, dem siebenarmigen Leuchter. Wie üblich brannten aus Kostengründen nur drei seiner sieben Öllampen. Über dem Altar und ringsum wachten scheinbar geflügelte Engel und Tierdämonen, Cherubim und Seraphim nannte man diese Chimären-Monster. Man sah überall ringsum Amphoren, Truhen, Kisten, Krater und Krüge; voll mit glitzernden Kleinodien aus Silber, Gold, Edelhölzern und allen möglichen Edelsteinen. Einige Weihegaben bildeten heilige Objekte des Judentums ab, von der Arche Noah bis zur Bundeslade und dem Tempel. Goldene Leuchter mit drei, sieben oder neun Armen zierten die Wände. Es gab schöne Schmuckvasen. An den Wänden hingen Tafeln, mit Sprüchen in Hebräisch oder Aramäisch oder sogar Griechisch, die Josef alle nicht lesen konnte. Lieber schaute er sich die Dekorationen an den Wänden an, die grünen Ranken und die vergoldeten Stuckarbeiten mit Schriftzeichen und Strahlenbündeln. Man sah dort wiederum goldene Cheruben, also Engel in Gestalt von geflügelten Monstern, die laut der Thora einst schon die Bundeslade des Moses oben geschmückt hatten. Die Wände und der Fußboden bestanden aus echt libanesischem Zedernholz, das über die Jahrhunderte hinweg ständig seltener und teurer geworden war. Die Tempeldiener hoben derweil einen schweren Thron nach vorn, der Bezug war mit teurem echtem Purpur eingefärbt. Josef wurde sorgsam darauf platziert und erhielt sogar noch eine passende Fußbank dazu. Dann reichte man ihm noch mehr von seinem frisch gebratenen Opferlamm, auf einem goldenen Teller! – „Und noch Wein!“ murmelte er mit vollem Mund während er sich erneut gierig das trockene Fleisch in den Mund stopfte. – „Besser nicht, denn Wein verträgt er schlecht“, rief Judas den Dienern zu. Daraufhin wurde Josef plötzlich rabiat, und ereiferte sich: „Judas, schweig doch! Ihr Herren Priester, also meine Diener, glaubt mir, mein anderer Sohn Jesus taugt viel mehr als dieser Bengel da! Jesus ist außerdem zugleich der Sohn meiner jungfräulichen Frau, die von einem blonden Engel gebumst wurde. Gy'tt sei Dank ist Jesus nicht blond sondern schwarzhaarig geworden, weil ich ihn mit der Thora erzog.“ – „Das stimmt“, bestätigte Judas den staunenden Tempelherren. „Aber Jesus ist einfältig, das sagen alle. Und Mama ist gar nicht mehr Papas Frau. Denn sie hat ihn neulich in die Wüste davon gejagt. Und deshalb hat Papa den weisen König Melchior aus dem Morgenland geheiratet.“ – „Judas du Verräter! Halt jetzt endlich deinen plappernden Mund!“ Josef warf mit einem Fetzen Fleisch nach seinem Sohn. Dieser legte sich daraufhin tatsächlich beide Hände vor den Mund. – „Unglaublich! Das darf doch wohl nicht wahr sein!“ murmelten die betulichen Kleriker ringsum. „Und jetzt sitzt er im heiligen Tempel und frisst und säuft Wein, ja er schlemmt wie ein Römer!“ zischte Ananus. Josef antwortete ihm im groben Tonfall der Bettler: „Ja glaubt ihr Kerle denn dass die Gotteskraft ohne Weiteres zum Gott kommt? Der Gott der seine Fastengebote nicht beachtet wird dadurch kräftig wie ein Kampfhund!“ Den Klerikern und Dienern sah man nun an dass es ihnen schwer fiel Josefs Anblick standhaft zu ertragen. Er schmatzte ihnen was vor, und sie durften noch stundenlang nichts Essbares anrühren. Josef reckte sich und begann zu predigen, nach einer Geschichte aus dem Buch des Priesters Esra, Kapitel 10: „Einst fastete der Priester Esra für das Volk Israels, denn das Volk war sündhaft, wie üblich... Esra ging in die Kammer seines Sohnes... Er ging dort hinein und aß kein Brot und trank kein Wasser... Esra tat Buße wegen der Sünden der Juden die in Babylon gefangen gewesen waren! Habt ihr verstanden was das bedeutet? Versteht ihr den Sinn dieser Bibelstelle?“ fragte Josef laut. Schweigen breitete sich aus unter den Klerikern, und man hörte wie sie mit den Füßen scharrten. Josef aß derweil noch Fleisch, das jetzt für ihn noch eilends mit Senf und Sahne bestrichen wurde. Dann offenbarte er ihnen mit vollem Mund: „Esra aß kein Brot und trank kein Wasser. Genau so wie Esra fastete, so faste nämlich jetzt ich. Ich esse nur Fleisch und trinke nur Wein. Mehr Wein!“

85.

Schwerer roter Wein wurde Josef jetzt erneut eingeschenkt in seinen Silberkelch. Daraufhin trank er gierig und verstummte erst mal. Der Großrabbiner Ananus erklärte unterdessen, langsam und mit unterdrücktem Zorn: „Dies ist eine Angelegenheit ohne jegliches Beispiel, und unvorhergesehen! Wie soll denn jemand von uns Pharisäern in dieser Frage Bescheid wissen, wenn weder die Thora noch die Halacha noch sogar die Schriften der Abweichler dazu den geringsten Hinweis geben?“ – „Gott selbst wird uns vielleicht mit Sophia helfen.“ Dies sagte ein klug wirkender Bauhandwerker. – „Eine Frau soll uns raten? Frauen müssen im Tempel schweigen“, erklärte der knorrige Pharisäer, der das alles nicht so ganz verstanden hatte. Er und andere schauten sich nun um nach dieser Frau. – „Aber Jeshimon, er meint doch nur die göttliche Weisheit Sofia“, erklärte Katzaffer seinem Freund. Einige hellenistische Philosophinnen und Philosophen hatten Sophia, als Aspekt Gottes, auch in die jüdische Theologie eingeführt. Aber diese Weisheit war den konservativen Klerikern wesensfremd. Ananus erinnerte an die offizielle Lehrmeinung: „Die Philosophie ist ein gefährlicher Irrweg, wenn sie uns dazu verleitet an der absoluten Gültigkeit der jüdischen Theologie zu zweifeln.“ – „So ist es. Man soll im Tempel nicht denken sondern nur gehorchen!“ riefen nun etliche Kleriker zustimmend. Jeshimon befand sogar, mit einem Blick auf Josef: „Etwas können wir immerhin feststellen, was die Sophia der Philosophen angeht. Unser heiliger Josef dort ist der lebendige Beweis dafür dass die Idee von der Weisheit Gottes ein Unsinn ist. Diese Sofia existiert nicht.“ Viele Kleriker murmelten beifällig. Jeshimon reckte sich stolz, ja er wirkte nun wie aufgeblasen als er fortfuhr zu erklären: „Die griechischen Philosophen wollen alles verstehen und erklären. Sie studieren und zerreden die Welt, bis nichts mehr davon übrig bleibt. Aber schon ein Wunder bleibt für sie unverständlich, ja viele können es gar nicht wahrnehmen! Wir Pharisäer jedoch lesen nicht nur viel über die Wunder. Sondern wir erkennen auch Wunder wenn sie uns begegnen. Und der schöne Regen von vorhin, der unsere Weiden und Gärten tränkte, war ohne jeden Zweifel ein Wunder, welches der heilige Josef gewirkt hat!“ – „Hört, hört! Man muss nur glauben dann wird man sehen“, riefen etliche Kleriker beifällig, und die gesamte Menge wirkte froh und gläubig. Nur der kleine Ananus gab zu bedenken: „Nicht jeder Regen ist aber auch ein Wunder das irgendein Wundertäter getan hat.“ – „Der Junge heilte auch einen Gelähmten, so hieß es gestern im Vorhof der Heiden“, erklärte ein junger Thora-Schüler. – „Aber heilte nicht auch der Heide Asklepios viele Kranke?“ meinte nun ein skeptischer Pharisäer. – „Er tat es, genau so wie Eshmun der Syrer“, bestätigte ein anderer. „Auch ein gewisser Eunus konnte ja erstaunliche Wunder tun, der entlaufene Sklave der sich einst als heiliger König ausrufen ließ in Sizilien!“ – „Dieser Sklave tat es mit der Macht der bösen Geister!“ Dies vermutete der radikale Katzaffer. Daraufhin verstummte die Menge, und alle blickten Josef misstrauisch an. Doch dieser süffelte und schmauste und war geistig abwesend. Der Bauhandwerker wagte sich nun wieder nach vorn, und er erklärte: „Auch die Macht Satans bewirkt gute Wunder, um uns Gerechte irre zu führen. Keiner tat ja mehr Wunder als der König Salomo selbst. Seinen Tempel ließ er aber von zwei Dämonen erbauen. Der Zauberer Ornias hatte diese herbei geschworen und gebunden. Es kann also so sein dass böse Mächte sogar Gutes bewirkten!“ Der weise wirkende Mann blickte sich nachdenklich um, während seine Rede die Kleriker verstummen ließ. Judas schwand etwas der Mut bei allen diesen Geschichten, denn jetzt hörte es sich fast danach an als ob böse Mächte hinter ihm und seinem Vater wirken würden. Er sah sich Hilfe suchend um nach seinem Vater. Josef hustete, rülpste und gähnte. – „Ist das so? Stehst du mit dem obersten Teufel im Bunde?“ fragte Ananus den Josef nun fordernd. – „Jahwewau“, murmelte dieser, und döste dann unvermittelt ein. Als ihm dabei der goldene Teller mit dem Fleisch aus der Hand sank, da fing Judas diesen geschickt auf. Bei dem Weinkelch glückte dies Judas nicht. Dieser fiel mit einem hellen „Bäng!“ auf den Holzboden und verspritzte seinen restlichen Inhalt weithin über die Priester und Diener. Daraufhin stießen all die Tempelherren und Schriftgelehrten erneute entsetzte Ausrufe aus. Judas lachte unfroh und erklärte: „Das ist Gottes Strafe für euren Unglauben! Wir machen Wunder, wenn ihr glaubt, und dann könnt ihr verstehen dass alles was so passiert unsere Wunder sind. Und wir sind Gott der Vater und sein eingebildeter Sohn, das ist so weil wir das sagen, also könnt ihr das sehen und glauben. Wenn ihr aber nicht glaubt dann ist das der Weg der euch zum Satan Belial führt.“ – „Das hier ist alles doch nur eine kindische Lästerung des Herrn der Spötter!“ schimpfte daraufhin ein ernster Tempelherr. – „Dem ewigen Gott El Eljon selbst beliebt es gelegentlich zu spotten“, sagte der Baumeister sanft. „Wie sonst wären die Tücken der Thora zu erklären?“ Damit behielt der Baumeister das letzte Wort in dieser Debatte. Ananus blies zwar noch die Backen auf, aber dann sah er erschrocken Josef an. Dieser war inzwischen wieder aus dem Schlaf geschreckt, und er beschwerte sich lallend: „Wer von euch machte hier so nen Bäng? Ich erschlah ihn, nächste Mal, mit nem Geil vonne Himmel hoch!“

86.

„Erschlage lieber die Römer, du Löwe von Juda!“ riet ihm da der Hohepriester Joazar. Dieser eilte nun in den Tempel hinein, mit entsetzter Miene, im dreckigen Gewand. Seinen Sadduzäern und all den Klerikern erklärte Joazar, milde wie üblich, übermüdet und verlegen: „Ich war leider die ganze Zeit unterwegs. Es hatte doch geregnet, und wenn ich da nicht in unseren Gemüsegärten nach dem Rechten sehe, dann schlafen die faulen Sklaven dort die Nacht durch anstatt Wasser zu sammeln...“ – „Hier kannst du mal nach dem Rechten sehen, bevor die Welt untergeht!“ hielt ihm Ananus leicht bitter vor. – „Dafür ist doch gesorcht!“ versicherte ihm Josef schläfrig. „Fürchet euch nich sahte mir der Engel. Denn der Engel is gekommen in der geiligen Jungfrau. Der Jessias wurde gezeucht, und der sorcht für das Ende!“ – „Dann ist es also wahr dass der Gy'tt unsere Gebete erhört hat in unserer Not! Und er hat uns die passende Antwort geschickt!“ meinten jetzt einige radikale Thora-Schüler. Doch die älteren Priester und Gelehrten widersprachen: „Nein, das geht hier so nicht, denn das ist gegen das Gesetz und die Tradition zugleich! Wenn wir vom Gott besondere Hilfe benötigen, dann müssen wir das Gesetz des Mose wieder sehr viel strenger einhalten als in all den Jahren zuvor, wo doch so viele und schlimme Sünden verübt wurden!“ – „Ihr müsst uns glauben und euch bekehren, das reicht schon“, erklärte ihnen Judas selbstbewusst. – „Tut was er sagt! Mit Gottes Macht ist nicht zu spaßen!“ befahl Joazar dem versammelten Klerus. Viele der Priester drängten sich daraufhin an Josef und auch an Judas heran. Manche fielen trotz der Weinlachen auf dem Boden auf die Knie, in ihren steifen Leinengewändern. Diese Flecken würden nie wieder rausgehen, das wussten sie wohl, doch ihre Glaubensnot kannte kein Gebot der Reinlichkeit! Der hagere Hohepriester und Sadduzäer Joazar bat nun Josef besonders demütig: „Vergib mir oh Herr, dass ich an deiner Macht gezweifelt habe, die ganze Nacht lang! Doch wenn du nicht im Sinn hättest uns zu retten, vor der Plünderung der römischen Zöllner und Sünder, dann wärst du doch nicht zu uns gekommen als unser Herr, nicht wahr?“ – „Mög die Nacht mit euch sein!“ So segnete Josef nun die Priester zu seinen Füßen. Judas sah dass jetzt auch Esséner in den Tempel traten, die mit ihren stilvollen Lumpen hier unangenehm auffielen. Bei diesen war der junge weise Simon, der Traumdeuter den Judas als schwierigen Kerl noch in Erinnerung hatte. – „Sind hier die Eiferer die von sich behaupten sie wären unsere beiden heiligen Könige?“ fragte Simon laut in den Hauptraum hinein. „Wir alle sind auch Eiferer!“ – „Ein frecher Bettler kommt selten allein“, meinte Ananus nun, mit einem abschätzigen Blick auf die von den etablierten Sekten allgemein verachteten Esséner. Er sah selbst derzeit nicht mehr besser aus, denn sein weißes Gewand aus steifem Leinen mit blauen Streifen war jetzt voller Rotweinspritzer. Dennoch trat Ananus den Essénern entgegen wie ein alter Kontrahent der seinen Gegner erspäht hat. Judas flüsterte seinem Vater zu: „Papa was machen wir mit denen?“ – „Wenn die Bettler zu ville wehden dann schmeiß man sie ehm raus“, erinnerte sich Josef, während er sich die Augen rieb. Während die überwiegend alten Kleriker ihre Bärte rauften und diskutierten gab es schon wieder Bewegung hinter dem Vorhang. Leise traten junge Tempeldiener herein mit einer Neuigkeit: „Die heiligen Ephod wollen nicht kommen um einen Messias zu bekleiden!“ erklärte einer in gesalbtem Tonfall. – „Ein böses Zeichen!“ murmelte der Großrabbiner Ananus. Ein anderer der Tempeldiener erläuterte dann: „Die Römer in der Festung Antonia weigern sich das Gewand des Hohepriesters für den frechen Bettler Josef herauszugeben. Denn erstens ist heute kein Festtag; und zweitens darf nur Joazar die Ephod anziehen, derjenige Erbpriester welchen der römische Prokurator Coponius zum Hohepriester ernannt hat.“ – „Und drittens, äh“, rief ein junger Thora-Schüler, ein ganz aufgeregter blasser Jüngling mit blonden Haaren, „drittens muss erst noch der Quästor Quirinus den Wert dieses Gewandes schätzen, weil es ja doch zu dem Vermögen des Fürsten Herodes Archelaus gehörte, das die Römer jetzt beschlagnahmt haben.“ Diese Neuigkeiten waren für die alten Kleriker ein großes Ärgernis, alle murmelten nun wild durcheinander: „Das ist doch eine riesig große Provokation! So groß ist Coponius doch wie Goliath, der sich vor König David aufblies! So was darf Israel niemals erdulden, nicht einmal von den Römern! Was machen wir denn jetzt zu Purim und zu Passah?“ Das reichte nun dem Hohepriester Joazar, der sich vor Josef und Judas sogar auf dem Boden warf. Mit seiner verschwitzten Stirn berührte der hagere Orientale den Boden, und dann rief er klagend aus: „Vater und Sohn, die Macht Gy'ttes ist mit euch, das sahen wir, und diese allein kann uns erretten!“ – „Gy'tt wird für euch beten, ah, asso Herr, höre, ich zu mir und selbst!“ lallte Josef. Er raffte sich auf und wollte auch auf die Knie fallen, aber das war ihm jetzt doch zu mühsam. Er hatte zu wenig und schlecht geschlafen, nun plagten ihn Kopfschmerzen. Also betete er stehend: „Vater unser, Herr Himmler, ähm, sag ma selbs, wenn die Römer zu ville werden sind, nä, dann schmeiß ich die ehm raus, das mach ma!“ Judas setzte sich gerade vorsichtig auf das goldene Fußbänkchen seines Vaters. Gierig begann er Fleisch zu verschlingen, und schaute dabei mürrisch in den Raum. Hinten predigte Ananus gerade den Essénern, es klang wie eine tückische Anklage: „Ihr kommt jetzt an und denkt gewiss: Mit Josef könnte euch der große Aufstand wohl glücken, die Rebellion die ihr schon lange heimlich plant. Aber gedenkt der Worte der wahren Propheten! Habakuk offenbarte uns einst diese Worte über den Sohn Davids, den wahren künftigen Heiland: „Und dazu kommt noch der tückische Wein. Der Mann wird übermütig und bleibt nicht ruhig, er wird so begehrlich wie der Scheol und so unersättlich wie der Tod, so dass er alle Völker zu sich scharen und alle Nationen an sich ziehen will.“ Diese Worte erregten Josefs Unwillen, und unruhig zappelte er auf seinem Thron herum. Nun fragte ihn Joazar mit verlegener Stimme: „Josef, du stammst doch gewisslich ab von König David, nicht wahr?“ – „Hmm...“ Josef kratzte sich während er nachdachte. Dann verkündete er: „Ich bin... ouh... un zwar bin ich de Sohn des Jakob, genannt Schotai, der Narr, der de Sohn war von Mattian dem Idioten, welcher abstammte vom Sklaven Elai, genannt Syrus, ahm... aber das is nich sicher...“ Josef bohrte sich nachdenklich in der Nase. – „Vielleicht war Elai der Erbpriester Eleazar, welcher nachweislich vom König David abstammte“, flüsterte ihm Katzaffer zu. – „Ja genau!“ sagte Josef, und er grinste erleichtert und froh. Die Kleriker aber hörten ihm schon kaum noch zu. Sie schauten gerade mit Widerwillen auf Judas, der wagte was unter den Frommen als große Sünde galt, nämlich öffentlich zu schmausen an einem Fastentag. Judas erschrak als er begriff dass er jetzt was sagen musste, da sein Vater schon wieder döste. Frech wie er nun mal von Natur aus war ergriff Judas die Gelegenheit die Kleriker zu maßregeln: „Ihr Priester schaut uns alle so an als ob wir große Sünder wären, Idioten und faule Penner, und Fresser und Weinsäufer und halbe Araber! Aber wir sind der Gottvater und sein Sohn! Was Sünde ist das bestimmen jetzt wir!“ Er hob die Schriftrolle und ließ sie wild durch die Luft sausen. Dazu tönte er: „Für uns Götter seid ihr nämlich alle Sünder, weil ihr einem neuen, noch unbekannten Gebot nicht gehorcht habt!“ Die jungen und alten Tempelbesucher erschraken. Mutig fragte Ananus, mit lauernder Stimme: „Und was sollte das für ein neues Gebot sein?“ – „Ihr müsst alle immer über die Türschwellen hüpften! Gott will es von jetzt an so haben! Denn ihr habt aus meinem Tempel eine Schwatzbude gemacht, wo alle die ganze Zeit reden. Aber hier muss die Ruhe herrschen die mein Vater braucht, euer Herr und Gott, für seinen Mittagsschlaf. Also los jetzt, raus mit euch aus meinem heiligen Tempel, denn Gott befiehlt Ruhe! Und jeder von euch hüpft beim rausgehen nach dem neuen Gesetz über die Türschwelle! Ich Judas will es sehen! Los ihr alten Sünder!“ Als Judas nun frech aufsprang und anfing die Priester mit der Schriftrolle aus dem Tempel hinaus zu treiben, da gehorchten die meisten sofort, so wie sie ihr langes Leben lang irgendwelchen unverständlichen Geboten gehorcht hatten. Judas kicherte kindlich als er sah wie die gesetzten Kleriker sich mühsam zu Luftsprüngen bequemten. Nur Ananus zischte, von plötzlicher Wut erfasst: „Weißt du Lausbub was ich glaube? Du bist nicht der wahre ewige Gesalbte Gy'ttes, sondern du bist in Wahrheit der Lebbäus, also der Teufel Belial wenn er Kindereien macht!“ Und obwohl ihn Judas daraufhin frech noch in den Rücken stupste ließ Ananus sich nicht aus der Ruhe bringen. Zögernd nur verließ der Großrabbiner den Tempel. – „Wenn man sich diese Welt anschaut, dann könnte sie gewiss das Werk eines berauschten Idioten sein“, meinte der blonde Thora-Schüler noch zu Judas, sichtlich bemüht ihn freundlich zu stimmen. Während Judas ihm hinterher starrte huschte jemand an ihm vorbei, der ebenfalls das weiße Gewand eines Schülers trug. – „He da! Der Tempel ist jetzt geschlossen, das ist ein neues Gebot Gottes, du Sünder!“ schimpfte Judas. Doch da erhielt er einen Hauch von einem Kuss auf seine Wange. – „Ich bin doch nur dein Engel!“ wisperte Herodias. „Ich bin der Traumengel Ridja, der den Regen fallen lässt oder nicht. Kurz bevor es heute regnete hab ich den Regen nämlich herbei gewünscht, und ich dachte an dich!“ Judas erkannte ihre Stimme sofort, aber nicht ihre Haare. Denn die Prinzessin trug nun ein weiches Barett über kurzen schwarzen Zotteln, und sie hatte sich einen Bartschatten gemalt. Erschrocken erinnerte er sich daran dass er Herodias nachts genau so im Traum gesehen hatte! Das war schon wieder ein Wunder!

87.

Einen Moment lang verharrte Judas; erotisiert und gebannt und dennoch bedrückt. Im Halbdunkel der Vorhalle konnte er Herodias kaum erkennen, sie sah mit ihrer weiten Mütze auf dem Kopf und dem Bartschatten im Gesicht tatsächlich aus wie ein Junge. Erst als sie sich den falschen Bart mit einem Schminktuch vom Gesicht wischte, da erkannte Judas die jüdische Prinzessin tatsächlich so halb wieder. Herodias hatte sich zögerlich von ihm entfernt, aus dem Lichtschein hinaus der durch die offenen Tore in den Tempel drang. Sie beugte sich über den blank polierten Silbertisch für die Schaubrote und betrachtete versonnen ihr Gesicht. Nun wartete sie nervös auf seine Reaktion. Judas blickte sich fahrig um und starrte nach draußen. Im mystischen Tonfall erklärte sie ihm: „Sei ohne Furcht! Ich trage unter diesem Mantel das Zaubergewand der Königin Semiramis. Deswegen wurde ich nicht erkannt!“ Judas war vor allem erst mal erschrocken, und er hatte Angst vor Herodias. Das latente schlechte Gewissen das er die ganze Zeit verdrängt hatte, das manifestierte sich jetzt in ihm. Aber aus dem Gefühl heraus entschloss er sich dennoch der Prinzessin zu vertrauen. Sie war ja doch zu ihm gekommen so wie die Frauen und Männer eben zueinander kamen... Um die Prinzessin vor neugierigen Blicken zu schützen winkte er sie hinein in den Hauptraum des Heiligtums, wo einige ewige Lichter brannten. Hinter ihr ließ er den großen und kostbar gewirkten Vorhang zufallen, der den inneren Tempel abtrennte. Unehrlich wie er eigentlich immer gewesen war erzählte Judas der Herodias dann flüsternd: „Ich hatte eben Angst gehabt dass du so schlimm für uns bist wie es dein Onkel war, der Herodes Antipas.“ – „Der ist gar nicht schlimm. Mein Großvater der König, der war wirklich schlimm. Der hat viele Leute aus Hass umgebracht. Auch meinen Vater hat er töten lassen. Damals war ich vier. Ein Zauber hat mich gerettet.“ – „Aber du bist kein echter Engel, nicht wahr?“ Herodias zögerte lange mit ihrer Antwort, während sie sich neugierig umsah, und ihre gepflegten Hände hier und da in eine Truhe oder Vase mit goldenen Kleinodien hinein steckte. Dann sagte die Prinzessin, leise um den schlafenden Josef nicht zu stören, und mit einer gewissen Herablassung: „Die Sadduzäer sagen dass es gar keine echten Engel gibt.“ – „Aber ich hab einen gesehen, wenn es nicht nur ein Trick war, so eine Gaukelei wie im Theater“, versicherte ihr Judas zweifelnd. – „Es war leider nur ein Trick. Meine böse Tante Salomé hat euch damals ihren besten Sänger geschickt in seinem Federkostüm, um euch zwei angebliche Idioten zu verwirren. Er trug auch meine blonde Perücke um euch zusätzlich zu täuschen, in Wahrheit ist es sein falsches Haarteil. Euryalos heißt er; und er ist ein Kastrat, also ein Verschnittener, was gegen das jüdische Gesetz ist. Deshalb darf er fast nie nach draußen, er muss immer in einem hinteren Haus bleiben und in seinem kleinen Garten. Du weißt wie bekloppt manche fanatischen Juden sind, gerade wenn es um den Sex geht. Weil er so schön ist und so schön singen kann meint er dass alle eifersüchtig wären auf ihn. Euryalos hat Angst dass man ihn vergiftet, wenn bekannt wird dass er keine Hoden mehr hat. Meine Tante Salomé hat tatsächlich Gifte, was ebenfalls gegen das Gesetz ist“, teilte ihm die Prinzessin kenntnisreich mit. Dazu lächelte sie so herzig dass Judas ihr sofort alle möglichen Schurkereien im Voraus vergab. – „Salomé ist sogar eine Giftmörderin, das verriet mir mal heimlich mein Onkel Herodes Archelaus. Und weißt du woran das liegt? An ihren dicken Perücken!“ – „Was? Wieso?“ – „Tante Salomé hat in Wahrheit einen Kahlkopf wie ein ägyptischer Priester. Aber sie trägt gerne dauernd diese dicken Geräte auf dem Kopf. Wenn es dann richtig heiß wird im Sommer, dann wird ihr der Kopf von den Perücken so heiß dass sie von Sinnen gerät.“ – „Oh! So was ist echt Mist“, meinte Judas bedrückt. Er erinnerte sich an etwas das er mal unterwegs gehört hatte: „Deswegen tauchen die Täufer gern in so Wasserbecken unter, um sich kalt zu machen.“ – „Manche Täufer suchen den Kontakt zu Tehom. Das ist das Monster der unterirdischen Quellen. Sie lässt süße Quellen aufsteigen, an den Orten die das verdient haben.“ – „Ist das wirklich wahr?“ fragte Judas zweifelnd. – „Ich kann sie herbei rufen, denn sie kam schon mal nachts im Traum zu mir. Aber Tehom ist scheu, und niemand darf wissen wo sie wohnt, in ihrer tiefen Wohnung. Die Täufer Arabiens meinen dass unten im Untergrund die sündhafte Frau Ewath lebt, sie ist ein gefallener Engel. Und die war auch die Schlange im Paradies, die der Eva den Apfel der Weisheit reichte.“ – „Moses konnte auch Quellen zaubern, einfach indem er auf einen Felsen haute. Der brauchte Tehom nicht, und mit der Schlange in der Tiefe wollte der sicher nichts zu tun haben“, meinte Judas fast erschrocken. – „Moses hat sogar eine Schlange aus Eisen schmieden lassen“, erinnerte ihn Herodias. – „Ja, aber das war sicher so ein Engel von den jüdischen Teufeln, ähm, Täufern. Die Esséner taufen ja auch, und die kennen viele gute Engel, aber die leben oben im Himmel.“ – „Diese Sektierer sind doch total aus der Mode, schon weil sie immer diese Lumpen tragen. Das sagt doch schon alles über die.“ Plötzlich schien die muntere Prinzessin das Interesse an der Konversation zu verlieren. Sie ließ Judas stehen, während sie weiter Vasen und Kisten durchstöberte. Aus einer zog sie eine goldene Kette heraus mit bunten Steinen daran, und betrachtete sie lange und wohlgefällig. Judas betrachtete Herodias verstohlen, und stellte fest dass sie ihm gefiel. Er vermisste ihre blonde Perücke die sie sonst immer trug, aber andererseits war sie nun nicht so unnahbar. Sie spürte seine Sympathie. „Gefallen dir Frauen?“ fragte sie vorsichtig. – „Du gefällst mir“, gab Judas zu. Gleich erweichte sich ihr, oft etwas zu arrogantes, Gesicht mit den schmalen Lippen. Vorsichtig zog sie sich die schiefe Mütze vom Kopf und öffnete ihren Mantel. Vor den Bauch hatte sie sich ihre blonde Perücke gebunden. Diese zog sie sich jetzt auf den Kopf und ordnete sie mühsam. Dann legte sie sich noch die gefällige Glitzerkette um den Hals. „Stell dir vor ich wäre wirklich ein Engel. Würde ich dir dann noch besser gefallen?“ – „Uhm. Ja“, brummte Judas. Er war im Stimmbruch und mochte seine Stimme nicht mehr recht. Die Prinzessin lächelte etwas wehmütig, es war wohl nicht die richtige Antwort gewesen. Vorsichtig zog Herodias sich die Halskette vor die Augen. Dann legte sie einen gelben Stein aus Glas vor ihr rechtes Auge, und einen grünen vor ihr linkes Auge. „Wenn ich ein echter Engel wäre, oder sogar die Göttin der Liebe, dann würde ich vielleicht so aussehen! Würdest du mich dann lieb gewinnen?“ – „Ja, auch“, murmelte Judas, aber etwas mürrisch. Da lächelte sie und wirkte wieder selbstsicherer. Sie schaute ihn lange an... Aber nun wandte er sich ab, weil er den Verdacht hatte dass sie nur mit ihm spielte und es mit ihm nicht ernst meinen konnte. Außerdem war es ihm peinlich dass er sexuell total auf sie stand. Sein Glied war ständig dabei sich aufzurichten, und das konnte Herodias vermutlich sogar sehen! Beiläufig sagte sie nun: „Hast du dich geschämt als ich dich damals beobachtet habe? Ich wollte nur wissen ob du rein bist oder Krankheiten hast. Du weißt wie wichtig es ist dass man sich als Jüdin von den Unreinen fern hält.“ – „Ich habe dich...“ gehasst damals, wollte Judas ihr anvertrauen. Er wagte es nicht. Statt dessen setzte er erneut an und log ihr etwas vor: „Ich habe dich sehr begehrt. Schon als ich dich das erste Mal sah hab ich mich in dich verliebt, und konnte dich nie vergessen.“ Er hielt das für die richtige Antwort. Aber wieder stimmte etwas nicht mit dem Gefühl, als er nun Herodias genau betrachtete. Er wollte, sie wollte, aber Gott schien nicht so zu wollen wie sie beide.

88.

Um sich abzulenken schaute Judas nach seinem Vater. Der hing noch wie zuvor auf seinem Thron aus Gold und rotem Purpur. Josef schlummerte, er schnarchte leise. Judas aß noch etwas von dem frischen Lammfleisch, das gemäß den Kaschrut fettarm zubereitet war. Er fand es zu trocken, und strich mit einem Finger Senf darauf. Aber diese scharfe Zutat stach ihm in die Nase, und er mochte auch den Geschmack nicht. Er bekam Schuldgefühle, und fürchtete bestraft zu werden weil er jetzt das Fastengebot brach. Aber wer sollte ihn bestrafen? Er war ja vermutlich ein Gott, und er wäre ja blöd wenn er sich selbst bestrafen würde... Ein unheimliches Gefühl stieg in ihm auf. Etwas Böses war in ihm, das sich über seine Blödheit zu amüsieren schien. Um sich abzulenken schaute sich die Bilder auf den Kassetten des Altarleuchters an. Es war die siebenarmige Menora, ein riesiges Gerät, gefertigt aus Silber aus dem fernen Hispanien. Unten darauf sah man allerlei interessante Monster, es waren Seetiere wie der Leviathan und geflügelte Drachen. Judas fand es verwunderlich dass es im gesamten Tempel kein einziges Bild von einem menschlichen Engel gab! Solche Bilder waren verboten, aber mit Bildern von Monstern hatte keiner ein Problem. Die Menora kam ihm insgesamt vor wie ein Götzenbild. Aber es war ein nichtmenschlicher Gott der ihn zu beobachten schien, als er nun den Blick hob und die drei brennenden Kerzen betrachtete. Er wollte Herodias munter darauf ansprechen, aber als er sich zu ihr umschaute, da war sie verschwunden! Davon bekam Judas einen leichten Schreck. Er sah in den Vorraum zu den halb geöffneten Toren, aber dort war alles ruhig. Tempeldiener und Sadduzäer schienen vor den Torflügeln über Josefs Schlaf zu wachen. Judas fand das erstaunlich. Er schaute sich um im Hauptraum, und fragte sich ob sie jetzt mit ihm Verstecken spielte? Nach einer Weile erst ging ihm auf dass es da ja noch einen hinteren Raum gab hinter dem Hekal, dem eigentlichen Hauptraum im Heiligtum! Der verborgene Durchgang zum Debir, dem Allerheiligsten, befand sich hinter dem Hochaltar Jahwes, dort wo der große Leuchter stand. Judas hatte diesen Durchgang bisher übersehen, denn der wurde durch einen bunten und ziemlich alten Vorhang verdeckt. Dahinter befand sich eine Tür, sie stand offen und waren offenbar lange nicht mehr bewegt worden. Jetzt ging er dort hinein, weil Herodias ja nur da drin sein konnte. Tatsächlich schaute sie sich hier um, mit einer kleinen Öllampe in ihrer schmalen Hand. „Hier ist ja alles leer“, meinte die Prinzessin beiläufig bis enttäuscht als sie Judas bemerkte. Der schaute sich zuerst um nach einem Fenster oder einer Geheimtür durch die er notfalls entweichen könnte. Aber so einen Hinterausgang für Engel, Diebe oder falsche Heilande schien es hier nicht zu geben. In der Mitte des Raumes befand sich lediglich ein niedriger gemauerter Sockel als Lehmziegeln, der mit edlem Holz verkleidet war. – „Ich glaub hier stand einst die Bundeslade“, meinte Judas zur Prinzessin. – „Nein, die war längst fort als mein Großvater, unser letzter König Herodes, diesen Tempel bauen ließ“, stellte sie sachkundig fest. „Schon sehr lange ist doch die Bundeslade verschollen. Aber weißt du was hier wirklich einst stand?“ Herodias kicherte, als sie jetzt die Öllampe abstellte. Dann kroch sie mühsam hinauf auf den niedrigen Sockel und stellte sich dort aufrecht hin. Mit dumpf hallender Stimme erklärte sie Judas, wobei sich ein gewisser religiöser Ernst über sie legte: „Hier stand einst das Standbild der Aschera, der alten arabischen Göttin der Liebe! Lange haben nämlich die Könige Israels sie in Ehren gehalten...“ – „Ja, ich weiß“, murmelte Judas, dem diese alte Geschichte nicht behagte. „Damals hatten unsere doofen Priester die Thora verschlampt! Aber sie wurde im Tempel wiedergefunden! Und der König Josia beschloss sich mal wieder dran zu halten. Und er führte das Götzenbild des Gräuels Astarte ins Tal der Gehinnom, also vor das östliche Tor, und verbrannte es dort, und streute die Asche auf die Gräber der armen Leute. Diese Geschichte hat mir mein Vater Josef oft erzählt.“ – „Aber was passierte dann?“ fragte Herodias dumpf. Sie reckte ihr energisches Kinn in die Höhe und beantwortete ihre Frage selbst: „Danach wurde der Gott ganz böse auf Israel. Es war eine Zeit da die Assyrer Krieg führten gegen die Ägypter. Und deshalb marschierte das Heer der Ägypter gegen die Assyrer und zog dabei durch unser Israel. Das wollte König Josia aber nicht erlauben. Als er nun gegen die Ägypter kämpfte verlor er sein Leben. Und das war der Anfang vom Ende des alten Reiches Israel, denn bald darauf kamen noch die Babylonier...“ – „Gy'tt war damals eben nicht bei unserem König. Bestimmt lag es daran dass Josia die Bundeslade nicht mehr hatte“, meinte Judas. – „Du verstehst nichts, du Junge!“ meinte Herodias daraufhin kühl. Und plötzlich war sie sauer, so wie Frauen eben manchmal plötzlich sauer werden. Judas kannte das auch von seiner Mutter. – „Mein Onkel ist genau so unverständig. Weißt du dass er scharf auf mich ist? Herodes Antipas will dauernd dass ich für ihn tanzen soll. Und dabei ist er doch verheiratet mit der Araberin Phasälis. Aber mein Onkel hasst ihren Vater Aretas, weil dessen Araber immer unsere Karawanen überfallen.“ – „Wir sollten erst gegen die Araber Krieg führen und nicht gegen die Römer“, meinte Judas. „Dieser Krieg wäre bestimmt viel leichter zu gewinnen.“ – „Ihr Männer denkt immer an den Krieg, und nie an die Liebe“, meinte Herodias jedoch, die immer noch schnippisch war. Dann aber lächelte sie plötzlich, und mit veränderter süßer Stimme fragte sie ihn: „Ich hab aber jetzt ein paar Tanzschritte einstudiert. Möchtest du mal sehen wie ich tanze?“ – „Hmm. Ja“, grummelte Judas abgelenkt. Er sah zu wie Herodias noch eine kurze Trompete aus ihrem Mantel hervor zauberte. Sie grinste mädchenhaft und bemühte sich dennoch wie ein echter Engel zu wirken. Judas hatte jedoch das Gefühl dass ihn aus dem Dunkel des Debir heraus eine Göttin oder ein Engel kritisch anschaute.

89.

Das völlig leere Allerheiligste des Tempels von Jahwe in Jerusalem war stickig und fast finster. Nur der Schein einer einzigen kleinen Öllampe erhellte nun den Sockel, auf dem Herodias stand. Etwas verlegen bewegte die Prinzessin ihren rechten Fuß, an dem sie eine schmale, mit Gold und blauen Lapislazuli-Steinen verzierte Ledersandale trug. Judas hatte wiederum eine Erektion bekommen, was ihm peinlich war. „Warte, ich hol dir noch etwas Licht“, brummte er. Dann lief er schnell in den Hauptraum, und holte zwei neunarmige Chanukka-Leuchter, in denen frische gelbe Kerzen aus Bienenwachs steckten. Diese zündete Judas im Debir vorsichtig an, und stellte sie links und rechts als Bühnenbeleuchtung hin. Herodias erzählte ihm unterdessen, während sie schüchtern an ihrem langen Mantel nestelte: „Ich trage darunter ein Zaubergewand. Das hat uns einst ein weiser König der Chaldäer, also ein Zauberer aus Babylonien, verzaubert. Balthasar hieß er, aber er war eher nur so ein Schauspieler.“ – „Ach ja, den kenn ich“, erinnerte sich Judas. – „Jetzt liegt ein Zauber auf diesem Kleid der es bewirkt dass man damit fliegen kann, so wie ein Engel fliegt. Es sieht nämlich auch aus wie das Kleid eines Engels, aber eines weiblichen.“ Herodias kicherte als sie langsam den weiten Mantel auszog. Sorgsam legte sie ihn hinten auf dem Podest ab. Schüchtern stellte sie sich in Positur, und hob ein wenig die Arme um sich als Tänzerin zu präsentieren. Das Kleid das sie nun trug lag ihr hauteng am Körper an, es ließ Arme und Schenkel frei, und es bestand nur aus weißen Federn! Judas erinnerte sich daran dass der Engel den er im Haus der Salomé gesehen hatte genau so ein Kleid getragen hatte. Er war deswegen weniger fasziniert als er es sonst gewesen wäre, und Misstrauen stieg in ihm auf. – „Das sind alles die Federn von Schwänen und von Störchen“, erklärte Herodias schüchtern, und zupfte sich den knappen Saum über die Schenkel. Die Prinzessin besaß kurvige weibliche Formen, eine etwas kleine Brust und ein ziemlich breites Becken. Zögernd und mit verhaltender Sinnlichkeit führte sie ein paar Tanzschritte aus. Sie hob dazu ihre Trompete und tat so als ob sie sie blasen würde. – „Blas sie doch“, forderte Judas sie auf. – „Das schaff ich nicht, dazu braucht man einen Atem wie ein Ochse. Die Gladiatoren der Römer blasen solche Trompeten nur bei ihren Paraden. Siehst du was hier drauf steht?“ Herodias zeigte ihm dass die Trompete eine eingravierte römische Inschrift trug. „Victoria steht da. Ich kann nämlich Latein lesen, und natürlich auch Griechisch.“ – „Und Hebräisch auch?“ – „Das braucht doch nur ein Thora-Sklave“, meinte sie da schnippisch. – „Du hast recht.“ Judas nahm ihr die Trompete ab und setzte sie an die Lippen. Als er mit aller Gewalt blies, da entfuhr der Fanfare tatsächlich ein heller, sehr lauter Ton. Kurz darauf ertönten aus dem Hekal, dem Hauptraum des Tempels, ein Grollen und dann ein Rülpsen. – „Mein Vater ist aufgewacht“, flüsterte Judas voller Sorge. – „Josef klingt wie so ein Drache aus dem Berg Ätna der Feuer spuckt.“ – „Solche Drachen sind auch auf dem Fuß von der Menora drauf.“ – „Ich weiß. Die Priester meinen dass es diese Monster wirklich gibt, auch den Leviathan. Aber ich glaube die haben in Wahrheit von nichts eine Ahnung, weil sie doch nur ihre alten Bücher kennen...“ Judas war zum Ausgang geschlichen, er horchte kurz darauf was sein Vater tat. – „Papa schnarcht weiter“, erklärte er erleichtert als er fröhlich zu Herodias zurück hüpfte. Diese kicherte unsicher und hockte sich vor Judas hin. Sie streckte die Arme über ihn, fast so als ob sie ihn beschützen wolle. „Ich habe dich soeben verborgen damit er dich vergisst“, teilte sie ihm mit mystischer Stimme mit. „Ich bin nämlich eine weise Zauberin wie die Semiramis. Diese babylonische Königin wurde auch immer beschützt durch ihr Zaubergewand. Wegen dessen Zaubermacht konnte niemand erkennen ob sie ein Mann oder eine Frau war, wenn sie darin unterwegs war. So kam Semiramis überall hin, selbst dorthin wo Frauen niemals hin dürfen.“ Die Prinzessin zupfte verlegen an ihrem Gewandsaum. – „Kannst du mit den Federn auch fliegen?“ flüsterte Judas. – „Bald! Man braucht dazu nämlich noch ein zauberkräftiges Amulett mit dem Bild der fliegenden Dämonin Lilith, und außerdem muss man sich mit grüner Zaubersalbe einreiben, aber diese Salbe hab ich leider nicht. Der Zauberer Balthasar hat uns damals versprochen sie zu bringen, nur leider hat er sich völlig verspätet. Aber Semiramis konnte außerdem nicht echt fliegen, denn sie war ja nicht wirklich ein Engel. Sie war die Tochter der fischigen Astarte welche die Syrer Derketo nennen. Sie besaß nur etwas Macht über die Tiere, besonders über die Tauben. Als es Semiramis als Säugling kalt wurde da kamen nämlich Tauben um sie mit ihren Flügeln zu wärmen. Und wenn sie Hunger hatte dann brachten ihr die Tauben Stückchen von Käse, oder sie träufelten ihr Milch ein. Weil die Göttin der Tauben sie beschützte, deswegen wurde Semiramis später sogar diese berühmte Königin von Babylon. Sie eroberte viele Länder, sogar das ferne Baktrien. Und überall ließ sie die Berge einebnen, und statt dessen schöne Paradiesgärten anpflanzen, in der Form von Terrassen.“ – „So eine zaubermächtige Frau könnte mir fehlen, als heiliger König von Israel!“ flüsterte Judas nun ergriffen. Da lächelte Herodias breit, ja sie strahlte über das ganze Gesicht. „Dann schau jetzt zu, wie ich für dich tanze. Aber sei leise!“

90.

Also tanzte Herodias vor Judas im Tempel, während dieser steif vor ihrer Tanzbühne stand und sie fast andächtig betrachtete. Erst wiegte sie sich vorsichtig, dann fast ruppig. Es dauerte eine Weile bis sie sich in Stimmung getanzt hatte und gefällig und geschmeidig geworden war. Ihre falschen blonden Haare wippten wie echte, aber sie schoben sich nach und nach immer mehr vor ihr Gesicht. Sie summte nun ein wenig vor sich hin, es war mehr ein kehliger Rhythmus als eine echte Melodie. Judas fand dass Herodias arabisches Temperament besaß und zugleich griechisch-römische Grazie. „Diesen Tanz hat mir eine Araberin gezeigt“, erklärte sie. Unnahbar wirkte sie nun, sie wippte mit den breiten Hüften, und zuckte dann mit dem gesamten Körper vor und zurück, wobei sie den Kopf mit dem spitzen Kinn wild in die Höhe warf. Judas betrachtete sie mit immer mehr Anspannung und Wollust. Die Lust stieg in ihm auf als eine wilde Woge. Und als die erregte Prinzessin vor ihm auf der Bühne sich erhitzte, da zuckten ihm auch die Glieder. So etwas war dem Halbwüchsigen in seinem kurzen Leben noch nicht passiert. „Och, oi je!“ keuchte er laut, als ihm die Erregung in die Lenden stieg und sein Glied prall werden ließ. – „Was ist los? Was machst du da?“ Herodias lachte und geriet aus dem Takt. Sie kicherte, bückte sich und trat an ihn heran. Dabei geruhte Herodias zu bemerken dass ihm das Glied steif vom Körper abstand, es war unübersehbar durch seine ziemlich zerlumpten Gewänder. – „Zeig mal, du schlimmer Junge!“ bat Herodias herrisch, aber unernst und verlegen. Judas öffnete beschämt seinen zerfledderten Mantel. Er zog seine Bauchbinde und sein wollenes Gewand nach oben, und wollte doch seine Erektion unter seinem Schurz verbergen. Als er zu sehr an seinem Latztuch zerrte da zerriss dieses schmutzige Teil vorne. Nun wogte sein pralles Glied einen Moment lang vor der Prinzessin! In ihrem engelhaften Federkleid wirkte Herodias wie eine Skulptur aus weißem Zucker. In diesem Moment konnte Judas seinen Samenerguss nicht mehr zurückhalten. Er schaffte es gerade noch sich halb von der Prinzessin abzuwenden. Dann kam der junge Mann zuckend zum Höhepunkt. In hohen Spritzern ergoss sich sein Sperma über das jetzt hell erleuchtete Podest der Bundeslade, ganz knapp nur an Herodias vorbei. – „Aach! Oi jei! Das tut mir aber echt leid“, keuchte Judas entsetzt. – „Was um alles in der Welt machst du denn bloß? Du bist einfach unhöflich!“ murrte Herodias, enttäuscht bis erleichtert, und dennoch amüsiert. Sie wandte sich heftig und nervös ab und hängte die Glitzerkette an einen Leuchterarm. Dann schob sie sich die Trompete in den Ausschnitt ihres Federkleides und griff nach ihrem Mantel. – „Was zum Josef ist denn hier los?“ schimpfte Josef. Der angetrunkene Vater wollte ins Allerheiligste vordringen, aber er scheiterte weil er den mürben Vorhang nicht bändigen konnte. Josef geriet ins taumeln. Er packte den Vorhang, riss ihn halb von seiner Haltestange, und stürzte damit schwer auf den Holzboden. – „Oi jei! Das ist schon wieder Gottes Zorn!“ murmelte Judas erschrocken. – „Au!“ Herodias hatte nicht achtgegeben darauf wo sie hintrat, die falschen Haare hatten ihr etwas die Sicht genommen. Nun rutschte sie aus auf dem vom Sperma glitschigen Podest. Sie fiel auf ihr Hinterteil, das zum Glück gut gepolstert war. – „Bist du verletzt?“ Judas sprang aufs Podest um ihr zu Hilfe zu eilen. – „Lass das, du Sohn eines Idioten!“ Herodias rutschte an den Rand und stand auf dem Boden auf. Sie war nun doch sehr arrogant geworden. Sie zog sich die blonde Perücke vom Kopf, und sah plötzlich wieder so struppig aus wie ein frisch geschorenes schwarzes Schaf. Und da sie nun nicht mehr der Engel war, da wich auch dieser Zauber von ihr. Judas war jetzt sehr enttäuscht von ihr, denn er hatte sie ja doch nur so sehr begehrt als sie nicht sie selbst gewesen war. Sie erschrak als sie aufgeregte Stimmen hörte und Schritte. Die Priester und Diener waren offenbar durch den Lärm aufgeschreckt worden, nun kehrten sie alle zurück in den Tempel. – „Flieg schnell weg!“ riet Judas mürrisch der Prinzessin. Er hatte witzig klingen wollen, aber er war eigentlich tief enttäuscht über ihre arrogante Unnahbarkeit, und deshalb klang er nun eher zynisch und verächtlich als freundlich. Die Prinzessin schnaufte nur noch mal und warf sich schwungvoll ihren Mantel wieder über. Leichtfüßig huschte sie dann zur Seite hin weg, in eine dunkle Ecke des Debir. Das tat sie gerade noch rechtzeitig, denn kurz darauf eilten schon zahlreiche Priester und Diener in den Raum, die sich alle tief verbeugten und murmelten als sie ihn betraten. Mit Lauten des Entsetzens half man dem schwächlichen Josef auf die Beine, und barg den mit verschlissenen bunten Fäden gewirkten morschen Vorhang. – „Das macht fast gar nichts!“ versicherte der kriecherische Hohepriester Joazar sogleich Josef und Judas, während er sich fast ängstlich vor ihnen krümmte. „Der Raumteiler da war sowieso alt.“ – „Und mit euch beiden wird jetzt alles neu in Israel, und dumme alte Traditionen werden endlich abgeschafft.“ Dies sagte widerwillig der kleine Großrabbiner Ananus, der nun mit ängstlichen Blicken nach oben in den Raum trat. Judas erstarrte fast vor Furcht und Verlegenheit. Was sollte er denn jetzt diesen hohen Herren erklären? Als er auf die Befleckung des hölzernen Podests starrte, da sah er plötzlich dass dort wo vorhin Herodias auf den Po gefallen war eine einzelne Schwanenfeder lag! Sie war so lang wie die eines Schreibers. Gleich kam Judas eine rettende Idee. „Ich erhielt eben Besuch von einem Engel!“ flunkerte er kühn, mit Furcht in der Stimme die nur halb gespielt war. „Hier liegt der Beweis!“ Er stieg mit einem großen Schritt aufs Podest hinauf und bückte sich, und zückte dann die Schwanenfeder triumphierend in die Höhe. „Seht die Macht Gy'ttes die mit uns ist, mit Gott dem Vater und seinem erstgeborenen Sohn!“ – „Ooh! Aah!“ Die Priester, Rabbiner, Diener und Schüler die sich nun in den innersten Tempel wagten konnten sich kaum sattsehen an diesem Objekt. Joazar war der erste der erneut andächtig auf die Knie fiel. Und er gab allen das Zeichen sich anbetend vor Judas und seinem Vater auf den Boden zu knien. Mit dem Hohepriester krümmte sich der gesamte Sanhedrin, der hohe geistliche Rat, nun vor Josef. Denn auch diese ausgedienten Hohepriester und ehemaligen hohen Rabbis waren alle beim Tempel erschienen. Einige der 24 alten Herren knieten nun ebenfalls nieder, die welche das noch konnten. Und als einer sich nicht aufrecht halten konnte, und mit einem dumpfen Laut auf seinen Kopf fiel, da nahm dies der ganze hohe Rat als ein Zeichen sich ebenfalls auf den Boden zu legen, mit dem Gesicht zur Erde. Josef bekam Platzangst und stieg mit der Hilfe seines Sohnes aufs Podium. Schwankend und breit grinsend stellte er sich auf neben Judas. Er verharrte dort und hob stolz die Hände. Aber dann besah er sich die Befleckung auf dem Podest und zischte betrunken: „Was is'n hier passiert?“ – „Das ist die Zaubersalbe des Engels“, log Judas rasch. Er wedelte zappelig mit der Schwanenfeder herum. „Damit ist der Engel vorhin weg geflogen.“ Josef nahm mit dem Finger etwas Sperma auf und roch erstaunt daran. Dann bewölkte sich sein Gesicht, und er flüsterte erregt: „Lüg doch dein armen alten Vadder nicht an! Du has mit diesen Kerrel in mei Tempel Unzucht getrieben, nicht wahr, nach de Art der Heiden? Eine Schand bis du!“ Judas wagte nicht zu widersprechen, denn immer mehr von den hohen Herren und Dienern achteten nun verstohlen genau darauf was Josef und Judas da vor ihnen trieben. Josef lupfte seine weiße Mitra. Mit müden, wirren Bewegungen begann er damit die Befleckung auf dem Podest zu verteilen und in das Holz einzureiben. – „Was tust du, Herr?“ fragte ihn Joazar, ebenso irritiert wie demütig. – „Ich, heuuh, äähm...“ Josef dachte angestrengt nach, ja er suchte verzweifelt in seinem benebelten Geist nach einer passenden Eingebung. Diese kam ihm zu aus der Thora. „Ja!“ krähte er froh, als ihm sogleich eine passende Stelle einfiel aus der heiligen Schrift. Eifernd predigte er nun: „Ich tu das was auch Moses tat, um seine Hütte und sein Gesinnel zu heiligen, wie es geschrieben steht im Buch Leviticus Kapitel 8... Ach, sag ma du, Hohepriester!“ Als Joazar zögerte, da sprach Ananus rasch diese Bibelstelle in den Raum: “Da nahm Moses Salböl und salbte die Wohnung des Herrn und alles was darin war und weihte es so. Auch bespritzte er damit den Altar, sieben Male, um ihn zu weihen. Und er goss von dem Salböl auf das Haupt des Aaron, um auch ihn zu weihen!“ – „Ja genau“, brabbelte Josef. „Komm her mein Junge, denn jetzt wead ich dich zu'n aaronitischen Priester weihen!“ Und Judas musste es dulden dass sein Vater ihn nun erneut symbolisch salbte, mit seinem eigenen Sperma. Schamröte stieg ihm auf die Wangen. Als er sich umschaute zur vorderen Ecke, dorthin wo sich eben Herodias geflüchtet hatte, da sah er sie, wie erwartet, schon nicht mehr.

91.

Josef war immer noch leicht unsicher auf den Beinen. Diener führten ihn nun behutsam zurück in den Hauptraum des Heiligtums. Dort hatten andere Diener inzwischen die Weinspuren beseitigt. Josef fläzte sich wieder auf seinen gepolsterten Gnadenthron und döste ungeniert weiter. Judas setzte sich an eine Wand und gönnte sich einen Mittagsschlaf. Als sie nach kurzer Zeit aufwachten stellten sie fest dass sich der Hekal inzwischen mit Klerikern fast gefüllt hatte. Wie zuvor nahm Judas auf der Fußbank zu Josefs Füßen Platz. Links und rechts platzierten Tempeldiener die zwei eisernen Chanukka-Leuchter. Im weitläufigen Hekal diskutierten derweil all die Würdenträger und Zuträger. Die letzten Neuigkeiten wurden verbreitet, und manch einer keuchte entsetzt auf und rief: „Ein Engel? Gelobt sei Adonai!“ als ihm im vertraulichen Flüsterton mitgeteilt wurde dass Judas angeblich einem Engel begegnet war. – „Wir hörten auch seine Trompete! Oi joi joi, und die klang so zornig als ob sie uns das jüngste Gericht ankündigen wollte! Kommt jetzt die Sintflut? Was sagte dir der Engel?“ Dies riefen nun immer mehr Priester und Rabbiner, voller angstvoller Ungeduld. Judas druckste etwas herum, und erklärte dann nur dass der Engel ihn an die Geschichte von König Josia erinnert hatte, der in alten Zeiten die vergessene Thora wieder für maßgeblich erklärt und die Verehrung der Aschera abgeschafft hatte. Diese Name war für seinen immer noch angetrunkenen Vater das falsche Stichwort. Jetzt ereiferte sich Josef polternd: „Also! Also hat Gott die Welt und sein Volk Israel geliebt, weil er diese Astarte vernichten ließ, dieses Gräuel das ganz Israel versucht hatte, wie ein falscher Messias! Im Tal Hinnom ist sie ja verbrannt worden, dort wo auch manch ein König seinen Sohn opferte. Jetzt wo wir dabei sind unseren Weg neu zu bestimmen; da schickt der Himmel uns, der Elite Israels, einen Engel! Und der ermahnt uns, genau wie Josia ermahnt wurde, die Thora einzuhalten. Also beweisen wir, Gott, doch Mitleid mit Israel, anstatt es gleich mit einer neuen Sintflut zu bestrafen, so wie es auch möglich wäre.“ Die Sadduzäer im Raum murrten nun ungläubig, weil sie traditionell nicht an Engel glaubten. Dafür trat plötzlich der verlegen wirkende Esséner Simon nach vorn und sagte: „Hört ihr also mal darauf was die Engel uns sagen! Es gibt sie ja doch, Uriel und Michael und die anderen mächtigen Boten Gottes. Das beweist doch schon die Geschichte vom Abraham, der Isaak opfern wollte, seinen im Alter gezeugten Sohn. Ein Engel des Herrn wies Abraham an statt dieses Juden ein würdigeres Opfer zu bringen, nämlich einen Widder.“ Die Esséner waren dafür bekannt dass sie mehr an Engel glaubten als die anderen jüdischen Sekten. – „Nein, nein! Die Thora spricht zwar davon dass der Engel damals Abrahams besseren Sohn Isaak vor dem Opfertod rettete“, widersprach Joazar. „Aber wir Sadduzäer meinen dass dies nicht richtig sein kann, weil wir Engel nämlich so wenig anerkennen wie das Heer des Himmels, die Sterne. In Wahrheit nämlich erschien damals zweimal der gefallene Engel Samael, um Abraham und Isaak zu versuchen. Aber beide Male jagte Abraham ihn fort, den Satan.“ – „Das sei zugestanden“, meinte Simon. „Es könnte so gewesen sein dass Isaak damals geopfert wurde. Denn nach dieser Opferung ging ja Isaak sofort ein ins Paradies. Der Engel nahm also Isaak sofort mit in den Himmel, und dort hat er ihn neu eingekleidet, in einen Körper aus Licht. Und erst dieser vergöttlichte, auferstandene Isaak wurde dann unser aller Ahnherr und Erzvater.“ Der Esséner in seinen Lumpen kratzte sich aufgeregt. Er wirkte wie ein deplatzierter Bettler unter all den Würdenträgern in ihren Feiertags-Gewändern. „So gesehen sind wir Menschen ja alle frühere Engel, die zur Strafe in sündige Körper gefesselt wurden.“ – „Was ihr Esséner lehrt ist nur weichgekochtes Zeug“, widersprach sogleich der Großrabbiner Ananus. „In unserer Thora steht nun mal schwarz auf weiß, dass Isaak nicht geopfert wurde. Und auch wenn wir alle wissen oder ahnen dass dies nicht die wahre Geschichte ist, weil wir Adonai kennen, und spüren wie unerbittlich und gierig er ist wenn es um ein Opfer geht, so hat uns der Gy'tt doch damit eine Lektion im Gehorsam erteilt. Wenn es Gy'tt gefällt ein Menschenopfer zu fordern oder nicht, dann müssen wir gehorchen. Und wenn es Gy'tt für richtig hält darüber zu lügen, dann steht es uns nicht an darüber die Wahrheit zu sagen.“ – „Ja genau!“ tönte Josef. „Und wenn es Gy'tt gefällt zu behaupten dass ein Toter noch lebt, und dass eine Mutter in Wahrheit eine Jungfrau ist, dann ist das für euch Priester eine unumstößliche Wahrheit des Glaubens.“ Dazu nickten alle die Kleriker der drei großen Sekten. Vor dem Gottesthron, den derzeit Josef steifbeinig besetzte, hatten sich die Sadduzäer und Pharisäer, also Priester und Rabbiner, fast zu zwei getrennten Machtblöcken formiert. Zur Rechten des Throns standen die oft rot gekleideten Tempelherren, links verweilten die Schriftgelehrten in weiß-blauen Kleidern, die hellhäutiger und europäischer wirkten. Widerwillig machten die beiden etablierten Gruppen nun Platz, um einige arme Esséner durch die Mitte bis nach vorne treten zu lassen, diese braun gebrannten Mönche, Armenprediger und esoterischen Sektierer aus der östlichen Wüste. Es war dann der Großrabbiner Ananus der erneut das Wort richtete an den schon wieder abgelenkt und ermattet wirkenden Josef, und ihm erläuterte dass zwischen den drei Sekten im Judentum schon lange ein erbitterter Richtungsstreit tobte: „Unser alter Glaubenszwist hat durch die frechen Taten der Römer wieder eine bedrückende Aktualität gewonnen. Aber jetzt ist die Gelegenheit gekommen Gy'tt selbst darum zu bitten, zwischen den drei Sekten eine Auswahl zu treffen.“ – „Gibt das hier noch was Wein?“ fragte Josef seinen Sohn leise, denn er hatte wie so oft nicht aufgepasst, und war wie immer vor allem mit sich selbst beschäftigt. „Nein!“ widersprach er sich dann selbst. Er richtete sich mit knackenden Knien auf und festigte seine Gestalt, und begann dann zu eifern: „Ihr Gläubigen, heute wird eben gefastet und nicht gebechert! Wir müssen uns eben doch streng an die Thora halten! Dies hat uns ja dieser Engel jetzt nochmals eingeschärft. Und dies ist schon Gottes Entscheidung über den üblichen Streit unter uns Juden. Die Bücher Mosis haben zu bestimmen, unser Gesetz entscheidet. Wer von euch wagt da eine Widerrede?“ Diese eifernde Rede wirkte wie ein Bann. Die murmelnden Männer im stickig gewordenen Tempel Jahwes verstummten alle, denn so kannten sie ihren Gott, und viele duckten sich erneut vor dessen unheimlicher Macht. Zugleich aber kam verhaltene Freude auf im Hekal, denn wenn das Gesetz des Moses doch weiter Gültigkeit behalten sollte, dann bedeutete dies dass all die alten Kleriker weiter gebraucht wurden... Josef burpte unterdrückt und eiferte dann weiter: „Die Thora entscheidet aber nicht nur den für uns Juden ja unentbehrlichen religiös-politischen Richtungsstreit. Sondern das Gesetz Mosis ist auch für uns eine Schatzgrube der Zauberwörter und Zaubertricks. Denn der Zauber welcher Israel in alten Zeiten mächtig werden ließ, gegenüber allen Feinden gleichzeitig, das war der Zauber des strengen Gehorsams gegenüber den Geboten! Ein Israel in dem niemand es wagt über eine Türschwelle zu springen, das ist ein Israel das durch einen Zaubertrick unbesiegbar geworden ist. Denn dann sind die Feinde durch den Bann des Herrn wie gelähmt, und vergeblich mühen sie sich auch nur einen Fuß zu setzen in unsere Häuser und Tempel. Wahrlich, unsere Thora ist das Buch der Bücher, was die Zaubertricks anbetrifft! Wohin sollen wir uns wenden, nach links oder nach rechts? Sollen wir erbarmungslos töten, oder allen Gnade gewähren? Das geht alles, das ist ganz egal! Gy'tt fordert nur dass wir die Gebote genau einhalten. Dann werden uns die Engel Adonais auf allen unseren Wegen Glück und Gy'ttahs Segen wirken.“ – „Halleluja! Ja, oh Herr! Wahrlich! Dein Wille geschehe, nach dem Gesetz Mosis!“ So riefen nun viele Männer spontan, und sogar dem Hohepriester Joazar traten Tränen der Rührung in die Augen. Nach und nach brach die ganze Versammlung in Jubel aus, die große Tempelhalle erzitterte fast während sie Heil riefen und pfiffen, klatschten und trampelten. – „Gut gesprochen!“ meinte nun sogar Judas, ebenfalls im Bann der Stimme seines Vaters. Josef aber traten spontan Tränen in die Augen, so als ob ein Gott der in ihm drin war bitterlich weinen würde.

92.

„Aber, aber!“ rief da der querköpfige Esséner Simon, als sich schon alle die etablierten Priester und Rabbiner murmelnd in Grüppchen zerstreuen wollten. Der weibisch und leicht gequält wirkende Mann galt als erfolgreicher Seher und Traumdeuter. Nun zitierte er eine schwierige Stelle aus den Büchern der Propheten, eine die oft diskutiert wurde und vielen auf die Nerven ging: „Ich erinnere an das Buch Hiob, Kapitel 21: Erlaubt mir dass ich rede, danach könnt ihr spotten! Warum leben denn die Gottlosen und werden alt, groß und stark? Ihr Nachwuchs wankt nicht, ihre Sprösslinge wachsen vor ihren Augen und umgeben sie. Ihre Häuser stehen in Frieden, ohne Furcht, die Rute Gottes schlägt sie nicht... Sie singen laut zur Pauke und Harfe, und sind fröhlich beim Klang der Flöten...“ Simon unterbrach sich als Gemurmel laut wurde, denn diese Passage kannte ja jeder im Raum. Er fuhr dann fort: „Das ist ja die Frage die hinter unserem Richtungsstreit steckt. Ist denn unser Gy'tt einer der uns recht leitet, ins Land wo Milch und Honig fließen? Oder führt er uns nicht in Wahrheit auf einen Weg der Dornen und Disteln, einen der in die Ödnis führt und dort an einer Steilwand endet?“ – „Lästerung. Schweig doch, Sektierer!“ So schimpften nun etliche der älteren Kleriker, und viele andere murrten. Doch nun wagte es Joazar dem Andersgläubigen beizustehen. Er erklärte zögernd: „Der Esséner spricht die Wahrheit. Die Frage Hiobs ist doch unsere Frage nach dem richtigen Weg. Ist es denn in Wahrheit so dass es uns ersichtlich nützt wenn wir die Thora viel strenger einhalten als alle anderen Völker zusammen? Und schadet es denn den Heiden wenn sie die Worte unseres Gottes in den Wind werfen, so wie man die Spreu verwirft?“ – „Ihr Herren“, rief da Judas, in die Stille hinein. „Das ist ein einfaches Rätsel, denn schon ein Junge wie ich kann es lösen. Hiob war doch nur so ein alter Knacker, der sauer war weil ihn seine Frau nicht mehr leiden mochte. Wenn die alten Leute dauernd Pech haben und andere nicht, dann liegt das an ihrem Alter, meine ich.“ Diese Rede war für die alten Leute im Saal nicht akzeptabel, jetzt kam Protestgemurmel auf. – „Schweig, Junge!“ befahl ihm auch sein Vater streng. Josef kratzte sich seinen Bart und sein Gemächt. Dann blähte er die Backen herrisch auf, das hatte er sich nun von Ananus abgeguckt, der auch immer so grimassierte um zu zeigen wenn er sich ärgerte. Josef pustete dann in die Luft, wie um anzudeuten dass er der Windgott wäre, der bereit war über Israel einen Sturmwind zu entfachen. „Ihr ruft euren Gott zu Recht um Hilfe an, in allen Dingen, Gläubige. Ähm... Denn dafür bin ich zu euch gekommen. Und wer wenn nicht der Messias sollte eure Fragen beantworten können...“ Judas sah auf zu seinem Vater, und mit Sorge begriff er dass dieser wie üblich darauf wartete dass ihm ein passender Spruch aus den heiligen Schriften in den Sinn geriet. Doch das schien diesmal nicht so leicht zu geschehen. Als Josef verstummte, da stand Judas auf, und sprach dann Joazar an: „Du bist doch hier der Chef aller Priester. Was denkst du denn über den Richtungsstreit, Hohepriester?“ – „Ich denke aus meiner Tradition heraus traditionell“, erklärte der hochgewachsene orientalische Jude spontan. Joazar schien sehr froh zu sein über die Gelegenheit seine wankende Machtposition im Tempel wieder zu festigen. Er trat nun vor den Gnadenthron und erklärte bedächtig: „Durch die Gnade unseres Herrn Adonai wurden wir aus der Wüste hierher geführt, in das gelobte Land. Es liegt nun an uns was wir aus diesem unserem Land machen, dem Eretz Israel. Sollen wir es wagen und die Römer bekriegen, und dann noch die Parther, die Inder und die Äthiopier? Sollen wir dann noch gegen Skythen und Germanen zu Feld ziehen und uns wie einst Kyros, dieser falsche Messias, aufs Haupt schlagen lassen? Ist das Gottes Wille?“ Darüber lachten die meisten der Anwesenden. Joazar lächelte ernst und gebot ihnen zu schweigen. „Liebe Freunde, ihr versteht mich“, stellte er jovial fest. „Einst kamen Philister und Kreter, Ammoniter und Midianiter, Ägypter und Assyrer zu uns um unsere Schätze zu rauben; und dann kamen die Babylonier um uns selbst dazu zu rauben. Aber schaut euch um. Wir sind wieder da! Unser Tempel steht wie zuvor auf festem Grund, und er ist schöner und reicher ausgestattet als jemals zuvor. Was kann unserem gnädigen, reichen Gott ein besseres Zeugnis ausstellen als sein Tempel?“ – „Ja! Herr Gott, du seist gepriesen!“ Die Sadduzäer und Tempeldiener jubelten erneut, auch viele Pharisäer waren nicht nur überzeugt von den Worten ihres Hohepriesters, sondern sie waren wieder mal begeistert. Nur der zwergenhafte Ananus auf der linken Seite schnitt ein bitteres Gesicht. Und als Joazar geendet hatte da redete Ananus gleich gegen ihn an: „Ihr Tempeldiener redet gern wie kleine Menschen reden, und das sind wir Juden in der Tat. Aber unser Herr ist ein großer Gy'tt. Unser Elohim ist der Gy'tt der Götter, und er regiert heimlich auch über alle anderen Völker der Heiden. Ist es nicht immer noch so dass die Chaldäer in Babylon ihren goldenen Götzen Bel verehren mit Scharen von Priestern, und dass ihm dort Hekatomben von Opfergaben und Schätzen dargebracht werden? Einst zeigte jedoch unser Prophet Daniel dass dieser Götze nur ein lebloses Standbild ist, hinter dem sich ein Drache verbirgt. Durch die Macht unseres Herrn und nach seinem Willen wurden wir Juden zu den heiligen Bezwingern dieser bösen Mächte bestimmt. Denn nur unser Herr Gy'tt ist der Gy'tt, also der... Gott...“ Nur mit Anstrengung gelang es dem kleinen Großrabbiner das Wort Gott richtig auszusprechen, denn das galt aus kaum bekannten Gründen den strenggläubigen Juden als ein Tabu. – „So ist es!“ tönte Josef, der das kurze Zögern ausnutzte um lauthals wieder selbst zu eifern. „Deswegen ja erging nur an uns Juden das besondere Gebot, dass wir zahlreich werden sollen, so zahlreich wie die Sterne am Himmel und der Sand am Rand des Meeres, nach dem Buch Genesis Kapitel 22! Der ganze Weltkreis soll gesegnet werden durch unseren Samen, und die Torburgen unserer Feinde sollen wir besitzen. Das bedeutet dass die Städte Cäsarea und später auch Rom uns Juden gehören sollen! Und wenn da Gojim leben, miese unreine Unbeschnittene die uns nicht Platz machen wollen, dann spricht Josef nur ein Zauberwort und sie werden weg geputzt, so wie wenn Gott sauber macht!“ Manche Würdenträger sogen scharf die Luft ein bei diesen harten Worten. Andere scharrten schon mit dem Füßen, so als ob sie lieber nach hinten wegtreten würden. Diese Worte des Bettlers Josef waren nicht beliebt im Tempel, aber an ihrer Richtigkeit nach den heiligen Schriften erhob sich hier kein Zweifel. Der radikale Pharisäer Katzaffer war der erste der nun rief: „Hört, hört! Ihr Juden, ist es nicht wahr dass der Herr uns einen schweren Kampfauftrag erteilt hat in dieser Welt? Wenn wir daran scheitern brauchen wir uns über seinen schweren Zorn nicht zu wundern.“ – „Hört, hört! Gy'tt will es hart, Gott befiehlt uns Krieg!“ riefen viele Pharisäer. – „Hört, hört! Krieg den Römern!“ schrien auch die meisten Esséner. Der Ruf wurde aufgenommen von vielen Stimmen hinter dem großen Vorhang, der den Vorraum abtrennte. – „Krieg!“ rief dort auch eine helle Stimme, welche alle anderen noch übertönte. Judas erkannte sie sofort, und er erschrak. Denn am Spalt des Vorhangs der den Vorraum abtrennte, da glänzte nun der dicke kahle Schädel des Sadokiters Judas aus Gamala, seines Namensvetters. Und wenn jetzt Krieg ausbrach mit den Römern, dann würden auch dessen Sadokiter hier mit im Tempel stehen müssen! Judas blickte sich ratsuchend um nach seinem Vater. – „Schnorch!“ grunzte Josef jedoch nur. Er hatte doch noch schnell den Weinkelch leer getrunken, und war schon wieder ins Reich der Träume entrückt worden, er grinste jetzt im Schlaf und sabberte. Joazar trat nachsichtig lächelnd zu dem Berauschten, er nahm seinen eigenen kostbaren Gebetsschal und deckte ihn Josef über das Gesicht.

93.

Simon der Esséner schien diesen Stimmungswandel im Hekal für günstig zu halten. Er trat nun vor und legte der Menge seine Sicht der Dinge dar, mit einer weibischen bis hetzerischen Stimme: „Wir Juden sind von Gy'tt also in die Pflicht genommen, so viel steht fest. Aber ihr fragt mich oft, euren Zeichendeuter: Was können wir paar Juden schon ausrichten gegen die Militärmacht der Römer? Sogar die Furcht erregenden Germanen wurden doch von Tiberius und Drusus und anderen Römern mit Leichtigkeit überwunden. Wir haben uns für einen Krieg entschieden, aber jetzt stellt sich die Frage wie wir ihn am Besten führen. Sollen wir Legionen aufstellen wie die Römer das tun? Ich schlage einen anderen Weg vor: Ziehen wir uns zurück in die Wüste, nach Nabatäa und Ephraim, um dort neue Kraft zu gewinnen, so wie Moses einst neue Kraft gewann in Moab und Edom. Wir Esséner haben den Ungeist in uns allen durch streng logische Regeln gebändigt. Wir sind Meister geworden in der Kunst das Böse zu bekämpfen. Die Engel des Herrn sind bei uns, sie stärken uns ständig mit ihrer Weisheit. Durch tägliche kalte Taufen können wir die Sünden besser besiegen als durch blutige Opfer und peinliche Rituale.“ Simon wies verächtlich auf die Schätze ringsum und schimpfte: „Die Sadduzäer haben in der Kriegsnot immer hier ausgeharrt, und ihren Tempel wie eine Festung ummauert. Aber was nützt uns all das Gold? Wozu taugt der eitle weltliche Plunder? Wenn wir Juden nun all dies den Römern überlassen müssen, dann werden sie uns nichts weiter rauben können. Unsere Engel haben uns große geheime Lehren mitgeteilt, und diese sind gewisslich wahr! Diese eitle Welt wird bald untergehen!“ Da erhoben sich Unmut und Widerspruch unter den Würdenträgern. – „Fürchtet euch nicht, denn diese Welt ist ohnehin schlecht und verdorben wie altes Fleisch!“ riet ihnen Simon mühsam zu. „Aber wenn wir uns durch die Taufe mit dem heiligen Geist an unser früheres Dasein als himmlische Engel zurück erinnern, so dürfen wir nach dem Tod unseres verdorbenen Fleisches wie Elias in einem feurigen Wagen in den Himmel hinauf fliegen. Da oben kriegt jeder Einfältige den Körper eines Engels aus Licht, der hat sogar Flügel, nur keine Hoden...“ Simon musste seine esoterische Rede abbrechen, denn der Unmut der orthodoxen Juden war zu laut geworden: „Au weia, dir fehlen wohl die Eier! Dann hau doch ab in deine Wüste! Oder flieg gleich in den Himmel hoch! Du von der Wüstensonne gesottener Sektierer! Ihr Esséner seid Abweichler selbst bei den wichtigsten jüdischen Lehren! Samael und seine 144 Dämonen betrügen euch mit Irrlehren! Solchem Bettelpack wie euch Essénern sieht man doch an dass Gottes Gnade von euch gewichen ist.“ – „Nein, nein!“ schimpfte Simon, eher stur als zornig. Aber die anderen Esséner zogen ihn in ihre Mitte zurück. – „Krieg! Ich eifere erneut für den Krieg!“ Laut und hell erklang nun erneut die Stimme des Judas aus Gamala, während der sich durch die Mitte nach vorne drängte. Der mutige Aufhetzer der Sadokiter hatte sich nun seinen groben Umhang über den Kopf gezogen und hielt ihm vor dem Kinn zusammen, so dass sein Gesicht im Schatten verborgen blieb. Aber seine unverkennbare Stimme drang nun bis in den letzten Winkel des düsteren Tempels, als er beschwörend zu den Klerikern eiferte: „Wir Juden sind reich, faul und weichlich geworden in den Städten. Und so wie die Hebräer in Ägypten zu den Sklaven des Pharaos wurden, so wurden wir zu den Sklaven der Sklavenmeister Roms! Bald werden die Römer auch hier im Tempel Adonais die Bilder ihrer Kaiser und Götzen aufstellen, und von euch verlangen dass ihr sie anbetet!“ Judas aus Gamala wies fast anklagend auf den großen Altar, vor dem Josef und sein Sohn Judas nun thronten. Zustimmendes bis empörtes Geschrei schien den Radikalen zu ermutigen, als er nun immer lauter eiferte: „Wir Juden alle sind gerade den faulen und verweichlichten Fürsten Herodes Archelaus los geworden. Und was tut ihr Idioten? Schon wieder haben die schlauen Herodianer euch einen ihrer Weichlinge auf eurem Thron platziert. Er schnarcht euch was vor! Hinweg mit ihm, das fordere ich! Unsere Kraft und unser Glaube beruhen auf unserer Thora, und dieser allein schulden wir strengen Gehorsam! Hört nun von mir die Kriegsbotschaft des neuen Sadduk, unseres geliebten Führers in der Wüste. Als Streiter Gy'ttahs sind wir Sadokiter wie die Esséner gesundet, durch karge Kost und kalte Bäder wurden wir hart wie Stahl! An der harten Disziplin seiner Wüstenkrieger soll Israel nun die Kraft finden wiederum alle Feinde ringsum gleichzeitig zu besiegen, so wie es uns zur Zeit von Moses und Jesus gelungen ist. Rüsten wir uns also für einen totalen Krieg, denn wenn das Volk sich erhebt und vom Eifer besessen kämpft, dann müssen die Römer jeden einzelnen von uns töten wenn sie dieses stolze Land unterwerfen wollen... Wollt ihr den totalen Krieg?“ Judas blickte sich um bei diesen Worten. Aber der Beifall den er wohl erwartet hatte blieb aus. – „Räuber und Tyrannen seid ihr doch in Wahrheit, ihr Sadokiter!“ schimpfte ein Idumäer. „Und ein Gerücht behauptet sogar dass König Aretas der Nabatäer euch heimlich Vorräte liefert und Waffen, damit ihr in Judäa Unfrieden stiftet!“ – „Dafür gibt es keine Beweise!“ empörte sich Judas. – „Aber ihr habt auch keine Beweise dass Gott mit euch ist!“ erwiderte ihm Joazar. Jetzt sprach der erschöpfte und genervte Hohepriester mit ungewöhnlich aufgeregter und lauter Stimme. – „Hier jedoch ist der klare Beweis dass Gott mit uns ist, und uns zu Hilfe kommt, mit Engeln!“ verkündete der kleine Judas der aufgeregten Menge in dem ziemlich überfüllten Raum. Judas zeigte erneut seine weiße Feder herum, die schöne lange Schwanenfeder. Und da schien die Siegesgewissheit von Judas aus Gamala zu weichen. Er keuchte verblüfft: „Oh! Ich kenn dich doch... Du bist doch einer von uns! Du bist doch Judas, unser Sichel-Attentäter!“ – „Ich bin jetzt doch dein Gott, du Aufrührer!“ erklärte jedoch mutig der kleine Judas. – „Du hast also deine Mission verraten!“ schimpfe daraufhin Judas aus Gamala. „Nun, so wie unser Herr im Himmel keine Verräter duldet, so duldet Sadduk keine hier unten!“ Der Eiferer ließ seine Verkleidung fallen, zückte einen Dolch und schien sich auf Judas stürzen zu wollen. Schreie gellten auf im Hekal. Judas hielt Judas die weiße Feder entgegen. „Du kämpft gegen Engel und wirst nicht gewinnen!“ schrie der Junge mit zittriger Stimme. Der große Glatzkopf verhielt verwirrt, er stöhnte. – „Ergreift den Frevler und Aufrührer!“ befahl da Joazar, und zeigte auf Judas aus Gamala. Es gab nur wenige Diener im Tempel, und die zögerten. Doch schon drängte sich der große Rebellenführer freiwillig aus dem Tempel. Die Menge seufzte erleichtert. Judas zeigte allen erneut die weiße Feder. Ein alter Hohepriester unter den Sadduzäern schimpfte: „Also, für mich sieht das Ding da eher aus nach Ente, oder nach Schwan. Da bin ich mir ziemlich sicher.“ Bedrückt blickten ihn alle an, und dann sahen sie zu Judas hin. Dieser versteckte etwas linkisch die Feder hinter seinem Rücken, er erglühte als ihm das Blut ins Gesicht stieg. – „Auch ein falscher Glaube kann nach Adonais Willen wahre Wunder bewirken“, erklärte Ananus. Es war aber Joazar der die frohe Stimmung rettete. Mit milder Stimme führte er aus, den Blick auf den mächtigen Leuchter gerichtet, mit den fantastischen Bildern in den Kästchen am Fuß: „Seht doch die Bilder all dieser Engel und Throne und Monster. Manche dieser Chimären haben Flügel wie Enten. Wer von uns Sterblichen weiß denn ob die Engel im Himmel nicht unseren Enten sehr gleichen?“ – „Der Herr hat gewiss Engel und Vögel am selben Schöpfungstag erschaffen“, spekulierte der Katzaffer. – „Und dich erschuf er zusammen mit den Katzen!“ witzelte Jeschimon. – „Engel sind ähnlich wie wir, die sind auch irre“, meinte Judas dazu.

94.

Wieder mal ergab sich spontan ein Streit um Pilpul. – „Darf ich jetzt mal sprechen! Ich möchte auch eine Meinung kundtun!“ So unterbrach sie freundlich ein baumlanger Nasoräer. Die Leute ringsum wichen zurück als nun ein Büßer in einem schmutzigen zerlumpten Gewand, mit langen krummen Fingernägeln und einer wilden Haarmähne, langsam nach vorn trat. „Mein Name ist Onan!“ erklärte der Büßer theatralisch den Umstehenden. Da schmunzelten viele Kleriker, auch die welche Onan längst kannten. Onan jammerte ernst: „Wehe, wehe! Ich nahm diesen Namen an für meine großen Sünden, denn ich bin groß und war hochmütig! Jetzt bereue ich und tue Buße. Ja tut Buße, dies rate ich euch allen! Ich habe schon viele Sünden abgebüßt, ja ich büße gern, und deswegen sündige ich gern noch mehr. Ich rufe auch euch auf zur Sünde! Tut dann Buße, denn das Himmelreich ist nahe heran gekommen. Es gibt Gerüchte von Täufern wonach es schon bis zum Berg Karmel gekommen ist! Aber verzagt nicht, denn durch seine Buße kann ein Asket mächtige Zauberkraft gewinnen und große Wunder bewirken. Und wer sich hier auf der Erde demütigt, der soll oben im Himmel erhöht werden. Also erniedrigt und demütigt euch, kleidet euch in Säcke und streut Asche auf eure leeren Häupter! Das ist der Weg den die Thora uns lehrt, wenn unser Gy'tt mal wieder total böse geworden ist auf uns, wegen unseres Versagens. Der Herr will eben Blut sehen, Blut muss fließen in Strömen! So können wir den Zorn der zuchtlosen Horden der Heiden abwenden von unserem Land. Also gebt euch selbst die Peitsche, und gebt alles wenn euch Arme begegnen. Ihr Herren, habt Mitleid!“ Onan hatte seine übliche Heisch-Rede routiniert gesprochen. Nun verbeugte der Nasoräer sich, steif war er vor Kälte. Vor Judas verhielt er um ihm die Narben und Striemen an seinen Schultern zu zeigen, und hielt dabei wie üblich seine entsetzlich schmutzige Hand auf. – „Ich hab leider kein Geschenk für dich, denn alles was hier liegt das gehört ja meinem Tempel“, erklärte ihm Judas unfroh. – „Hier hab ich was für euch, ihr nichtswürdigen Grabschänder aus Galiläa! Das ist ein Weihegeschenk der Samariter für euren hochmütigen Gott.“ schrie da plötzlich eine heisere Stimme von ganz hinten, aus dem Vorraum. Dann warf jemand, der halb hinter dem großen Vorhang verborgen stand, etwas ins innere Heiligtum hinein. Ein gräulicher langer Gegenstand wirbelte durch den hohen Hekal. Onan drehte den Kopf halb herum und warf sich dann erschrocken auf den Boden. Auch Judas glitt von seinem Bänkchen und hob die Hände über seinen Kopf. Der lange Gegenstand verfehlte ihn nur knapp. Er prallte dann dumpf dem schlummernden Josef auf die Schulter, der breitbeinig auf dem Gnadenthron hing. – „Uargh!“ schrie Josef halblaut auf als er schon wieder unsanft geweckt wurde. Er begann zu husten und kämpfte sich in Panik aus dem Schal vor seinem Gesicht. Der weißlich-graue Gegenstand prallte unterdessen zurück vom Gnadenstuhl, drehte sich halb in der Luft und fiel dann Judas genau auf dessen Kopf. – „Iih!“ schrie dieser mit knabenhafter Stimme. – „Das ist deine Strafe, also frohlocke“, erklärte Onan ihm aufgeregt flüsternd. Daraufhin schubste Judas ihm den Knochen zu. „Da schau! Jetzt ist das dein Gotteslohn.“ – „Das ist Gebein! Ein Menschenknochen! Ein Tempelschänder warf diesen Knochen, ein Samariter! Wo ist der böse Samariter? Ergreift ihn!“ Die Anspannung der Menge im Tempel entlud sich in einer Aufwallung von kollektiver Wut. Viele aufgeregte Würdenträger und Diener liefen hinaus in den Vorraum um den Frevler zu finden. – „Ich weiß nicht was die empört. Das ist doch ein passendes Geschenk für Herrn Waffwaffwaff“, meinte Jeschimon, als er sich den alten Knochen besah. Da überkam wiederum ein Grollen den Josef, und ein innerer Zwang drängte ihn zu Boden. Benommen krabbelte er etwas herum, bis hinter einen der Chanukka-Leuchter. Es war der an dem die funkelnde Kette mit den bunten Glasperlen hing, die Herodias dort aufgehängt hatte. – „Waff! Das ist besser“, meinte Josef erfreut, als er sich die Kette erst ansah und dann vom Leuchter herunter nahm. – „Bitte Herr, hab Mitleid mit einem Büßer!“ rief ihm Onan flüsternd zu, die blanke Habgier ließ seine Augen feucht werden. Der Nasoräer streckte seinen langen Arm vor, er wand sich wie eine Schlange hin zu Josef. Josef schien zu überlegen ob er diese billige Glaskette verschenken sollte. Aber dann legte er sich das blinkende Kleinod kurz entschlossen selbst um den Hals. „Ich war auch immer arm, aber jetzt bin ich euer König!“ erklärte Josef stolz. Joazar nickte mit düsterer Miene. Da geriet nun Onan in Wut. „Gott hat mich also genau so beschenkt wie es mir als Sünder gebührt!“ wütete er. Er packte den alten Menschenknochen und begann sich damit auf beide Schultern zu hauen, nach der Art der Büßer. Das ging nicht lange gut, denn der Knochen zerbröselte zu Splittern und Staub. Judas brachte sich hastig in Sicherheit, und da der Gnadenthron gerade frei war setzte er sich kurz entschlossen selbst darauf hin, und grinste stolz.

95.

„Die Samariter beschweren sich oft dass wir Juden ihre Gräber nicht achten, sondern dass wir sie einebnen, um darauf Häuser zu bauen und Felder anzulegen.“ Dies erklärte Josef seinem Sohn bald darauf, während er mühsam auf die Beine kam und sich verbissen die Stirn abrubbelte. „Na ja, und wir erklären ihnen dann dass sie sich an ihre heidnische Gräuel wenden sollen. Wer sich nicht zu Adonai unserem Gy'tt bekehren mag, der kann nicht hoffen ihn durch Weihgeschenke für sich zu gewinnen. Erst recht nicht wird er Gy'tt durch Lästerung und Frevel einschüchtern können...“ Joazar erläuterte servil: „Es ist ja ein Glück dass die Gebote uns nur dazu anhalten die jüdischen Gräber zu achten, und darauf nicht zu bauen. Wenn dieses Gebot auch für die Gräber der Unbeschnittenen und Araber gälte, dann gäbe es bald in ganz Judäa kein freies Ackerland mehr.“ – „Ja. Gott ist eben ein gnädiger Gott, wenn es ihm passt“, bestätigte Josef leutselig. – „Obwohl dies viele wundert“, gab Ananus zu bedenken. „Denn wenn ein jüdisches Grab einen Ort verunreinigt, dann muss das doch um so mehr für das Grab eines verächtlichen Samariters gelten.“ – „Gott lässt sich eben immer viel einfallen um die Heiden zu ärgern und zu strafen, so wie die das brauchen“, erklärte Josef grinsend. – „Das erklärt auch viele jüdische Gebote“, erklärte Onan im jammervollen Tonfall. „Denn wenn es ein Volk gibt das der Gott besonders gern ärgert, beugt und leiden lässt, dann sind das wir Juden...“ Josef hatte dem Büßer nicht zugehört, denn gerade beschäftigte es ihn stark dass Judas sich erfrecht hatte seinen Gnadenthron für sich zu okkupieren! Josef winkte herrisch mit dem Kinn, und forderte so seinen Sohn auf ihm Platz zu machen. Doch dieser riet ihm mit seiner typischen jungenhaften Frechheit: „Papa, bleib lieber erst mal auf den Beinen. Sonst schläfst du gleich wieder ein. Und du musst doch jetzt eine Entscheidung treffen für all diese hohen Herren, in dem Richtungsstreit den sie haben. Sie wollen wissen was wir tun sollen, um den Krieg gegen die Römer zu gewinnen den du jetzt anfangen willst.“ – „Wahrlich!“ bestätigte Katzaffer. – „Der richtige Rat im Krieg ist in der Tat eine heilige Pflicht eines heiligen Königs“, murmelte Josef in seinen etwas weinfleckigen Bart hinein. Zu seinem Sohn erklärte er: „Ich hatte erst noch darauf gewartet dass mir das richtige Zitat aus der Bibel einfällt. Das klappt bei mir verlässlich. Vorhin bin ich leider zu früh eingeschlafen.“ – „Heiliger König Israels! Du Schrecken, der Verächter unseres Herrn und seiner heiligen Gebote!“ schrie das alte Raubein Katzaffer, ersichtlich in dem Bestreben sich als Vorsager und Berater beim Thron beliebt zu machen. „Wir Pharisäer hatte gehofft dass dir im Traum ein Gesicht erscheinen würde!“ – „Ja, ist dir ein Geist erschienen?“ fragte daraufhin der Esséner und Traumdeuter Simon, der nun auch aufhorchte. – „Ich sah... Oi!“ Josef hustete lange und kratzte sich vorn an seiner Beule. „Ich sah meine Frau. Die Jungfrau Maria ist mir erschienen. Sie lag im Bett unter einem fremden Mann, und sie hat gestöhnt wie eine, ähm...“ Er schwieg bestürzt, als er sich den halb vergessenen Traum ins Bewusstsein zurück rief. – „Mama wurde geschändet!“ erkannte Judas voller Schrecken. „Die üblen Bethlehemiter haben meine Mutter nämlich als Geisel genommen“, teilte der Junge den Umstehenden mit. „Sie wollten nicht glauben dass wir die neuen Könige Israels sind, die gesalbten Löwen von Juda.“ – „Der furchtbare Löwendämon Lamaschtu hält Bethlehem in seinem Bann. Ich wollte ihn durch eine Zauberei vertreiben, aber da tötete das Biest mir meinen Apostel Chodosis, den weisesten Schriftgelehrten den es jemals gab!“ Dies erklärte nun Josef den Umstehenden, der übliche Eifer ergriff rasch wieder Besitz von ihm. „Wo ist die heilige Schriftrolle die Chodosis uns hinterließ? Wo ist sein geheimes schwarzes Buch?“ Judas fand, ergriff und reichte seinem Vater rasch die verwaschene Schriftrolle des Chodosis. Josef reckte sie triumphierend in die Höhe. Dann erklärte er allen Umstehenden mit beschwörender Stimme: „Ihr Priester, seht diese Schriftrolle! So eine Thora, diese oder jene und alle zusammen, sie sind doch kostbarer als Gold und die Opale und Türkise, die Bimssteine und Opale aus dem Morgenland!“ Er zeigte die Kette mit den Glassteinen herum die er nun um den Hals trug. Josef hatte endlich den Bann der Schläfrigkeit abgeschüttelt, er wurde schnell zapplig während er eiferte: „Wahrlich die Thora ist der größte Schatz den der Gy'tt uns schenkte! Wenn unsere Feinde uns bedrücken und zum Krieg herausfordern, so finden wir in dieser oder jener alten Schriftrolle alle geheimen Tipps und Lehren die uns sagen was wir tun sollen nach Adonais, also meinem Willen... Und genau jetzt kommt mir die passende Stelle aus der Thora in meinen Brummschädel! Wahrlich, steht dort nicht geschrieben von Dina, der Tochter Israels und Leas, im Buch Genesis Kapitel 34: Dina ging aus um die Töchter des Landes zu sehen. Als Sichem sie sah, der Sohn des Fürsten der Hewiter aus Kana'an, da nahm er sie und tat ihr Gewalt an! Dann gewann er Dina lieb und wollte sie heiraten, vor seinem Vater Hemor. Als die Söhne Jakobs davon hörten waren sie schwer beleidigt und sehr entrüstet. Sichem und Hemor kamen nun zu ihnen, um einen Heiratsvertrag zu machen und Freundschaft zu schließen, und sie boten Aussteuer an und Geschenke. Der Heiratsvertrag wurde geschlossen von den Hewitern mit den Israeliten. Die Bedingung war dass die Hewiter Juden werden sollten. Aber als die Hewiter sich alle beschneiden ließen, und als sie davon wundkrank wurden, da drangen Simeon und Levi ein in diese Stadt, und töteten dort alle Männer, auch Sichem und Hemor. Und die Israeliten führten Dina fort, und dann plünderten sie die Stadt, und versklavten alle Kinder und Frauen von Sichem. Und sie sprachen zu ihrem Vater: Darf man denn Dina wie eine Dirne behandeln? Nein!“ Fuchtig schwang Josef die Schriftrolle wie ein Schwert, und er ereiferte sich: „Hört nun auf meinen Befehl, ihr Kinder Israels! Nehmt euch erneut ein Beispiel an der sehr tapferen Tat der Kinder Israels, denen nichts heilig war außer, ähm, nun... einer Di-ne. Ich erkläre genau so für unser Land jetzt den heiligen Krieg Israels! Aber nicht gegen die übermächtigen Römer wollen wir kämpfen, sondern gegen die benachbarte Stadt Bethlehem! Denn dort treiben sie Hurerei mit meiner geliebten Frau Maria, welche ja quasi noch eine Jungfrau ist...“ Josef verstummte, denn Tränen traten ihm schon wieder in seine Augen. – „Dina war doch gerade keine Hure“, empörte sich Jeshimon. – „Was tat sie dann allein in Sichem?“ fragte Katzaffer. – „Vielleicht war sie lesbisch...“ – „Still jetzt!“ befahl Ananus seinen Pharisäern.

96.

Eisiges Schweigen legte sich nun über den Hekal, das innere Heiligtum des Tempels. Es wurde jäh unterbrochen durch einen Todesschrei direkt vor dem Tempeltor. Ein unmenschlicher Laut war dies der die Anwesenden erschauern ließ. – „Also endete der böse Samariter!“ murmelte Josef ergriffen. – „So soll es allen Tempelschändern und Verächtern Israels ergehen“, pflichtete ihm der radikale Katzaffer bei. – „Habt Mitleid, ihr Herren!“ widersprach jedoch der Nasoräer Onan. – „Hinaus mit dem miesen Bettler!“ befahl daraufhin Josef. Und sofort gehorchten Tempeldiener, die Onan hinaus werfen wollten. Aber sie kamen nicht weit, denn eine Prozession von draußen kam ihnen entgegen. – „Heilig, heilig! Der Herr der Herrlichkeit sei gepriesen in Ewigkeit, und gereinigt wird nun sein Heiligtum.“ Die Stimme des Hohepriesters Joazar drang nun als ein Singsang aus dem Vorraum des Tempels. Kurz darauf schritt er selbst wieder hinein, in einer jetzt etwas blutverschmierten Weste aus Schaffell. Mit einem Federbusch besprengte der Hohepriester den großen Vorhang mit Blut. Ihm folgten zwei Tempeldiener die zwei bronzene Eimer voller Blut schleppten. Der Hohepriester bespritzte alle Anwesenden im Saal mit Blut, die diese Prozedur mit verkniffenen Gesichtern über sich ergehen ließen. Joazar arbeitete sich vor nach vorne, und verkündete Josef: „Getreu der Thora schächteten wir einen Farren, genauer gesagt einen Ochsen, direkt vor dem Tempel. Sein Blut soll dieses von dem Samariter verunreinigte Heiligtum nun erneut Adonai weihen.“ – „Tu deine Pflicht, Hohepriester“, meinte daraufhin Josef ergeben, „so wie es geschrieben steht an vielen Stellen der Thora. Dies ist das Ritual der Läuterung das Moses oft und eigenhändig zelebrierte; und gerne, wie man ja annehmen darf.“ Joazar tunkte daraufhin erneut seinen blutigen Wedel ein, und besprengte dann den Hochaltar Jahwes überall ringsum mit Blut. – „Einen Moment noch!“ rief Judas plötzlich, als sich Joazar nun ihm und dem Gnadenthron näherte. Er sprang auf und zog dem stutzigen Joazar den blutigen Wedel aus der Hand. „Gibt mir das, Hohepriester! Das ist jetzt meine Aufgabe, denn als geweihter aaronitischer Priester bin ich im Rang noch eins über dir!“ Judas tunkte den Wedel ins Blut und spritzte seinem Vater einen dicken Schwall davon auf dessen Gesicht und sein rein weißes Gewand. Danach sah Josef wie ein Schlachter oder Mörder aus, und er blickte auch so mörderisch drein als ob er nun seinen Sohn opfern wollte, so wie Abraham einst seinem Gott seinen Sohn Isaak hatte opfern wollen. Josef tönte: „Du willst also jetzt hier der Überpriester vom Hohepriester sein? Dann sage ich dir eines, nämlich dass ich jetzt der Höchstpriester des Überpriesters bin. Ich bin jetzt der melchior-sadokitische Priester, und stehe damit im Rang noch über dir! Denn ich bin König und Priester zugleich meines Volkes! Ja, ich bin ein Priesterkönig der im Rang so würdig ist wie es der Melchisedek war, der Priesterkönig war in Sodom, äh, genau, zur Zeit Abrahams.“ – „Aber Papa, du sagtest doch vorher mal ich wäre der gesalbte Messias, und du wärst nur der Salber!“ erwiderte Judas daraufhin empört. – „Ja Josef, wie erklärst du das?“ fragte Joazar ernst. – „Melchior hat mich zuerst gesalbt, nach der Tradition von Sodom, ähm...“ Josef unterbrach sich und schimpfte los: „Ich muss hier gar nichts mehr erklären. Ich bin euer Gy'tt, und der erklärt in der Thora ja auch nie was!“ So eiferte nun Josef. Die Würdenträger murmelten aufgeregt. Joazar senkte nur demütig den Kopf. Es war Simon, der finstere Traumdeuter der Esséner, der Josef plötzlich so zu Hilfe kam: „Auch der erste Hasmonäer Simon war ja König und Hohepriester der Juden zugleich, und Feldherr noch dazu. Und im ersten Buch der Makkabäer, Kapitel 14, steht über ihn geschrieben: Er war auf das Wohl seines Volkes bedacht, und das Volk war allezeit stolz auf seine Macht und sein Ansehen...“ Das waren Worte die alle kannten und gerne hörten. Beifälliges bis aufgeregtes Gemurmel erhob sich im Hekal und alsbald auch im Vorraum, und es gab wieder etwas Jubel. – „Natürlich, gut gesprochen, Simon. Ich bin auch der größte Feldherr aller Zeiten, denn Gottes große Kampfwut ist auch in Fülle in mir!“ tönte nun Josef. – „Papa, jetzt hebst du gleich ab wie ein echter Engel! Außerdem bist du in Wahrheit schwächlich und noch dazu feige, das wissen doch hier auch schon alle Leute!“ schimpfte jedoch Judas. Er hielt seinem Vater die weiße Feder vor das Gesicht. Da wurde dieser unvermittelt ausfallend, und schimpfte zurück: „Musst du mich immer so stürzen? Du bist so schlimm wie deine Mutter!“ – „Ich bin doch jetzt dein Gesalbter!“ Judas wurde gleich etwas weinerlich. – „Es kann nur einen geben!“ meinte daraufhin Ananus, mit einem tückischen Blick auf Vater und Sohn. – „Wenn der Sohn nicht gehorcht dann wird der Zorn seines Vaters über ihn kommen!“ schimpfte daraufhin Josef. – „Einer nur ist Gott!“ rief Ananus lauter, dem man nun ansah dass es ihm gefiel diesen Streit weiter zu schüren. Viele nahmen diesen Ruf auf. Simon der Esséner zückte sogar seinen Dolch und trat damit nach vorn. Im düsteren, strengen Tonfall eines Blutrichters erklärte er: „Einer nur ist der Herr, aber einer mag jetzt auch Gy'ttes Widersacher werden. Die Leute aus Qumran nennen ihn den Antimessias. Also, wer von euch beiden ist nun wer?“ Josef und Judas starrten sich beklommen an. „Ich bin euer tapferer Sichelkämpfer!“ sagte Judas schließlich. Er griff sich rasch Simons krummen Dolch. Aber Josef gab ihm eine Ohrfeige und nahm den Dolch selbst an sich. – „Diese Klatsche war schon lange fällig gewesen“, meinte Ananus befriedigt. Josef nickte wie befreit. Er riss den Dolch hoch in die Luft, dieser blinkte im Licht der Kerzen und Öllichter ringsum. Judas wich zurück, aber als er davon laufen wollte da griff Joazar plötzlich nach ihm und hielt ihn an beiden Armen fest. Mit verzerrtem Gesicht und blutüberströmt erklärte Josef unterdessen, grollend, eifernd und wie üblich gestärkt durch ein Zitat aus den heiligen Schriften: „Und Abraham fasste das Messer, seinen Sohn zu schlachten. Dies hatte ihm der Herr so befohlen. Deswegen hatte er dem Gott Israels einen Altar errichtet.“ – „Und das war recht so! Opfer müssen nun mal gebracht werden, für jegliche Sünden! Nur so kann der Zorn Gottes von uns abgewendet werden!“ rief Joazar mit salbungsvoller Stimme. – „Aber da kam die Stimme eines Engels zu Abraham, und gebot ihm es nicht zu tun“, gab Onan mahnend zu bedenken. – „Und Abraham tat es doch nicht!“ rief Judas, fest bis flehentlich. – „Ja“, flüsterte Josef mit rauer Stimme, „er tat es nicht.“ Zögernd ließ Josef den Dolch sinken, weil er jetzt doch glaubte was die Thora darüber behauptete. Viele Anwesende im Hekal atmeten erleichtert auf.

97.

Schweigen erfasste erneut die ganze Versammlung im düster erleuchteten Saal des Heiligtums. Der Lichtschimmer, der am Morgen durch das Tempeltor in den Vorraum gefallen war, war längst zur Nordseite hin entwichen. Judas fühlte sich wie immer wenn er seinen Vater herausgefordert oder geärgert hatte, er war voller Furcht vor Strafe und dennoch erfüllt von einem morbiden Gefühl der Genugtuung. Er hatte nicht wirklich geglaubt dass sein Vater ihn opfern würde, denn so etwas tat ein Jude nicht. Josef reichte Simon den Dolch zurück und sank wieder auf den Gnadenthron. Es war der agile Großrabbiner Ananus der nun zuerst wieder das Wort ergriff. Mit dennoch nur mildem Tadel warf er dem Hohepriester Joazar vor: „Bei unserem unbegreiflichen Gy'tt, was tatest du? Hältst du das für richtig – hier eine blutige Sudelei zu veranstalten nach der uralten Tradition?“ – „Opfer müssen nun mal sein“, erwiderte Joazar, milde wie üblich. – „Aber du hast ja gesehen was die Idioten dann davon übernehmen. Dann fangen die auch gleich an sich gegenseitig zu opfern. Und es fehlt nie viel daran dass die Erzidioten sich gleich auch noch gegenseitig auffressen, und das als Opfermahl verstehen.“ – „Das tun sie eben nicht, denn Gott wacht über sie! Gott macht sogar die Einfältigen etwas weise, mit der Thora.“ – „Aber steht nicht geschrieben im Buch Jesajas, gleich zu Beginn, dass der Gy'tt dieses alte Blutvergießen neuerdings hasst? Ja, lehrte er nicht: Blut der Jungstiere, Lämmer und Böcke begehre ich nicht! Bringt mir nicht mehr vergebliches Speiseopfer! Wenn ihr auch noch so viel betet, ich höre euch doch nicht, denn eure Hände sind voll Blut!“ Mit diesen Worten wies Ananus auf den mit Blut bespritzten Josef. Das war das alte große Streitthema im Tempel, es gab schnell scharfes Zischen zwischen den Schriftgelehrten und den Tempelherren. – „Wie schwer wiegt das Buch eines späten Propheten im Vergleich zu den fünf Büchern der Thora Mosis? Der Gott lehrte uns von Anbeginn sein Gesetz! Was später kam führt nur aus und erläutert“, erwiderte Joazar routiniert. Der hagere Hohepriester versteckte gleichzeitig seine blutigen Hände etwas linkisch in seinem weißen Schafspelz. Josef polterte spontan: „Er hat Recht! Jetzt ist die Zeit gekommen wo wir Juden die Thora wieder entdecken müssen, so wie sie einst König Josia wieder entdeckte. Dann wird uns auch so ein blutiges Spektakel wieder gefallen, so wie es ja auch Moses gefallen haben muss als er es veranstaltete, und wie es doch ähnlich die Römer so genießen.“ – „Du sagst es!“ erklärte Joazar froh. „Der Herr genießt doch das Opferblut. Er riecht es, er leckt es sogar auf! Und je reiner und unschuldiger das Opfertier ist, desto mehr gefällt es unserem Gy'tt wenn es stirbt!“ Joazar wirkte nun morbide, und dennoch treuherzig und diensteifrig wie immer. Verstohlen und wohl ungewollt leckte er sich das Blut von den Fingern, und zuckte zusammen als ihm bewusst wurde was er da tat. – „Unser Herr ist übermüdet“, meinte einer seiner Leibdiener. – „Gy'tt allein ist euer Herr“, meinte Josef dazu. „Und dieser Gott bin jetzt ich. Mehr Blut soll jetzt fließen, wenn wir demnächst Bethlehem angreifen. Ich werde extra eine Legion aufstellen, nein, sieben Legionen!“ – „All dieses Blut mag uns als ein böses Zeichen gelten“, sinnierte plötzlich Simon der Traumdeuter. „Eloym unser Gy'tt hat uns in Wahrheit verlassen. Sein Widersacher beschlich uns heimlich, der uns jetzt dazu drängen will ein Blutbad zu veranstalten im heiligen Bethlehem. Dieser Junge hier...“ Simon wies auf Judas. „...ist zwar klein und radikal, aber er hat deutlich mehr von Gy'ttes Segen in sich.“ – „Gottes Macht jedoch ist mit Josef. Er allein ließ es regnen, das ist ein klares Zeichen. Er kann uns auch Dürren und Seuchen schicken, und sogar eine neue Sintflut kommen lassen!“ meinte Joazar kleinmütig. – „Ich ließ es auch regnen, zusammen mit dem Engel Ridja. Und ich wäre als euer König netter zu euch als Josef“, wagte Judas zu behaupten. „Ich wäre auch viel freigiebiger!“ – „Ich jedoch würde euch hart Buße tun lassen! Denn Buße tun ist das Beste!“ erklärte da plötzlich Onan der Nasoräer, der es heimlich geschafft hatte wieder auf seinen Lieblingsplatz zu schleichen. „Der Asket der leidenschaftlich Buße tut gewinnt dadurch große Macht, die so groß sein kann wie Gottes Macht selbst, oder sogar noch größer!“ – „Beweis es, Onan, und tu ein Wunder!“ schlug ihm Katzaffer vor. – „Ja, tu ein großes Wunder, du Trotzkopf. Tu ein noch größeres Wunder als Gy'ttes Schöpfung!“ So spotteten nun viele. – „Liebend gerne! Dazu muss ich aber was tun was ich hier im Tempel eigentlich nicht öffentlich tun möchte“, erklärte Onan zögernd. „Und dennoch, ich tu es, für den lieben Gott und mein Vaterland. Ich weiß einen Saft des Lebens, der die bessere Alternative ist zu dem Blut das ihr vergießt!“ Mit diesen Worten sank Onan auf die Knie, schob die Hände unter seine Lumpen und begann zu masturbieren. „Elias tat sein Regenwunder auch auf diese Weise!“ erklärte er mit schwankender Stimme. – „Ich kann es nicht glauben was hier passiert“, rief Ananus. – „Ja, euch Rabbinern mangelt es nie an Worten, wohl aber am rechten Glauben“, meinte Josef stur.

98.

„Ja! Ich glaube euch auch nicht! Könnt ihr Thora-Idioten nicht mal vernünftig werden? Oder ist das gesetzwidrig hier im Tempel?“ Prägnant erklang erneut die helle Stimme des Rebellenführers Judas aus Gamala. Dieser hatte heimlich inzwischen seine eigene kleine Bande von Gefolgsleuten in den Tempel geführt. Diese finstere Schar drangen jetzt mit gezogenen Schwertern und Kampfschreien ein in den Hekal, und drängte sich durch die Mitte nach vorn, während Judas sich hinten verbarg. Judas erkannte sie sofort wieder, und ihm wurde klar dass diese üblen Burschen kaum Hemmungen kannten. Rasch gruppierten sie sich in einem Halbkreis um Gnadenthron und Altar. Es gab einige empörte Schreie und Protestrufe von den Seiten her, aber die meisten der älteren Würdenträger und Diener duckten sich nur und schauten sich nach einem Fluchtweg um. Joazar bewies mehr Mut. Er trat verhalten und dennoch energisch dem Rebellenführer Judas aus Gamala entgegen und bat ihn: „Bitte achte doch den Frieden unseres Tempels.“ – „Das tue ich, und mehr noch, ich bin im Begriff ihn zu verteidigen!“ Judas aus Gamala wagte sich gebückt wieder in den Hekal hinein. Er richtete sich zögernd auf zu seiner stattlichen Größe, als er sah dass er hier die Lage kontrollierte. Judas rief dann mit beschwörender Stimme, was er gut konnte: „Ich stamme aus dem wilden Golan, wo der Herodianer Philippus herrscht. Aber ich bin Jude, also bin ich einer von euch, und ein Israelit! Die Römer haben unser Israel verkleinert und aufgeteilt, um uns zu spalten und so zu schwächen. Sie plündern unser heiliges Land in aller Ruhe aus. Mehrmals haben sie den Tempel hier beraubt, und unsere Truppen konnten sie nicht daran hindern! Aber jetzt habe ich einen Plan wie wir Rom ein für allemal besiegen werden!“ – „Und der wäre?“ fragte Ananus voller Interesse. Auch Simon starrte nun diesen Judas an wie den Messias des Augenblicks. – „Was geht da vor sich?“ fragte Josef etwas ängstlich. Er konnte von seinem Thron aus nicht über das Spalier der Rebellen hinweg sehen die ihn umringt hatten. – „Sei lieber still, Papa, und hör zu!“ riet ihm sein Sohn Judas. – „Ich hörte neulich von einer genialen Strategie!“ verkündete Judas aus Gamala. „Der Zauberer Melchior aus Ägypten hat sie mir verraten. Er gebietet über große Zaubermacht, und mächtige Geisterfürsten gehorchen ihm... die alle so ähnlich wie Samuel heißen. Außerdem ist er weiser als alle Chaldäer zusammen, denn er besitzt die Weisheit des ägyptischen Hermes Trismegistos, welcher die Schrift erfand!“ – Nun wandten sich die meisten Kleriker schon ab, denn solches Heidentum interessierte sie nicht. – „Wozu braucht man die Schrift? Hier ist Weisheit“, murmelte Josef, und tippte sich an die Stirn. – „Und was ist Melchiors Plan?“ fragte Simon. Judas gestikulierte eifrig. „Unser Plan ist der Plan des Ägypters Decaineus. Dieser Zauberer reiste einst zu den Geten, welche am Pontus wohnen, jenseits vom Land der Griechen. Dieses barbarische Volk war faul, verweichlicht und herunter gekommen! Der Zauberer Decaineus jedoch lehrte die Geten wieder tüchtig, besonnen und tauglich zu werden. Unter ihrem König Boiocalus brachten die Geten dann den Römern viele Niederlagen bei.“ – „Wie? Ja wie geschah dies?“ Dies riefen nun viele Anwesende im Saal. – „Durch die Liebe?“ fragte Onan ergriffen. – „Nein, du Idiot. Decaineus lehrte die Geten auf den Wein zu verzichten. Sie haben ihre Weinstöcke aus gejätet. Als die Geten nüchtern wurden da konnten sie wieder denken!“ Mit großen Gesten lief der aufgeregte Judas aus Gamala hin und her vor den Würdenträgern. Dabei ereiferte er sich: „Das also ist Melchiors Plan: Wir Juden verzichten von jetzt an auf den Wein. So werden wir arbeitsam und vernünftig und tüchtig und tauglich. Und dann besiegen wir die Römer!“ – „Aber ich sage: Nein!“ rief da Josef laut, noch bevor ein anderer das Wort ergreifen konnte. – „Was hör ich? Wer ist dieser Weinsäufer?“ Stürmisch lief Judas aus Gamala nach vorn zum Thron, das gezückte Schwert vorgestreckt. Als sich das Spalier der Rebellen teilte, da fiel der Blick ihres Anführers auf Josef. Dieser reckte sich, herrisch und gnadenlos wirkte er auf dem Gnadenthron. – „Waas? Du bist hier der Messias?“ rief Judas entgeistert. – „In der Tat. Und vergiss nicht dass Melchior mein lieber Ehemann ist. Seine Macht ist meine Macht! Also lass alle Hoffnungen fahren, dass er dich in dieser Sache gegen mich unterstützt.“ – „Mein Gott Josef! Israel ist verloren!“ Judas erstarrte und sah sich um, aber seine finstere Bande wirkte auch eingeschüchtert im heiligen Tempel. Der Glatzkopf ließ sein Schwert auf den Boden fallen. Es schepperte laut als er davon wankte. Seine kleinen Rebellen schimpften enttäuscht, und folgten ihm widerstrebend. Die Tempeldiener fassten wieder Mut und drängten die Rebellenbande behutsam aus dem Raum. – „Ah! Oh geil! Seht her, es ist vollbracht!“ rief Onan glücklich von der Seite her. Aber niemand achtete gerade auf ihn. Zischen und Schimpfe, aber auch enttäuschtes Gemurmel begleiteten den Sadokiter Judas aus Gamala und seine Schar von Rebellen hinaus. – „Die Rebellion der Geten ist auch gescheitert, denn die Römer haben sie so hart wie üblich unterdrückt!“ rief ein Sadduzäer. Das traf zu, viele wussten das, der Plan des Decaineus hatte das Schicksal nicht wenden können. Man merkte vielen der Tempelherren an wie erleichtert sie darüber waren. Rasch wandelte sich wieder die Stimmung in dem engen Hekal, wo die Atemluft immer knapper und wärmer wurde. – „Die Macht ist mit Gott allein, und Gott erlaubt den Wein!“ reimte nun Joazar servil. Da kam wieder Jubel auf in dem vollen Raum, und aus dem Vorraum und von draußen ertönte noch mehr Applaus. Der kleine Judas richtete sich auf aus seiner gebückten Haltung, froh über den Zuspruch von den Würdenträgern. – „Gut gesprochen, mein Hohepriester!“ urteilte nun auch Josef, der in seinem mit frischem Blut verschmierten weißen Gewand fast wie ein verwundeter Kriegsheld wirkte. Stolz rief er: „Und nun genug geredet! Waffen her für den Krieg! Ich kann kaum noch sitzen, ich mag auch nicht mehr schwafeln, also lasst uns Bethlehem erobern.“

99.

Da wurden aber viele der Würdenträger und Diener plötzlich wieder furchtsam und widerspenstig. – „Aber, lieber Herr, wir sind doch Priester und keine Kriegsleute. Mit welchen Kriegern willst du denn jetzt so unvermittelt kämpfen?“ gab Joazar sogleich zu bedenken. Und da Josef nachdenklich schwieg, führte Ananus mit scharfer Stimme weiter aus: „Wir Juden sind nun mal keine geborenen Kämpfer. Wir sind kurze und dennoch sehr tüchtige Leute, aber viele Römer sind eben verdammt zu groß. Wir haben besonders vom Frieden des Kaisers Augustus profitiert, denn die Römer haben unser Land gegen die plündernden und mordenden Armeen der Parther verteidigt. Aber die Folge davon ist dass die Römer kampferprobt sind, während wir Juden im Gebrauch von Waffen ungeübt sind.“ Der radikale Katzaffer meinte bitter: „Weiterhin sind unsere paar Soldaten den Legionen der Römer 318 zu eins unterlegen.“ – „Vertraut ihr Gläubigen nur auf die Wundermacht eures Herrn, welche ihr in dieser Nacht erleben durftet, da es auf mein Wort hin regnete!“ erklärte ihnen Josef. Dann grinste er und tippte sich auf die Stirn, weil ihm jetzt etwas einfiel aus den heiligen Schriften, so wie ihm das sehr oft passierte. „Wahrlich“, rief Josef daraufhin laut, mit eifernder aufbrausender Stimme in den Raum hinein, „schlimm stand es doch auch für Israel, als die Assyrer hier verheerten und raubten mit ihrem riesigen Heer! Aber steht nicht auch geschrieben, in einem Buch der Könige, ein Gotteswort; das der Prophet Jesaja damals zum König Israels Hiskia sprach, der belagert wurde in Jerusalem: Was du wegen des Königs Sanherib von Assyrien gebetet hast, das erhörte ich! Er soll nicht in die Stadt hinein kommen. Und ich will diese Stadt beschirmen und ihr so helfen, um meinetwillen und um meines Knechtes David willen! Und es begab sich in derselben Nacht, da ging der Engel Adonais aus, und erschlug im Lager der Assyrer, ähm, hundert und tausend Mann und hausend...“ Josef unterbrach sich. – „185 Tausend Mann!“ Dies riefen nun froh und eifrig Katzaffer und andere Schriftgelehrte. Jeder Jude kannte das Kapitel 19 des Zweiten Buches der Könige, dies war eine der beliebtesten Stellen aus den heiligen Schriften. Viele blickten nun froh und mutig, und plötzlich waren die alten Männer doch fast alle dafür einen Krieg mit den Römern zu wagen. Aber Joazar blieb furchtsam und demütig und gab zu bedenken: „Wenn das nicht nur mal eine fromme Legende war!“ Kleinmütig stimmte ihm der Traumdeuter Simon zu: „Was tun wir wenn dahinter nur der bloße Traum steckte von einer Ente?“ Daraufhin beugte sich Josef vor, und rupfte seinem Sohn dessen weiße Feder aus den Fingern. Stolz reckte er sie in die Höhe: „Ihr Zweifler, ein Engel kam zu uns, so wie zu Abraham einer kam, als guter Rat Not tat. Denn wenn Gott dies sagt und ein Engel sagt jenes, dann darf sich der Gläubige davon etwas aussuchen. Also was ist das hier? Ist das nicht das wahrhaftige Zeichen Gottes auf das sich Israel verlassen kann, jetzt da wir bereit sind für den Krieg mit dem frechen Räubernest Rom? Wenn ihr nur mir vertraut, eurem Jessias Josef, ähm, so vertraut ihr nicht bloß auf einen trügerischen Engel, sondern dann vertraut ihr auf euren Herrn, und auf seinen klein geborenen Sohn, auf euren Je... Judas!“ Da kamen viele zustimmende Rufe, die sich bald zu einem Jubelsturm mischten. Josef grinste und hob die Hände schon als Sieger. Judas aber erinnerte sich daran wer der Engel mit den Federn wirklich gewesen war. Und das gab ihm den Mut nun wieder widerspenstig zu werden. Er trat vor seinen Vater und die alten Herren und rief, als diese sich beruhigt hatten und auf ihn achteten: „Und ich bin doch anderer Meinung. Denn das Tun von Wundern ist nicht so einfach. Und davon hat mein Vater Josef in Wahrheit keine Ahnung. Er ist nur ein König der Schwindler, und alles was er kann ist den Leuten viel erzählen aus der Thora und den anderen Schwindelbüchern.“ – „Das reicht jetzt, Judas, du Verräter!“ Josef schnaufte nun wie ein wilder Stier als eine plötzliche Aufwallung von Wut ihn ergriff. „Hinaus mit dir, bevor ich ewig vergesse dass du mein Sohn bist!“ – „Hab Mitleid, König! Liebe deinen Nächsten!“ rief da Onan der Nasoräer, und er stellte sich auf neben Judas. Mutig rief dieser daraufhin: „Dann gehst du also besser raus, Vater! Die frische Luft wird dich wieder zur Besinnung bringen.“ – „Du wagst es so mit mir zu reden?“ ereiferte sich Josef. Er schrie immer lauter, um das widerspenstige Gemurmel zu übertönen. Und wie es die Vorsehung wollte kamen ihm nun immer rascher Bibelgeschichten in den Sinn, und eine von ihnen schien auf diesen Fall besonders gut zu passen! Mit einer Stimme die kaum noch seine eigene war ereiferte Josef sich: „So hört nun die Geschichte aus dem vierten Buch Mosis genannt Numeri, Kapitel 16, von der Rotte Korahs! Korah empörte sich gegen Moses, samt 250 Hunden, äh, Männern. Es waren die Geistlichen und Vorsteher der Gemeinde und Auserwählte der Versammlung. Die gesamte Geistlichkeit hatte die Nase voll von Moses und Aaron! Man wollte sie beide absetzen! So was Gemeines, so ein entsetzlicher Plan, dass da eine Gemeinde des Gy'ttahs ihre Priester absetzte! Aber da wandte sich Moses an den Gy'tt, und zu ihm kam das Wort: Morgen wird Adonai kundtun wer ihm angehört und wer heilig sei, dass er ihn nahen lasse...“ Da Josef nun stockte und in seinem Gedächtnis kramte setzte Ananus die Erzählung fort: „Und da nahm die Rotte Korahs ihre 250 Räucherpfannen und stellte sie auf vor der Tür des Tempels. Korah wollte sicher stellen dass keiner den Tempel betreten konnte. Tatsächlich war die alte Stiftshütte wohl so voller Qualm wie die legendäre Kammer von der Frau mit der Palme, also die Eva des Lebensbaums. Es ist nicht bezeugt dass Moses oder Aaron noch hinein gehen konnten. Aber die Macht des Herrn der Herrlichkeit rottete Korah aus, mit dem Feuer das von den Räucherpfannen ausging; und sein Haus und seine Gefährten und Diener und Sklaven und Frauen verschlang die Erde lebendig.“ Das war eine peinliche Geschichte die jetzt wenigen gefiel. Die hohe Geistlichkeit im Raum murmelte mit betretenen Mienen. Plötzlich schien es doch so zu sein dass sie alle zusammen genug gehört hatten von Josef und Judas. „Das ist wieder nur so ne Lüge!“ meinte Judas forsch. „Wahrscheinlich haben diese Hebräer und Araber sich alle wieder mal nicht vertragen.“ – „Ach ja, das kennst du ja von dir selbst!“ empörte sich sein Vater. Aber Josefs Stimme hörte sich nun etwas brüchig an. – „Der Herr erlaubt es oder verwehrt es dass man sich ihm im Tempel naht, das steht für uns Sadduzäer fest“, verriet Joazar ernst. „Manchen geht es so dass sie hier an der Schwelle anhalten müssen, und nicht zum Altar hin treten können, ohne dass man wüsste woran es ihnen mangelt.“ – „Aber ich bin wie Moses, ich trete an den Altar wann immer ich will“, beteuerte Josef. – „Wenn du Moses bist dann bin ich Aaron“, rief da Judas. „Los, wer ist schneller?“ Er sprang nach hinten zum Altar, berührte ihn und rief stolz: „Erster!“ – „Das hat nicht gegolten! Wir hatten nichts abgemacht!“ widersprach Josef im väterlichen Tonfall. Sie verstummten dann aber beide und blickten sich etwas ängstlich um zu den Würdenträgern und Dienern, die jetzt allesamt nicht amüsiert wirkten. – „Morgen werde ich euch das beweisen was Moses einst der Rotte Korahs bewies“, drohte ihnen Josef. Diese Drohung mit Naturkatastrophen brachte viele Würdenträger dazu sich zu ducken. – „Da brat mir einer einen Engel! Dann sind die koscher wie Enten!“ schimpfte plötzlich laut ein alter Hohepriester. Er packte die Feder, welche Josef entglitten war, und kaute kurz an ihr. „Denn wenn das hier von einem Engel stammt, dann müssen künftig alle Schwäne und Enten als Engel gelten.“ Joazar sah ihn zweifelnd an... und eilte plötzlich hinaus. Josef sah ihm bestürzt nach. Seine Wut entlud sich dann über Judas: „Und du verschwindest auch, du Verräter! Sonst zeig ich dir jetzt gleich dass ich immer noch dein Vater bin, nämlich mit einer Tracht Prügel!“ – „Das wagst du nicht!“ wütete Judas. Aber da er sich dessen nicht sicher war, und weil er plötzlich mal musste, rannte er doch spontan aus dem Tempel.

100.

Vor dem Tempeltor befand sich eine große Blutlache. Darin lagen noch die Überreste des jungen Ochsen, der hier in aller Eile notgeschlachtet worden war, getreu einer uralten und längst aus der Mode geratenen Vorschrift in der Thora. Ringsum standen viele aufgeregte Juden und stritten sich, so wie sie es immer gerne taten, schon wenn zwei oder drei im Namen Gottes zusammen kamen. „Farren, so heißt es in der Thora! Wisst ihr nicht was ein Farren ist?“ schimpfte gerade ein Eiferer. – „Ein Jungbulle, aber der war nicht zur Stelle. Der böse Samariter hatte doch die Versammlung der Priester gestört! Es musste sofort gehandelt werden“, erklärte ein Opferpriester. – „Der Samariter hätte geopfert müssen, der verfluchte Tempelschänder!“ schimpfte ein Rebell. Ein Strenggläubiger widersprach: „Einen Menschen willst du opfern? Du bist ja von Sinnen!“ – „Der Samariter ist doch gar nicht greifbar“, sagte der Opferpriester. – „Dann opfert einen Feind Gy'ttes als Ersatz“, schlug der Rebell vor. – „Willst du dich freiwillig melden als Ersatz?“ rief da ein Tempeldiener zornig, und senkte seine Lanze gegen den bärtigen Rebellen. – „Sieht der etwa aus wie ein Farren?“ schrie der Eiferer. Daraufhin gab es etliche erregte Kommentare, alle schrien durcheinander: „Adonai mag dieses Pack doch auch nicht. Ihr wollt doch Gy'tt nie gehorchen! Alles wollen die Rebellen ändern jetzt wo die Römer da sind. Alle die nicht für den Aufstand sind sind Feinde Adonais!“ – „Warum haben uns denn die Römer unterworfen?“ rief der Strenggläubige verzweifelt. „Das kam davon weil die Sadduzäer nicht mehr wissen wie die Opfer nach alter Tradition dargebracht werden müssen!“ – „Vieles ist doch längst anders geworden, nach der Halacha“, wagte der Opferpriester einzuwerfen. – „Der Herr sieht das eben anders! Adonai sieht alles sehr viel strenger!“ rief der Rebell. – Ein alter Bärtiger schimpfte: „Was weißt du Idiot denn was dein Herr sieht?“ – „Der Herr wird gleich sehen dass ich mir eure frechen Reden nicht anhöre!“ rief der junge Rebell. Jetzt zog er sein Schwert und fuchtelte damit herum. Judas brachte sich in Sicherheit. Er eilte durch den heiligen Bezirk und über den Vorhof der Heiden, mit gesenktem Kopf damit er nicht erkannt wurde. Auf dem Tempelhof selbst gab es keinen öffentlichen Abort, wer mal musste der musste sich nach draußen begeben. In der Unterstadt gab es ein Hütte mit Bottichen darin, sie stank im Sommer zum Himmel. In dieses Aborthaus eilte Judas nun. Spontan hüpfte er über die Schwelle. Drinnen hockten und standen die Männer um sich zu erleichtern, denn Sitzplätze gab es hier nicht. Judas fand einen Platz zwischen zwei Männern, und stellte sich breitbeinig hin. Aber in der vollen Hütte fiel es ihm schwer sich zu entspannen. Die vielen fremden Erwachsenen machten ihn nervös, er schaffte es einfach nicht sich zu erleichtern. Ja, es ging einfach nicht, er musste urinieren und konnte es nicht! Das war Judas in seinem jungen Leben noch nie passiert. Er schluchzte leise auf und schämte sich dafür. Und als die Männer ringsum auf ihn aufmerksam wurden, da konnte er erst recht nicht! Sicher lag es daran dass er vorhin über die Türschwelle gesprungen war, das dachte er sich jetzt. „Bitte Gott! Bitte bitte!“ brabbelte er vor sich hin. Aber davon wurde er nur noch nervöser. Also zog Judas seinen zerfetzten Latz wieder hoch und gab auf. Jetzt schlich er wie ein Kranker hinaus, gebückt und mit krummen Knien. Ständig drückte ihn seine Blase, er konnte an nichts anderes mehr denken. Weil Judas nicht wusste was er sonst tun sollte ging er zurück in den Tempel, obwohl er dachte dass das vielleicht ein Fehler war. Den offenen Vorhof der Heiden durchquerte er blicklos, er jammerte leise vor sich hin. Im heiligen Bezirk schlich er gebückt um die Tempelhöfe und hölzernen Hallen herum, auf der Suche nach einem Platz zum pinkeln. Das war nicht so leicht, denn hier standen überall die Zelte dicht an dicht, und ringsum bevölkerte das aufgeregte Volk die Gassen. Wer hier an einen Tempel pinkelte der lief Gefahr sogleich gesteinigt zu werden von einem radikalen Mob. Judas musste so dringend dass er sogar dieses Risiko einging. Er schlich sich in die äußerste Ecke einer Gasse, die hinter dem seitlichen Andachtsraum des behauenen Steins an einer Trennwand endete. Dort stellte Judas sich betont beiläufig hin, mit dem Gesicht zur Wand. Er tat so als ob er nur vor sich hin beten würde, und wackelte wie ein Betrunkener mit dem Kopf. Dann versuchte er heimlich zu urinieren... Aber es ging nicht! Er schaffte es immer noch nicht. Er konnte nicht Wasser lassen weil ein böser innerer Zwang ihn vorsätzlich daran hinderte! Das musste damit zusammenhängen dass er sich im Tempel so aufgespielt hatte. Das war die Strafe für seinen Hochmut! Bestimmt hing es mit Zauberei zusammen, ob man pinkeln konnte oder nicht. Judas brabbelte Gebete vor sich hin. Er versuchte sich sogar das Gesicht Gottes vorzustellen, als das eines bärtigen Mannes im besten Alter, obwohl das vielleicht auch verboten war. Als er versuchte sich ein Bild von Gott zu machen, vor seinem inneren Auge, da kam ihm das Bild eines Götzen mit einem riesigen Penis in den Sinn. Er krümmte sich ganz tief und weinte nun lauter, denn dies konnte ja nur die Strafe Gottes sein! Er erinnerte sich dunkel an Geschichten über gewisse Götzen der Heiden die einen gigantischen Penis besaßen. Vom römischen Priapus behauptete man dies, und auch der Min der Ägypter war so ithyphallischer Gott. Judas erinnerte sich dunkel an das Gerede von Min das er irgendwann aufgeschnappt hatte. Min war der erste sagenhafte König Ägyptens gewesen. Vermutlich hatte Min auch wie Salomo einen Harem von tausend Frauen besessen, von dreihundert Hauptfrauen und siebenhundert Kebsen. Und weil diese ständig ihre Begierde auf Min vereinigten, deswegen hatte Min ständig einen Steifen gehabt... Und war er, Judas, nicht jetzt der heilige König Israels, der die Gelüste aller jüdischen Frauen auf sich zog? Als Judas jetzt zwanghaft an solche sexuell anregenden Geschichten denken musste, da zogen sich seine Blutadern am Geschlechtsteil zusammen, und er bekam auch noch eine Erektion. Deutlich zeichnete sich sein steifes Glied ab unter seinem zerfetzten Gewand. Zerknirscht und mit Trippelschritten lief er deshalb zurück aus der Sackgasse und mischte sich wieder unter die Menge. Er brauchte erst ein neues Gewand! „Ich brauch ein neues Gewand. Hört mich an, meine Diener; denn ich bin doch euer neuer gesalbter König, Judas bar Josef!“ rief er, als er eine kleine Gruppe von Tempeldienern vor sich sah. Aber das war jetzt die ganz falsche Ansprache. Denn während die feinen Tempeldiener ihn verächtlich bis verblüfft musterten – viele hatten hier ja schon Simon den Nabatäer und manchen anderen frechen Hochstapler erlebt – da wurde auch die aufgeregte Menge aufmerksam. Nun drängten sich neugierige Männer dicht an Judas heran um ihn zu begaffen, sogar einige Frauen hörte er kichern. Der eher kleine Heranwachsende wagte es gar nicht mehr den Kopf zu heben. – „Was machst du denn da? Machst du es dir jetzt selbst, so wie Onan der Nasoräer?“ fragten einige freche Jungen. Daraufhin wurde das Geschwätz noch anzüglicher. „Er ist ein Prophet, und verzückt wie König Saul! Gleich zieht er sich noch aus, da wette ich drauf!“ – „Aber nicht jetzt im Winter.“ – „Ich würd den Knaben schon wärmen.“ – „Schaut doch mal wie wollüstig der ist, und das im Tempelbezirk!“ So witzelten die Umstehenden oder empörten sich. Ein muskulöser Grobian beugte sich zu Judas und zeigte ihm die Filzmütze auf seinem Kopf. „Ich erkenn dich! Da schau mal, du Saukerl, diese Mütze gehörte gestern deinem Hunde-Vater! Hol sie dir zurück wenn du dich das traust.“ Judas kniff die Beine zusammen und schluchzte leise auf. – „Hinweg! Aussatz!“ riefen nun aber unangenehm krächzende Stimmen von der Seite her. Und so schnell wie sich die Menge der Schaulustigen zusammen gedrängt hatte zerstreute sie sich nun wieder. Denn hier um die Ecke befand sich ja auch der düstere Hof wo die Leprakranken sich aufhalten durften. Alsbald fand Judas sich umringt von einer Schar dieser furchtbar entstellten und elenden Kranken, die ihre zerfallenden Körper mit grauen Fetzen von Kleidung dicht verhüllt hatten, so dass sie fast wie lebendige Leichen wirkten. Einige baten ihn flehentlich, mit ausgestreckten Armen: „Herr, wir glauben an dich, heile uns! Du tust Wunder, wir wissen dass die Macht Adonais mit dir ist!“ Judas musste würgen schon von ihrem ekligen Geruch. Er heulte leise vor sich hin, als er sich mit verkniffenen Beinen umsah und fand dass er nur die Sackgasse im Rücken hatte. „Habt Mitleid! Ich und mein Vater Josef, wir sind zwei miese...“ Sünder und Betrüger, wollte er zugeben. Er brachte die Worte nicht heraus, weil er sich vor ihrer Wirkung fürchtete. – „Ich kann helfen, ich bin auch ein Zauberer!“ meinte da eine Stimme die Judas bekannt vorkam. Der Mann der sich näherte sah zerlumpt und staubig aus, wie ein Habenichts aus der Wüste. Ein falscher grauer Bart hing ihm schief vor seinem Gesicht, dickes graues Haar bedeckte auch seine Stirn unter der weiten blauen Filzkappe. Judas fasste wieder etwas Hoffnung, als er in dem Fremden den König Balthasar erkannte! Der Weise aus dem Morgenland war also jetzt in Verkleidung unterwegs. – „Hört ihn an, denn der Sterndeuter da besitzt himmlische Weisheit!“ jammerte Judas. Es war nur ein Strohhalm den ihm die Vorsehung nun zur Hilfe reichte, aber darüber war der Junge schon heilfroh. Judas war so froh wie der verlorene Sohn, und bekam doch das warnende Gefühl dass er einem Typen wie Balthasar besser nicht zu sehr vertrauen sollte.

101.

Die Aussätzigen wandten sich nun zögernd um zu Balthasar. Man bildete eine Gasse für ihn so dass er zu Judas hin treten konnte, der mit gebeugtem Kopf und eingeknickten Beinen leise vor sich hin heulte. – „Kopf hoch und Beine gerade! Noch hängst du nicht am Kreuz!“ zischte ihm Balthasar zu. Dann zückte er ein Stück Kreide und zeigte es den elenden Leprakranken. „Ich könnte für euch den Himmel befragen. Aber könnt ihr mich auch bezahlen?“ – „Willst du unser Geld denn annehmen?“ fragte ihn einer. – „Werft es mir in meine Kreise!“ Balthasar bückte sich und malte einen Kreis auf den Boden. Daneben malte er einen weiteren ovalen Kreis. Er zeichnete in diesen ein Kreuz hinein und einen Schnörkel darüber, den er mit einem astrologischen Zeichen markierte. „Dies hier ist die Erdscheibe“, erklärte er im trockenen Tonfall der Gelehrten. „Der große Weltkreis hier, das ist der Leib der Schlange Leviathan, die auch Ouroboros genannt wird. Jerusalem liegt genau in der Mitte. Darüber beschreibt der goldene Wandelstern seine krummen Schnörkel. Es ist der Stern des Eljon, so nennen ihn die Chaldäer aus Babylon. Sie halten ihn für den mächtigsten der Planetengötter. Die Griechen nennen ihn Kronos, und sie glauben... ach, das interessiert euch jetzt nicht. Die Phönizier meinen dass der gelbe Planet dem Vater der Götter entspricht, also El dem Gott Israels.“ Balthasar richtete sich auf, und schaute erwartungsvoll die Aussätzigen an. Diese murmelten und seufzten. Einer meinte: „In der Wüste nennt man ihn Krun, das älteste Schaf, weil er so langsam ist.“ – „Das trifft zu, kluger Mann. Man muss mit den Planeten viel Geduld haben“, erwiderte Balthasar. Ein anderer Aussätziger meinte skeptisch: „Du hörst dich so an wie ein übler Samariter! Willst du uns etwa dazu verleiten das Heer des Himmels um Heilung zu ersuchen? Das ist eine Abirrung von der Thora.“ Da murmelten viele Aussätzige entsetzt. – „Niemals! Die Sterne seien euch ferne!“ erklärte Balthasar, scheinbar auch erschrocken. Er zeigte mit dem Fuß erneut auf den Stern des Eljon, und erklärte: „Dieser Planet hier ist ja nicht wirklich eine Gottheit. Sondern der Gott der Götter besitzt nur diesen Stern neben anderen. Unser Gott Elohim ist der Baal dieses Sterns, also der Eigentümer. Deswegen kann der Saturn für uns sehr nützlich sein, wenn man seine Kreise kennt und seine Bahn richtig zeichnet.“ – „Der Chaldäer spricht die Wahrheit. Er ist einer wie Honi der Kreismacher, der auch die Kreise der Sterne richtig vorhersagen konnte!“ meinte eine Aussätzige. – „Du sprichst die Wahrheit aus, genau wie ich, schöne Frau!“ Balthasar lächelte geschäftsmäßig und rückte sich den falschen Bart zurecht. Er wies mit dem Finger nach oben und wurde wieder ernst: „Die Priester der Palästiner aus Askalon lehren dass ein Gräuel der Heiden den Menschen den Aussatz schickt, und zwar die Himmelskönigin Astarte! Bei euch Juden, ähm, bei uns meine ich natürlich, geschieht dies wohl als Strafe für die religiöse Torheit. Die Astarte des Himmels wohnt dort oben, und wenn sie euch Juden diese Seuche schickt, dann kann sie dieselbe auch wieder von euch nehmen. Aber wenn die Macht des Messias, also des Sohnes des Sterns, groß ist, dann wird er seinem Volk verlässlicher helfen. Es kommt also nur darauf an die Zeit zu errechnen wo der Stern des Bel Beljon große Macht besitzt. Dann kann euch geholfen werden.“ Diese Rede überzeugte viele Leprakranke. Gleich fielen einige Münzen in den kleinen Kreis des Sterndeuters, ein Schekel waren sogar darunter. Balthasar achtete scheinbar nicht darauf, er zeichnete flüchtig noch weitere Schnörkel aufs steinerne Pflaster, und auch Sternbilder. Er murmelte dabei Zaubersprüche oder ausländische Schimpfwörter, das wusste nun keiner. Dann stellt er fest, mit einem Bedauern das fast echt wirkte: „Eure Krankheit ist leider überaus schwierig zu begutachten. Ich muss erst noch die Stimmung der Sterne ablesen, und das braucht weitere Zeit. Der Mond stört auch mit seinem Licht. Am nächsten Chodesch stehen die Sterne günstig. Dann kann ich genau nachschauen welche Farbe der Stern des Messias gerade zeigt, und wie er sich wendet. Nur wenn man die Astrologie mit wissenschaftlicher Genauigkeit betreibt dann werden sich die richtigen Vorhersagen ergeben. Ihr werdet mich hier wieder treffen, am Tag nach dem nächsten Fest zum neuen Mond. Doch bewahrt bis dahin besser ein Stillschweigen, denn meine schwarze Kunst ist in Judäa nicht ohne Kritiker und Feinde!“ Balthasar nahm ein Tuch und begann damit die Münzen der Aussätzigen einzusammeln. Dann wandte er sich um, er wirkte wie eine gehetzte Ratte. Doch einen plötzlichen Abgang des Sterndeuters duldete Judas nicht. Obwohl er jetzt so nötig pinkeln musste wie selten zuvor in seinem kurzen Leben lief der Junge doch dem davon eilenden Balthasar hinterher. Judas bat, ja er flehte drängend: „Warte doch, alter Freund! Ich bin jetzt dein Messias, der Sohn Davids! Leider bin ich in großer Not, und brauche dringend einen erfahrenen Berater!“ Balthasar murmelte im Laufen, er wischte heftig die Münzen der Aussätzigen ab: „Du bist Judas, nicht wahr, ich erinnere mich an dich. Ich bin leider etwas auf der Flucht. Du weißt dass mich die Römer nicht lieb haben, und sie kennen kein Erbarmen mit uns Unterworfenen ohne Bürgerrechte in ihrem Räuberstaat. Und ich will nicht oben am Kreuz enden, so wie irgendein rebellischer Einfaltspinsel.“ – „Warte! Höre! Da drin im Tempel, da gehorchen mir alle die Typen. Und da drin ist alles voll mit goldenen Schatzkisten und Edelsteinen!“ – „Du Lausbub willst mich verarschen, nicht wahr?“ schimpfte der Zauberer misstrauisch. – „Balthasar, die alten Thora-Toren da drin glauben mir und meinem Vater alles! Die hüpfen sogar auf einem Bein durchs Tempeltor wenn ich ihnen das befehle! Aber ich brauch jetzt deinen klugen Graukopf an meiner Seite!“ Judas hüpfte nun zappelig und verkrampft auf einem Bein. Balthasar zuckte sehr unschlüssig hin und her. Schließlich nickte er widerwillig und flüsterte Judas konspirativ zu: „Du kannst mich bezahlen, und dann soll mir recht sein wozu ich dir rate. Aber ich bin jetzt dein geheimnisvoller jüdischer Magier und Chaldäer. Wenn dich jemand fragt, ich heiße jetzt Theudas und komme gerade aus Edessa.“ – „Einverstanden! Schlag ein!“ Ein Schlag zweier feuchter Hände besiegelte dieses Männerbündnis.

102.

Judas bat dann Balthasar um Rat was seine peinliche Notlage betraf. Dieser faselte etwas von einem Kraut Moly, das als Wundermittel galt gegen die Bezauberungen von Hexen. Moly war nur äußerst schwer zu beschaffen, aber Balthasar war überzeugt dass er es besorgen könne, vorausgesetzt dass ihm jemand die Reisekosten vorstrecken würde... Judas geriet unterdessen mit dem Zauberer an die Wand der äußeren Tempelmauer. Dort stellte er sich einfach noch mal hin und urinierte verstohlen. Anschließend war er völlig erleichtert und doch bedrückt. Er hatte so viele Fragen, und sein Kopf brauste von wirren Stimmen! Jetzt ging dem Jungen auf dass er wohl wegen seines Samenergusses von vorhin nicht hatte pinkeln können. Der Samenfluss hatte seine Harnröhre wohl etwas verstopft. Seine furchtbaren Sorgen und Nöte waren also unnötig gewesen, das war wohl etwas Natürliches. Er hielt sich an der Seite des Zauberers, der ziellose Strom der Menge trug sie durch die Gassen und über die Treppen und Galerien hinweg. Judas fragte spontan: „Glaubst du auch dass bald die Welt untergeht? Mein Vater und ich, wir haben nämlich gestern Zauberworte gesprochen, die eine neue Sintflut herbei beschwören.“ Darüber wirkte Balthasar stark beunruhigt. Er schlug dann vor: „Lass uns kurz auf die Mauer klettern und in den Himmel schauen.“ Also stiegen die Zwei spontan hinauf auf die äußere Tempelmauer, deren Krone den Tempelberg noch um etwa ein griechisches Plethron überragte. Hier oben blies der Wind kalt, und es gab heute nur wenige Schaulustige. Der Tempelhof zu ihren Füßen war relativ voll, obwohl dieser Tag ein Fastentag war. Stumm blickten sie hinaus auf die fahlgraue steinerne Stadt Jerusalem, aus der heraus der schwärzliche Rauch von vielen Öfen und Feuern aufstieg. Im Westen erstreckte sich die innere Stadtmauer. Hinter den Zinnen auf ihren riesigen Wachttürmen sah man die blanken behelmten Köpfe der Türmer. Tief hatten sie sich in ihre grauen Wollmäntel gewickelt. Judas stellte fest dass er nur weg wollte von diesem Ort. Er schüttelte sich als er immer wieder an die Aussätzigen denken musste. „Ist es wahr dass die Astarte diese böse Krankheit schickt, die Göttin mit dem Stern die auch Ishtar heißt?“ fragte er Balthasar alias Theudas mit mutloser Stimme. „Und, was kann getan werden um diese Kranken zu heilen?“ fragte er weiter, da sein Begleiter schwieg. Judas suchte Balthasars Blick und starrte ihm fordernd in die hellbraunen Augen. Mürrisch und nachdenklich erklärte Balthasar endlich, während er sich nach allen Seiten hin verschwörerisch umsah: „Die Stadt Askalon gehört ja angeblich dieser himmlischen Astarte. Auch deswegen ist die ganze Gegend des Gaza-Streifens bis heute kein Teil von Judäa geworden. Viele Reisende meiden Askalon noch heute wegen dieser Krankheit, die dort immer wieder ausbricht. Einige Skythen haben sie sich auch dort geholt, als sie vor langer Zeit die ganze Gegend plünderten. Doch diese Barbaren aus dem Norden haben alle ihre Kranken verschnitten, und sie verbannt oder umgebracht. Deshalb ist im Land der Skythen der Aussatz schon nach kurzer Zeit besiegt worden.“ – „Und warum macht man das bei uns nicht auch?“ fragte Judas. Er beantwortete sich die Frage gleich selbst: „Weil die blöde Thora es Juden nicht erlaubt jemanden zu kastrieren.“ – „Du kennst dich gut aus im Gesetz, Junge“, meinte Balthasar vorsichtig. Judas überblickte wieder den Verlauf der inneren Stadtmauer, welche die arme Unterstadt von der reichen Oberstadt trennte. Er erinnerte sich dunkel daran dass diese innere Mauer einst Jerusalem vor der Eroberung gerettet hatte, weil irgend ein feindliches Heer nur die Unterstadt eingenommen hatte. Ohne dass Judas es so merkte wich nach und nach die Überheblichkeit von ihm, die ihn im Tempel hart besessen hatte. Neugierig wie ein Junge fragte er: „Warum wurde unsere heilige Hauptstadt so oft von Feinden angegriffen und geplündert? Unser Gy'tt, Jahwe, ist doch der einzig wahre Gott, das sagen alle. Ist denn Elohim da oben furchtbar böse auf uns, so dass er uns solche Krankheiten schickt?“ Dies fragte Judas leise den Zauberer, wieder mit dem Blick hinauf in den Himmel. Balthasar zögerte und sagte furchtsam: „Viele Griechen meinen dass es im Himmel überaus viele Götter gibt, aber auch böse Dämonen, die dort bestraft werden, zum Beispiel auf dem Mond. Die Astarte von Askalon ist bestimmt auch nur so ein böser Dämon. Die Zyprioten und Palästiner nennen diese Astarte: Aphrodite Urania. Sie gilt als Himmelskönigin. Aber aus der Sicht der Juden könnte man sie mit dem bösen Gott des Himmels und der Thora gleichsetzen. Das ist üblich bei den Römern, dass sie verschiedene Götter und Gräuel der Völker miteinander gleichsetzen.“ – „Diese Astarte des Himmels ist ein ganz schlimmes Gräuel, finde ich“, meinte Judas bitter. Da sagte der falsche Greis neben ihm, plötzlich mit einer gewissen Rührung in der Stimme: „Es gibt bei den Heiden zum Glück mehr als eine Astarte. Die Astarte der Phönizier soll viel besser sein, sie gilt als eine gute Liebesgöttin. Deswegen wurde sie einst aus dem Himmel verstoßen. Zur Strafe fiel ihr Stern auf die Erde. Nun lebt sie in der Unterwelt und ist dort eine von den Totengöttinnen geworden.“ – „Du kennst dich aber aus mit den Heidengöttern, wie ein Samariter“, meinte Judas anerkennend. – „Ich bin einer, oder besser gesagt, ich war es mal“, verriet Balthasar dazu, und er lachte fast entschuldigend. Ungefragt und im Plauderton begann Balthasar nun zu erzählen: „Als Zauberer und Magier musst du einfach Bescheid wissen über die Geister und Götter. Oft erscheinen sie nämlich als Schlangen welche über die Magie gebieten. Aber mit denen fing bei uns Gauklern neulich der große Ärger an. Vielleicht war das die Strafe für all unsere Lügen und Zaubereien. Kaspar hat sich nämlich mit dieser abgefackten Hure Panthera furchtbar zerstritten. Sie fing dauernd so an: Ich kann nicht mehr laufen, warum darf ich nicht reiten? und so weiter. Wir hatten ein Trampeltier, ein schönes Dromedar, aber darauf ritt Kaspar, mit seinem Zelt als Traglast. Es gab da keinen Platz für eine zweite Person, und dieses Trampeltier gehört eben Kaspar. Panthera hätte sich ja selbst eins kaufen können, aber diese Wüstenschiffe sind ebenso beliebt wie teuer.“ – „Hatte sie denn Geld?“ fragte Judas. – „Klar. Dein Vater schuldete uns und ihr doch euren Batzen Geld. Das Geld hat sie nachts stibitzt. Ich sah sie nachher noch als sie mit einem Silberling spielte!“ – „Waas?“ fragte Judas, dem diese Geschichte unglaublich vorkam. „Und die hat nachher vor uns so getan als ob sie von nichts wüsste!“ Balthasar fuhr ungerührt fort: „Auch uns hätte diese eiskalte Schlampe bestimmt tüchtig ausgenommen. Aber unterwegs fing Kaspar plötzlich an sie heftig zu beschimpfen: Du bist wie ein Schlangendämon der mich aussaugt! Es war nämlich so gewesen dass Panthera ihm im Rausch einmal als Schlange erschienen war. Panthera wusste davon aber angeblich nichts, sie war sich keiner Schuld bewusst. Sie wurde dann so fies wie es die Huren eben manchmal werden. Dann fing sie an zu zicken, sie setzte sich hin an den Wegesrand und jammerte. Wir haben sie einfach zurückgelassen. Am Abend dann, in so einem Dorf, da wollte Melchior selbst noch mal mit dem Hur. Kaspar war nämlich früher mal ein Lustknabe gewesen als Junge. Aber jetzt wollte er nicht mehr mit Melchior wieder was anfangen, was ich gut verstehen konnte. Also haben wir diesen schwulen Araber ziemlich besoffen zurückgelassen. Danach waren wir zwei Judäer allein, in dieser Karawanserei auf dem Weg nach Idumäa und Arabien. Wir hatte abends Spaß mit so zwei Dinas, und tranken eine Menge Wein. Aber als ich am nächsten Morgen aufwachte; da war Kaspar schon weg, mit seinem Zelt und seinem Dromedar. Das war alles seins, das hatte er mir am Abend sogar noch gesagt. Ich war nur schon zu knülle gewesen um zu verstehen was er damit andeuten wollte.“ – „Jetzt versteh ich warum Melchior neuerdings den Wein verbieten will“, meinte Judas daraufhin.

103.

Der Wind blies von Westen. Man sah kaum Zugvögel heute. Balthasar spähte ins östliche Bergland. „Da drüben hin floh ich nachts, nach 'Axan, wo einst Salomos Gasthaus stand“, erklärte er. „Ich war in Sorge weil es in der Unterstadt hieß ein böser Zauberer hätte eine Sintflut beschworen. So welche sollte man doch kreuzigen: Schadenszauberer und Beschwörer der bösen Macht. Die Juden sehen ja die bösen Mächte des Himmels als ihre Götter an, aber deshalb ist das Judentum ja allen normalen und anständigen Heiden ein böser Aberglaube und ein Gräuel.“ – „Das mit der Sintflut, das waren mein Vater und ich“, erinnerte ihn Judas. – „Ach ja. Nun ja, andererseits kann böse Zauberei auch nützlich sein“, murmelte Balthasar düster. „Als ihr beiden Einfältigen eine neue Sintflut beschwort, da habt ihr gewiss gedacht dass ihr euch retten könnt wie einst Noah, nicht wahr?“ Judas wusste es nicht. Er hatte sich darüber keine Gedanken gemacht was die Sintflut für Folgen haben könnte. Er hatte einfach die alten Leute mit irgendwas beeindrucken wollen, damit er zu Geld und Macht kam. Jetzt vermied er es nach Golgatha hin zu blicken, der Schädelstätte wo auch Gekreuzigte hingen. Er blickte lieber sehnsüchtig in den Süden, und stellte sich vor auch mal in wärmere Länder zu reisen. Er bräuchte ein Trampeltier. Ob Herodias mitkäme wenn er sie bitten würde seine Frau zu werden?Judas fragte Balthasar: „Finden denn zwei Reiter Platz auf einem Trampeltier?“ – „Klar. Aber man braucht einen entsprechenden Sattel, und die Beduinen verlangen gemein viel Geld dafür. Manche Kamele tragen fünf Leute und noch ihr Zelt. Und die Dromedare können zwei Karawanenwächter tragen, einer schaut nach vorne und der andere sitzt rückwärts. Gewisse Tempelherren reiten sogar immer zu zweit auf einem Pferd, und das nicht nur weil sie unter allen Juden die Geizigsten sind.“ Balthasar reckte sich und lächelte anzüglich. Judas seufzte tief und sog die etwas wärmere Luft ein die der Wind vom Meer her auf sie zu trieb. Er blickte mürrisch hinauf in den Himmel, der sich erneut mit Wolken bedeckt hatte. Es sah ganz danach aus als ob eine neue Regenfront aufzog. „Ich glaube es kommt gar keine Sintflut. Es wird nur wieder regnen, so wie in der Nacht“, meinte Judas schließlich zu Balthasar. Da schaute dieser sorgfältiger in den Himmel, und murmelte dabei einige mysteriöse Beschwörungen wie: „Asa'akku! Aeshma Daeva!“ Danach wies Balthasar plötzlich auf eine verwaschene helle Stelle in der lichten Wolkendecke, eine Reflexion der verborgenen Sonne mit einem Hauch von bunten Regenbogenfarben. „Ich hab einige jüdische und arabische Dämonen des Himmels befragt, welche ferne Planeten der Dämonen bewohnen. Sie waren zu ihren Lebzeiten gemeine Banditen, und zur Strafe müssen sie jetzt da oben Buße tun. Sie schauen uns gerade zu, mit dieser Nebelsonne. Dieser Nebelstern erwärmt die Wolken, und deshalb kommt jetzt kein Regen.“ – „Was du alles weißt!“ meinte der Junge dazu staunend. Er schaute lange die Nebelsonne an, welche farbig glänzte, wie eine Regenbogen-Forelle im Bach. Das Ding schien den Tempel zu beobachten. „Ich glaube die Welt geht doch bestimmt unter, schon sehr bald“, teilte Judas Balthasar spontan mit. Als er dann hinüber zum Wachtturm blickte der die Mauer um den Palast der Herodianer überragte, da sah er plötzlich einen goldenen Schimmer auf der Zinne. Das war eine blonde Perücke! In ganz Judäa gab es vermutlich nur eine Frau die so eine Perücke besaß! – „Herodias!“ rief Judas froh und erschrocken. Zögernd stellte er sich an den Rand der Tempelmauer und winkte ihr zu. Aber schnell verschwand die Frau mit der blonden Perücke. Judas seufzte enttäuscht auf. – „Frauen sind Ziegen“, bemerkte Balthasar kühl, der das auch bemerkt hatte. – „Sie ist eine Prinzessin!“ meinte Judas fast andächtig. „Sie ist unerreichbar für mich.“ – „Keineswegs. Weißt du wie du sie rum kriegst?“ fragte Balthasar. Unaufgefordert fügte er hinzu: „Mach ihr'n Kind, dann will sie deine Ehefrau werden.“ Judas nickte matt, aber er bekam eine Ahnung dass das nicht dem Willen Gottes entsprechen würde. „Herodias hat den Kopf voller Fantasien und dummer Geschichten. Vielleicht liegt das daran dass sie lesen kann. Jetzt liest sie viel babylonisches und griechisches Zeug, und davon ist sie einfältig geworden. Sie erzählte mir vorhin dass sie sogar fliegen kann, wenn sie so eine Zaubersalbe kriegt. Ach ja, und sie sagte du hättest ihr mal diese Salbe versprochen.“ – „Oi, ja!“ flüsterte da der dunkle Sterndeuter betroffen. „Ich geht sie mal eben holen!“ erklärte Balthasar dann Judas. Und er enteilte. Judas wartete noch eine Weile und schaute öfters hinüber zum Turm. Aber dort zeigte sich Herodias nicht mehr, und auch Balthasar kehrte nicht zurück. Auf dem niedrigen Zwischenhof waren jetzt die Gardisten angetreten. Herodes Antipas stand vor ihnen, in Begleitung seiner Ehefrau Phasaelis. Der Vierfürst und sein dick vermummtes Weib schienen sich zu streiten. Judas beobachtete erstaunt wie diese Araberin wütend mit dem Fuß auf den Boden stampfte. Beißende Kälte drang Judas derweil unter seine Lumpen und trieb ihn schließlich allein zurück zum Tempel. Am hohen Tor dort gab es für ihn erst mal kein Durchkommen. Eine dichte Traube von Neugierigen drängte sich nun vor dem Eingang, den die Tempeldiener abgesperrt hatten. Einige Diener waren hier dabei Räucherpfannen aufzustellen und anzuheizen, auch das war ein Reinigungsbrauch. „Kassata!“ rief ein Tempeldiener, bevor er Zweige ins Feuer legte, und „Zimt“, und „Terebinthe“. Das waren Worte für die Götter, die Elohim, von denen man traditionell meinte dass sie oben im Himmel den Duft dieser Duftpflanzen einsaugen würden. Judas atmete prüfend etwas Rauch ein und musste niesen, und stellte fest dass dieser Rauch nur nach Rauch roch. Rings um die Blutlache, wo der Ochse geschlachtet worden war, stritten sich immer noch einige mehr oder weniger strenggläubige Juden: „Die Thora verlangt einen Stier und keinen Ochsen, und deshalb galt dieses Reinigungsopfer eben nicht.“ – „Der Ochse hatte keine Eier, na und? Glaubst du das ist so wichtig für Adonai unseren Gy'tt? Geht denn unser Herr jedem Stier gleich an der Eier der ihm zu Ehren geopfert wird? Glaubst du das?“ – „Das kann doch sein! Bin ich der Messias? Was fragst du mich das? Vielleicht sind für unseren Gy'tt Eier besonders lecker?“ – „Du Lästerer! Man sollte dich steinigen lassen, wie jenen Sohn eines Ägypters aus dem Stamme Dan, der unseren Herrn lästerte!“ – „Man wird doch wohl noch ganz normales Pillepalle reden dürfen! Willst du Eiferer deswegen gleich wieder brave Juden steinigen lassen? Da stehen uns ja harte Zeiten bevor, mit euch Eiferern.“ – „Der Herr selbst soll dich strafen! Du weißt doch, dem sitzt die Hand locker.“ – „Dann kauf doch Ochsen-Eier, du Thora-Sklave, und tu sie schnell noch dazu! Oder friss sie selbst wenn du sie so magst.“ – „Heute am Fastentag, was? Hört ihr das, dieser Lästerer will mich zur Sünde vor Adonai verleiten!“ Und so ging das weiter. Judas duckte sich um nicht erkannt zu werden, damit man von ihm nicht noch verlangte dass er diesen Streit zwischen all den strenggläubigen Vollidioten und gelockten Schwätzern schlichtete. Sicher hing ja dieser heftige Streit direkt vor dem Tempel mit ihm und seinem Vater zusammen. Judas schob sich behutsam an den aufgeregten und streitlustigen Männern vorbei, die von immer mehr lodernden Räucherpfannen eingenebelt wurden. – „Lasst mich durch! Und bring mir ein neues Gewand!“ befahl er den Dienern am Tempeltor, unsicher und doch herrisch zugleich. – „Ach, da ist er ja, der Judas! Der Fresser am Fastentag! Da drin dein Vater, Josef der Weinsäufer, hat schon nach dir verlangt.“ Nur sehr wenig Respekt erwiesen die Tempeldiener erneut Judas, während sie ihn widerstrebend eintreten ließen.

104.

Die Stimmung im Tempel hatte sich verschlechtert, das ahnte er. Er erschrak über die dicke Luft die inzwischen im Hekal herrschte. Durch das weit geöffnete Tempeltor, vorbei am hochgebundenen großen Vorhang, drangen düstere Rauchschwaden wie Nebel in den Raum. Judas fand das schlimm, und ihm tränten die Augen davon; aber er dachte dass dies wohl nach Meinung der Priester so sein musste, weil der böse Samariter den Tempel entweiht hatte. Es hatte wenig Sinn zu versuchen diese alten Leute noch an neue Sitten zu gewöhnen. Als sich seine Augen an das schummrige Kerzenlicht gewöhnt hatten sah Judas dass sein schwächlicher Vater, nun gekleidet in einen dicken gesteppten Soldatenmantel, wieder auf dem Gnadenthron abhing, direkt vor dem mächtigen Altar. Josef wirkte schlaff, er leckte sich die Lippen. Als er seinen Sohn wiedersah wurde er, wider Willen, fast froh. Dann straffte er sich und begann spontan zu eifern, wie so oft: „Es kommt für uns Juden darauf an dass wir alle Gebote der Thora genau einhalten, damit wir vor Gy'tt Gnade finden. Da geht es eurem Herrn genau wie euch selbst. Euer Gy'tt ist ein grimmiger Hund, äh, Herr! Nur wenn ihr ihm streng gehorcht, und niemals sündigt, dann schenkt er euch vielleicht seine Gunst. Aber immer wenn Israel abwich von der Thora, und sündigte, dann geschah etwas Schlimmes an uns Juden. Adonai hat uns niemals alle umgebracht, sondern nur hier und da mal ein paar Zehntausende... Das ist noch milde im Vergleich zu den vielen anderen Welten die er ganz zerschlug, weil sie ihm misslungen waren!“ Josef hatte sich lauthals ereifert, jetzt musste er krächzend husten. Seine bitteren Reden gefielen nun nur noch wenigen Klerikern. Die Reihen der älteren Männer hatten sich gelichtet die vorhin vor ihm ausgeharrt hatten. Viele Pharisäer hatten sich nun um den Großrabbiner Ananus geschart. Dieser stand gerade vor einer Schriftrolle, die man vor ihm ausgerollt hatte. Er wies mit einem Zeigestock auf eine Passage hin. „Auch der König Saul gedieh mit Gy'ttes Geist, doch dann wich der gute Geist von ihm!“ lehrte Ananus, laut und zu Josef hin gewandt. Viele Pharisäer murmelten beifällig dazu, sogar der radikale Katzaffer nickte heftig. Auch von der Seite der Sadduzäer her kam etwas Beifall. Die meisten dieser betulichen Tempelherren hatten jedoch wie ihr Hohepriester den jetzt ziemlich verqualmten Raum verlassen. Nur die Esséner hockten noch vollzählig in einer Ecke und waren mit sich selbst beschäftigt. Judas ging stumm an all den wichtigen Männern vorbei, und setzte sich dann hüstelnd und fröstelnd auf das Fußbänkchen zu Füßen seines missmutigen Vaters. Spontan kitzelte Judas seinen Vater an den Waden, bis dieser zappelig aufschreckte. „Papa, ich hab eine schlechte Vorahnung“, bekannte der Junge, erneut fast weinerlich. „Ich glaub all diese Priester hier mögen uns nicht mehr.“ – „Wein... ähm, weine nicht, mein Sohn!“, teilte ihm sein Vater mit. „Das hat uns ja auch der Engel gesagt neulich. Und wei...“ Josef erhob nun die Stimme zum Grollen des rabiaten Bettlers: „...wenn hier einer meint dass er es sich bei Gott erlauben darf stinkig zu werden, dann hat er sich getäuscht. Euer Gott ist nämlich ein zorniger Rappel-Hund! Rraagh! Graah!“ Jetzt fiel Josef fast von seinem Sessel, als ein wahrhaft übernatürlicher Wutanfall ihn packte und schüttelte. Josef stieß Tierlaute aus, zappelte seltsam herum und begann dann mit dunkler Stimme zu grollen: „Töte alle Priester! Dies befehlen die himmlischen Hunde. Und bist du nicht der neue Elias? Hat es nicht geregnet auf dein Wort hin, so wie es geregnet hat für den Elias? Also gehorche, alter Weinsäufer!“ Josef war so außer sich dass er sich jetzt selbst mit einer fremden bösen Stimme Befehle gab! Die Schriftgelehrten schauten beunruhigt auf von ihrer Schriftrolle. – „Jetzt schüttelt ein böser Geist den König, genau so wie auch König Saul einst geplagt wurde“, meinte der agile Großrabbiner Ananus, mit immer mehr Verzweiflung in der Stimme. – „Junge, du solltest dem Sohn Davids besser etwas aus den Psalmen vorsingen, um ihn aufzuheitern“, schlug Katzaffer vor. Der raubeinige Pharisäer wirkte angeheitert, so als ob er heimlich Wein getrunken hätte. Aber sein Vorschlag fand Gehör im Tempel. Sogleich reichten Tempeldiener Judas eine alte Harfe in der Hand, ein großes, vergoldetes und recht schweres Instrument das hier als Weihegabe herum stand. Judas begann gleich wieder zu schluchzen, denn er fühlte sich ständig überfordert, und Harfe spielen hatte er nie gelernt. Aber als er erst mal hustete sah er dass ein schmächtiger Thora-Schüler an seine Seite huschte. „Herodias!“ flüsterte Judas, froh bis erschrocken. – „Psst!“ flüsterte sie, herrisch bis furchtsam. Die Prinzessin hatte sich wieder mit einem Bartschatten unkenntlich gemacht, und ihre Augenbrauen waren sogar mit schwarzer Schminke verdickt worden. Zögernd griff sie nach der Harfe. „Die kann ich nämlich spielen“, flüsterte sie stolz. Sie zupfte an den Saiten und stellte enttäuscht fest: „Völlig verstimmt ist dieses Instrument.“ – „Ja, hört ihr, es ist verstimmt, man kann es nicht spielen!“ erklärte Judas froh. Mit Mühe entlockte die Prinzessin der Harfe aber doch eine schräge Melodie. – „Sing einfach etwas dazu! Sing etwas aus den Psalmen“, bat Josef. Judas fand Davids olle Lieder überwiegend peinlich und von gestern. Statt dessen rappte Judas einen eigenen Text. Es war ein Stegreif-Gedicht das ihm so ähnlich schon mal eingefallen war, damals bei seiner Bar Mitzvah, als er sich noch bemüht hatte all diese religiösen Rätsel zu verstehen. Er gab sich mehr Mühe mit dem Text als mit der Melodie:

Habt Mitleid ihr Herren, denn dieser Tempel ist bewohnt!
Der Gott ist es, der hier als euer Leuchter ewig thront.
Wenn ihr der Thora gehorcht, dann wird er euch Süßen,
nicht bestrafen, und wird von euch mit Blutdunst belohnt!
Ihr kindischen Ältesten, werft ihm euch zu Füßen,
sonst werdet ihr es abscheulich hart büßen!

„Ja, das ist wohl wahr!“ brummte Josef und hustete lange. Mit Mühe nur hielt sich der von innerer Unrast geplagte Bettlerkönig auf seinem Sessel. Die Beule die Josef auf dem Vorderschädel prangte schillerte, schweißig feucht, in rot und blau. „Bringt mir Wasser“, befahl er. „Das darf man ja auch an einem Fastentag trinken!“ – „Das ist sehr umstritten“, meinte Ananus, dem man anmerkte dass er jetzt wieder mutiger geworden war. Diener kamen herbei um Josef ein Waschbecken zu bringen. Er beugte sich tief darüber, und dann schlappte er daraus wie ein Hund Wasser auf. Tatsächlich fielen unterdessen einige Pharisäer erneut vor Josef auf die Knie, auch die im Raum verbliebenen Diener und Sadduzäer folgten ihrem Beispiel. Und da konnte auch Josef nicht mehr sitzen bleiben. Er sank nun, so wie er es oft tat, selbst auf die Knie. Dann brabbelte er wieder irgendeinen Bibelspruch, der ihm gerade in den Sinn kam: „Ihr fragt mich, euren Gott: Wo sind deine Krieger, du heiliger König? Ich werd sie euch zeigen! Erinnert euch an die große Zeit da der Richter Gideon das Volk auf gebot gegen die Midianiter. Der wusste auch nicht wer für ihn streiten sollte. Da stellte Gideon alles Volk auf die Probe! Er führte sie ans Wasser, so wie es der Herr ihm geboten hatte. Und da fielen etliche auf die Knie und tranken aus der Hand. Andere aber leckten das Wasser mit der Zunge, wie Hunde. Da sprach Adonai zu Gideon: Durch die dreihundert die geleckt haben will ich euch erretten, und die Midianiter in deine Hand geben. Das ganze übrige Volk soll nach Hause gehen!“ Josef strahlte neuen Mut und Eifer aus als er sich mit dieser Bibelstelle spirituell gestärkt hatte: „Versteht ihr was das bedeutet? Der Herr erwählt euch nach eurer Demut und stärkt euch mit seinem Hochmut, und macht euch so zu unbesiegbaren Gotteskriegern Israels! Ihr müsst neue Kalebiter werden, ihr müsst eurem Herrn so treu wie Hunde folgen. Ihr müsst dem Hund Israels so gehorchen wie Hunde, dann werdet ihr von ihm erhöht werden zu den Herren der Welt!“ Josef hustete erneut, und dann tippte er sich auf die Stirn, dorthin wo man ihm dreimal ein Wav aufgemalt hatte. Die wenigen Getreuen die sich vor ihm niedergeworfen hatten verstanden nicht recht was er wollte. Aber einer der Sadduzäer begann dann zögernd zu bellen: „Waff! Waff! Waff!“ Bald bellten dies auch die restlichen Kleriker mit. Herodias begleitete diese Hunde-Psalmodie der Tempelherren noch gefällig auf der kostbaren alten Harfe. – „Mao!“ rief einzig der raubeinige Katzaffer, der sich nun an Josef wie ein alter Kater heran schlich. Dies zauberte sofort ein Lächeln auf Josefs faltiges Gesicht, ja er kicherte weibisch! „Schwielen an den Knien hab ich bekommen vom lauteren beten!“ tönte er nun laut. „So gerne und eifrig hab ich gebetet, zu mir selbst, dass ich zum Gott wurde.“ – „Wahrlich Josef, wenn jemand in diesen Tempel hinein gehört, dann du“, rief da Ananus, der nun sogar auch noch auf die Knie sank. Tränen der Reue schossen dem mickrigen Großrabbiner nun in die Augen, und er krümmte sich tief.

105.

Da nun Josef wieder halbwegs wach und bei Laune war, da trat eine führende Gruppe von älteren Schriftgelehrten vor ihn. Mit miesepetriger Stimme begann Ananus zu reden: „Höre nun, du König der Hunde! Du willst uns Israeliten also in einen Krieg führen gegen Rom. Schon oft führten wir ja Kriege gegen die Heere der Heiden, und nicht selten war eine völlige Katastrophe das Ergebnis. Du sagst dass wir vertrauen sollen auf Gott und seine Wundermacht, der die Schar der Feinde – in einer Nacht, durch einen einzigen Engel – allesamt vernichten wird...“ – „So ist es! Das trifft den Nagel auf den Kopf!“ Josef unterbrach den Großrabbiner mit einer Stimme die immer noch gezwungen und rabiat klang. Er beschaute sein Spiegelbild im Wasserbecken. Dann wusch er sich, ebenfalls sichtlich unter Zwang, und begann sich wieder die Stirn zu reiben. – „Aber was ist wenn das nicht funktioniert, sondern wenn die Römer uns aufs Haupt hauen?“ – „Wenn was nicht funktioniert, dann ist das immer Schicksal...“ Weiter fiel Josef nichts ein, also schwieg er und schnitt nur eine grimmige Grimasse. – „Alle Schicksale und die gesamte Zukunft stehen ohnehin schon längst fest. Die Sterne geben uns verlässliche Kunde darüber!“ Dies teilte plötzlich Balthasar mit, im gesalbten Tonfall des professionellen Magiers. Der Samariter hatte sich doch noch in den Tempel gewagt. Verstohlen lupfte er seinen falschen grauen Bart und zeigte sich so dem verblüfften Josef. – „Was, du!“ rief Josef erstaunt. – „Unter Lebensgefahr wagte ich mich hierher! Mein Herz schlägt für die gerechte Sache Gottes, also für die deine, Josef!“ beteuerte dieser. – „Balthasar! Alter Freund und Apostel! Gut dass du hier bist, grauer Zauberer! Aber wo ist mein lieber Gemahl Melchior?“ fragte Josef, der sich wieder breit auf den Thron hinsetzte. – „Ich weiß es noch nicht“, erwiderte Balthasar furchtsam, „aber die Sterne wissen es gewisslich!“ – „Dann geh und frag sie! Bring mir Melchior!“ – „Gerne. Ich brauch aber Geld für die Reise. Leider bin ich mittellos! Ich gab alles hin für Kranke, die mich dringend darum ersuchten sie zu heilen, mit der himmlischen Wundermacht...“ – „Er lügt dich jetzt an Papa, denn er hat die Aussätzigen sogar schon im Voraus bezahlen lassen!“ rief Judas dazwischen. – „Du kleiner Verräter!“ schimpfte da der Sterndeuter. – „Also geh für Gottes Lohn, mein Apostel!“ – „Diesen Lohn will ich aber vorher sehen“, meinte Balthasar störrisch, und blieb wo er war. – „Dann lass es eben bleiben!“ grätzte Josef. „Ich werde Melchior herbei zaubern, mit der Kraft meiner Liebe.“ – „Dein Alter ist ein geiziger Itzich!“ beschwerte sich Balthasar bei Judas. – „Und du bist ein Nichtskönner, Balthasar!“ schimpfte die verkleidete Herodias, hüstelnd damit sie nicht an ihrer Frauenstimme erkannt wurde. Judas dachte kurz daran ihr irgendwas Nettes zu sagen, aber ein innerer Zwang hinderte ihn daran. Stattdessen belehrte Ananus die verkleidete Prinzessin ernst: „Junge, alles Schicksal ist tatsächlich schon durch Gy'tt und die Thora festgelegt. Alles was uns geschehen wird haben Propheten schon längst vorhergesagt.“ – „Ja genau!“ murmelte Josef mit tränenden Augen. Wie üblich besserte sich seine Laune sofort und eindrucksvoll, als er zu predigen und zu zitieren begann: „Die Bibel ist Gy'ttes in Schrift gebannter Wille! Das Schicksal der Welt und die Zukunft der Menschheit lassen sich daraus auslesen, und zwar mit Hilfe der Gematrie, der jüdisch-wissenschaftlichen Wundermethode des weisen Chodosis! Und wenn die Bibel sagt dass Gy'tt sich ein Volk wie das unsere als sein eigenes Völkchen auserwählt hat, dann ist doch klar was Adonai für diese Welt am Ende geplant hat!“ – „Den Untergang“, unkte Judas unheilvoll. – „Wenn das sein Wille ist, ja“, erklärte Josef vollmundig. „Aber, wenn es Gy'ttes Wille war, dann wird uns zuvor noch ein großer Sieg geschenkt, über die Römer! Und ist es nicht ein gutes Zeichen dass ich jetzt hier auf dem heißen Stuhl sitze, genau zu einer schweren Zeit, da Israel einen vom heiligen Geist, dem Ruach, benommenen heiligen König nötig hat?“ – „Meinst du den Rauch hier drin?“ zankte Simon der Esséner von hinten. „Du König Wauwauwau, das ist nicht der heilige Geist! Es brennt da draußen, und rat mal warum. Erinnerst du dich an die Geschichte von der Rotte Korahs?“ Josef fuchtelte mit den Armen herum und begann sich dann geräuschvoll im Schritt zu kraulen. Er führte aus was ihm spontan einfiel: „Ihr Priester kommt wie alte Weiber zu mir und erzählt mir eure tausend Ängste und Sorgen. Und zugleich räuchert ihr da draußen, so als ob ihr mich ausräuchern wolltet! Ich kenn euch doch, ihr seid eben widerspenstig! Ihr habt euren eigenen Geist, und der sagt euch mal dies und mal das, und ihr tut was euch beliebt. Aber was euer Gy'tt über euch verhängt das könnt ihr nicht ergründen und auch nicht ändern! Ihr feigen Hunde! Ihr wollt doch nur deshalb nicht mutig wie die Römer gegen die Römer kämpfen, weil ihr ihre militärische Macht fürchtet und ihre Grausamkeit! Aber wenn ihr Gott nicht gehorcht dann werdet ihr noch viel schlimmer geplagt und bestraft werden! Wenn ihr aber Gottes Befehl tapfer gehorcht, und sei es dass euer Herr euch in den sicheren Tod schickt, so denkt an das Weib des mächtigen Propheten Elias. Zu dessen Zeiten ließ Adonai eine Hungersnot über Israel kommen, weil das Land sündhaft voll geworden war, wie das halt oft so geht! Da nun fand Elias eine Frau die ihn unverdient mit Essen versorgte. Als daraufhin deren Sohn starb, da wurde diese Sünderin gar garstig, und sie machte dem Elia Druck, weil dieser so vollmundig geredet hatte dass er Wunder tun könne! Daraufhin bat der Elias Adonai im Gebet, und durch ein Wunder wurde dieser Sohn wieder lebendig! Wer so fest glaubt wie Elia es tat, der muss doch sogar den Tod nicht fürchten!“ Da murmelten die älteren Priester und Schriftgelehrten beifällig, denn diesen Fall kannten sie aus ihren heiligen Schriften. Nur Ananus, der kluge kleine Quertreiber, wiegte zweifelnd seinen dicken Kopf. Er sah aus als ob er Schmerzen hätte als er zu widersprechen wagte: „Die römischen Legionäre in der Stadtburg schließen schon Wetten ab über einen Aufstand der abergläubischen jüdischen Zwerge. Sie sind gelangweilt und vermissen ihre üblichen Gemetzel in der Gladiatoren-Arena.“ Es klang wie eine Warnung einiger höherer Mächte. Die in dem schummrigen Tempel verbliebenen Kleriker duckten sich furchtsam. – „Herr Hund, dies sind einfach nicht die mutigen Kriegsleute die wir brauchen“, gab Katzaffer zu bedenken. – „Macht doch lieber ein bisschen Frieden“, schlug Herodias vor. Sie begann leise die Harfe zu zupfen die sie inzwischen gestimmt hatte. – „Ganz bestimmt ist es besser wenn du Frieden machst anstatt zuerst Bethlehem anzugreifen!“ Dies riet nun auch Judas seinem Vater. „Denn Bethlehem ist immerhin die Stadt König Davids.“ – „Ja schon. Aber wir wollten doch nur die verfluchte Löwin Lehemu aus der Stadt vertreiben, diese Kinderfresserin. Gut, im Grunde ist deine Idee nicht so schlecht, mein Sohn. Weißt du was, wir machen Frieden mit der Löwengöttin. Bei Jesaja steht ja auch dass der Löwe und das Lamm in der Zukunft Frieden schließen werden.“ Josef kam ächzend wieder auf die Beine, und wandte sich an Balthasar: „Ruf sie, Zauberer, und verkündige der Dämonin meinen Gottesfrieden! Ihr Priester, gebt ihm dafür einen Schekel als Lohn.“ Verwirrt starrte der verkleidete Zauberer Josef an. Aber als man ihm eine Münze auszahlte, da gehorchte er und eilte schnaufend aus dem Tempel. Judas aber staunte über sich selbst. Er hatte vor allem für den Frieden geredet weil Herodias auch so dachte. Er hatte ihr damit beistehen wollen, und fühlte sich nach und nach schon fast als ihr Mann.

106.

Simon der Esséner rief nun: „Josef, du sagst du willst die Toten auferstehen lassen! Das ist aber für uns Gläubige an die Himmelfahrt eine verlängerte Strafe! Wir Heiligen der letzten Tage fürchten ein Schicksal das schlimmer ist als der Tod, nämlich dass wir für miese Löhne arbeiten müssen!“ – „Dann geht doch in den Osten, ihr Eiferer, Aufrührer und Bettler“, giftete ein Sadduzäer. – „Was, jetzt wo der Messias gekommen ist? Wir bleiben und kämpfen bis zum Tod! Lieber wollen wir alle Selbstmord begehen als wie unfreie Lohnarbeiter und Sklaven für fremde Ausbeuter zu schuften!“ eiferte daraufhin ein anderer Esséner. Von ganz hinten schrie der Jugendliche, er war sehr nervös. – „Eiferer, du bist richtig bei Gottes Thron! In dir steckt der wahre jüdische Geist“, versicherte Josef ihm daraufhin. Der junge Esséner traute sich hustend nach vorn, seine blauen Augen tränten als er sich vor Josef verneigte. Ananus aber verwies daraufhin seine Pharisäer mit einer herrischen Geste aus Josefs Nähe. Der Großrabbiner raufte seinen langen Bart, und fragte dann Josef fast verächtlich: „Du führst uns in einen heiligen Krieg, du heiliger König. Du prophezeist uns die Auferstehung im Fleische für den Fall unseres Todes! Aber wie können wir dessen sicher sein? Hat dir denn der Herr Jahwe im Himmel durch unzweifelhafte Zeichen unseren Sieg vorhergesagt?“ – „Der juckt mich nur am Aahm...“ Josef fing eifernd zu reden an, schwieg aber unvermittelt und kratzte sich erneut knirschend die Schamteile. – „Alles was mein Vater immer so redet das ergibt sich bei ihm aus der Thora, und aus den Büchern der Könige und Propheten!“ Eilig half Judas seinem Vater nun weiter. „Meinem Vater geht es immer so dass er aus der heiligen Schrift genau das vorgesagt kriegt was er dann reden will. Es kommt ihm eben in den Sinn, wie durch ein Wunder. Und wenn er los schwallt und eifert dann kann ihn keiner mehr stoppen.“ – „Dies ist bei Josef also insoweit genau so wie bei einem alten Weib“, meinte dazu der störrische Ananus. – „Leider ja!“ meinte Judas etwas bitter. Da gab ihm sein Vater unvermittelt einen Tritt. „Schweig Bub!“ grollte Josef mit erneuertem Zorn. Es war daraufhin Ananus der zu predigen begann. Der Pharisäer erinnerte Josef an eine weitere alte Geschichte, aus dem zweiten Buch der Könige, Kapitel acht: „Von diesem oder jenem Propheten Elias erfuhr einst in Damaskus der kranke syrische König Benhadad. Dieser Sohn des arabischen Gräuels Hadad, er hoffte auf eine Wunderheilung! Deshalb schickte der König dem Propheten 40 Trampeltiere voller Geschenke! Und der König Benhadad bat den Propheten Elias, seinen Herrn zu befragen ob Benhadad genesen würde. Da nahm der Prophet die Geschenke entgegen. Und er ließ Benhadad diese wohlgefälligen Worte Gy'ttes ausrichten: Du wirst genesen. Das war jedoch glatt gelogen, denn es war Elias gezeigt worden von Adonai dass der König Behadad gewisslich sterben würde...“ Ananus machte eine kurze Denkpause und sprach dann weiter, mit neuer Schärfe in der Stimme: „Der Prophet Elias wusste die Wahrheit, aber er hat glatt gelogen! Er wollte nämlich die 40 Dromedare mit Geschenken nicht einfach an sich vorbei ziehen lassen. Nun, was sagst du dazu, Josef, der du König und Prophet zugleich sein willst?“ – „Aahm“, begann Josef, und wirkte geistig abwesend und zappelig, „das ist eine schwere Gewissensprüfung. Die Thora sagt uns ja zum Glück nicht dass man nicht lügen darf zum Wohle Israels. Und damit sagt Gy'tt immerhin mal zweifellos die Wahrheit.“ Er schaute sich um, die glitzernden Truhen und Weihegaben ringsum schienen seine Blicke geradezu aufzufangen und abzulenken. Über all dem wertvollen Kram hing aber nun ein sich verdichtender Rauchschleier. Über die Schulter hoch warf der hustende Josef einen Blick auf die riesige Menora, oben auf dem Altar Jahwes. Der massive Leuchter schien ihn streng anzustarren, so als ob Gott selbst ihn mit drei Leuchtaugen beobachten würde. Es fiel Josef jetzt schwer an seinem Irrglauben festzuhalten dass er selbst dieser Gott sei, hier im Tempel Jahwes. Unwillkürlich duckte Josef sich, und erklärte dann überzeugt: „Adonai weiß es wenn ich kein Lügner bin.“ – „Du weißt jedoch nicht wann Gy'tt dich mit Lügen versucht“, rief Simon der Esséner. – „Die Macht Adonais ist mit dem König, das hat er uns durch sein Regenwunder bewiesen!“ So bekundete der raubeinige Katzaffer erneut seinen Glauben. – „Wenn du kannst König, dann tu noch ein Wunder, so wie auch Elias zwei tat.“ Dies forderte sein Kumpel, der bäurische Jeshimon. – „Na gut! Dann soll es noch einmal regnen...“ begann Josef. Aber da schrak Judas auf! Er erinnerte sich an das was er gerade vorhin von Balthasar gehört hatte. Auch der hatte ja die Nebelsonne gesehen, welche die Wolken aufwärmte... – „Nein!“ schrie Judas nun, und stellte sich vor seinen Vater. „Genau wie es Elias einst tat, werden wir es jetzt nicht regnen lassen. Das soll das Zeichen sein für euch Priester, dass es sich für euch niemals lohnt wenn ihr uns heiligen zwei Eliassen nicht gehorcht. Ihr müsst uns gehorchen so wie ein Junge seinem Vater gehorcht!“ Die meisten der im Tempel verbliebenen Männer nickten dazu. – „Judas, halt doch bitte endlich mal deine große Klappe! Gehorch deinem Vater!“ befahl nun Josef drängend. Da aber drehten sich all die Kleriker um, die sich vor dem Gnadenthron versammelt hatten; als nun der Hohepriester Joazar erneut in den Tempel trat. Joazar hatte feuchte Haare und Schultern und wirkte erfrischt. Er hustete und beugte sich und war sichtlich entgeistert. „Es regnet. Ein Starkregen kam über unsere Räucherpfannen!“ erklärte er unfroh. – „Seht ihr es also! Ich sprach nur ein Wort, und sogleich regnete es!“ verkündete Josef in die Stille hinein. – „Zweifellos ist das ein Wunder! Das bedeutet dass du besseren Erfolg hattest mit deinen Gebeten als Moses selbst, zu der Zeit da Korah ihm wie dem Adonis räucherte.“ Dies musste nun sogar Ananus zugeben. Gleich fielen all die Kleriker wieder vor Josef auf die Knie, manche verneigten sich bis zum Boden. Die Esséner hatten inzwischen ein Lied ersonnen, sie sangen: „Halleluja, Waffwaffwaff! Gepriesen seist du König, Herr und Hund zugleich. Wahrlich du bist Davids Sohn, voll himmlischer Einfältigkeit!“ Joazar und seine Sadduzäer und Tempeldiener, die nun wieder in einer Menge in den Saal strömten, beeilten sich es den Pharisäern und Essénern gleichzutun. Nach kurzer Zeit war der verrauchte, verrußte Tempel gedrängt voll mit gebückten Würdenträgern. Sogar Herodias ließ die Harfe sinken und kniete sich hin. Nur Judas blieb stehen. Seine Wangen glühten vor Scham, als er sah dass sein Vater ihn streng anstarrte. „Auf die Knie, Junge!“ befahl Josef. Aber spontan zuckte Judas zurück. Er hustete und lief zappelig herum und setzte sich dann doch neben Herodias auf den Fußschemel. Er versuchte verstohlen nach ihrer Hand zu greifen, aber als sie es merkte zog sie sie heftig zurück. „Oh Sch-addai! Was ist das denn?“ So schimpfe Joazar, als er nun sah dass er in einer weißen Soße kniete. Er betrachtete angewidert seine Hände. – „Da hat Onan vorhin hin gemacht, lieber Vetter“, erklärte ihm Ananus. – „Bringt diesen Wichser her zu mir!“ ereiferte sich Joazar nun voller Zorn. Judas aber war ebenfalls voller Zorn, und zwar auf Herodias, die einfach nicht wollte was er wollte.

107.

„Halleluja, Halleluja!“ Die Kleriker im Tempel sangen und jubelten immer lauter, um ihre Zweifel zu vertreiben. Josef war weiterhin voller Unrast. Er konnte sich kaum konzentrieren, und verstand nicht was mit ihm los war. Ob das an dem Thron lag auf dem er saß? Zögernd stand er auf, und musste widrige innere Stimmen abweisen: Du alter Schwachkopf, böser Hund! Josef kam sich vor als ob er den Verstand verloren hätte! Er konnte sich kaum bewegen, starrköpfig war er geworden und dennoch zappelig; und er war wütend auf all die alten Feiglinge vor ihm, einfach so, jetzt ohne einen guten Grund. Er hatte ihnen doch vorhin befohlen einen Krieg zu beginnen. Aber immer noch blieben sie wo sie waren, und sie schwafelten und sangen das Halleluja, so wie sie das immer taten. Warum taten sie nicht das was er ihnen befahl? Josef dachte sich dass dieser eitle große Sadduzäer Joazar gerade wieder heimlich gegen ihn hetzte! Gerade erklärte Joazar grimmig wie er den Disput der strenggläubigen Juden vor dem Tempel über die Gültigkeit des Opfers beseitigt hatte: „Ich gab ihnen einfach Befehl noch einen Jungbullen zu opfern. Das wird dem Herrn gefallen...“ Josef hörte zu und erkannte dass er sich getäuscht hatte, denn der amtierende Hohepriester tat einfach nur seine Arbeit. Er konnte sich kaum konzentrieren, es summte und brauste ihm in den Ohren. Blaue Funken erschienen in seinem Gesichtsfeld wenn er den Kopf nur mal hin und her bewegte. Er wischte sich mit seinem feuchten Gebetsschal erneut sein müdes Gesicht ab. Joazar ließ sich nun von Ananus ins Gespräch ziehen, auch Simon der Esséner trat nun hinzu. Josef hörte misstrauisch mit was die drei Sektenführer da redeten: „...zwei Legionen Römer sind derzeit in Berytos stationiert, die können in fünf Tagesmärschen hier sein. Einzelne Kohorten sind im ganzen Land Judäa unterwegs. Und die Elitetruppen stehen an der parthischen Grenze. Dort ist derzeit alles ruhig, die können auch jederzeit abgezogen werden. Dann ist da die ägyptische Truppe... Und die Flotte auch noch! Mein Gott, was für ein Risiko wäre es jetzt einen Krieg mit Rom zu beginnen! Aber wenn Josef uns doch versichert dass er sogar Gefallene auferwecken kann... Aber nur wenn denn der ewige Gy'tt ihm diese Macht gewährt! Auch der Herr des Himmels ist er ja angeblich selbst... Das glaub ich erst wenn er jetzt abhebt und in den Wolken verschwindet!“ Über diese zweifelnde Bemerkung von Simon musste sogar Joazar etwas lachen, aber er besann sich und wurde demütig als er in Josefs finsteres Gesicht blickte. Ananus winkte unterdessen zwei Pharisäer dabei, die eine halb entrollte dicke Thorarolle in ihren hellen gepflegten Händen hielten. Mit einer Mischung aus Unterwürfigkeit und Verachtung trat der kleine Großrabbiner mal wieder vor Josef. Ananus ließ sich seinen edlen elfenbeinernen Lesestock reichen, den er Josef vorhielt. „Nimm dies und lies uns vor, wenn es dir beliebt, du Herr der Herrlichkeit! Lies aus dem Buch des Propheten Jesaja, das sogar Heiden in aller Welt als unser bestes prophetisches Buch gilt...“ – „Die Heiden kennen und verstehen ja die Thora nicht gut“, gab Joazar rasch zu bedenken. – „Ja, aber sein Sohn Judas sagte von Josef, dass ihm aus vielen Büchern die er kennt immer der passende Spruch in den Sinn gerät, durch eine Fügung. Also sollte er dies jetzt lesen, damit er mal demnächst auf die richtigen, modernen Bibelzitate verfällt.“ – „Ja, das ist eine gute Idee“, gab auch Simon zu. Und da nickte auch Joazar. Geschmeidig im Denken war der lebenserfahrene Hohepriester, eine Eigenschaft die man bei echten Führungspersönlichkeiten oft antraf. Gleich zitierte Joazar aus dem Gedächtnis das im Tempel besonders beliebte zweite Kapitel des Buches Jesaja: „Viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns wallfahren zum Berge des Herrn, zum Tempel des Gottes Jakobs, auf dass er uns belehre über seine Wege, und wie wir auf seinen Pfaden wandeln können...“ Dieses Zitat kannte Josef auch, und er gewann wieder etwas mehr geistige Kraft als er es aus dem Gedächtnis heraus fortsetzte: „Denn von Zion wird die Heilslehre ausgehen...“ Spontan ergriff Josef den Zeigestock der Schriftgelehrten, und tat nun so als ob er etwas vorlesen würde. Mit gepresster Stimme deklamierte er: „Und Gy'tt wird Richter sein zwischen den Nationen. Und Adonai wird zurecht weisen große Völker; auf dass sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden, und ihre Spieße zu Winzer-Messern...“ – „Schaut euch mal das an!“ unterbrach ihn Ananus mit listiger Stimme. „Josef liest ja von links nach rechts, also umgekehrt!“ – „Jau, das kann nicht jeder“, meinte Josef betroffen. Schallendes Gelächter wurde nun laut im Hekal. Josef erklärte verärgert, so wie es ihm innere Stimmen nun rieten: „Ich brauch jetzt doch was Wein. Oder wir warten bis morgen, bis ich besoffen bin. Aber wisst ihr warum ich eben umgekehrt las? Wenn Gott sich verspricht oder einen Fehler macht, dann steckt natürlich Gottes Absicht dahinter. Wenn Heiden Schwerter zu Pflugscharen schmieden können, geschickt wie die Söhne Tubal-Kains, dann können wir das auch umgekehrt. Lasst uns aus unseren Pflugscharen Schwerter schmieden!“

108.

„Nein!“ meinte dazu jedoch plötzlich Herodias mit ihrer hellen Frauenstimme. Die gut verkleidete Prinzessin war verstohlen zum jetzt leeren Gnadenthron getreten. Geduckt hatte sie sich den Ruß vom Gesicht gewischt, den Mantel abgestreift und die blonde Perücke wieder aufgezogen. Plötzlich stand sie wieder als Engel vor der Menge. Und weil sie sich zu klein fühlte vor all den Erwachsenen kletterte sie spontan auf den Thron, und kniete sich dann fraulich auf das Sitzpolster. „Seht her. Ich war der Engel den Judas im Tempel gesehen hat. Er wusste genau dass ich es war, der kleine Prinz der Bettler und Tagediebe. Aber euch hat er darüber angelogen, nicht wahr?“ Weiter kam Herodias nicht mit ihrer Rede, denn nun erhob sich immer mehr erregtes und zorniges Gemurmel im finsteren verqualmten Raum. „Das ist eine Frau! Lästerung! Sofort hinaus mit der sündigen Tochter Evas!“ – „Wartet! Als Zeugin Jahwes mag sie zuerst Gehör finden, denn aus diesem Grund hat der Gy'tt sie vielleicht hierher geführt. Ihr Zeugnis ist jetzt zweifellos von größter Wichtigkeit!“ rief da Ananus streng. Die Tempeldiener blickten sich fragend um nach Joazar, aber der brach gerade in eine Art unglückliches Schluchzen aus und rang um seine Fassung. Aber auch Simon der Esséner fasste nun Josef erneut streng in seinen finsteren Blick. Der weise und tüchtige Esséner wuchs zu seiner vollen Größe als er sich aufrichtete, und den etwas klapprigen Josef um Haupteslänge überragte. „Kann es sein dass du uns hier etwas vorspielst, und uns gar betrügst, du König der Säufer?“ – „Wenn es dem Herrn gefällt“, murmelte Josef widerspenstig. – „Dem Herrn gefällt es uns zu täuschen, und diese Täuschungen aufzudecken, wenn es ihm beliebt“, erklärte Joazar zerknirscht. Judas wurde rot als er bemerkte dass Herodias nun ihn strafend anblickte, ja ihn allein, von all den wichtigen Männern ringsum. Um sie zu beeindrucken entschloss Judas sich, erneut zum Verräter zu werden. – „Habt Mitleid mit dem Gott der in eurem Tempel wohnt!“ rief Judas plötzlich. Der Junge trat beklommen zum gepolsterten Fußschemel und stieg vorsichtig hinauf, damit er besser zu sehen war. Von dort aus bekannte er jammernd, mit echten Tränen der Reue auf den Wangen: „Mein Vater Josef ist nur ein frecher Schwindler und ein bekloppter radikaler Prediger, weiter nichts! Josef kann noch nicht mal lesen! Er las uns Kindern noch nie einen Buchstaben vor, weder Hebräisch noch sonst was.“ – „Judas, verdammt noch mal! Ich bin ein Zimmermann von Beruf. Leider fiel mir bei der schweren Arbeit mal ein Balken auf den Kopf, und ich wurde arbeitsunfähig“, empörte sich nun sein Vater. – „Das ist ja auch nur die Lügengeschichte die du immer erzählst. Aber Mama sagt in Wahrheit warst du betrunken und hast gegen die Römer geeifert, und da haben sie dich verprügelt! Das war damals als Simon der Eiferer hier auftrat in Jerusalem, der auch behauptet hat er wär der Messias...“ Kaum erinnerte sich Josef noch an die verdrängte wahre Geschichte über seinen Absturz ins Elend. Als die Kleriker beklommen schwiegen, da steigerte sich Josef in einen eifernden Wutanfall hinein: „Du Verräter! Ich hab es immer gewusst, was aus dir einmal werden wird, denn es war von Anbeginn aller Zeiten an von Gy'tt unserem Herrn vorherbestimmt! Am achten Schöpfungstag hat er sich das ausgedacht, als er sich all seine Scheiße hier anschaute und seine große Wut kriegte! Aus meinen Augen, verlass meinen Tempel! Du bist nicht der wahre Gesalbte, und du wirst es niemals werden, du Judas, denn du bist unwürdig!“ Der himmlische Zorn der sich in Josef aufgebaut hatte entlud sich nun in einem geifernden Wutausbruch. Er packte seinen kostbaren Zeigestock wie ein Schwert und stach damit nach seinem Sohn. Doch Judas war flink und wich seinem langsamen Vater mit Leichtigkeit aus. Er sprang nach hinten weg, huschte hinter den Altar und schlüpfte spontan in die Sicherheit des Debir, des Allerheiligsten. Empörtes Gemurmel brandete inzwischen auf in dem mit Klerikern gefüllten Hekal. Viele begannen zu schimpfen: „Also war doch alles Schwindel! Das ist ein Skandal! Weg mit dem Schwindler, dem Hund! Ja, kreuzigt ihn!“ Nach erstaunlich kurzer Zeit brüllten die Kleriker alle: „Kreuzigt ihn! Kreuzigt ihn!“ Und dann strömten sie schon nach vorne, um ihren Worten die Tat folgen zu lassen. Josef wich erschrocken zurück und duckte sich ganz tief hinter den kleinen Ananus. „Habt Mitleid ihr Herren! Ich tu auch Buße, so wie Onan!“ jammerte er. – „Ergreift die beiden Schwindler, und dann soll über sie nach unserem Gesetz gerichtet werden!“ befahl Ananus grimmig den Wächtern. – „Wartet, auf ein Wort noch!“ meinte Josef, den die Angst vor einer Bestrafung wieder halbwegs zur Besinnung brachte. Sein Kopf war so voll von Zitaten aus der Bibel, sie wirbelten in seinem Geist herum wie das Monster Typhon, vor dem sich angeblich sogar die griechischen Götter fürchteten. Er faselte: „Mir kam eben ein mächtiges Wort in den Sinn. Ich hatte es heute morgen gehört, und zwar vom weisen Pilger Philo aus Alexandrien! Es war das heilige Wort...“ Josef machte eine bedeutsame Pause und erklärte dann betont: „Zion!“ Tatsächlich gelang es Josef damit die Würdenträger noch einmal für sich zu interessieren. Tempeldiener und Schüler, die schon gekommen waren um ihn abzuführen, schauten sie sich noch einmal ratsuchend um zu Joazar. Dieser schnitt eine verlegene Grimasse und hob die regenfeuchten Schultern. Josef starrte benommen in lauter zweifelnde bis empörte Gesichter. Er wollte weiter reden, er wollte wie üblich eifern und predigen, aber es fiel ihm gerade so schwer sich darauf zu konzentrieren, auf das was er als seinen rettenden Gedankenweg unklar vor sich erkannte. Er schaute sich suchend um und entdeckte seine Schriftrolle, die konfusen Aufzeichnungen welche der grinsende Schelm Chodosis verfasst hatte. „Da! Da!“ stammelte Josef, als er nun diese feuchte und schlecht zusammengerollte Thora wieder entdeckte. Sie lag neben dem Gnadenthron. Er brabbelte völlig aufgeregt: „Da steht das große Geheimnis von Zion drin. Und ich weiß es! Vielleicht bin ich der einzige der es versteht!“ – „Ach ja?“ Müde winkte Joazar Untergebenen und Kollegen. Sie eilten herbei um die Schriftrolle zu entfalten. Aber Joazar warf nur einen kurzen Blick auf das nun fast unleserliche, verwaschene Gekritzel, und seufzte dann tief. – „Willst du behaupten dass du das hier noch lesen kannst?“ fragte Ananus empört. – „Gy'tt sagt mir dass da drin das Geheimnis steht!“ beharrte Josef. Standhaft war er jetzt wie ein Prophet. Aber als er die Schriftrolle dann studierte, und mit dem Zeigestock über die verwaschenen Buchstaben fuhr, da fiel ihm gerade mal nichts ein. Und weil er so enttäuscht war da musste Josef jetzt etwas schluchzen. „Ich kann es leider nur nicht lesen“, bekannte er verzweifelt.

109.

Milde sagte da der Hohepriester: „Das ist doch nicht so schlimm! Auch König Josia konnte ja nicht lesen! Man musste ihm die Thora vorlesen.“ Und Ananus bestätigte: „Dennoch war gerade dieser besonders ungebildete Schwachkopf der König welcher die Thora über alle anderen Lehren erhob, und welcher alle anderen Kulte und Götzenbilder aus Jerusalem und Israel verbannte, und das Idol der Astarte aus diesem heiligen Tempel hinaus entfernte und verbrannte, auf der Halde im Mülltal.“ – „Dort sollte man Josef auch verbrennen, so wie die Opfer welche man für Moloch, den heiligen König der Götzenanbeter, verbrannt hat!“ schimpfte ein alter Hohepriester. – „Das ist eine passende Strafe für diesen Erzbetrüger!“ rief Katzaffer. So eifrig der hässliche haarige Mann vorher für Josef eingetreten war, so bitter enttäuscht zeigte er sich plötzlich von ihm. – „Josef ist eben nur wieder so einer von den Deppen, die bei Gy'tt besonders beliebt sind“, meinte Simon düster. Judas war wieder aus dem dunklen Debir gehüpft. Er war so nervös jetzt dass er hin und her zappelte, und er schaute auf zu Herodias, so wie das fast alle die alten Männer taten, mehr oder weniger bewusst. „Ich sah sie wie sie ist, aber sie kam zu mir als ein Zeichen“, erklärte Judas mühsam. – „Ich hab Judas schlau als den Erzbetrüger entlarvt der er ist“, schimpfte da die als Engel verkleidete Prinzessin, zu Joazar und all den Würdenträgern gewandt. Niemand mochte ihr antworten. – „Geh jetzt bitte“, bat Joazar sie mit betrübter Stimme. – „Gy'tt schickt dauernd Zeichen. Alles kann ein Zeichen sein“, brabbelte Josef. Judas sah sich um mit fliehenden Blicken, in der Hoffnung dass er seinen Vater unterstützen könnte. An den Wänden hingen etliche dunkle Votivtafeln mit eingemeißelten Sprüchen. Eine fiel Judas nun besonders ins Auge, denn sie war aus Gold und glänzte wie frisch poliert. Nur vier dünne Buchstaben waren darauf eingegraben. – „Das da, ist das nicht auch ein Zeichen?“ fragte der Junge den Großrabbiner Ananus. Daraufhin blinzelte dieser nur erstaunt und schwieg verachtungsvoll. Statt seiner erklärte Joazar, mit einem gewissen Stolz: „Diese massive goldene Tafel übersandte uns das Prinzlein Herodes Agrippa, aus dem ewigen Rom. Ähnliche Tafeln schmücken mancherorts die Wohnungen und Gassen der Juden. Alle Heiden sollen so unseren Gott fürchten und uns in Frieden lassen.“ – „Ja, aber was steht drauf?“ fragte Judas beharrlich weiter, einfach aus dem Gefühl heraus dass es wichtig sein könnte. – „Das ist nur ein närrisches Wort auf Latein! An den Saturnalien soll der herodianische Prinz Agrippa sich das ausgedacht haben, als er sich mit Sklaven und Gesindel amüsierte. Die Römer feiern jährlich ein Fest zum Gedenken an das goldene Zeitalter des Saturn, als es auf der Welt angeblich weder Diener noch Herren gab. Vielen Juden gilt diese Tafel jedoch nur als leichtfertige Abirrung dieses reichen Prinzen von unserer ehrwürdigen alten Schriftkultur“, erklärte Joazar etwas bitter. – „Ich kann das lesen!“ rief Herodias stolz. Sie stieg sehr vorsichtig vom Gnadenthron herunter, und trat mit bitterer, hochmütiger Miene zu Judas. Die Würdenträger und Diener wichen vor ihr zurück, manche blickten furchtsam, so als ob sie tatsächlich ein Engel wäre. Von einem Diener erbat sich Herodias einen langen Stock aus Bronze, mit einer Kappe oben drauf die benutzt wurde um Kerzen zu ersticken. Mit diesem Stock reckte sie sich dann hoch zu der goldenen Tafel des Herodes Agrippa. Von links nach rechts las sie Judas die vier Buchstaben vor: „S-L-U-M. So schreibt man auf Hebräisch das Wort Schalom, also Frieden. Hier steht es auf Latein, als Zauberwort.“ – „Das Lesen ist nicht so einfach wie ich dachte“, murmelte Judas betroffen. Als er sich umdrehte, da merkte er erschrocken dass viele Würdenträger nun ihn verblüfft anstarrten. – „Der neue Aaron riet uns zum Frieden, ohne es zu merken! Ein Zeichen ist das, und schon wieder eines! Die Macht ist zweifellos mit diesen beiden Galiläern!“ meinte Joazar, und wischte sich die feuchte Stirn. Judas seufzte froh, und zweifelte doch zwanghaft an sich und der Welt. Josef sah sich hustend um in dem nun fast stillen Raum, wo sich ein rußiger Grauschleier auf all die Kostbarkeiten gelegt hatte. Er war so erleichtert dass ihm fast schwindelig wurde. Aber was sollte er jetzt weiter anfangen? In die Stille hinein begann Simon aus dem Buch Jesajas vorzulesen. Er sprach getragen und mit Bitterkeit in der Stimme, vielleicht wollte er den anderen nur zeigen dass er immerhin diese schwierige Quadratschrift lesen konnte, obwohl er doch auch wie ein Bettler herumlief: „Komm, oh du Haus Jakobs, wir wollen gehen, im Lichte Adonais! Denn du hast dein Volk, das Haus Jakobs, verstoßen, weil sie voll morgenländischem Wesen sind, und Wolkendeuter sind wie die Philister. Sie haben sich mit den Kindern von Fremden verbündet. Ihr Land ist voller Silber und Gold, und ihrer Schätze ist kein Ende...“ – „Unsere Schätze werden uns nicht erhalten bleiben, wenn die Römer hier weiterhin diese Räuber-Steuern kassieren“, unterbrach ihn ein Sadduzäer aufgeregt, der bei diesem Thema nicht still bleiben konnte. – „Diese Stelle ist doch gerade als Gy'ttes Kritik an uns gemeint!“ schimpfte daraufhin Simon. „Eigentum und Reichtum sind vor Gy'tt sündhaft! Ist euch das immer noch nicht klar, ihr Habgierigen?“ – „Du radikaler Träumer, du bist doch nicht klarer im Kopf als es Josef ist!“ erregte sich sein Kontrahent. Gleich brandete erregtes streitbares Schimpfen auf in dem überfüllten und stinkenden Raum. Nichts regte die Juden derzeit so auf wie die römischen Steuern. Judas hörte davon wenig, denn er stand wie betäubt und gebannt in der Nähe von Herodias. Spontan wie es ihm in den Sinn aufstieg begann er ihr zuzureden: „Ich find dich geil, weißt du das? Und ich bin jetzt hier der König von Israel, das hast du ja gemerkt. Willst du meine Frau werden oder meine Konkubine?“ Er wollte mutig nach der Hand der Prinzessin greifen. Aber sie drehte sich weg von ihm, und zischte nur verächtlich: „Lass mich in Ruhe, Bibelbube. Du bist eklig, du Erzbetrüger.“

110.

Joazar atmete schwer und seufzte tief. Dann beugte er sich erneut zu Josef hinab und fragte ihn laut: „Bleiben wir bei unserem Thema! Ein Zeichen kam uns gerade zu, und dieses sprach: Frieden! Was sagst du nun dazu?“ – „Meine Antwort steht hier drin. Aber ich kann sie nicht lesen“, sagte Josef, und hob erneut die Schriftrolle des Chodosis in die Höhe. Joazar wandte sich um und fragte: „Nun gut, hier stehen die besten Schriftgelehrten von ganz Judäa. Kann denn keiner von euch Pharisäern dieses Gekrakel entziffern?“ – „Ich bin ein Traumdeuter. Ich müsste darüber schlafen und schauen, was mir Gy'tt eingibt“, schlug der Esséner Simon vor. Aber dazu schüttelte Ananus nur verächtlich den Kopf und ätzte: „Die Wahrsager sahen trügerische Visionen, erzählen erlogene Träume und trösten vergeblich! Davor warnte uns einst der Prophet Zacharias.“ – „Erhabener Hohepriester, wir könnten doch wieder mal die Urim und Tummin benutzen“, schlug einer der jungen Sadduzäer vor. – „Die Orakel-Steine befinden sich in der Brusttasche der Ephod, und die steht uns derzeit nicht zur Verfügung, wie du ja sicher weißt.“ So schnarrte nun Joazar los. Jetzt wirkte der Hohepriester doch mal so aufgebracht als ob er kurz davor sei einen Wutanfall zu bekommen. Der Tonfall unter den Klerikern im vollen Hekal hatte sich schleichend immer weiter verschärft. – „Hier drin mieft es zum Weglaufen!“ meinte der junge Esséner freundlich zu Judas. – „Komm wir wollen gehen!“ schlug Judas ihm vor. „Wir können draußen herum hüpfen, wenn du darauf Lust hast...“ Josef hatte diese Reden mitgehört, sie beschäftigten ihn nun: „Komm wir wollen gehen! Dieser Rat ist ja irgendwie passend! Das ist auch wieder so ein Zeichen. Mir geht es ja jetzt wie einst Bileam. Es kommen mir dauernd so Zeichen in den Sinn, ich muss dauernd danach gucken, ich kann an nichts anderes mehr denken!“ brabbelte er vor sich hin. Josef zappelte hin und her, und versuchte vergeblich sich an das Detail zu erinnern das Philo ihm am Morgen über Zion mitgeteilt hatte, wie üblich im beiläufigen Plauderton dieser abgehobenen Gebildeten... – „Papa, du hast doch auch so Urin und Dummin vor deiner Brust!“ Dies meinte nun plötzlich Judas, der doch bei seinem Vater geblieben war. Als sein Vater ihn mit tränenden Augen anstarrte, misstrauisch bis verständnislos, da griff Judas forsch nach der Halskette mit den dicken Glasklunkern welche Josef noch um den Hals baumelte. Judas hob ein gelbes und ein rotes Glasstück hoch und hielt sie Josef vor die Augen, so wie es vorhin Herodias spielerisch getan hatte. Dabei wisperte er seinem Vater zu: „Man muss einfach durch so Gucksteine gucken. Damit kannst du vielleicht alles Mögliche sehen und lesen!“ – „Du hast recht...“ brabbelte Josef zögernd, und war sich unsicher ob er das wirklich glauben wollte. Er guckte probeweise erst mal durch zwei Gucksteine. Mit benommenen Bewegungen sah er sich damit um im Tempel, der durch die Verfremdung eine faszinierende neue Farbigkeit gewonnen hatte. „Ganz besondere Urim und Tummin hab ich jetzt, so wie vorher noch nicht mal Moses sie gehabt hat!“ erklärte Josef den beklommen blickenden Priestern und Schriftgelehrten. Dann guckte er sich vorsichtig voran bis zur feuchten Schriftrolle des verstorbenen Bibelforschers Chodosis. Während Josef sich das verblichene kryptische Gekritzel darauf anschaute, da kamen ihm endlich lichtvolle Worte zu! Es waren Worte die einen Sinn ergaben, über den er selbst ins Staunen geriet... „Heureka!“ krähte Josef lauthals, so laut dass das Streitgeschwätz im Hekal über die römischen Steuern rasch verstummte. Heureka war ein griechisches Wort das er irgendwo aufgeschnappt hatte, er übersetzte es auch gleich: „Ich hab es raus gekriegt.“ Joazar erklärte dazu, schmeichelnd und bedachtsam wie ein Gelehrter: „Dies sollte uns hinweisen auf die weltmännische Bildung und Gelehrsamkeit welche unser Josef ja zweifellos auch besitzt.“ – „Ich bin eben euer Herr, und Prophet und heiliger Geist, und noch dazu bin ich der weiseste Weise und der feldherrlichste Feldherr aller Zeiten, denn ich besitze ja die wundersame Wundertänigkeit von Gy'tt selbst!“ belehrte Josef ihn, voller Eifer und mit erneuertem Hochmut. „Als Simon eben vorschlug, von der Schriftrolle zu träumen, da wurde mir klar was ich tun muss!“ Hektisch erläuterte er den Klerikern ringsum seinen neuesten Geistesblitz: „Ihr fragt mich: Herr und Heiland, sollen wir denn kämpfen mit den Römern oder uns lieber kampflos unterwerfen? Ich aber sage euch folgendes: Der Herr wird euch in ein neues Land führen, nämlich das Land Zion. Es ist das Land am Ende von Ägypten, das auch Syene oder As-Suan genannt wird. Dort nämlich befindet sich derzeit schon die heilige Arche eures Bundes mit Gott, die hier in diesem Stunk-Tempel nicht mehr vorhanden ist. Und ich bin euer neuer Moses der euch dort hin führen soll! Und diese heilige unlesbare Schriftrolle sollt ihr von nun an anbeten, so wie ihr die Thora des Moses angebetet habt. Manche alte Schriftrolle nutzt man am Besten wenn man sie nur anbetet und nett von ihr träumt! Dann eröffnen sich alle Geheimnisse Gottes; welche ich allein, mit meinen beiden Heisch-Steinen, auf die göttliche Weise lesen kann...“ Josef sprach nicht weiter, denn im Tempel hatte sich erregtes lautes Gerede erhoben. – „So ein absurder Unsinn!“ ereiferte sich Katzaffer zornig. Joazar jedoch meinte ergriffen: „Dann hat Moses also einst die Israeliten in die falsche Richtung geführt!“ Simon der Esséner rief klagend aus: „Seid doch mal vernünftig! Ihr müsst immer logisch denken, nur dann ergeben Zeichen ihren Sinn! In Oberägypten ist die Wüste nämlich noch viel schlimmer und heißer als hier bei uns. Soll dort etwa das wahre gelobte Land sein, in dem Milch und Honig fließen? Das kann doch nicht stimmen!“ Judas fand dass Simon völlig recht hatte. Aber daraufhin brandete in der überfüllten und stinkenden Halle nur noch mehr Erregung auf. Viele schrien nun durcheinander: „Ist denn Kana'an hier etwa Evas verlorenes Paradies? Schaut doch hinaus auf unsere Wüste. Völlig überweidet und kahl gefressen ist doch das ganze Hochland ringsum! Da ist es kein Wunder wenn die Wüste immer weiter vordringt. Lasst uns wieder wandern wie unsere Väter einst wanderten. Ja! Früher war alles besser. Wir sind doch Gottes Esel und Schäfchen. I-ah! Wohlan lasst uns wandern, mit unseren Tieren, denn dieses Land der wilden Araber erträgt uns ja gar nicht mehr! Näh! Wenn es Gottes Wille ist! Wenn es da oben am Nil besser ist, dann wartet mal ab wie es wird wenn wir da vorbei kommen. Das ist doch nur die närrische Idee eines einfältigen Säufers! Ihr Hunde, wollt ihr eurem Gott nicht gehorchen? Waff, waff, waff!“ So überschrien sich nun die Kleriker, einer lauter und närrischer als der andere. Judas dachte dass diese Würdenträger sich benahmen wie Fahrgäste in einem kleinen Fischerboot, das gerade auf den See Kinnereth hinaus fuhr und wild zu schwanken anfing im Wellengang. Er wollte ihnen von seinen Ängsten erzählen dass die Welt bald untergehen würde. Aber dann dachte er daran dass sie eben Alte waren, die wohl selbst Gott nicht mehr bessern konnte... – „Was meinst du, mein Sohn und Gesalbter?“ fragte Josef leise Judas, da nun viele ältere Kleriker ihn ratsuchend umringten und besorgt lauschten. Judas sah sich um nach Herodias, aber die war wohl schon aus dem Tempel entwichen, er sah sie nirgendwo mehr. Daraufhin wich plötzlich seine jungenhafte Arroganz von Judas. „Frag mich nicht! Was weiß ich denn davon?“ Judas wurde plötzlich wieder weinerlich. Er wich unwillig zurück, als er spürte dass die Last der Verantwortung eines echten Königs erneut dabei war sich auf seine dürren Schultern zu legen. Also erklärte Judas seinem Vater, schroff und mürrisch wie immer und mit der für ihn typischen Lässigkeit: „Lass mich raus aus deinen neuen Plänen! Ich bin kein heiliger König mehr! Ich bin nur ein Wolkendeuter, wie die Palästiner.“ – „Na gut“, meinte Josef sogleich und schicksalsergeben, was Judas nun wiederum erstaunlich ärgerte. Josef wandte sich um zu der aufgeregten Schar der wichtigen älteren Männer und teilte ihnen hoheitsvoll mit: „Also soll statt Judas mein anderer Sohn Jesus der neue Gesalbte Israels werden. Holt ihn zu mir aus Bethlehem! Und holt auch seine Mutter, die Jungfrau Maria.“

111.

„Gepriesen seist du Herr! Du hast mich berufen!“ Dies rief Onan der Nasoräer, als er sich nun eifrig und freudestrahlend nach vorne drängte. Die Kleriker wichen angewidert zur Seite vor dem sehr schmutzigen Büßer. „Ich sah Zeichen, und ich wusste Bescheid!“ erklärte dieser ergriffen, als er vor dem Gnadenthron stand. „Gott ist ein Gott der Liebe, und deswegen hat er mich auserwählt!“ – „Du schlimmer Bube“, schimpfte Joazar jedoch. Er packte den frechen Büßer geschickt am Ohr und zog ihn dann zum Tatort. „Komm Wichser, du machst deine Soße hier weg!“ – „Ääh! Bitte, lass mich!“ jammerte Onan widerspenstig. – „Lass ihn mal los, alter Hohepriester!“ befahl da Josef spontan. Er besah sich Onan widerwillig, und musste dann grinsen. „Sicher ist auch das ein Zeichen“, meinte er, halb zu sich selbst. Josef bückte sich mühsam und nahm etwas von Onans Sperma auf. Damit salbte er den freudestrahlenden Onan auf die Stirn und auf beide Wangen. „Onan, hiermit salbe ich dich zum neuen aaronitischen Priester! Und jetzt geh und salbe du meinen Altar. Das sollte dazu dienen mein Haus zu reinigen.“ – „Danke Herr! Oh mein Gott, das ist geil!“ brabbelte Onan. Judas jedoch fing jetzt an Herodias zu hassen, denn seiner Meinung nach war die schuld an seinem Machtverlust!Er sah düster zu wie Onan nun mit gezierten Bewegungen den Hochaltar Jahwes mit seinem Samen beschmierte. Auch der junge Esséner machte sich nützlich, er half Dienern Weihegaben zu reinigen. Wiederum hielt es den zappeligen Judas nicht in dem stickigen Tempel. Unzufrieden mit sich selbst und seinem sturen Trotz lief und sprang er erneut ins Allerheiligste, wo noch eine kleine Öllampe brannte die Herodias vorhin dort abgestellt hatte. Er fragte sich ob er sie vermisste, und stellte fest dass er sie nicht wirklich mochte. Er fand sie aufdringlich und tückisch, und er hatte unterwegs ja gesehen wie demütigend sie ihre Untergebenen behandelte. Diese eitle Nichtstuerin würde ihm nur auch diese Demut beibringen wenn er sich mit ihr einlassen würde! Judas hüpfte heftig auf das leere Podest, den Platz für die heilige Bundeslade. Dort fiel er auf die Knie und presste die heiße Wange ans düstere lackierte Zedernholz. Er lauschte auf die dumpfen Stimmen der alten Männer im Hekal, die sich schon wieder wie üblich stritten und schwafelten. Er starrte auf die Rankenmuster und die seltsamen babylonischen Chimären-Bilder an den Wänden, die Cherubim und Seraphim. „Gy'tt bist du hier?“ flüsterte er furchtsam. Er erinnerte sich daran dass genau hier einst das Standbild einer großen Göttin gestanden hatte, Aschera hieß sie auf Aramäisch, Ishtar war ihr babylonischer Name. Sie war zu grauer Asche geworden. Es kam Judas nun so vor als ob dies der Gott Israels gewesen war, der aber jetzt nicht mehr vorhanden war in seinem Tempel. Gott hatte die Hebräer verlassen, sie waren ihm zu habgierig und morgenländisch, nach den Worten aus dem Buch Jesajas. Nur noch die vergoldeten Halbreliefs der Wächter-Dämonen waren im Allerheiligsten zurück geblieben, der düstere Schein der Öllampe schien sie halbwegs auf Abstand zu halten. Diese Kunst Babylons kam Judas nun vor wie ein schlimmes Vorzeichen, und vielleicht war das mit ein Grund gewesen warum der Gott Jahwe sich von Israel abgewandt hatte. Die Römer regierten jetzt über diesen Tempel, und bald würden sie wohl auch hier Götzenbilder aufstellen, von ihrem Kaiser Augustus und all seiner missratenen Mischpoke. Judas sprang auf die Füße und stellte sich in Positur, so als ob er selbst so ein römischer Kaiser wäre. Aber dazu fehlte ihm das passende Prunkgewand, die schlichte Toga in der Farbe lila, gefärbt mit echtem Purpur aus Tyros. Die Ephod waren viel prunkvoller, das Gewand des Hohepriesters aus weißer Baumwolle und steifem Leinen, das auch mit lila Purpur und rotem Zinnober gefärbt und mit Goldfäden durchwirkt war. Aber die Römer hatten sich geweigert ihnen die Ephod auszuliefern. Für dieses Prunkgewand, das dem großen Joazar gut passte, war er ja auch viel zu klein, das sagte sich Judas jetzt. Aber er konnte ja notfalls befehlen dass man dieses heilige Gewand für ihn kürzte... Er musste gähnen. Spontan beschloss er etwas zu ruhen, hier wo es noch relativ warm war. Er knüllte sein Halstuch als Kissen unter dem Kopf zusammen, und ärgerte sich einmal mehr darüber dass man ihm noch nicht mal ein einfaches weißes Gewand gebracht hatte, so wie er es den Dienern vorhin befohlen hatte. Jetzt war es zu spät noch mal darauf zu beharren, denn vorhin hatte sein Vater ihn ja endgültig entmachtet. Judas musste wieder aufschluchzen als er sich daran erinnerte. Sein Kopf brauste und seine Ohren rauschten. Er starrte die Wände an um sich zu beruhigen. Langsam geriet er ins Dösen, und seine Gedanken schweiften ab... Judas geriet in einen Wachtraum, und darin erinnerte er sich daran dass Balthasar ausgeschickt worden war um Melchior zu holen, den Freund und Buhlen seines Vaters... Er sah nun im Traum die Wege draußen ringsum. Er sah die Wege die vom Tempelberg in die Umgebung führten, selbst nach Hinnom... Von überall her kamen Aussätzige, weil sie gehört hatten dass sie jetzt geheilt werden sollten! Es waren sogar halb verfaulte Leichen dabei!! Er sah einige Tote die gerade aus ihren Gräbern krochen und durch die Straßen taumelten, hinauf zum Tempel... „Der Allnächtige hat alle Toten auferweckt!“ rief eine helle Stimme in seinem Geist. Dann sah Judas Melchior. Dieser ritt auf einem Dromedar, mit einer verschleierten Frau hinter ihm. Judas scheute sich ihn zu fixieren, denn er spürte dass der heilige König aussätzig geworden war! Hinter Melchior im Sattel saß noch seine allzu geile Mutter, aber die war schon tot, sie war nur noch eine untote Leiche! Der Junge schreckte aus seinem Alptraum. Er hatte wohl nur wenige Momente fantasiert! Sein Kopf rauschte und dröhnte, der Schweiß brach ihm aus, er hatte Magendrücken. Judas erinnerte sich voller Schrecken daran dass er vorhin Fleisch gegessen hatte, im Tempel und ausgerechnet am Fastentag. Ob das der Grund war warum Gott ihn jetzt so plagte? Er schaute die Wände mit den babylonischen goldenen Cherubim ringsum flüchtig an, und bekam dann Angst dass diese ihn angreifen würden, wenn er sie fixierte. Lichtflecken und Funken huschten durch sein Gesichtsfeld. Zittrig kroch der Junge auf die Beine, und floh nun fast aus dem Debir. Er schlich sich von hinten an den Gnadenthron auf dem sein Vater wieder saß. Josef war bester Laune, er grinste und kicherte vor sich hin. Er war dabei die alten Männer im stickigen Raum durch die Klunker an seiner Halskette zu studieren, die nun vor allem müde und entgeistert wirkten, aber dennoch weiter schwafelten und mit alten Schriftrollen beschäftigt waren. Sein vorne kahler Kopf glänzte, und die große Beule darauf leuchtete in purpur und rot, was Judas erneut an die Ephod erinnerte. Ananus erläuterte gerade seine Meinung. Es ging mal wieder darum inwieweit die Thora durch Prophetenworte bestätigt worden war oder nicht... – „Vater, Vater!“ flüsterte Judas drängend, und zupfte seinen Vater am Ärmel. – „Ach, Judas, mein guter Sohn!“ meinte Josef gut gelaunt. Aber er verlor sein Grinsen als er hören musste was Judas Schreckliches geträumt hatte. – „Melchior hat also den Aussatz? Das musste ja so kommen!“ murmelte Josef erschüttert. „Und jetzt bringt er uns seine tote Mutter, damit wir sie auferwecken? Das wird ihn aber eine Summe kosten!“

112.

Josef schluckte mehrmals und rappelte sich auf die Beine. Er erklärte mit sich steigernder Erregung und Lautstärke: „Hört mich an! Schlimmes weiß ich nun, euer Prophet und Heiland auf dem Thron Gy'ttahs! Wahrlich ich sage euch, das Ende ist nah, also lasst uns alsbald aufbrechen! Denn der Tag ist nah da alle Toten auferstehen werden, unser heiligmäßigen Ahnen und ehrwürdigen Vorväter, nach dem Willen Adonais. Sammelt also jetzt die zwölf Stämme der Hebräer, und führt sie hinaus aus ihren Städten! Es eilt, ja, Es drängt uns mit Träumen zur Eile! Aber was tun die Herren Priester? Sie tun das was sie immer tun, sie reden viel und tun nichts!“ Es wurde still bei diesen Worten im Tempel, und die Schriftgelehrten und Priester blickten düster und kleinmütig auf Josef. – „Vater, all die Aussätzigen wollen doch nur dass wir sie heilen. Kannst du das nicht einfach tun?“ fragte Judas leise. – „Natürlich kann Gott das tun“, meinte Josef verärgert. Er dachte grummelnd nach und tönte dann: „Die Aussätzigen sollen Zwiebeln essen, davon werden sie geheilt werden. Deshalb bauen die Palästiner ja bei Askalon und im Gaza-Streifen viele Zwiebeln an, damit der Aussatz sie verschont.“ – „Und das soll funktionieren? Das hätte doch schon lange vorher auffallen müssen“, warf Ananus ein. – „Musst du immer meckern, du Bösewicht? Jetzt sei mal still und vertrau deinem Gott. Ich, der Herr, kann alle Aussätzigen heilen, und zwar mit Zwiebeln! Das funktioniert aber nur wenn sie alle Gebote der Thora genau einhalten.“ – „Heiliger Josef, die Weisheit Gottes ist mit dir!“ meinte nun der Hohepriester Joazar andächtig, da Ananus einen roten Kopf bekam und vor Wut schnaufte. Der Pharisäer Katzaffer fragte dann: „Du willst uns also in die Wüste führen. Aber sag uns zuvor wie du dir die Weiterreise nach Ägypten vorstellst. Sollen wir denn in den wasserlosen Sinai ziehen und bis zum Schicksalsberg des Moses, um dann darauf zu hoffen dass das Rote Meer wie damals vor uns völlig zurück weicht?“ – „Ja genau!“ meinte Josef abgelenkt. Daraufhin murmelten die Priester und Schriftgelehrten wieder, und viele wirkten skeptisch. – „Die Wüste dort ist aber voller Troglodyten und Araber, und außer ihnen weiß keiner wo es dort Wasser gibt!“ erklärte Katzaffer fuchtig. – „Na und? Ich schlage einfach auf einen Felsen, und schon wird einen Quell lebendigen Wassers daraus hervor sprudeln! Ich brauch nur drauf zu pinkeln, das ist sympathische Magie!“ versicherte Josef vollmundig, und steckte sich seine Schriftrolle steil zwischen die Beine. – „Aber wie willst du uns von da nach Ägypten führen? Das Rote Meer ist an dieser Stelle überaus tief. Der Meeresgrund fällt schnell nach unten ab und wird unauslotbar!“ – „Dann laufen wir eben einfach über das Wasser! Auch das ist möglich durch Gottes Wundermacht!“ rief Josef frohgemut aus. Daraufhin wurde das skeptische Gemurmel im Saal noch lauter. Der finstere Esséner Simon sprach nun mit seiner hohen, etwas quäkenden Stimme das aus was viele seiner Sektenbrüder zu denken schienen: „Herr unser König, wenn du dies denn sein willst! Du scheust ja doch davor zurück dich unserem wahren Feind zu stellen, nämlich den Römern die von uns parasitieren wollen.“ – „Wenn du hier davon fantasierst übers Wasser zu gehen, dann beweis uns zuvor dass es möglich ist! Tu mal noch ein Wunder!“ rief Katzaffers alter Kumpan Jeshimon. – „Ich ließ schon damals das Roten Meer zurück weichen für meine Propheten Moses!“ ereiferte sich Josef. „Und deswegen ist das Rote Meer jetzt nicht hier! Ich kann jedoch das Meer des Himmels über euch kommen lassen, als Gottes neue Sintflut, die euch für eure zahlreichen und großen Sünden hinweg rafft! Und eure schlimmste Sünde, die ich bei euch zur Kenntnis nehmen muss, die ist ja zweifellos euer Unglaube, ja es ist eure typische bockige jüdische redselige streitsüchtige Widersetzlichkeit!“ Josef hatte sich wiederum heftig ereifert. Er schaute nun herum im Hekal, abgelenkt von den glitzernden Schätzen ringsum. Seine Blicke blieben hängen an dem jungen Esséner, der sich gerade tief bückte. Josef leckte sich die Lippen und murmelte: „Gibt es denn hier nirgendwo Wein? Nein, und ich darf mir noch nicht mal welchen zaubern! Verdammte Hacke.“ Die Würdenträger und Helfer wirkten noch weniger von ihm überzeugt als zuvor. Judas flüsterte: „Papa du brauchst doch das Heiland-Gewand. Ich glaube sie werden dir lieber gehorchen wenn du doch die Ephod trägst.“ – „Die Römer geben aber das Gewand nicht her...“ Josef kämpfte mit sich, und sprach dann stockend weiter: „Also... müssen wir doch... erst noch die bösen Römer besiegen!“ Bei diesen Worten wurde es wiederum still im Saal. Dann brachen die Esséner hinten in verhaltenen Jubel aus. Manche Pharisäer riefen ebenfalls aufrührerisch, aber die große Mehrheit der älteren Männer wirkte wie zuvor skeptisch und von Furcht erfüllt. – „Es geht dir dabei vor allem um die Ephod, nicht wahr?“ fragte Joazar halblaut, der jetzt wie ein Höfling neben dem Gnadenthron stand. – „Ja genau“, murmelte Josef fahrig. Er atmete heftig, ein Schwächeanfall hatte ihn erneut zurück auf den Thron geworfen, er wirkte schwerfällig und wie gelähmt, so als ob ihn dort eine unsichtbare Macht festhalten würde. – „In den Ephod steckt eine große Macht des göttlichen Heils“, meinte Joazar nun, aufmerksam bis vertraulich. Da nutzte der junge blauäugige Esséner die Gunst der Stunde. Er begann unvermittelt zu predigen, vom heiligen Geist ergriffen; er eiferte mit heller Stimme: „Wahrlich, wahrlich, steht nicht auch aufgeschrieben im Buch der Richter, Kapitel 9, wie Gideon Glück hatte mit dem Ephod? Gideon, der große Kriegskönig Israels, überfiel einst die Schar Midians, und dann auch die Kinder Ephraims, also die Hebräer von jenseits des Jordans, die Sünder gewesen waren, weil sie Gideon im Krieg unterlagen. Gideon gewann dabei viel Gold. Und daraus ließ er sich seinen goldenen Ephod fertigen, den von Ofra. Ganz Israel betet damals zum Ephod und noch zum Baal Berit, dem Herrn des Bundes. Und die Räuber Midians waren gedemütigt und gaben Ruhe 40 Jahre lang, also solange wie Gideon lebte.“ – „Wahrlich!“ murmelten dazu viele Priester und Würdenträger, aber mit großem Unbehagen. – „Papa, mach doch einfach dasselbe wie damals Gideon!“ schlug Judas spontan vor. Joazar aber gab erschrocken zu bedenken: „Gideon verfertigte doch damals ein goldenes Götzenbild! Und steht denn nicht nach dieser Stelle auch geschrieben, im Buch der Richter: „Das geriet Gideon und seinem Haus zum Fallstrick.“ – „Ja, ähm...“ Wieder mal war Josef am Ende mit seiner Weisheit. Joazar wandte sich um zur silbern glänzenden Menora, und schien sich nun fast vor ihr zu fürchten. Da gab es plötzlich Bewegung am Vorhang. Tempeldiener führten eine überbreite und völlig mit schwarzen Schleiern verhüllte Person hinein. Vor dieser her tänzelte Balthasar, immer noch als grauer Wanderer verkleidet. Er rief: „Sehet her, ihr Templer und Pharisäer! Ich erhielt doch von eurem Gott die Weisung die Dämonin Lamaschtu herbei zu zitieren. Und weil ich den Gotteslohn erhielt deswegen habe ich Wort gehalten, ich, der mächtige Zauberer Balthasar, der König der Chaldäer!“ Mit einer gut geübten Geste riss sich Balthasar seinen grauen Umhang von den Schultern, und während er ihn über seinen Kopf wirbeln ließ verwandelte er sich vom alten Graukopf in seine wahre Gestalt. Erschrocken bis andächtig schwiegen die Kleriker im Saal. – „Schon wieder geschah ein großes Wunder!“ rief Jeshimon voller Freude. Josef duckte sich jedoch ahnungsvoll in seinem Gnadenthron. Und dann begann er zu jammern, als nämlich Balthasar nun die Schleier der angeblichen Dämonin fallen ließ. Josef erkannte sofort dass dies die Person war die ihn, damals im Morgengrauen in Bethlehem, mit der Waffe aus der Stadt vertrieben hatte. Diesmal war diese Person wie eine Frau gekleidet, ein hoch geschnürtes Gewand aus blauer Wolle verbarg und stützte ihren enormen Busen. Ihr Gesicht war dick und glänzte wie geölt, sie hatte ihre graumelierten Haare streng gebändigt. „Der Leuhem, das sind die Löwen, besitzt mich zu gewissen Zeiten“, erklärte sie gleichmütig.– „Nemanja ist auch eine fähige Henkerin, wenn ihr eine braucht!“ erklärte Balthasar froh. – „Und ich kann sogar tanzen!“ erklärte die Dicke, mit ihrer jetzt fast samtig weichen Stimme. – „Das ist gut. Also lass uns tanzen für den Frieden, Lehem!“ Mit ungewöhnlicher Agilität sprang Josef aus seinem Gnadenthron, sichtlich angetrieben von furchtsamem Eifer. Er packte die überraschte Frau bei den fleischigen Händen. Laut rief er: „Dai, dai dai dai!“ und legte mit der dicken Frau einen flotten Tanz aufs Parkett. Dabei sang Josef freudig: „Shalom al Lehem!“ Viele Kleriker sangen mit. Jetzt waren sie wieder froh mit Josef und Judas, und ihr Halleluja und Hosianna dröhnte laut, bis Ananus schimpfte: „Hütet euch lieber vor dieser falschen Dämonin!“

113.

Josef japste bald nach Luft in dem verräucherten Raum, er taumelte aus dem Tanz hinaus. – „Ich komm mir vor wie König Saul, als die Macht plötzlich von ihm gewichen war“, keuchte er. Joazar legte ihm besorgt die Hand auf die Stirn, ja, der große dunkle Hohepriester streichelte Josef fast am lädierten Kopf, und sprach sanft und leise zu ihm: „Du hast bestimmt nur ein Fieber. Mach dir also nicht solche Sorgen und zerbrich dir den Kopf.“ – „Josef schwitzt gewisslich deswegen weil er nur ein Hochstapler und Schwindler ist, ein unwürdiger Bettler vor unserem Herrn! Und ist das nicht genau das was uns dieser falsche Engel und die ebenso falsche Dämonin gerade bewiesen haben?“ So raunzte Ananus von der Seite her, der jetzt ebenfalls Josef immer näher rückte. – „Sind wir denn nicht alle auch unwürdig? Und sind wir nicht alle auch mehr oder weniger Schwindler?“ erwiderte Joazar furchtsam. – „Ich bin würdig durch meine Werke!“ meinte jedoch stolz der haarige Nasoräer Onan, der wieder auf seinem Lieblingsplatz auf dem Boden saß. „Denn gerechtfertigt ist jener der dies von sich glaubt, und ihm sind alle seine Sünden vergeben!“ – „Schweig doch jetzt, du Wichser! Hinaus mit dem Dreckskerl! Ab ins Bad! Dann ist hier gleich bessere Luft!“ schimpfte da Ananus. Der Großrabbiner verkrampfte vor Zorn die Hände in den Fransen seines Gebetsschals. Sogleich wurde der sich sträubende Nasoräer von Tempeldienern aus dem Raum geführt. Josef war gerade abgelenkt, denn Balthasar bat ihn leise aber drängend um eine Erfolgsprämie. Der junge blauäugige Esséner trat zum etwa gleichaltrigen Judas und stellte sich freundlich vor: „He du! Ich bin Matäos. Das ist ein griechischer Name, und er bedeutet so viel wie: Narr.“ – „Du bist hier am rechten Platz“, meinte Judas, der schon erleichtert war dass der Junge kein weiterer Konkurrent war. – „Schau mal was ich habe! Dies verehren dir die Tempeldiener!“ Matäos reichte Judas ein enges geflochtenes Halsband. „Da hast du auch was, sagen sie, so wie dein Vater diese billige Halskette hat.“ – „Was ist denn das?“ fragte Judas, dem dies nicht behagte. – „Ein Hundehalsband“, erklärte Matäos, und schien dies als Ehre aufzufassen. Da legte Judas spontan Matäos dieses Halsband um. Salbungsvoll bis zynisch erklärte er ihm: „Das darfst du tragen! Du kannst die Versammlung hier organisieren. Hier sind alles Schafe, und die brauchen einen Hund der sie mal ins Bein beißt damit sie gehorchen. Hiermit ernenne ich dich zu meinem ersten Priester!“ – „Krieg ich auch ein Gehalt?“ fragte Matäos. – „...du kannst dir doch bestimmt Geld zaubern!“ meinte Josef gerade laut zu Balthasar. Simon der Esséner nutzte die Unruhe um Josef aus, um nun vor die Würdenträger zu treten. Judas sah dass der Traumdeuter trotz seiner Jugend schon graue Haare an den Schläfen hatte, und er wunderte sich warum ihm dies vorher nicht aufgefallen war. Er wollte Simon nun fragen was sein Wachtraum von vorhin bedeutete, aber das wagte der Junge vor all den Erwachsenen nicht. Simon sah energisch aus und beunruhigt, als er erläuterte: „Wir Esséner haben uns beraten und alle geeinigt. Wir sind bereit gegen Rom zu kämpfen, wenn dies Gottes Ratschluss für uns ist. Aber das bedarf eines Zeichens.“ Er streckte fast anklagend einen Finger vor gegen Josef, und führte weiter aus: „Dieser Herr sagt dass er Regen machen kann, und das kann als bewiesen gelten. Aber er sagt auch dass er Israel in den Krieg führen soll. Das muss festgestellt werden.“ – „Die Urim und Tummin müssen befragt werden“ rief wiederum der junge Sadduzäer. Viele andere im Raum stimmten ihm zu. – „Ja genau!“ rief Josef. Erneut hob er seine Glasperlen-Kette und kniff sich zwei schimmernde Glasstücke vor die Augen, ein rotes und ein gelbes. Dann entrollte er seine Schriftrolle und spielte den Pharisäer. „Zaulazau kaulakau, ummim tummim, bummim bullot zauwawot!“ brabbelte Josef nun vor sich hin, so als ob er vorlesen würde. – „Das ist doch der Höhepunkt seiner Vorstellung hier“, sagte Simon, verächtlich schnaufend vor Wut. Er verstummte, als hinter dem großen Vorhang Unruhe aufkam. – „Achtung! Bleibt zurück!“ schrien dort die Leute. Dann fingen auch die Männer im Hekal an zu schreien, und sie rannten weg von der Stelle wo der Vorhang hoch gebunden war. Judas reckte sich und konnte doch erst gar nichts sehen. Und dann ging alles viel zu schnell! Ein junger schwarzer Stier galoppierte ins Heiligtum hinein. Wütend war dieses mächtige Tier, und es hatte lange weiße Hörner. Nach links und rechts schwenkte der schlanke Stier den langen Kopf, um die kreischenden Priester ringsum zu vertreiben. Die Würdenträger duckten sich zu den gesammelten Schätzen und Weihegaben, oder sie warfen sich einfach auf den Boden. – „Papa, ein Untier!“ schrie Judas. Aber bevor Josef noch reagieren konnte, da war der Stier schon direkt vor ihm. Das Tier war aufgeregt, kräftig, schnell und trug noch zwei lange Haltestricke um den Hals. Josef erschrak, er schrie nun angstvoll auf und wedelte unkontrolliert mit seiner Schriftrolle. Da stach der Stier nach dem herum flatternden Papier, er fetzte es hin und her und trampelte dann noch darauf herum. Judas nutzte die Gelegenheit um seinen zappeligen, verstörten Vater hinter den Hochaltar zu zerren. Der Weg hinaus aus dem Tempel war völlig verstopft, denn dort staute sich die Masse der in Panik geratenen und schreienden Würdenträger. Also zog Judas seinen Vater weiter nach hinten, durch die offene Tür in den fast dunklen Debir hinein. Judas setzte dort den feige jammernden Josef auf das Podest. Hier saß schon Nemanja, die Henkerin von Bethlehem, sie wirkte träge und mutlos. Judas versuchte die offen stehende Tür zu schließen, aber die war festgerostet und ließ sich nicht bewegen. Dann wurde er fast umgerannt als nun Simon der Esséner in den Raum stürmte. Vorwurfsvoll trat der finstere Simon vor den heftig keuchenden Josef, und herrschte ihn an: „Du wolltest doch ein Zeichen von Gy'tt, nicht wahr? Reicht dir das als Zeichen?“ – „Ich krieg keine Luft mehr! Bitte Gy'tt, ich will noch nicht sterben! Komm uns zu Hilfe mit deiner Wundermacht! Herr, tu ein Wunder und hilf nun Israel!“ japste Josef. Da fiel er rasch in Ohnmacht und verschied. Judas kannte solche Schlafanfälle zwar von seinem Vater. Aber als Simon sich über den leblosen Josef beugte, und an seinem Mund horchte und an seiner Brust, da wurde Judas doch nervös. – „Bah wie der stinkt, aus dem Maul! Das ist nicht zu glauben!“ teilte der Esséner ihm mit. Nun schlüpfte auch Joazar in den Raum, er wirkte ebenfalls atemlos. – „Der Betrüger hier ist tot“, teilte Simon ihm mit düsterer Stimme mit. – „Was? Papa, das darf nicht sein!“ Judas begann zu schluchzen. Daraufhin musterte Joazar nur flüchtig den Toten. Hastig wälzte er Josefs Kopf halb herum und rupfte ihm die bunte Kette vom Hals, mit den dürren Worten: „Das da gehört aber dem Tempel.“ Nun stürmte noch der Katzaffer in den Raum, er war außer sich vor Erregung. „Das ist ein Zeichen des Elohim!“ plapperte er. „So wie Herakles den minoischen Stier bezwingen musste, so schickte Adonai diesen Re'em zu uns. Wer ihn überwindet ist es würdig unser neuer heiliger König zu werden!“ – „Niemand kann einen Re'em bezwingen“, entgegnete ihm Joazar mit matter Stimme. – „Verschon uns bitte mit diesen heidnischen Märchen!“ schnaufte Simon entsetzt. – „Der Re'em ist ein jüdisches Untier!“ erwiderte Katzaffer bestimmt. Sie verstummten jetzt und lauschten, als zu hören war wie der schrecklich schnaufende Stier draußen herum lief. Judas verstand nicht wie sie so reden konnten, er fand dies ungehörig! „Achtet doch die Würde dieses Toten!“ bat der Junge sie jammernd. Katzaffer schnaufte nur wie der Stier draußen, er hatte ebenfalls Atemnot bekommen. Joazar war gerade dabei den Debir durch bunte Glassteine zu studieren. „Bummi? Bummoth? Zauwawot!“ murmelte er vor sich hin. – „Versuchst du etwa diesen falschen Messias von den Toten aufzuerwecken?“ fragte Simon. – „Bei allen Elohim, nichts liegt mir ferner!“ sagte Joazar. Katzaffer fasste Judas in den Blick und raunzte: „Wenn er wirklich unser Gy'tt ist, dann kann dein Vater doch ganz von alleine auferstehen, oder nicht?“ Darauf wusste Judas nichts zu erwidern. Er lief zur Tür und versuchte erneut sie zu bewegen, und rief der Henkerin zu: „Komm doch und hilf!“ – „Ich bin auch ein bisschen eingerostet!“ erklärte ihm diese jedoch sanft. Joazar schaute Josef durch die Glassteine an, mit einer Mischung aus Erleichterung und Pietät. Er murmelte ihm zu: „Herr siehe, dies ist dein Leib, der hingegeben wurde als Opfer für dich selbst! Was uns nun noch zu tun bleibt ist, dein Opfermahl zu verzehren, zu deinem ewigen Angedenken!“

114.

In diesem Moment hörte Judas wie draußen der Jungbulle ganz nahe kam! Er erschauerte aufgeregt und schüttelte sich. Simon und Joazar stemmten sich nun auch gegen die Tür, und schafften es sie etwas zu bewegen. Die Türangel kreischte, und das verschreckte den Stier draußen, jetzt begann er wieder wild zu toben. Man hörte die alten Männer im Hekal schreien und jammern: „Lieber Jahwe! Herr Gottchen, sei bitte nicht böse! Wir geloben täglich zu fasten, von heute bis Pessach! Und ein Extra-Lämmchen kriegst du jeden Tag geschlachtet, als Dankopfer für unsere Errettung!“ Schnell verebbte das Gejammer der Würdenträger, als sich der Tempel leerte. Im Debir hatten es Joazar und Simon mittlerweile geschafft die knarzende Tür mit Lampenöl wieder beweglich zu machen. Fast hatten sie die Bronzetür schon geschlossen. Draußen strömten bewaffnete Tempelwächter in den Hekal, Judas hörte ihre Waffen und Rüstungen klirren. Sie schrien, und es schepperte als Speere geworfen wurden. Da riss Joazar spontan die fast geschlossene Tür wieder weit auf. Er lief nach draußen und schrie wütend: „Sakrileg! Nicht auf die Weihegaben werfen, und die Wände! Sonst wird unser Herr nur noch zorniger!“ – „Dürfen wir das Biest denn hier drin töten, oh Joazar?“ rief ein Tempeldiener. – „Natürlich, ich bitte sogar darum! Je mehr Blut hier drin verspritzt wird, desto lieber mag uns Juden doch unser Gott!“ führte Joazar milde aus. – „Aber nicht doch!“ widersprach Katzaffer, und lief auch hinaus. „Das Tier ist doch ein Re'em. Den kann niemand töten, und das darf nicht geschehen! Der Herr hat ihn uns geschickt als ein Zeichen!“ – „Ja wenn das so ist...“ meinte Joazar weichlich. – „Oh diese Schafe! Diese Idioten! Es ist nicht zu glauben!“ schimpfte nun Simon der Esséner, während er auch aus dem Raum wagte. Dann schrie er draußen: „Hört mich an! Das hier ist kein Re'em, es ist ein ganz normaler Stier. Wisst ihr nicht was ein Re'em ist?“ – „Nein, was denn?“ rief Katzaffer störrisch und ängstlich. – „Ein Büffel! Re'em ist ein altes Wort für Büffel, so wie Leviathan ein altes Wort ist für den Walfisch...“ – „Da irrst du dich“, widersprach Joazar. „Der Leviathan wohnt doch in einer Höhle unter dem Meer. Kein Walfisch tut das...“ – „Du könntest mal versuchen deinen alten Herrn wieder zu beleben. Manchmal klappt das!“ schlug die Henkerin Judas gerade vor. Da schluchzte Judas heftig auf. Er sprang aufs Podest und presste sich an den leblosen Körper Josefs. „Vater bitte, du musst auferstehen! Sonst wollen die Priester dich nämlich auffressen als Opfermahl! Du kriegst noch nicht mal ein ordentliches Grab!“ jammerte er. Er legte sein Ohr an Josefs Mund und lauschte. – „Pass auf, ich weiß wie das geht. Ich hab das in der Kampfschule mal gesehen.“ Die ehemalige Gladiatorin beugte sich über Josefs Mund und blies ihm mehrmals Luft in den Brustkorb. Josef begann derweil laut zu beten: „Bitte Elohim helft, ihr Götter der Juden! Hilf auch du, du Leviathan in der Tiefe. Und hilf Ewoth, du goldener Gott welchen Gideon machte, der Richter und Gewinner.“ Die Idee kam ihm in den Sinn seinen Vater auf die Brust zu hauen, mit der Faust. Dies tat Judas mehrmals, er presste auch Josefs Brustkorb nieder, um so zu tun als ob dieser noch atmen würde. Plötzlich rannten Joazar und Simon wieder in den Raum, sie hatten ihre Debatte über Pillepalle abgebrochen und schrien nun um die Wette. Und einen Moment später stampfte der heftig schnaufende Jungbulle durch die offene Tür ins düstere Debir! Der Stier lief langsam einmal ums Podest herum und jagte so den Hohepriester wieder hinaus. Simon reckte sich zu Judas und riss den dürren Jungen am Arm ebenfalls mit hinaus. „Lauf um dein Leben, dummer Junge!“ befahl ihm der finstere Esséner. Im Hekal lief der verzagte Joazar schon in Richtung auf den großen Vorhang, den man nun gerade ganz zur Seite zog. Ein Dutzend leicht bewaffnete Tempelwächter strömte hin zum Hohepriester. Sie schirmten Joazar sogleich ab mit ihren großen Lederschilden. Der Katzaffer lag leblos auf dem Boden, er war scheinbar an Atemnot gestorben. Judas griff sich im Laufen die zerfledderte Schriftrolle, denn die gehörte jetzt ihm. Dann rannte er mit Simon aus dem Tempel. Sie erreichten den betulichen Hohepriester gerade als dieser die Tempeltore passierte, mit dem Blick nach rückwärts. Draußen nieselte es, stellte Judas erleichtert fest. – „Vorsicht ihr Herren!“ rief ein Priester, doch dies geschah zu spät. Alle drei schlitterten sie nun in die noch frische Blutlache, die hier vom Opfer des Ochsen zurück geblieben war. Joazar kam zuerst zu Fall, und Simon stolperte über ihn und rutschte bäuchlings in einen frischen Dungfladen. Judas aber rettete sich geschickt mit einem Sprung auf Joazars Hinterteil und hüpfte dann einem Opferpriester stürmisch in die Arme. – „Ihr Taugenichtse! Ihr Drescher von leerem Stroh! Ihr Versager vor Adonai!“ schimpfe Joazar leise, während man ihm mit betroffenen Mienen wieder auf die Beine half. Der Esséner Simon in seinem verwegenen Lumpengewand fand nicht so viele Helfer. Simon musste sich selbst aufrichten, und er sah erst jetzt wirklich so richtig bettlermäßig schmutzig und sauer aus. Entsprechend rabiat eiferte Simon anschließend los. Er war es der zuerst das Wort ergriff, als er sich vor die bedrückte Menge ringsum stellte und los eiferte: „Ihr Herren und Knechte, habt ihr jetzt begriffen was das hier sollte? Wir baten um ein Zeichen, und Gy'tt hat uns eines geschickt! Der Bettler und Betrüger Josef da drin ist tot, er verröchelte vor unser aller Augen. Nichts wird also werden aus seinem Plan uns Israeliten zurück nach Ägypten zu führen, durch die Wüste Sinai und über das Rote Meer, und zwar zu Fuß über die Salzflut! Gibt es einen unter uns der das bedauert?“ – „Niemals! Wir sind das Volk dieses Landes! Wir Israelis bleiben hier, in Eretz Israel! Das hier ist unser gelobtes Land!“ Dies riefen froh viele Umstehende. Judas machte sich klein und schaute sich um nach einem bekannten Gesicht, aber vergeblich. Immer hatte sein Vater für ihn entschieden, aber von jetzt an musste er selbst sein Leben in die richtigen Bahnen lenken. Sicher war es besser wenn er sich jetzt rasch dünne machte!

115.

„Kreuzigt ihn! Kreuzigen!“ So schrien etliche Leute bei den unteren Höfen. Judas schoss das Blut ins Gesicht, er sah sich um nach einem Fluchtweg. Dann sah er dass diese Rufe nicht ihm galten. – „Hohepriester Joazar, wir fassten den Tempelschänder von vorhin! Hier ist er, der böse Samariter! Er hatte sich im Raum des behauenen Steins versteckt, er wollte wohl diesen Stein noch anbeten! Doch der hat ihn nicht beschützt vor dem Grimm unseren Herrn.“ Dies teilten nun Tempeldiener mit. Ein zottiger älterer Mann in Lumpen und Ketten wurde vor den besudelten Hohepriester Joazar geführt. – „Euer lästerlicher Vierfürst Herodes Antipas baut seine neue Hauptstadt Tiberias einfach auf unseren Gräbern!“ schimpfte er. „Keinerlei Respekt beweist ihr Juden so vor unseren Toten!“ – „Und du schmeißt daraufhin deren Knochen in unseren Tempel?“ fragte Joazar betrübt. – „Das war natürlich ein jüdischer Knochen!“ Der Samariter hatte damit offensichtlich kein Problem. Die Juden jedoch sahen das anders. Aus vielen Kehlen stieg ein Aufschrei der Empörung auf und hallte über den ganzen weiten Tempelberg. – „Tötet ihn! Kreuzigt den bösen Samariter!“ So brüllten jetzt die Juden vor dem Tempel, und überall in der Umgebung wurde der Ruf alsbald wiederholt. – „Ja, tötet den Verräter!“ schrie da auch Judas. Er merkte im selben Moment dass das ein Fehler gewesen war, als nämlich Simon ihn mit plötzlicher Intensität in den Blick fasste. Geduckt wandte Judas sich um. Aber schon packte Simon der Esséner erneut Judas überraschend am Arm und zerrte ihn neben den gefangenen Samariter. „Und tötet doch auch gleich noch diesen Hochstapler hier. Denn Judas log so frech vor Gy'tt wie keiner zuvor!“ – „Das ist der kleine Fresser am Fastentag! Kreuzigt ihn!“ Auch dieser Ruf wurde gleich von der wütenden Menge aufgenommen und wiederholt. Die Tempeldiener schauten sich fragend um zu Joazar, aber da handelten die einfachen Leute schon auf eigene Faust. Man drehte dem Jungen die Arme auf den Rücken und band sie fest, und wand ihm auch Stricke um den Oberkörper. – „Bitte ihr Herren, habt Mitleid!“ Leise nur bat Judas, die Angst lähmte ihm seine Stimme. Der Großrabbiner Ananus war es dann der überraschend für Judas eintrat. „Wartet! Wisst ihr nicht dass unser neuer Prokurator Coponius ein hartes neues Strafgesetz erlassen hat? In ganz Judäa hat er doch die Todesstrafe verboten. Jedes unserer Todesurteile muss erst von den Römern bestätigt werden! Die Römer sagen, wir streitsüchtigen Zwerge würden zu schnell von Wut erfasst.“ – „Das trifft leider zu, ähm, nur Ersteres natürlich“, meinte Joazar nachsichtig, der schon wieder so milde redete wie gewöhnlich. – „Das verstößt aber gegen die Thora!“ – „So wird ja die Todesstrafe praktisch abgeschafft!“ – „Wenn die heilige Schrift es vorschreibt dann muss ein Sünder gesteinigt werden!“ So ereiferte sich nun die Menge. – „Erklärt das alles den Römern“, meinte Joazar mutlos. „Aber schreibt vorher euren letzten Willen auf, und überschreibt all euer Eigentum dem Tempel.“ – „Wir dürfen das üble römische Recht nicht dulden! Ich sage: Krieg den Römern!“ hetzte daraufhin der aufgeregte Judas aus Gamala, der auch schon wieder in der Menge erschienen war. – „Hört ihn an! Hilf mir, Judas! Ich bin auch gegen die Römer!“ rief Judas flehentlich. „Ich bin doch nur Judas Iskariot, euer netter Attentäter von nebenan!“ Daraufhin starrte ihn der Glatzkopf Judas mit finsterer Miene an, er durchbohrte ihn fast mit seinen dunklen Augen. Der kleine Judas erklärte: „Außerdem hab ich vorhin einen wichtigen Alptraum gehabt. Willst du ihn nicht hören, Traumdeuter Simon?“ – „Sprich noch deine letzte Heisch-Rede, du elender Bettler und Betrüger“, knurrte daraufhin Simon, der jetzt sichtlich wider Willen neugierig geworden war. Daraufhin erzählte ihm Judas von seinem Alptraum von vorhin, in einer sehr geschönten Fassung: „Alle Kranken werden jetzt von uns geheilt werden, und alle Toten werden auferstehen und wieder laufen! Wenn uns der Herr auf diese Weise Hilfe leistet, dann können wir bestimmt im Krieg nicht verlieren, selbst nicht gegen alle zwanzig Legionen der Römer und noch die Heere der Hilfstruppen dazu!“ Diese zweifelhaften Vorhersagen des schmächtigen Jungen wurden ringsum mit Unwillen, und doch mit viel Interesse, zur Kenntnis genommen. Joazar gab sanft zu bedenken: „Elias erweckte auch einen Jungen wieder zum Leben...“ – „Das mag sein, aber doch nur weil es Gy'tt gefiel!“ unterbrach ihn Simon sogleich. Erregt schritt der völlig blutbesudelte und verschmutzte Esséner nun auf und ab, er fuchtelte mit den Händen bis es spritzte, und Umstehende vor ihm zurück wichen. Auf Judas wirkte Simon nun fast selbst wie ein Leprakranker oder eine aus dem Grab auferstandene Leiche. – Du musst Simon mit seinem Glauben heilen! Dies schien ihm eine sanfte Frauenstimme jetzt zu raten, die mit der frischen Luft zu ihm wehte. War das die Lilith gewesen, die Dämonin des Windes? Judas starrte hoch in den Himmel, und wurde verzweifelt weil es nieselte. Jetzt konnte er nicht mehr wie sein Vater versuchen, Regen herbei zu zaubern... – „Ich wiederhole meinen klaren Schluss der Vernunft und der philosophischen Logik!“ führte Simon aus, der sich im herumgehen beruhige. „Wenn dieser kleine Erzbetrüger hier uns weis machen will dass er Tote auferwecken und andere große Wunder tun kann, dann soll Judas uns so etwas zuerst zeigen, als Beweis dass Gy'ttes Macht ihm dies gewährt...“ – „Mit griechischer philosophischer Logik willst du dem Gy'tt Israels beikommen? Das kann niemals funktionieren!“ wehrte daraufhin Ananus mit bitterer Miene ab. Judas starrte mutlos hierhin und dorthin... Drinnen im Tempel schepperte es plötzlich laut, was die Streitenden aufmerken ließ. Schreiend und ächzend liefen anschließend die bewaffneten Tempeldiener aus dem Tempel, einen blutenden Verwundeten schleppten sie mit sich. Man sah kurz den Kopf des wilden Stiers an den offenen Tempeltoren. Er kratzte mit dem Huf bevor er wieder im Inneren des Tempels verschwand. Und dann erblickte Judas plötzlich seinen toten, und offenbar wiederbelebten, Vater wieder! Josef war gemeinsam mit der Schar der Bewaffneten aus dem Tempel entkommen, an der Seite der Henkerin von Bethlehem. In der Regenluft atmete er erleichtert auf und grinste schon wieder! Judas begriff rasch dass dies seine Rettung war vor der Kreuzigung. Fast außer sich vor Erregung schrie der Junge: „Da, seht doch! Da ist euer Wunder! Simon, dort steht mein Vater auf seinen Füßen, den du gesehen hast als er tot war! Der Herr unser Gott ist auferstanden von den Toten, nach seinem eigenen Willen tritt Josef lebendig erneut vor sein Volk! So ein Könner durfte Israel einfach nicht verloren gehen! Hosanna!“ – „Das ist nicht zu glauben!“ keuchte Simon erschrocken, als er sich umdrehte, und glaubte es nun doch. – „Hosanna!“ brabbelte Josef mit schwacher Stimme und hüstelte. – „So was ist nur Gott möglich“, meinten Tempeldiener reumütig zu Judas, als sie nun seine Fesseln lösten. – „Uns beiden Göttern ist in Wahrheit nichts unmöglich!“ tönte Josef, da er sich auf Judas stützte. – „Hosanna dem Sohn Davids!“ Dies riefen nun die meisten Umstehenden und Würdenträger, da viele erneut vor Josef und Judas auf die Knie sanken und sich demütig krümmten. Bald rief die ganze Menge ringsum aus voller Kehle: „Halleluja dem Herrn! Halleluja dem Heiland!“ – „Vergiss aber nicht dass Jesus jetzt mein neuer erwählter Heiland ist“, zischte Josef Judas zu, während sie sich freudig huldigen ließen.

116.

Nun erhielt auch Judas von den Tempeldienern endlich einen Mantel; aufwändig gesteppt und mit Gürteltaschen versehen war dieses Kleidungsstück, und fast zu schwer und zu lang für den Knaben. Dennoch fröstelte er in dem Nieselregen und ärgerte sich, als sein Vater sich nun grinsend von ihm abwendete. Der Hohepriester Joazar, der Großrabbiner Ananus, der Traumdeuter Simon und noch andere ältere Würdenträger scharten sich nun staunend bis anbetend um den Auferstandenen. Und alsbald ging das übliche Geschwätz wieder los. Mit Sorgenfalten im Gesicht erklärte Joazar dem Josef: „Rabbuni, lieber Gelehrter, sieh ein wie schwächlich du bist! Das kann doch wohl nicht wahr sein dass du uns jetzt mitten im Winter in die bitterkalte Wüste Sinai führen willst! Du würdest dort nicht weit kommen.“ – „Ihr dürft mich in einer Sänfte tragen. Außerdem werde ich wieder kräftiger werden, wenn ich jeden Tag Fleisch und Wein zu mir nehme.“ – „Aber was sollen wir denn essen in der Wüste? Wir haben nicht genug Herden und Vorräte für so einen langen Marsch. Erinnere dich an das Gejammer der Hebräer Mosis, als sie sich nach den Fleischtöpfen Ägyptens zurück sehnten.“ – „Manna werdet ihr essen, welches Gott vom Himmel fallen lassen wird“, tönte Josef vollmundig. „Und wenn das am Schabbat nicht reichen sollte, dann zaubere ich einfach noch was Brot dazu!“ – „Das fehlte noch, dass du jetzt auch noch den arbeitsfreien Sabbat brechen willst!“ schimpfte da der kleine Großrabbiner los. Auferstehung hin oder her, Ananus hatte es offenbar nicht verziehen dass Josef ihn einen Bösewicht genannt hatte. Joazar aber meinte begütigend zu Ananus: „Vetter, es gibt doch Schafe und Rinder auch im Sinai, und notfalls können wir die Ägypter noch mal überfallen, so wie es einst die Hyksos taten. Jetzt wo Josef uns anführt sind wir doch unbesiegbare Gotteskrieger!“ – „Da fällst du auf Märchen rein, Joazar!“ mahnte ihn Simon der Esséner. – „Wunder geschehen vor unseren Augen!“ erklärte Joazar überzeugt. „Und bedenke, dass wir Israeliten nach Adonais Willen eben Wanderhirten sind. Unsere Thora verpflichtet uns, so wie es dem Herrn oben gefällt, auf ein Leben als ständig umher ziehende Schafhirten. Für ein Leben als Städter gab uns der Herr ja gar keine passenden Gebote.“ – „Mit Josef wird sich das rasch ändern“, prophezeite Ananus düster. „Bald könnte es in Judäa gar keine Städter mehr geben, wenn wir jetzt die Römer herausfordern.“ – „Das tun wir ja nicht. Wir ziehen rasch weg in die Wüste. Sie mögen uns nachjagen, aber dann soll es ihnen so ergehen wie dem Pharao der Moses verfolgte“, erklärte Josef. „Blub-blub, das war sein letztes Wort.“ Daraufhin wirkten viele der alten Würdenträger überzeugt. Der Esséner Simon aber widersprach: „Das werden die Herodianer und Hasmonäer nicht gerne dulden. Die wollen ja weiter über uns regieren, als Fürsten von Roms Gnaden.“ – „Dann gehe ich einfach jetzt hin zum Fürsten Herodes und sage ihm, so wie einst Moses: Lass mein Volk gehen, sonst wird der Elohim dir sieben Plagen senden!“ Josef war kaum wieder bei Kräften, da fing er schon wieder an sich zu ereifern. Er schritt nun neben den Tempel und schaute blinzelnd in Richtung auf das westliche Tor, das direkt zum Stadtpalast der Herodianer führte. Dort stand schon wieder eine Abteilung der gut bewaffneten Gardisten. Einige der 'Roten' hielten ihre Lederschilde über die Köpfe um den Regen abzuwehren. Die Federbüsche ihrer Helme bewegten sich im Wind. Josef begann zu schreien: „Herodes Antipas, hörst du mich, du kaltherziger Tyrann von Roms Gnaden? Komm heraus aus deinem Versteck und huldige mir, deinem Gott!“ Joazar aber erklärte Judas sorgenvoll: „Dein Vater sollte die Roten nicht so provozieren. Das solltest du ihm mal verdeutlichen. Eigentlich sind viele Rote ja Idumäer, also Araber, die nur den jüdischen Glauben angenommen haben.“ – „Erzähl ihm das selbst, oder spar dir das gleich. Mich kannst du raus lassen aus dieser Sache. Oder warte alter Mann, besorg mir so einen roten Helm, dann rede ich für dich mit Papa.“ So frech redete Judas nun zum Hohepriester, mit der Kühnheit eines erfahrenen Bettlers. Dies ärgerte Joazar nun doch, und er wandte sich einfach ab. Da die Gardisten nicht reagiert hatten wandte sich Josef großsprecherisch und verärgert an die Priester, Rabbiner und Neugierigen ringsum. „Diese ausländischen Frechlinge! Wir müssen sie mit unseren Truppen beeindrucken. Wo sind unsere Truppen?“ Joazar reagierte nicht darauf, er wandte sich ab und zog sich nun eine Haube über den Kopf. Judas aus Gamala aber deutete widerstrebend auf den äußeren Vorhof des Tempels. Hinter die Heidenschranke hatten die Tempeldiener vorhin die jungen Rebellen und Sadokiter abgedrängt, die nun mit düsteren Gesichtern im Regen ausharrten. Josef gab den Tempeldienern Anweisung sie vortreten zu lassen. Danach trat er als stolzer Truppenführer vor die Rebellen hin und polterte: „Zum Angriff! Seid ihr meine Mannen? Dann gehorcht, ihr Tapferen! Jetzt geht der Aufstand erst richtig los! Mit der Macht eures Gottes werden wir auch den nächsten Herodianer von Roms Gnaden stürzen! Nieder mit dem tückischen Vierfürsten Herodes Antipas!“ – „Zum Angriff!“ Zögernd zuerst nahmen die jungen Rebellen den Ruf auf, und dann liefen sie erneut mutig an den Tempeldienern vorbei, die es jetzt nicht mehr wagten sie zurück zu halten. Auch die Esséner und einige Pharisäer liefen sofort zu der ungeordneten Schar, die nun auf das westliche Tor zu stürmte. Der Apostel Matäos wollte Judas ein Schwert reichen, doch dieser meinte stur: „Erst bekomm ich mal einen Stahlhelm! Ich will einen roten Helm wie ihn die Idumäer haben. Gebt mir einen Helm! Habt Mitleid ihr Herren, mit eurem Gott!“ – „Wozu willst du Narr noch einen Helm? Gleich stirbst du sowieso, denn gegen die Palastgarde haben wir keine kleine Chance“, erklärte ihm gleichmütig der hinkende Veteran, als alle anderen schon an ihm vorbei gelaufen waren. Da begann Judas aufzuschluchzen, und schob sich die nassen Hände unter die Achseln. „Ich werde ein Rebell gegen die Rebellen!“ erklärte er. – „Du bist und bleibst eben ein Verräter!“ sagte Josef nachsichtig.

117.

Der halbherzige Ansturm der jungen Rebellen beeindruckte die Roten kaum. Auf kurze arabische Kommandos hin senkten die Gardisten ihre Schilde und Speere. Sie zogen ihre Formation in eine Dreierreihe auseinander und bildeten gekonnt eine waffenstarrende Abwehrformation. So hielten die kampferprobten Gardisten die anstürmenden, schlecht bewaffneten Rebellen sofort auf Abstand. Diese bildeten nun auf den nassen Steinblöcken des Tempelhofs einen lockeren Halbkreis um die Abwehrformation der Gardisten. Der Esséner Simon hastete alsbald zurück zu Josef, der zusammen mit den anderen Würdenträgern unter einem nahen Regenvordach Schutz gefunden hatte. „Der neue Moses willst du uns also sein?“ bellte er voller Kampfwut. „Dann zeig es uns jetzt! Tu ein weiteres großes Wunder.“ – „Ja, und bitte mach meinen alten Kumpan Katzaffer wieder lebendig!“ rief der rustikale Jeshimon. Dicke Tränen rannen ihm über die runzligen Wangen. – „Ich könnte dir helfen. Aber kannst du mich bezahlen?“ fragte Balthasar Josef von der Seite her. – „Ich brauch erst was Wein!“ jammerte Josef, und leckte sich die Lippen. – „Nicht heute am Fastentag!“ wehrte Joazar ab, mit neuer Bestimmtheit. Die 24 Tempelherren des Sanhedrin hatten sich alle um ihn geschart. Jetzt schimpfte der Hohepriester plötzlich auf Josef ein: „Dieser Aufruhr ist doch sinnlos! Wahrlich, ich kann es nicht mit ansehen dass du aufblühende Jugendliche bedenkenlos opfern willst für diesen hoffnungslosen Angriff. Hast du denn keine Skrupel im Herzen, Josef?“ – „Näh“, sagte dieser nur. „Ich bin jetzt der Gott, und seit wann hat Gott Skrupel?“ Daraufhin warf sich Joazar unruhig herum. Gerade kam auch Unruhe auf unter den Gardisten. Das Westtor in ihrem Rücken öffnete sich einen Spalt weit. Hinaus hastete eine weitere Abteilung von Bewaffneten, dahinter stolzierte der Vierfürst Herodes Antipas auf den Tempelhof. Zum Zeichen dass er Frieden wollte trug der Vierfürst einen dürren Palmwedel in der Hand. „Freunde, Idioten, Kriegsleute! Lasst uns reden!“ rief er mit böser Stimme. „Das hier hab ich nicht gewollt. Das kann doch keiner von uns wollen! Hört auf mit dem Unsinn hier und legt die Waffen nieder, bevor jüdisches Blut fließt!“ – „Recht hat er, der Fürst der Hasmonäer“, meinte Joazar sofort und servil. – „Sei lieber still Joazar, bevor du hier und jetzt gleich dein Amt verlierst“, schimpfte Simon jedoch streng. – „Da müsste unser Weinsäufer aber erst noch ein großes Wunder tun“, meinte Ananus verbiestert. Josef sagte spontan, erleichtert und gleichzeitig ziemlich einfältig: „Wir sind für den Frieden. Wir werden es den Kerlen schon zeigen. Sagt ihnen das.“ Da die Rebellen daraufhin ihre Waffen senkten und zurückwichen, warteten alle bis Herodes Antipas im Schutz seiner Leibwache zu Josef und den Würdenträgern geschritten war. Schon von weitem schimpfte der erregte und fast weinerliche Vierfürst auf die Kleriker ein: „Wollt ihr etwa den dort, als euren Gottkönig, den übergeschnappten Penner Josef? Das kann doch nicht euer Ernst sein, dass ihr mit dem zurück nach Ägypten ziehen wollt! Der schickt euch besoffen und grinsend in den Tod, habt ihr das noch nicht begriffen? Oder seid ihr Juden etwa von eurem Gott verlassene Idioten, nein sogar Vollidioten, wenn nicht sogar völlige Vollidioten?“ – „Schweig doch, du Fürst der unterdrückten Völker Judäas!“ schimpfte Simon der Esséner zurück, der solche Streitreden noch weniger als die anderen Würdenträger ertragen konnte. – „Wenn wir scheitern dann seid ihr Herren schuld daran!“ pflichtete ihm Judas aus Gamala bei. Und sogar Joazar wagte etwas schüchtern ein Widerwort: „Mutiger Spross der Hasmonäer, hast du nicht selbst unseren Josef als heiligen König in unseren Tempel geführt?“ Daraufhin geriet Herodes Antipas nur noch mehr in Aufregung, und er rief noch lauter: „Ich hab euch doch diesen minderwertigen Bettler Josef nur deswegen her gebracht damit ihr erkennt wie nichtig eure Hoffnungen sind! Um Himmels Willen, das sollte ein jüdischer Witz sein!“ – „Der Herr hat deinen Spaß nicht verstanden!“ schimpfte Simon zurück. – „Das alles hier ist vielleicht Gottes Spaß!“ murmelte da eine belegte Stimme von weiter hinten. Josef drehte sich überrascht um und sah dass nun Philo von Alexandria zu ihm getreten war. „Hört mich an, ihr Rebellen!“ rief der weise Pilger, als Josef und die Umstehenden ihn musterten. Philo erzählte dann was Judas selbst mitbekommen hatte, dass nämlich ein mysteriöser Beduine aufgeregte junge Leute bewaffnet und zum Sturm auf den Tempel aufgehetzt hatte. „Der war ein Agent der Araber, und er hat auch das falsche Gerücht ausgestreut dass die Sadokiter schon in der Oberstadt wären.“ – „Das stimmt!“ rief Judas betrübt. – „Da hört ihr es, ihr Idioten!“ schimpfte der Vierfürst, nun wieder mit mehr Mut. „Wenn wir Juden uns streiten steckt doch oft Aretas dahinter, der Fürst der Nabatäer im Ostjordanland, und der verräterische Vater meiner widerborstigen Frau Phasälis. Denn was denkt sich dieser Araber, wenn wir Juden uns wieder mal untereinander zerstreiten? Der denkt dass das nur gut sein kann für ihn und seine Araber und Räuber!“ – „So ist es!“ bestätigte da auch Ananus von unten her. „Wenn wir uns untereinander bekriegen, dann nützt das außerdem den Römern!“ – „Dann machen wir eben Frieden. Die Waffen nieder!“ befahl Josef. Und so endete seine Rebellion.

118.

Der kleinwüchsige Großrabbiner Ananus war unter den dicht gedrängt stehenden Männern kaum zu sehen. Er winkte nun einen athletischen Diener heran, der ihn wie einen Knaben auf den Arm nahm. Von dort aus erhob der braunhaarige Wortführer der Pharisäer, mit seinen feuchten Schläfenlocken und in seinem hellen Leinengewand mit blauen Streifen, seine Stimme. Ananus erinnerte die vom Regen feuchten Priester und Pharisäer, Streiter und Neugierigen ringsum an die jüngste Geschichte Judäas: „Vor zwei Menschenaltern lag wie üblich Judäa im Streit mit den schurkischen, habgierigen und überheblichen Fürsten der Hasmonäer. Denn wir Frommen wollten keinen König dulden außer dem heiligen König, den Gy'tt uns schicken würde. Aber da kamen die Römer unter Pompeius und nutzten unsere Uneinigkeit aus. Nur weil der Hasmonäer Antipas, ein Idumäer war er ja, sich dem Römer gleich an den Hals warf, kam doch der furchtbare Pompeius so leicht in unser Land hinein.“ – „So war es!“ bestätigte Simon der Esséner eifernd. „Vorher herrschte der große Makkabäer Simon über Judäa, und das Land hatte gute Ruhe so lange er lebte. Aber dann gab es Streit zwischen uns Gerechten und den Hochtrabenden. Und da riefen diese Kinder der Finsternis die Römer zu Hilfe...“ Er zeigte anklagend auf den Vierfürsten Herodes Antipas. Dieser trug ein mit Goldfäden gesäumtes und gebleiches Kopftuch aus Baumwolle, das er nun zurückwarf. Seine dunklen Locken war nach römischer Sitte sehr kurz geschnitten. Er wirkte nun etwas mutlos und musste erst überlegen, bevor er Simon erwiderte, mit einer wieder wie üblich zynischen Stimme: „War es nicht damals so wie es immer gewesen war, im Land von Wein und Honig im Kopf, dass die Frömmler und Radikalen, die Habsüchtigen und Idioten der verschiedenen Sorten, nicht nur mit allen Nachbarn und noch mit den Römern gleichzeitig in Streit und Krieg verharrten, sondern auch untereinander und sogar innerlich zutiefst zerstritten waren?“ Gleich brandete ringsum erregter Protest auf. – „Diese Rede ist schon der nächste Grund für einen Volksaufstand!“ hetzte der Glatzkopf Judas aus Gamala. Der Vierfürst musste warten bis sich die Gemüter beruhigt hatten. Froh schien er jetzt zu sein über den Regen, er lächelte als ihm Tropfen das glatt rasierte Gesicht hinunter rannen. Herodes Antipas ignorierte den Radikalen, er redete mit milder, beschwörender Stimme gegen Ananus an: „Pharisäer, du lehrst hier viel dummes Zeug von unserer Geschichte. Erinnere dich aber daran dass damals die Römer mit der Macht ihrer unbesiegbaren Legionen in den Osten drängten. Pompeius erledigte das mächtige Reich der Seleukiden in lediglich einem Jahr! Welchen Sinn hätte es ergeben wenn Judäa sich ihm damals widersetzt hätte? Als der einfältige Rebellenführer Aristobulus damals aber dennoch euch Pharisäer und Idioten und Thora-Sklaven zum Widerstand aufwiegelte, da erst wurden die Römer so richtig böse. Nur weil Jerusalem Widerstand leistete hat Pompeius doch damals unsere Heilige militärisch belagert. Und als kam was kommen musste, da hat er hier ein Blutbad angerichtet und den Tempel Zorobabels zertrümmert. Vergleichbar war es dann ein Menschenalter später, als Markus Antonius und seine ägyptische Dirne Kleopatra unser Jerusalem nochmals eroberten. Wollt denn ihr Pharisäer und Rebellen und Fanatiker jetzt dasselbe furchtbare Schicksal schon wieder vom Himmel auf uns herab beschwören?“ Da musste doch nun Josef widersprechen. Etwas verschämt führte er aus: „Es war damals doch so wie es immer gewesen war in Judäa, dass das Volk Gy'tt untreu geworden war. Darüber belehrte uns schon der Priester Nehemia, im neunten Kapitel seines Buches: Du führtest sie in dieses gelobte Land... Sie aber wurden ungehorsam und widerstrebten dir und warfen deine Gebote hinter ihren Rücken... Da gabst du sie in die Hand ihrer Feinde... Da schrien sie zu dir, und du schicktest ihnen Retter... Wenn sie aber zur Ruhe kamen taten sie wiederum Böses vor dir... also überließest du sie der Hand ihrer Feinde, die über sie herrschten...“ Starke Zustimmung kam nun ringsum auf. Die 24 Ältesten bekräftigten: „...und so weiter und so weiter. Wo Josef recht hat hat er total recht. All die vielen Niederlagen Israels können eben so einfach erklärt werden.“ – „Ja genau!“ tönte nun Josef, der gleich mutiger und machtvoller wirkte: „Aber so wie in Israel immer in der Not ein Richter, Prophet oder Idiot auftrat, so hat Gy'tt mich jetzt als euren Idioten, ähm, nein, Retter...“ Josefs eifernder Redeschwall versiegte als sich Herodes Antipas nun vor ihm aufbaute, und ihm den erhobenen Daumen vorzeigte. Der infestus pollex galt nicht nur unter Römern auch als Stinkefinger, und Josef erinnerte sich nun an gewisse peinliche Vorfälle in seiner Vergangenheit. Der Vierfürst beschwor mit Blicken die 24 Ältesten des Sanhedrin, und die sonstigen Kleriker und Würdenträger, die in einer Menschentraube hinter Joazar standen: „Bei unserem Gott Elohim, an den ich genau so glaube wie ihr, der aber jetzt gewiss sehr fern ist von uns. Reißt euch mal zusammen! Israel ist voll von Fanatikern und Eiferern, und es kann total übel enden wenn ihr Priester sie auch noch aufhetzt. Dann gibt das hier verbrannte Erde! Unser Tempel wird erneut in Scherben fallen, kein Stein wird auf dem anderen stehenbleiben, und die Römer werden unsere Jungmannschaften in ihren Arenen verheizen, und sich daran ergötzen!“ Mit beschwörender Intensität wetterte der Vierfürst Herodes Antipas ein auf die nassen ergrauten Köpfe, und es war zu merken warum dieser Hasmonäer bei Römern, Judäern und Arabern gleichermaßen angesehen war. Die Pharisäer, Esséner, Sadokiter und auch die Gardisten blickten nun alle auf Joazar und Ananus. Der Hohepriester verharrte stumm und wirkte stur. Der kleine Großrabbiner jedoch schniefte, nieste und nickte. Judas aus Gamala tönte: „Bestimmt ist die Fremdherrschaft der Römer Gy'ttes Strafe, und noch schlimmere Strafen könnten uns jetzt noch bevorstehen. – „So ist es“, bestätigte Ananus. „Aber nicht durch einen militärischen Aufstand können wir Adonai nun versöhnen, sondern nur durch besseren Gehorsam. Und wer wenn nicht wir Priester könnte sicher feststellen, ob Gy'tt mit uns zufrieden ist oder nicht? “ – „Du denkst völlig verdreht und falsch, du Bösewicht!“ schimpfte da Josef. „So wie du dachte ich auch vorher. Aber man muss die Thora rückwärts lesen, das hab ich jetzt begriffen. Seid ihr Juden gerechtfertigt vor Adonai, oder mangelt es euch an Gehorsam? An unserem Schicksal könnt ihr es ablesen! Wenn es Unheil gab, und wenn uns die Feinde überwältigt haben, dann kannst du erst daraus ableiten dass Israel wohl die Gebote nicht richtig befolgt haben muss. Wenn aber die Macht der Feinde verfällt, ist das der Beweis dafür dass Gy'tt alles verziehen hat. So einfach ist das wenn man weiß wie man, richtig falsch rum, denken muss.“ Zur Verdeutlichung hob Josef seine Rechte und zeigte allen den Daumen, aber er drehte ihn nach unten. Viele Pharisäer murmelten zustimmend bis nachdenklich. Simon aber munkelte: „Rückwärts reden und denken, das tun oft die Leute vom Los des Belial.“ Da duckten sich viele der älteren Würdenträger; nicht jedoch Josef, der schon wieder geistig abwesend war. Er wirkte gelangweilt und heiter, er schaute in den Himmel, gähnte und konnte offenbar kaum noch stehen. „Ich wünschte es würde wieder aufhören zu regnen“, teilte er der Menge unbefangen mit. – „Mach es doch wenn du es kannst, du Wetterfahne Adonais“, giftete Ananus, der Josef jetzt sehr zu hassen schien. – „Mag es regnen oder nicht, in jedem Fall ist das der Wille eures Herrn, und deshalb ein Wunder das wir getan haben“, erklärte ihm Judas kühn. – „Lasst es nur weiter regnen! Unser karges Judäa sollte mal grüner werden“, meinte Joazar nun, wie üblich mit milder Stimme. – „Du sagst es, lieber Freund!“ bestätigte Josef erleichtert. „Und wir Juden müssen doch zahlreicher werden, so zahlreich wie die Sandkörner am Meeresstrand.“ – „Meinst du etwa den Glassand zum Brennen, den Sand von den Stränden vor dem Berg Karmel?“ fragte Herodes Antipas. Er fiel nun in seinen typischen Zynismus als er weiter erklärte: „Die Syrer aus Tyros lieben diesen Sand, denn sie schmelzen viel Glas daraus. Es ist ein beliebter Mythos dass Judäas Sandkörner am besten brennen, aber leicht könnten wir Juden besser brennen. Judäas Glaswaren sind beliebt, von Tarsus bis nach Rom. Es gibt ja schon etliche Juden in Rom die als Händler damit zu verdientem Wohlstand kamen. Wenn wir Judäer nur maßvoll bleiben und klug handeln, dann werden wir auf diese Weise unseren schönen Wohlstand noch mehren. Auch aus Rom kommen ja schon immer mehr Weihegaben für den Tempel.“ – „So ist es! Das ist doch gut!“ bestätigte nun Joazar, überraschend laut. „Also sind wir doch für den Frieden! Legt die Waffen nieder! Ihr da, vertragt euch wieder mit euren jüdischen Brüdern!“ rief der Hohepriester nun. Er trat hinaus in die Menge und ging mit gemessenen Schritten zu den jugendlichen Rebellen, gefolgt von den Ältesten und der Masse der Würdenträger. Alsbald gehorchten die meisten der Rebellen, sie ließen ihre Schwerter sinken und senkten auch die Köpfe. Nur die finsteren Gefolgsleute des Judas aus Gamala fingen ein Scharmützel an mit den Gardisten. Aber rasch trieb man sie mit Lanzen in die Flucht, und auch ihr Anführer musste Fersengeld geben. Allgemein zeigte man sich darüber erleichtert. Judas fand es erstaunlich dass der Glatzkopf Judas, der doch eifern konnte wie ein geborener Führer, nur Gesindel der übelsten Sorte für sich gewinnen konnte. „Das war auch ein Zeichen“, brummte er. – „Gott will es, was immer auch passiert“, meinte Josef frohgemut. Joazar erklärte: „Der Weg des Herrn ist krumm.“ Nur Simon der Esséner murrte und war nicht einverstanden. Halblaut wagte er zu munkeln: „Auch wenn eure jüdische Logik euch auf den bequemen Weg weist, so mag es doch dem Herrn gefallen euch auf einen widrigen Weg zu schubsen. Wenn die Kreaturen nichts begreifen können muss ihr Herr heimlich für sie mitdenken.“

119.

Es lag vermutlich vor allem am Regen dass nun die Rebellion so rasch vorbei ging, denn die Nässe ließ keine Hitzigkeit aufkommen in den Köpfen. Viele Kleriker reckten sich während sie von Josef abrückten. Vorhin im verqualmten Tempel waren sie Josef zu Füßen gefallen, jetzt an der frischen kalten Luft wollten sie sich daran kaum noch erinnern. Manch einer verneigte sich noch mehr oder weniger unwillig vor dem Vierfürsten, bevor er hastig davon eilte, zurück zu seinen Schriftrollen oder Opfermessern. – „Schau Papa, da kommt Mama!“ rief nun Judas erleichtert. Josef stellte fest: „Und Mama hat offensichtlich Geld, so wie Jesus das ja vorausgesagt hat.“ – „Ach, was weiß denn der kleine Dummkopf!“ murrte jedoch Judas nur. Tatsächlich wurde nun Josefs Frau Maria von ein paar Tempeldienern in Reisemänteln vorgeführt. Jetzt war Maria sauber und kostbar gekleidet. Auf dem Kopf trug sie ein edles Kopftuch, das mit goldenen Borten und Sternchen bestickt war. Hinter Maria lief Assia, ganz vermummt in einen teuren Kindermantel. – „Ach meine liebe Frau. Ich hatte eigentlich meinen Mann erwartet...“ erklärte Josef mit plötzlich reumütiger Stimme. Maria schnitt ein finsteres Gesicht als sie Josef wieder sah. Mürrisch stieß sie ein „Pah!“ heraus. Ihren Sohn Judas umarmte sie zuerst nur ganz kurz, aber dann küsste sie ihn doch heilfroh auf die Stirn. „Ich dachte du kämst gewiss ans Kreuz.“ – „Ich bin doch nicht blöde wie Papa“, meinte Judas. Als Maria unter das nahe Regendach trat wickelte sie auch die Beule auseinander die sie am Körper trug. Es war ihr Knabe Jesus, der unten braun war und unfroh. Als er jetzt in all die missmutigen bärtigen Gesichter schauen musste, da begann Jesus laut zu quäken, und er drehte sein Gesicht weg. – „Seht ihn euch an! Das ist er, Jesus, euer heiliger König, der ewige Jude von Juda!“ Josef bemühte sich nur so halb um echte Begeisterung. – „Was? Der Windelkacker soll unser neuer König David werden?“ – „Das hat jedenfalls noch Zeit. Da lach ich doch!“ Dies riefen nun mehrere der Umstehenden, enttäuscht bis erleichtert. Endgültig steckten nun viele der jungen Rebellen ihre Schwerter weg und machten sich auf den Heimweg. – „Wartet! Bitte habt doch Mitleid!“ rief Josef ihnen hinterher, den wieder neue Hoffnung erfüllte. Er überlegte laut: „Ihr ähm, müsst euren Jesus sehen als den neuen Moses! Auch dieser wurde ja schon im zarten Alter als künftiger Herrscher Israels erkannt. Heißt es nicht von Moses in einer frommen Legende: Als Moses drei Jahre alt war, da war er so schön und edel dass niemand ihn ansehen konnte ohne dass er in Verzückung geriet und im Anschauen verharrte! Weil Moses nun von so edler Gestalt war und so verständig wirkte, da adoptierte ihn die Prinzessin Thermutis, die kinderlose Tochter des Pharaos...“ Bei diesen Worten blieb es. Josef sackte nun der Unterkiefer nach unten! Denn gerade jetzt traten Edelfrauen aus dem Westtor auf den Tempelhof, sie wurden geleitet von Militärs in nassen Rüstungen und von städtischen Würdenträgern. Kindlich heiter wirkte die schmucke Prinzessin Herodias. Auch die alte Salomé war wieder dabei. Heute trug die Patriarchin nur eine dunkle Robe; sie sah bitter aus, so als ob sie Bauchschmerzen hätte. Doch angeführt wurde die Prozession hinüber zum Tempel von Phasaelis, der arabischen Gemahlin des Vierfürsten. Heute trug die dunkle starkknochige Nabatäerin eine schwarze Robe mit einem weißen Pelzkragen und eingestickten Silberfäden, und dazu ein silbernes Diadem auf ihrem dunklen Haupt. Phasaelis sah mürrisch aus, ja wütend, während sie sich mit dem Vierfürsten unterhielt der hastig zu ihr trat. Erregt brabbelte Josef: „Da kommt das nächste Wunder! Sie kommen nun wegen Jesus, um ihn anzubeten; und sie bringen Geschenke, die heiligen Königinnen. Da ist auch ein Lastträger bei ihnen, mit einem Sack voller Geschenke!“ Erstaunt starrten alle auf die adligen Damen. Das etwas vom Zorn gerötete Gesicht des Großrabbiners Ananus erhellte sich zuerst. „Oh ja, da kommt noch unser Nikolaus!“ stellte er zynisch fest. „Der hat gerade noch gefehlt in dieser jecken Geschichte!“ Tatsächlich war der alte Mann in dem roten Mantel, mit dem weißen Rauschebart und dem farblich passenden Pelzkragen, eine Berühmtheit in ganz Judäa. Als dreistester Schmeichler und Hoflügner des gefürchteten letzten Königs Herodes war Nikolaus von Damaskus einst zu immensem Reichtum gekommen. Etwas davon trug er vermutlich jetzt in seinem Sack in den Tempel. „Es ist besser wenn ihr dies hier kriegt, als wenn die Römer es einkassieren!“ meinte der rüstige beleibte Rauschebart bedeutungsvoll zu den Priestern und Tempelwächtern die ihm jetzt entgegen traten. Doch zu seiner Verwunderung versperrten ihm die bewaffneten Wächter den Weg, sie bildeten eine Absperrung. Einer erklärte: „Da drin ist es lebensgefährlich! Wir haben ein Biest im Tempel Jahwes, und das ist blutgierig und unverträglich.“ – „Ach ja, das ist ja nichts Neues“, witzelte daraufhin der Vierfürst Herodes Antipas. – „Du! Bring sie doch nicht noch mehr auf gegen uns. Du weißt sie sind oft ohne Verstand, und von Natur aus Rebellen!“ zischte da die Phasaelis. Dann wagte es die Araberin vor die Würdenträger hin zu treten, die sie mit einer Mischung aus Hochmut und Furcht beobachteten. Unvermittelt hielt die noble Phasaelis ihnen eine Rede: „Ihr Priester sagt immer: Wenn die Juden Ärger bekommen, und ihre Feinde sie überfallen, dann weil sie beim Gott El in Ungnade gefallen sind. Aber wie ist es in Wahrheit? Denkt mal nach anstatt nur immer das alte Zeug zu lesen! Wenn Judäa zu voll wird, dann strömen Juden überall hin und fangen Streit an. So ist es jetzt in der Stadt Caesarea, einer Stadt der Syrer. Dort ziehen jetzt viele Juden hin, und sie werden zahlreich, und sie wollen unsere Stadt für sich. Also gibt es Streit und Bürgerkrieg. Und ähnlich ist es schon in Rom, wo die Juden auch immer zahlreicher und lästiger werden. Könnt ihr nicht verstehen wie wichtig es ist dass ihr bleibt wo ihr seid, und nicht immer mehr werdet, damit Frieden herrscht zwischen euch und all euren Nachbarn, und allen Völkern in weiter Ferne?“ – „Nein“, erwiderte Ananus dazu nur. „Unser Gy'tt mochte schon immer die helleren Israeliten lieber als die schwärzlichen Kana'aniter.“ – „Lass sie! Komm du arabische Zankhexe“, flüsterte Salomé von der Seite her, und zog die sehr aufgeregte Fürstin zur Seite weg. Judas beobachtete die ganze Zeit Herodias, bitter bis sehnsüchtig. Schließlich geruhte sie ihn zu bemerken. Verschmitzt lächelte sie und erklärte ihm dann, wie einem Schuljungen: „Bitte, ihr jungen Dummköpfe müsst aufhören zu rebellieren! Wir Edelfrauen wollen doch zusehen wie dieser rasende Stier getötet wird!“ – „Habt Mitleid!“ rief Judas beschämt. – „Ja, habt Mitleid!“ wiederholte Josef. Er konnte es kaum fassen dass all diese Reichen sich schon wieder entfernen wollten, ohne ihm und Jesus irgendwelche Schätze zu überbringen, so wie es doch einem Messias zustand! „Habt Mitleid! Bitte edle Fürstinnen, bitte weiser Nikolaus, hier ist Jesus!“ rief er fordernd. „Jesus ist der Messias, er ist nämlich das Kind eines Engels, und schöner fast als Moses!“ Doch von den drei edlen Damen wollte gerade keine auf Jesus aufmerksam werden. Nur der greise Nikolaus verharrte kurz. Er fingerte etwas grimmig einen weißen Gegenstand aus der Manteltasche, den er dann Maria reichte. – „Der Herr vergelt es!“ murmelte diese und machte einen Knicks. Dann zeigte Maria Jesus was es war: „Schau mal, das ist eine leckere Leckmuschel!“ Josef lachte bitter auf und erschrak, weil es Unruhe gab vor dem Tempel. Dort rannte Katzaffer gerade aus dem Tor. Das Raubein rief freudestrahlend: „Hurra ich lebe noch! Ich hab mich nur tot gestellt!“ – „Nein, der ist auch auferstanden! Das ist mein Wunder! Verdammt, wo ist dieser Jeshimon? Der schuldet mir noch eine Prämie!“ So fluchte nun Balthasar, und dann rannte er los um Jeshimon zu suchen. Dabei vermied der Zauberer eine wachsende Schar von Aussätzigen, Kranken und Armen, die Josef und Judas aus der Distanz lauernd beobachteten. Judas wurde es unwohl als er sah dass ein Krüppel ihn anstarrte, der den er angeblich gestern geheilt hatte. Dieser Gelähmte stützte sich nun wieder auf seine Krücken und sah sehr leidend aus. – „Papa, wir sollten wirklich verschwinden, denn die sind uns auf den Fersen“, meinte Judas angstvoll. Josef stutzte. Er hatte gerade eifern wollen wie üblich. Aber er hatte keine Zuhörer mehr, denn die Kleriker und Würdenträger hatten sich alle abgewandt von ihm. Nur Simon und dessen Esséner verharrten nun noch als geschlossene Gruppe in der Nähe von Josefs seltsamer Familie. Einige wenige junge Rebellen harrten auch noch bei Josef aus, immer noch bereit für eine plötzliche erneute Eskalation der Krise. – „Es geht jetzt darum ob wir uns ganz aufgeben oder weitermachen“, erklärte der junge Matäos mit mutloser Stimme. Simon antwortete: „Der Herr muss in dieser Sache das letzte Wort behalten.“ – „Dann sage ich, ähm...“ Josef erhob seine Stimme und verstummte wieder, während er sich kratzte und herum hampelte. Dann begann er plötzlich doch noch zu eifern, mit erst stockender und dann kräftig tönender Stimme: „Also sage ich mit Hiob, Kapitel 17: Mein Geist ist verstört, meine Tage laufen ab, Gräber warten auf mich! Kehrt ihr nur alle wieder um und geht heim, ich finde doch keinen Weisen unter euch... da ich zur Grube sagen muss: Du bist mein Vater! Und zu den Würmern: Ihr seid meine Mutter...“ Josef zog sich sein Halstuch hoch vor seinen Mund. Jetzt bereute er es dass er sich nicht noch ein paar teure Kleinigkeiten eingesteckt hatte von dem Glitzerkram im Tempel. Aber er war ja kein Dieb, er war ein ehrlicher Bettler! – „Herr, lass mich deine Herrlichkeit sehen!“ rief ein Bettler ehrfurchtsvoll, der auf die Knie sank als Josef mit seiner Familie an ihm vorbei eilte. Josef erinnerte sich gleich an diese Worte, die angeblich Moses einst zum Gott gesprochen hatte, nach dem Buch Exodus Kapitel 33. Und Josef gab nun dem Bettler dieselbe Antwort die angeblich Gott damals dem Moses gegeben hatte: „Ich werde an dir vorbei gehen, und du darfst meinen Hintern ansehen!“ Und so geschah es.

120.

Zwei Wochen später saß Maria mit Assia und dem kleinen Jesus auf einem Rasenstück im Ödland. Alle hatten sie jetzt schöne Mäntel an und saßen auf warmen Decken. Speisen in Tüchern hatte die Mutter Maria vor ihnen ausgebreitet: Fleischbrote, einen Napf mit Fruchtmus, und gefüllte Fische. Maria trug ein Amulett der Lilith im Schoß. Dieses Tonbild zeigte Lilith als nackte Liebesgöttin mit zwei Schlangen, die auf ägyptische Weise zu je einem Lebenssymbol zusammengerollt waren. Die etwas verhärmt wirkende Maria schaute das Amulett an, sie schien eine Art Tischgebet zu murmeln. Das Land ringsum war jetzt fast überall paradiesisch grün. Viele Wüstenblumen blühten hier an der Straße nach Ägypten; in weiß, violett, gelb, blau und rot. Etwas entfernt graste Marias Esel, so wie weitere Esel, Maultiere, Rinder, Schafe und Dromedare. Es war um die fünfte Stunde, noch früh am Nachmittag. Die Karawane der sie sich angeschlossen hatten machte gerade Rast. Überall standen oder saßen Reisende nach Ägypten und aßen. Judas sah besser ernährt aus als je zuvor, er hüpfte auf einem Bein herum und wirkte wieder kindlicher und froher. Jesus war ebenfalls kräftiger geworden, er grub mit seiner Muschel im sandigen Boden. „Schilo!“ sagte er überraschend zu seiner Mutter, und zeigte ihr die Muschel. – „Nein, Muschel“, korrigierte Maria. – „Mu-Schilo!“ beharrte Jesus nach einer Weile. – „Nein“, seufzte Maria nur. – „Mama?“ fragte Assia, die an einem Stück Brot kaute. „Waf ift Schilo? Und warum sagt Jesus das?“ – „Assia, red nicht mit vollem Mund“, rügte Maria sie. – „Weil Jesus ein Dummkopf ist und total stur dazu“, brummte Judas. – „Du bist gemein Judas!“ schimpfte da Assia. – „Sei still Assia“, murmelte ihre Mutter, wie so oft. Dann erklärte sie leise, mit vorsichtigen Seitenblicken: „Kein Jude weiß was ein Schilo ist, aber nur weil sie das nicht wissen wollen. Ich glaube Jesus hat dieses Wort von der Astarte unten, von der Liebesgöttin in der Tiefe, welche die Heiden Aphrodite nennen. Sie wohnt nämlich in einer Muschel. Das glauben die Heiden in Europa, und die Ägypter auch, und alle anderen normalen Heiden. Aber sagt das niemals einem Juden weiter... Kinder, sagt das auf keinem Fall eurem Papa. Sprecht am Besten niemals über Religion zu Josef! Das ist gefährlich, und die Folgen sind unvorhersehbar. Hörst du, Judas?“ – „Ich bin kein Verräter mehr!“ versicherte Judas seiner Mutter. – „Doch“, meinte Assia spitz. Als Judas Assia böse anstarrte schlug diese vor: „Judas, verrat doch wenigstens mal was dir der heilige König Balthasar erzählt hat, dass nämlich Panthera damals Mamas Geld geklaut hat. Ich hörte sie nämlich auch nachts wie sie an Mamas Geld dran war, als sie dachte dass wir schlafen würden.“ – „Nein, da täuschst du dich, Assia. Panthera ist ja eine Jüdin wie ich auch. Sie nahm sich nur einen Silberling. Den war ihr Papa schuldig gewesen, für einmal rammeln. Den Rest des Geldes hat dann vermutlich Balthasar geklaut. Das hat Panthera mir ihm Zuchthaus erzählt“, murmelte Maria grimmig. – „Ach so! Dieser böse Samariter Balthasar!“ schimpfte Judas. – „Aber Panthera hat trotzdem nicht richtig gehandelt. Sie hätte uns doch vorher fragen müssen“, meinte Assia ernst. Maria erklärte ihr düster: „Panthera hat meinen geistesschwachen Gatten betrunken gemacht und zum Ehebruch verleitet, und das vor allem sehe ich als ihre Schuld an. Aber deswegen hat unser Gy'tt Panthera ja schon bestraft. Ihr Kaspar hat sie danach in der Wüste verlassen. Jetzt wohnt sie im Puff von Bethlehem und muss die Beine breit machen, für unreine Römer.“ – „Da!“ Judas blickte in die Ferne und stellte mit einer gewissen Verachtung fest: „Da hinten kommt endlich Papa.“ – „Das ist gut, denn bald brechen wir schon wieder auf“, murmelte Maria unfroh. Die Familie beobachtete dann geduldig wie Josef den ausgetretenen Feldweg entlang hastete, und manchmal in eine Art von schleppenden Trab fiel. Am Arm trug Josef seinen neuen Gebetsriemen, so konnte er auch beim Gehen die Psalmen beten. Als der Vater seine Familie endlich erreicht hatte begann er leise zu jammern. Ausgepumpt und zittrig ließ er sich ins üppige Gras fallen. – „Beeil dich jetzt mit dem Essen“, riet ihm seine Frau sehr kühl. Sie hievte ihm den kalten Wasserschlauch auf den Bauch. Daraufhin begann Josef noch lauter zu wehklagen. „Ich kann nicht mehr! Ich bin eben langsam. Aber nachher darf ich doch mal den Esel reiten, nicht wahr?“ – „Nein du alter Esel“, meinte Maria sehr kühl. „Du weißt dass das mein Esel ist, denn ich hab ihn selbst bezahlt.“ – „Außerdem kann sie Jesus nicht lange tragen“, meinte Assia. – „Und du sollst laufen damit du wieder kräftiger wirst, Papa“, fügte Judas hinzu. – „Wie weit ist es denn noch?“ jammerte Josef. – „Bis Raphia sind es noch so vier Stunden, und vorher gibt es keine Karawanserei mehr“, erklärte Maria düster. – „Aaach!“ Ächzend richtete Josef sich auf, und nahm sehr flüchtig Marias Amulett in Augenschein. „Und du tust jetzt sofort dieses Götzenbild weg, du halbe Heidin!“ schimpfte er. Maria reagierte nicht. Josef stopfte sich zornig einen Fetzen Brot in den Mund und spülte ihn mit Wasser herunter. Assia fragte ihn mit sorgenvoller Stimme: „Papa? Wie weit ist es noch bis zu deinem gelobten Land Zion, wo du jetzt hin willst?“ – „Nur noch zehn mal so weit wie bis hierher, oder hundert mal. Und von Zion aus müssen wir ja noch viel weiter, ins Land Usa, wo die Bundeslade ist.“ – „Das ist doch blöder Unsinn!“ murrte Judas. – „Und du, Judas! Jetzt bist du auch noch gegen mich! Und Maria, und du packst bitte sofort das gräuliche Götzenbild weg!“ Ächzend reckte sich Josef nach dem Amulett, aber Maria wischte seine Hand lässig fort. Sie erklärte ihm mit kalter Freundlichkeit: „Joschele, Lilith ist nur ein Engel vom Roten Meer, der uns beschützt. Wenn wir jetzt nach Ägypten reisen dann müssen wir die dortigen Engel respektieren, damit sie uns nicht strafen.“ Hart packte da Josef der Zorn, und er wütete: „Willst du aus mir einen Götzenanbeter machen? Daraus wird nichts! Dann sind wir getrennte Leute, und ich verlasse dich endgültig! Dann geh ich zurück zu Melchior!“ – „Denk an meinen Traum. Melchior ist vielleicht aussätzig!“ warnte Judas. – „Behalt deine Kinderträume demnächst für dich, du Verräter!“ zischte Josef. – „Verräter“, brabbelte Jesus nach. Judas schnaufte nur und sprang fort. Josef griff sich eine Zwiebel, biss kräftig hinein und musste kräftig niesen. Und Maria wünschte ihm noch nicht einmal Gesundheit! Mit tränenden Augen zog er seine zerfledderte Schriftrolle aus seinem Gepäck. Dann packte er noch ein fettes Brot mit Gehacktem, und stapfte davon ohne seiner Familie Ade zu sagen. Er wollten in Wahrheit noch einen letzten Versuch zu machen die Schriftrolle zu verkaufen, an die beiden Gaukler vielleicht... Melchior rastete mit Kaspar ebenfalls abseits von der Karawane, im Schutz einer kleinen Düne. Kaspar sah nun zerlumpt aus und abgemagert, aber seine blauen Augen blitzten im Licht der fahlen Wintersonne. Eine kleine Schar von jungen Zuhörern hatte sich um ihn versammelt. Kasper trat als König der Beschwörer vor ihnen auf: „Tri tra trulala! Zila zaulazau!“ So beschwor er mit großen Gesten seine inspirierenden Geister. „Also Kinder“, fuhr er dann fort, „ich hab euch ja erzählt wie ich ins glückliche Arabien reiste. Heute will ich euch berichten wie mir die Flucht zurück nach Judäa glückte. Die Araber und Räuber hatten mich ja in diese Höhle gesperrt, nachdem sie mich am Zornbrunnen erneut geschnappt hatten. Und in dieser Höhle war ein Drache drin, öh, ich meine ein Löwe. Es ging mir also genau wie Daniel in Babylonien...“ Die jungen und älteren Zuhörer sogen aufgeregt die Luft ein. – „Waren es nicht sieben Löwen bei Daniel?“ fragte Melchior von der Seite her. „Sieben waren es bei Daniel, und bei Joseph auch. Mir reichte schon einer.“ – „Ein einziger Löwe, das ist doch läppisch für einen echten Zauberer.“ – „Es gab ja andere Löwen, aber die waren hinten bei dem Drachen. Kannst du jetzt mal eben kacken gehen, Kollege Melchior?“ grollte Kaspar, so als ob er selbst ein Löwe wäre. Josef sah die seltene Gelegenheit sich bei seinen Kollegen wieder beliebter zu machen, also packte er Melchior am Arm und zog ihn in die Höhe. „Komm Gemahl, wir müssen reden.“ – „Heißt das du willst doch wieder geritten werden?“ fragte Melchior erstaunt. – „Nein, ich will jetzt selbst reiten, und zwar nur auf einem Esel!“ meinte Josef zornig. „Aber dafür brauch ich ein wenig Geld. Möchtest du nicht doch meine geheimnisvolle Schriftrolle kaufen?“ Melchior jedoch fühlte sich verschmäht und reagierte zickig. Er winkte nett einen arabischen mickrigen Jungen zu sich, mit dem er sich gerade angefreundet hatte: „Komm zu mir, Moroni, mein Engel! Dieser alte Herr mag mich nicht mehr leiden, und du bist ja der geborene Sodomiter.“ Josef musterte feindselig das zerlumpte Kind. Melchior erklärte: „Der Knabe hier ist aus Moab, aus dem originalen Sodom am Toten Meer. Moroni ist sehr lieb und erstaunlich gebildet. Er hat die heiligen Bücher der arabischen Täufer auswendig gelernt. Nun glaubt er dass die Welt am Berg Karmel zu Ende ist, und dass von dort ein Lichtfluss hinauf in den Himmel führt. Oben wohnt Samit, der Ahnherr aller Semiten. Und wer bei diesem Engel beliebt ist der darf zu ihm.“ – „Ich bin ein Sabäer, ein arabischer Baptist“, erklärte Moroni stolz. – „Und ich bin eine betrogene und ohne Scheidung verlassene Ehefrau!“ Das erklärte Josef schnippisch bis eifersüchtig dem Melchior. Er musterte den Knaben fast zornig. – „Komm, sei nicht traurig“, meinte Melchior begütigend. Er zog eine Sesterze heraus und hielt sie Josef hin. „Ich habe eine Bitte. Lieber Gemahl, du bist doch noch der König von Jerusalem. Kannst du meinen kleinen Freund hier zum König von Sodom ernennen? Das soll dir auch etwas einbringen.“ Josef musterte den Knaben kritisch, und befand dass Moroni viel netter wirkte als sein eigener störrischer Sohn Judas. Er salbte also Moroni mit etwas Fett, an dessen schmalen braunen Hintern. Salbungsvoll erklärte er: „Hiermit weihe ich dich zum melchior-sadokitischen Priesterkönig von Sodom. Hier ist deine heilige Thora, halt sie immer in Ehren!“ Mit einer großen Geste schenkte Josef nun dem erstaunten, glücklichen Knaben die Schriftrolle. Dann zupfte er Melchior die Sesterze aus den Fingern und sagte zickig: „Und du, Gemahl, lebe wohl!“ Josef war doch heilfroh dass er einen guten Grund hatte diesem Schwulen endgültig den Rücken zu kehren. Er sagte sich dass er eigentlich ja gar nicht schwul gewesen war, sondern nur leider geil... Maria blickte nicht auf als Josef ihr bei seiner Rückkehr mitteilte: „Weib, ich will noch einen Sohn, denn sowohl Judas als auch Jesus sind mir zu unlieb. Ich weiß auch schon einen Namen für diesen Sohn, aus dem sicher der Messias werden wird. Ich werde ihn Jakob nennen!“ Und so geschah es.

121.

„He, Unzüchtiger! Wir haben was für dich: Eine Schriftrolle!“ Einige Reisende kannten Maria und Josef inzwischen gut. Nun stand einer auf und winkte Josef mit einer Schriftrolle zu sich. Als Josef zögernd näher kam entrollte der Ägypter grinsend diese Thora. Es war nur weißes Papier, er drehte es hin und her. – „Ach, soll ich euch jetzt meine erstaunliche Geschichte erzählen, und ihr wollt sie aufschreiben? Das könnte euch aber etwas kosten, zum Beispiel einen Esel“, meinte Josef erfreut. Er begann dann gleich zu erzählen: „Es begab sich nämlich in einer Scheune vor Bethlehem, dass in einer heiligen Nacht drei Könige vorbei kamen, mit königlichen Geschenken: Gold, Haschisch und Mist... Diese Könige waren nämlich Sterndeuter, und sie hatten einen Stern gesehen den sie noch nicht kannten, und deswegen waren sie zu mir gekommen, ihrem Herrn und Heiland, dem weisesten Kenner der Sterne von ganz Galiläa... Als sie mich sahen da huldigten sie mir als ihrem Kaiser, und sie salbten mich zum Messias des Himmels und der Erde...“ – „Halt ein! Josef, hab Erbarmen! Wir wissen doch schon alle die Wahrheit!“ riefen da lachend die Reisenden. Der Ägypter mit der leeren Schriftrolle erklärte Josef ernsthaft: „Höre, wir wollen dir dies hier verkaufen. Siehst du nicht was es ist? Das ist die originale Seekarte von Noah. Die brauchst du vielleicht wenn demnächst die neue Sintflut kommt, auf dein Zauberwort hin.“ – „Aber diese Karte ist doch leer!“ wunderte sich Josef. Dann ging ihm auf was diese frechen Leute meinten. Aber er hatte noch eine Frage an sie, während sie über ihn lachten: „Wisst ihr vielleicht wo das heilige Land Usa zu finden ist? Dort befindet sich nämlich die heilige Bundeslade, und die suche ich.“ – Josef wurde fast grimmig als alle Juden nur noch lauter lachten. Es war dann ein Pilger der ihm gnädig diese Antwort erteilte: „Sicher täuschst du dich, du armer Narr. Usa war doch ein Tempeldiener der die Bundeslade berühre, und der dann durch Gy'ttes Zorn starb.“ – „Vielleicht ist die Lade eures mörderischen Gottes im Himmel, genau wie der tote Usa“, spekulierte daraufhin ein Händler, der aussah wie ein Grieche. – „Da kann ich ja noch lange suchen“, sagte Josef. Nun kamen ihm die Tränen. Während Reisende sich ringsum über ihn amüsierten hastete Josef, hart gestresst, weiter zu Philo und seiner Gruppe. Dies waren fromme Juden wie er, die waren immerhin etwas netter zu ihm, und sie hatten ihm gelegentlich mal etwas zu Essen geschenkt. Unterwegs kam Josef blitzartig auf eine Idee die er für genial hielt. So wie immer wenn er sich bedrückt fühlte kam ihm ein tröstendes Zitat zu aus den heiligen Schriftrollen! „Uff!“ meinte er überrascht. Schnell trocknete er seine Tränen, nieste nochmals und sammelte sich. Dann trat er mit Würde hin zu Philo aus Alexandrien. Der reiche Jude ließ sich gerade von einem Diener umkleiden, während ein anderer ihm vorlas. Die Karawanenwächter jedoch bemerkten Josef sofort und führten ihn gleich wieder weg. – „Philo! Alter Freund! Ich weiß etwas total Wichtiges über die Bundeslade!“ rief Josef dem gebildeten Philo zu, über die Schulter. Aber Philo wollte ihn jetzt nicht anhören. – „Stör unseren Herrn nicht! Schreib ihm doch auf was du weißt!“ riet ihm ein Wachmann noch hämisch. Wiederum kamen Josef die Tränen. – „He du! Geiler alter Josef“, rief ein Diener, der gerade ein Schaf zubereitete für die reichen Leute. „Ich hab hier eine Leckerei für dich!“ – „Da sag ich doch nicht nein...“ begann Josef, als er sich froh näherte. Doch dann sah er dass es sich nur um einen kleinen Fetzen Fleisch handelte. – „Das ist das allerhinterste Ende vom Schaf. Es ist sehr zäh, aber koscher, nach der Thora“, erklärten ihm die Diener lachend. – „So arm bin ich noch nicht dass ich euer Arschloch esse!“ schimpfte da Josef. Aber da er gerade wieder an Geld geraten war, da gab er ihnen spontan seine Sesterze, für einen Becher Wein... Er war recht müde als er wieder bei seiner Familie ankam, aber am Ende seiner Redseligkeit war Josef noch lange nicht. „Maria, ich hab mich gerade an eine sehr wichtige Stelle aus den heiligen Schriften erinnert! Endlich weiß ich genau wo die Bundeslade zu finden ist!“ Dies teilte Josef nun seiner Frau aufgeregt mit. Da diese wiederum nicht reagierte, begann er eine Stelle aus dem Buch Jesajas, Kapitel zwei, zu zitieren: „Der Berg des Herrn wird über alle Berge und Höhen erhaben sein... Weißt du was das bedeutet?“ Da Maria immer noch nicht antwortete predigte Josef lauthals weiter, alles was ihm gerade in den Sinn kam: „Wehe, die Welt wird gewisslich bald untergehen! Eine neue Sintflut wird über uns kommen! Jeder weiß das von uns Eiferern. Aber wie können wir gerettet werden? Eben nun hab ich erfahren dass am Berg Karmel ein Lichtfluss endet der aus dem Himmel hinab fließt. Und daraufhin ging mir auf dass dies dieser Berg des Herrn sein muss. Sicherlich ist da auch die Leiter die der greise Jakob sah im Traum, auf der die Engel in den Himmel klettern! Es heißt nämlich dass am Berg Karmel schon das Ende der Welt anfängt!“ – „Nicht doch, Papa! Hinter dem Berg Karmel kommen erst das Dorf der Krokodile und das elende Dor; dann kommen Tyros, Arados, Berytos, Armageddon und Sidon; dahinter ist der Berg Arafat. Dahinter wohnen die Skythen und die Hyperboreer.“ So belehrte den Josef nun seine kluge Tochter Assia. Der erschöpfte Josef war jedoch nicht zu stoppen, er eiferte bis ihm die Stimme halb wegblieb: „Ja, die Welt ist groß, aber das ist gut so, denn sie muss groß genug sein für jede Menge Juden. Ich hab schon überlegt ob wir nicht besser nach Hyperborea auswandern sollen, denn da soll es gut sein. Ihr wisst doch, diese Barbaren im Norden sind Heiden, die nicht die Thora kennen, und deswegen nicht wissen wie sie Elohim auf die richtige Weise anbeten müssen. Deswegen hat Adonai gewisslich schon wieder im Sinn sie alle mit einer Sintflut zu ersäufen. Aber wenn wir uns jetzt noch viel strenger als bisher an die Thora halten, dann wird Gy'tt uns sicher bald raten unsere neue Arche zu bauen... Also hört ihr, von jetzt an werden wir wieder brutal bibeltreu!“ – „Papa, jetzt hör doch mal auf mit diesen jüdischen Schwierigkeiten!“ jammerte Assia genervt. – „Ja, Papa“, sprang ihr Judas bei, „wir sind doch jetzt in Ägypten, und hier denkt man vernünftiger!“ – „Ach, wir sind schon in Ägypten!“ befand Josef erstaunt. Assia erklärte: „Deswegen ziehen sich jetzt alle Juden um, damit keiner merkt dass sie jüdische Pilger sind.“ – „Papa hat den Grenzstein übersehen!“ stellte Judas höhnisch fest. – „Ich hab an dem Stein rasch vorbei gesehen, denn darauf waren ägyptische Bilder!“ – Maria sagte beiläufig: „Joschele, du musst aber wenigstens mal lernen ägyptisch zu reden, denn in Ägypten spricht keiner freiwillig Aramäisch. Die Sprache der Ägypter ist auch leider ganz anders als unsere, und sehr kompliziert.“ – „Oi je!“ Josef raufte sich seinen Bart und überlegte. Auslandsreisen waren doch nicht so einfach. Spontan traf Josef dann eine von seinen einsamen Entscheidungen: „Also, ihr drei wollt von jetzt an wie die Ägypter reden, und noch deren gräuliche Götzenbilder anbeten? Daraus wird nichts!“ Josef starrte Maria kleinmütig an, aber diese reagierte wiederum nicht. Er schluchzte auf und ging mit knackenden Gelenken in die Hocke. Dann begann Josef groß zu lamentieren: „Ich bin doch nur noch ein armer Bettler, ein bekloppter Prediger den niemand gebrauchen kann. Wo soll ich denn bleiben?“ – „Wenn die Bettler zu zahlreich werden dann vertreibt man sie in die Wüste“, meinte Judas nur kalt. Josef kniete sich mit überraschender Leidenschaft vor Maria hin und beschwor sie: „Das soll mir nicht passieren. Unsere liebe Frau der Gnade! Ich schlage vor wir kehren um, und zwar sofort! Und dann schauen wir uns noch mal an wie es jetzt aussieht in unserer Heimat Galiläa, hinter dem Berg Karmel. Oder wir können von dort aus in den Himmel fahren, und uns erkundigen wo die Bundeslade denn genau steckt. Vielleicht ist sie ja wirklich da oben. Ich könnte sie restaurieren, wenn das Holz schon alt ist. Oder besser noch, wir Gott machen da oben ganz neue Gebote, und geben sie den Juden hier unten... Maria, wenn wir jetzt umkehren würden, dann wären wir Melchior los. Ich mag ihn nicht mehr wiedersehen, mit ihm ist es aus!“ Da blickte Maria überrascht und froh auf. „Wie du willst, mein Gebieter“, sagte sie, mit plötzlicher Wärme in der Stimme. Froh stand Maria auf und küsste den überraschten Josef. Dann reckte sie sich und schleuderte spontan das Amulett der Windsbraut weit weg. Josef lachte befreit, und Jesus gluckste froh und sagte: „Mama Geld!“ Und Josef und Maria kehrten zurück nach Galiläa und wurden endlich glücklich miteinander. Wer das glaubt, der glaubt auch noch an Jesus Christus.

Historisches Nachwort

In Wahrheit war Josef angeblich nur ein Landarbeiter in dem Dorf Kafernaum in Galiläa. Die ganze Familie besaß laut Aussagen von Kirchenschriftstellern in Judäa einen schlechten Ruf. Jesus, der einfältige Sohn des Josef, glaubte später dass sein toter Vater Josef tatsächlich im Himmel der Gott geworden sei. Auch war er der Überzeugung dass die Welt nicht zu retten sei und bald untergehen würde, und entsprechend benahm er sich. Der radikale Eiferer und Wundertäter Jesus bekam Ärger wegen judenfeindlicher Hetze, Vandalismus, Landfriedensbruch, aggressiver Bettelei, Straßenraub und betrügerischen Heilbehandlungen; er starb elend am Kreuz. Einfältige vieler Sorten jedoch ergötzten sich noch lange an seinen Sprüchen wie: „Sorgt euch nicht um den morgigen Tag! Flieht in die Berge. Mein Vater im Himmel könnte mir zwölf Legionen Engel schicken. Schenkt alles was ihr habt den Armen! Selig sind die Einfältigen denn sie werden im Himmel zu Herrschern werden.“ Judas hatte elf Jahre später nicht mehr Glück. Er hatte die von Jesus gegründete Sekte der 'Armen' (Ebioniter) weiter geführt und viel Geld verdient. Aber letztlich zog er mit dem fanatischen Simon Petrus und 4.000 Sektierern in die östliche Wüste, um sie als neuer Moses in ein gelobtes Land zu führen. Doch glückte es Judas, der sich nun Theudas (Thaddäus) nannte nicht, den Fluss Jordan vor seinen Sandalen versiegen zu lassen; oder für all die Hungrigen gar Manna vom Himmel fallen zu lassen. Mit jüdischem Eifer verfolgte die römische Obrigkeit Judas und seine Räuberbande, fast alle wurden niedergemetzelt. Josef bekam noch einen dritten Sohn, den er Jakobus nannte. Dieser geriet nach Jerusalem und wurde dort trotz seiner nicht adligen Herkunft ein Hohepriester, der einzige den man den Eiferern zurechnete. Jakobus war ein derart nerviger Beter dass er Schwielen an den Knien bekam. Auch heißt es (im apokryphen Jakobus-Evangelium) dass er lebenslang glaubte dass seine Mutter Maria eine Jungfrau gewesen sei. Als Jakobus von der Söldnerschar des Herodianers Saulus gestürzt und ermordet wurde, da empörte dies die Einfältigen und Radikalen vieler Sorten so sehr, dass sie einen totalen Krieg gegen die Obrigkeit begannen. Der endete wie zuvor mit der Eroberung von Jerusalem und der völligen militärischen Niederlage der Juden. Viele wurden getötet, der Rest wurde gnadenlos vertrieben. Der blutige Kult im Tempel fand für immer sein Ende, aber die Einfalt der Radikalen nicht... Herodes Agrippa wurde übrigens noch jüdischer König, nachdem er in Rom bankrott gegangen war. Der Hohepriester Joazar wurde von den Römern bald durch Ananus ersetzt. Der Treck, der alles Bettelgesindel von Judäa in Galiläas schöne Hauptstadt Tiberias führen sollte, erreichte tatsächlich sein Ziel. Dies schrieb Josephus, vermutlich nach Angaben von Herodianern. Zu einer Auswanderung der Israeliten nach Assuan in Ägypten kam es dagegen nicht. Vielleicht lag es daran dass das Rote Meer blieb wo es war. In neuerer Zeit bauten die Ägypter in Assuan einen Stausee und setzten die Gegend unter Wasser, vielleicht um eine israelische Invasion zu verhindern. Judas aus Gamala bekam zwei Söhne, die beide als Rebellenführer gekreuzigt wurden. Herodes Archelaus wurde jüdischer Putzmann in Vienna. Herodes Antipas ließ sich viele Jahre später von seiner arabischen Frau Phasaelis scheiden, und heiratete aus Liebe noch seine Nichte Herodias, die sich für ihn scheiden ließ. Fromme Juden glauben dass zum Laubhüttenfest der Engel Ridja dafür sorgt dass sich der Wasserspiegel hebt oder dass Regen fällt. Auch die Gematrie ist noch heute bei Bibelforschern beliebt, unter dem Namen 'Bibel-Code' gilt sie als Wundermethode um in der Bibel alles Mögliche zu finden. Am Ursprung der Legende von den drei heiligen Königen stand wohl die Reise von drei Zoroastriern nach Judäa. Erfunden ist die Gestalt des Juda ben Hur, der angeblich als jüdischer Sklave seinem reichen Herrn das Leben rettete. Diese Geschichte gefiel einigen Reichen so sehr dass sie im Land Usa mit elf goldenen Götzenbildern geehrt wurde. Wahres dagegen schrieb der Historiker Josephus auf von dem Ägypter, der einige Jahre später eine Menschenmenge vor die Tore von Jerusalem führte, und ihnen versprach die Mauern durch Zauberei umzulegen. Die Römer verfolgten ihn mit jüdischem Eifer. Von dem ägyptischen Zauberer heißt es dass er sich unsichtbar machte und so entwischte. Wer an Märchen glauben mag, der mag also glauben dass dies Moroni war, der Priesterkönig von Sodom, der vom Berg Karmel aus ins gelobte Land Usa reiste, wo er die Schriftrolle des Chodosis dessen debilen Verwandten, den verlorenen Stämmen Israels, übergab. Diese übertrugen den unlesbaren Text auf goldene Tafeln und versteckten diese auf dem Gelände der späteren Ranch Shiloh. Dort fand sie der Prophet Joseph Smith junior, eine direkter Nachfahr Josefs. Josef junior 'übersetzte' sie mit seinen Urim und Tummin, und verfasste das Buch Mormon.

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